Der überrumpelte Herr Oberst.

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Kaisermanöver”


Die Ehe zwischen dem Herrn Oberst von Ritzleben, dem Kommandeur des in der Stadt garnisonirenden Infanterie-Regimentes, und seinem Adjutanten, dem Leutnant von Schulbring, war nicht so glücklich, wie die militärischen Ehen es meistens zu sein pflegen. Diese Ehe war sogar wenigstens einseitig direkt unglücklich, denn der Herr Oberst hatte sehr viel an seinem Adjutanten auszusetzen, ohne daß er eigentlich wußte was. Der Adjutant, den er von seinem Vorgänger übernommen hatte, kannte seinen Dienst aus dem ff, in dem Büro ging alles wie am Schnürchen, es kam keine Bummelei, keine Vergeßlichkeit vor und trotzdem wünschte sich der Herr Oberst von Tag zu Tag nur umso sehnlicher einen anderen Adjutanten. Und das hatte seinen guten Grund. Der Herr Oberst hielt sich für einen großen Menschenkenner. Er besaß nach seiner festen Überzeugung die Gabe, jeden Untergebenen gleichsam wie mit Röntgenstrahlen zu durchleuchten. So hatte er sich denn naturgemäß seinen Adjutanten, mit dem er fortan täglich viele Stunden zusammen arbeiten mußte, am ersten Tage ganz besonders genau angesehen. Äußerlich hatte Herr von Schulbring ihm ausgezeichnet gefallen, ein großer, schlanker, eleganter Offizier von siebenundzwanzig Jahren, mit einem klugen, imtelligenten Gesicht, mit hübschen braunen Augen, einem flotten Schnurrbart und dichtem braunen Haupthaar. Auch als der Herr Oberst dann dem Untergebenen durch die Rippen mit seinen Augen hindurch leuchtete, hatte er zuerst nichts besonderes entdeckt, aber trotzdem hatte seine Diagnose schließlich gelautet: an dem erlebst du noch einmal was.

Und vor diesem Erlebnis graute dem Herrn Oberst, denn eine stille Ahnung sagte ihm, daß dieses Erlebnis kein allzu freudiges sein würde. Schon um dem bevorstehenden Unglück aus dem Wege zu gehen, hätte sich der Herr Oberst leidenschaftlich gern einen anderen Adjutanten gewählt, aber dazu lag nicht die leiseste Veranlassung vor. Herr von Schulbring füllte seinen Posten auf das gewissenhafteste aus und niemand würde ihn, den Herr Oberst, verstanden haben, wenn er plötzlich bei dem General­kommando um die Gestellung eines anderen Adjutanten nachsuchen würde, denn unmöglich konnte er den hohen Behörden gegenüber eingestehen, daß er an Ahnungen litte, als sei er eine alte asthmatische Jungfer.

So blieb alles, wie es war, die Ehe bestand weiterhin, ohne geschieden zu werden, aber gerade deshalb sammelte sich in der Brust des Herrn Oberst immer mehr Ingrimm gegen seinen Adjutanten an, der ihm gar nichts tat und der doch gern mal etwas tun sollte, damit er, der Herr Oberst, seinem Herzen endlich einmal Luft machen könne. Aber der Adjutant bot dazu gar keine Veranlassung, nur ein einziges Mal hatte es so ausgesehen, als ob! Da war es dem Herrn Oberst so vorgekommen, als mache Herr von Schulbring der Regimentstochter, der schlanken, auffallend hübschen Elly etwas zu sehr den Hof. Gewiß, heiraten sollte die Elly, die konnte sogar zum Mann nehmen, wen sie wollte, nur nicht Herrn von Schulbring. Das hatte der Herr Oberst seinem Töchterlein gegenüber, gegen das er sonst die Güte und die Liebe selbst war, in klaren, deutlichen Worten auseinandergesetzt und dem Adjutanten hatte er dasselbe, wenn auch nicht ganz so deutlich, erklärt. Und das mußte geholfen haben, denn der Adjutant ging auf allen Gesellschaften der schönen Elly in einem großen Bogen aus dem Wege und die Elly, die von Anfang an erklärt hatte, ihr Vater müsse sich irren, sie persönlich habe sich nie etwas aus dem Adjutanten gemacht, die Elly war inzwischen sogar zu der Erkenntnis gekommen, daß Herr von Schulbring ihrem Vater, auch ohne daß er es wollte, das Leben wirklich sehr schwer machte. Ja, wenn der Vater zu Hause über seinen Adjutanten schalt, dann schalt sie ganz gewaltig mit.

Das tat sie auch heute, als der Herr Oberst ärgerlich und mißgestimmt aus dem Büro nach Hause kam. Es hatte da einmal alles wieder ganz vorzüglich geklappt, sogar eine schwierige Änderung in dem Mobil­machungs­kalender war von dem Adjutanten pünktlich auf die Minute und tadellos richtig abgeliefert worden. Aber trotzdem, was half das alles, einmal würde er, der Herr Oberst, an dem Adjutanten ja doch etwas erleben und das wollte er nicht.

Und die Laune des Herrn Oberst wurde dadurch nicht besser, daß er zu Hause angekommen das Mittagessen allein mit seiner Tochter einnehmen mußte, da die Frau Oberst sich nicht ganz wohl fühlte und sich niedergelegt hatte. So verlief die Mahlzeit denn wenig erfreulich, die ganze Unterhaltung bestand lediglich darin, daß der Herr Oberst vor sich hin schalt und daß Elly ihr möglichstes tat, um die schlechte Laune ihres Vaters zu erhöhen, bis sie dann endlich, als sie mit dem Vater zusammen bei dem Kaffee saß und ihre Cigarette rauchte, sagte: „Wir haben ja schon so oft darüber gesprochen, Vater, aber ich meine, es müßte doch ein Mittel geben, diesen Adjutanten los zu werden, der nicht nur dir, sondern gewissermaßen auch uns täglich das Leben verbittert, denn wir haben doch in erster Linie unter deiner schlechten Laune zu leiden.”

„Das ist es ja gerade,” brauste der Oberst auf. „Ja, wenn man seine Stimmung mit dem Mantel und der Mütze draußen auf dem Korridor an die Wand hängen und dem Burschen zurufen könnte: „Sie, Fritz, schütten Sie mal meinen Ärger in die Dunggrube, aber machen Sie den Deckel fest zu, damit er nicht wieder 'rauskommt, ja, dann ließe ich es mir schließlich schon noch gefallen, aber so — — —”

„So geht es einfach nicht weiter,” meinte Elly, „und deshalb, Vater — — — — ich habe soviel darüber nachgedacht, wie dir geholfen werden könne, und ich glaube, ich habe es gefunden.”

Die hübsche Elly wunderte sich selbst, daß ihre Stimme so ruhig und unbefangen klang. Ihr war, als müsse der Vater es hören, wie laut ihr Herz schlug, als müsse er erraten, daß die Mutter sich nur deshalb niedergelegt habe, um ihrem Kind Gelegenheit zu geben, endlich einmal allein mit dem Vater sprechen zu können.

Aber der Oberst merkte nichts von dem, was seine Tochter im stillen beschäftigte, er machte lediglich ein ganz glückliches Gesicht, um seinem Konde dann zuzurufen: „Elly, du Blitzmädel, wenn du wirklich einen vernünftigen Gedanken hast, dann heraus damit und wenn der Rat, wie man so sagt, unter Brüdern seine hundert Taler wert ist, dann sollst du sie haben.”

„Er ist sogar viel mehr wert, Vater,” meinte Elly fröhlich auflachend, obgleich ihr Herz immer lauter und lauter schlug, um dann fortzufahren: „Mein Rat ist sogar wenigstens tausend Taler wert und doch ist er so einfach. Es ist geradezu unbegreiflich, daß wir noch nicht eher darauf gekommen sind. Herr von Schulbring muß sich verlieben, verloben und verheiraten, dann bist du ihn für immer los, denn einen verheirateten Regiments­adjutanten kannst du doch nicht gebrauchen.”

„Da hast du Recht,” stimmte der Vater ihr bei, bis er dann doch plötzlich sie scharf ansehend fragte: „Wie kommst du aber nur auf diesen guten Ausweg? Bist du etwa selbst dabei beteiligt? Hat der Leutnant es etwa hinter meinem Rücken doch darauf abgelegt, dich einzufangen? Das täte mir sehr leid für dich, mein Kind, denn was ich dir schon einmal sagte, gilt auch noch heute: „Du kannst heiraten, wen du willst, nur nicht den Leutnant von Schulbring.”

„Nur ein wahres Glück, daß wir jungen Mädchen uns so verstellen können, noch dazu, wenn es gilt, unsere Liebe zu verbergen,” dachte Elly, dann sagte sie mit einer Stimme, die selbst den Vater täuschte: „Aber Papi, wie kannst du nur so etwas von mir denken? Bin ich dir nicht allezeit eine getreue Tochter gewesen? Und da sollte ich gegen deinen Willen — — — nein, Vater, das ist wirklich nicht hübsch von dir.”

Mit so vorwurfswvollen Augen sah Elly ihren Vater an, daß dieser ganz verlegen wurde und sein Kind zärtlich an sich zog: „Na, sei schon wieder gut, Liebling,” bat er, „ich weiß ja, daß du ein gehorsames Kind bist. Wie mir aber trotzdem der Geanke kommen konnte, daß vielleicht du selbst — —” mitten im Satz hielt er inne, um dann plötzlich zu fragen: „Nun aber die Hauptsache. Handelt es sich bei dem, was du mir da sagtest, nur darum, daß der Adjutant nach deiner Ansicht bald heiraten soll, oder glaubst du, daß er sich in der Hinsicht bereits mit bestimmten Plänen trägt?”

Wäre der Oberst wirklich der große Menschenkenner gewesen, der er zu sein sich einbildete, dann hätte ihm das ganze Benehmen seines Kindes jetzt zum mindesten verdächtig vorkommen müssen, als die nun ihrem Vater mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen, das sie trotz aller Anstrengungen nicht zu verbergen vermochte, zur Antwort gab: „Ich glaube sogar zu wissen, wen er gern heiraten möchte.”

Unwillkürlich wandte sich der Oberst seiner Tochter zu und sah diese mit großen Augen erwartungsvoll an, bis er dann fragte: „Und wie heißt die junge Dame, die mir schon deshalb so außerordentlich sympathisch ist, weil sie mir meinen Adjutanten fortnehmen will? Kenne ich das junge Mädchen?”

„Na, Vater, wenn du die nicht kennst, dann kennt sie keiner,” dachte Elly im stillen, während sie sich zugleich überlegte, wie sie sich denn nun nennen solle, dann meinte sie endlich: „Natürlich kennst du sie, Vater. Ich weiß zwar nicht, ob ich schon mit dir darüber sprechen darf, denn je diskreter man solche Angelegenheiten behandelt, desto eher führen sie zum Ziele. Aber gleichviel, wenn ich mich auf deine Verschwiegenheit verlassen darf, es ist die Jenny.”

Der Herr Oberst war auf sein Namengedächtnis womöglich noch stolzer als auf seine Menschenkenntnis, aber trotzdem sagte er jetzt nachdenklich vor sich hin: „Jenny — Jenny? Eine deiner Freundinnen dieses Namens kenne ich ja gar nicht.”

„Aber Vater, ” schalt Elly, die sich im stillen trotz aller Angst, die sie bei diesem gewagten Spiele ausstand, sehr belustigte, „aber Vater, du kennst die Jenny nicht? Das wird ja immer schöner. Erinnere dich nur, sie ist dir schon so oft aufgefallen, weil du sie so hübsch fandest, sie hat beinahe meine Figur, große Augen, sehr dichtes Haar, ganz schmale Füße und Hände — — — —”

Elly schilderte ihr eigenes hübsches Äußere nur ganz im allgemeinen und so hatte der Herr Oberst denn natürlich auch keine Ahnung, wer diese Jenny sei, aber das durfte er keinesfalls zugeben, denn wenn er selbst die schon oft hübsch gefunden hatte, dann mußte er jetzt wenigstens so tun, als ob er sich auf sie besänne und so sagte er denn: „Ach so, ja richtig, nun fällt sie mir wieder ein, die Jenny, die hübsche Jenny! Alle Achtung, einen so guten Geschmack hätte ich dem Schulbring eigentlich gar nicht zugetraut. Sieh mal einer an und du glaubst wirklich, daß die hübsche Jenny seine Zuneigung erwidert?”

Wieder blitzte heimlich und verstohlen der Schalk in Ellys Augen auf, dann meinte sie mit fester Stimme: „Ich weiß es sogar, Vater, die Jenny hat gar keine Geheimnisse vor mir und hat oft mit mir über ihre Liebe gesprochen.” Bis sie dann plötzlich bat: „Nicht wahr, Vater, was ich dir hier erzähle, das bleibt unter uns? Du darfst keinem Menschen gegenüber etwas davon erwähnen, auch nicht deinem Adjutanten. Auch dem darfst du nicht verraten, daß du bereits von seiner Liebe wußtest, wenn er dich vielleicht an einem der nächsten Tage darum bitten sollte, seine Verlobung veröffentlichen zu dürfen.”

Der Herr Oberst machte ein ganz glückstrahlendes Gesicht: „Donnerwetter, so weit ist es schon, und das sagst du mir erst jetzt?”

„Eigentlich dürfte ich es dir auch heute noch nicht sagen,” verteidigte sich Elly, „denn ich habe natürlich Jenny tiefste Verschwiegenheit versprochen, aber sie tut mir so leid, ich traf sie heute morgen auf der Straße und ich treffe sie nachher wieder auf der Eisbahn. Vielleicht kann ich ihr da ein Wort des Trostes sagen, denn nicht wahr, Vater, du wirst den beiden doch behilflich sein, daß sie sich heiraten können?”

Der Oberst blickte ganz erstaunt auf: „Ich soll den beiden behilflich sein? Ja, aber wie denn? Soll ich mich hier auf meine alten Tage etwa noch als Heiratsvermittler etablieren?”

Anscheinend ganz unbefangen lachte Elly hell auf: „Nein, Vater, das verlangt natürlich niemand von dir, denn es handelt sich um etwas ganz anderes. Wie ich es dir schon andeutete, Vater, sind die Jenny und Herr von Schulbring sich völlig einig, die sind sogar schon heimlich miteinander verlobt, auch die Mutter hat gegen die Verlobung nicht das geringste einzuwenden, aber der Vater will nicht.”

„Ein sehr verständiger Mann,” warf der Oberst ein, „wenn ich der Vater wäre, würde ich auch nicht wollen.”

„Aber du bist doch nicht der Vater,” rief Elly, der beinahe vor Angst das Herz still zu stehen drohte. Wenn der Vater ahnte, daß sie selbst die Jenny war. — Der Gedanke durfte gar nicht in ihm wach werden und so sagte sie denn jetzt noch einmal: „Du bist doch aber gar nicht der Vater und gerade deshalb könntest du doch bei dem wirklichen Vater ein gutes Wort für den Adjutanten einlegen.”

„Aber ich kenne den Vater doch gar nicht,” warf der Vater ein.

„Das schadet doch gar nichts,” rief Elly schnell, „im Gegenteil, ich finde sogar, das erleichtert es dir sehr, dem Herrn ein paar Worte zu schreiben, ihm mitzuteilen, daß Leutnant von Schulbring durch und durch ein Ehrenmann ist, ein ausgezeichneter Offizier, der eine gute Karriere vor sich hat und der auch in völlig geregelten finanziellen Verhältnissen lebt. Na, du wirst es ja selbst am besten wissen, wie man in solchen Fällen schreibt,” und sich zärtlich an ihren Vater schmiegend, bat sie: „Nicht wahr, Papi, du erfüllst mir meine Bitte? Ich habe es der Jenny fest versprochen, dich solange zu quälen, bis du es tust. Jenny erwartet mich voller Ungeduld auf der Eisbahn, nicht wahr, du tust es, es müßte denn sein, daß du den Brief gegen deine Überzeugung schreiben solltest und daß du deinem Adjutanten kein gutes Zeugnis ausstellen könntest.”

„Das könnte ich schon,” meinte der Oberst nach kurzem Besinnen, „es wäre sogar mehr als unrecht, wenn ich über den Schulbring auch nur ein einziges schlechtes Wort schriebe. Aber trotzdem, gern mische ich mich da nicht hinein, es müßte denn sein, daß der Adjutant mich direkt darum bitten sollte. Dann darf ich ihm das natürlich nicht abschlagen, dann bin ich quasi dazu verpflichtet, ihm zu helfen, denn schließlich darf ich es doch nicht auf einem meiner Offiziere sitzen lassen, daß er abgewiesen wird, obgleich nicht das geringste gegen seine Ehrenhaftigkeit vorliegt.”

Ehe der Oberst wußte, wie ihm geschah, küßte seine Elly ihn auf den Mund, um ihm dann zuzurufen: „Ich wußte es ja, Papi, daß du der beste aller Väter bist. Gott, wird die Jenny glücklich sein, ich will es ihr nun gleich erzählen, daß sie sich auf dich verlassen kann!”

Und draußen war sie, um sich schnell anzuziehen, die Schlittschuhe zu ergreifen und zu der Eisbahn zu eilen, wo der Adjutant sie wie stets des Nachmittags bereits erwartete.

Und während die beiden Hand in Hand auf dem Eise herumliefen und miteinander besprachen, wann und wie er den Herrn Oberst um den Brief bitten solle, saß dieser, seine Cigarre rauchend in seinem Zimmer und überlegte sich noch einmal alles, was seine Elly ihm erzählt hatte. Warum sollte er den beiden jungen Leuten nicht dazu verhelfen, glücklich zu werden, umso mehr, da er ja selbst dadurch glücklich wurde? Dann konnte er sich sofort einen anderen Adjutanten aussuchen, ja, er mußte es sogar, denn in dem Armeekorps, dem sein Regiment angehörte, war es Brauch und Sitte, daß die Regiments­adjutanten nicht einmal verlobt, geschweige denn verheiratet sein durften. Wenn Schulbring ihn also wirklich um einen Brief bitten sollte, wollte er ihm den gern geben und er konnte es auch mit gutem Gewissen tun, denn abgesehen davon, daß der Leutnant ihm persönlich nicht sympathisch war, lag gegen den nicht das geringste vor. Im Gegenteil, nach seiner gewissenhaften Überzeugung konnte jeder Vater aufrichtig froh sein, einen solchen Schwiegersohn zu bekommen. Auch das wollte er gern mit in den Brief hinein schreiben. Und er schrieb das und noch manches andere auch wirklich, als ihn der Adjutant dann drei Tage später um seine Vermittlung bat.

In einem offenen Couvert übergab der Herr Oberst diesen Brief seinem Adjutanten, der nicht genug Worte finden konnte, um sich zu bedanken und der dann das Schreiben an sich nahm, um selbst die Adresse auszufüllen und den Brief eingeschrieben zur Post zu bringen.

Und diesen eingeschriebenen Brief erhielt der Herr Oberst, als er am Abend desselben Tages mit seinen Damen bei dem Abendessen saß.

Schon auf den ersten Blick erkannte er die Handschrift seines Adjutanten und so fragte er denn ganz verwundert: „Nanu, der Schulbring schickt mir einen Privatbrief, noch dazu eingeschrieben, was hat das zu bedeuten?”

„Vielleicht teilt er dir seine Verlobung mit,” meinte die Frau Oberst, die unter dem Tisch heimlich die Hand ihrer Tochter ergriffen hatte und diese durch einen leichten Händedruck zu beruhigen versuchte, bis sie dann fortfuhr: „Sicher hat deine warme Empfehlung ihm geholfen und du sollst der Erste sein, der von seinem Glück erfährt.”

„Möglich wäre das schon,” meinte der Herr Oberst, aber als er dann den Brief zu lesen begann, weiteten sich seine Augen immer mehr und mehr, obgleich das Schreiben nur sehr kurz und bündig war und einfach lautete:

„Hochwohlgeborener Herr! Hochzuverehrender Herr Oberst und Regiments­kommandeur!
    Euer Hochwohlgeboren bitte ich auf Grund des beiliegenden Empfehlungs­schreibens, das meine Person betrifft, ganz gehorsamst um die Hand Ihrer Fräulein Tochter, die ich schon lange liebe und die mich wiederliebt.”

Eine ganze Weile starrte der Oberst seine Tochter fassungslos an, bis er dann endlich rief: „Das hat der Schulbring sich ausgedacht? Na, der soll mir morgen mal auf das Büro kommen, da kann er sein blaßgrünes Wunder erleben, ein noch viel größeres, als ich jetzt an ihm. Und wenn Ihr beide glaubt, daß ich auf diesen plumpen Überfall reagiere, dann irrt Ihr Euch sehr. Ich habe mich für den Adjutanten bei dem Vater von Fräulein Jenny verwandt, aber nicht bei deinem Vater.”

„Weißt du das so genau, Papi?” erklang da Ellys lustige Stimme, bis sie dann fortfuhr: „Du bist doch ein so kluger Vater und hast doch ein so gutes Namensgedächtnis. Hast du es da wirklich vergessen, daß deine Tochter nicht nur Elly, sondern daß sie auf die Namen Elly, Johanna, Friederike, Konstanze, Alexa, Olga und Jenny getauft ist?”

„Ja, Vater, hast du das wirklich vergessen?” fragte da auch die Frau Oberst, die ihrer Tochter behilflich gewesen war, den Vater zu überlisten, und anscheinend ganz vorwurfsvoll setzte sie hinzu: „Aber Otto, wie konntest du nur?”

Ja, wie konnte er nur! Das wußte der Herr Oberst selbst nicht, er wußte nur eins, ob er wollte oder nicht, er mußte gute Miene zum bösen Spiel machen, denn um den letzten Widerstand des vermeintlichen Schwiegervaters zu brechen und um seinen Adjutanten wirklich los zu werden, hatte er dem Schreiben, das er nun wieder in Händen hielt, noch im letzten Augenblick die Worte hinzugesetzt: „Ich stehe nicht an, Ihnen, sehr geehrter Herr, dessen Name mir vorläufig noch unbekannt bleiben soll, offen zu erklären, daß Herr Leutnant von Schulbring mir selbst als Schwiegersohn jeder Zeit willkommen wäre.”


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