Der kleine Trommberg

Militär-Humoreske von Freiherr von Schlicht
in: „Arme Schlucker” und
in: „Die Fürstentreppe”

„Und dann noch eins,meine Herren,” schloß der neuernannte Oberst seine Rede an die um ihn versammelten Offiziere seines Regiments. „Noch eins, das Letzte und doch zugleich das Wichtigste. Ich bitte Sie, meine Herren, mir Ihr volles Vertrauen entgegenzubringen. Ich bin nicht nur Ihr Vorgesetzter, sondern auch Ihr bester Freund. Mit der Zeit werden Sie das selbst einsehen, Beweise für die Wahrheit meiner Behauptung kann ich Ihnen ja vorläufig nicht erbringen, jetzt kann ich Sie nur bitten: Glauben Sie mir. Und deshalb, wenn einer von Ihnen, namentlich von den jüngeren Herren, einmal in Not sein sollte, wenn er nicht mehr ein und aus weiß, dann wende er sich vertrauensvoll an mich. Bei meinem Alter habe ich naturgemäß reiche Erfahrungen, und ich werde auch dann immer noch einen Rat wissen, wenn dem Bedrängten seine Lage auch noch so aussichtslos erscheint.”

„Das war ja so weit ganz schön gesagt,” meinte ein Leutnant, als die jungen Herren nach der offiziellen Begrüßung zusammen im Kasino frühstückten, „das war nicht nur ganz schön, sondern sogar beinahe überzeugend. Ich glaube, der Mann hat in seiner Jugend eigentlich ein Theologe werden wollen, er hat solchen gewissen gutturalen, pastoralen Ton in der Kehle: ,Beweise kann ich Ihnen vorläufig nicht geben, glauben Sie mir.' Na, Sie wissen ja, mit dem Glauben ist das so eine eigene Sache.”

„Und Sie glauben wirklich nicht, daß —” unterbrach den Sprecher der kleine Leutnant von Trommberg. Der war ein Windhund mit Eichenlaub und Schwertern, verschuldet bis über die Helmspitze, aber ein lieber kleiner Kerl, dem man gut sein mußte. Der alte Oberst hatte ihm gegenüber beide Augen zugedrückt, teils aus Zuneigung für den Leutnant, teils aber auch aus heißester Liebe zu sich selbst, denn wenn er kurz vor seiner Beförderung zum General noch einen Leutnant Schulden halber zum Abschied eingeben mußte, dann konnte man nicht wissen, ob man ihn nicht für den flotten Lebenswandel des Herrn Leutnants verantwortlich machen würde. Und es war nicht nur für seine eigene Person, sondern vor allen Dingen für den Staat viel wichtiger, daß er selbst General wurde, als daß der kleine Leutnant um die Ecke ging.

„Und Sie glauben wirklich nicht, daß —” fragte Trommberg noch einmal.

Der andere zündete sich mit der ruhigen überlegenen Miene des erfahrenen Mannes seine Zigarre an: „Ich sagte schon, lieber Freund, mit dem Glauben ist das so eine eigene Sache. Der Glaube an Gott gehört nicht hierher, mit dem kann es jeder halten, wie er es in der Schule gelernt hat, aber der Glaube an die Menschen, und nun erst an die Vorgesetzten? Das ist eins von den vielen Dingen, die ich während meiner nun bald zwölfjährigen Dienstzeit verlernt habe. Sehen Sie, an und für sich ist der Vorgesetzte ja auch ein ganz harmloses Gemüse, er gehört ja auch zur Gattung Mensch, aber er wird künstlich durch die höheren Vorgesetzten zum Raubtier großgezogen. Selbst wenn er will, er kann ja gar nicht so, wie er persönlich wohl möchte, Rücksicht auf den Dienst, Rücksicht auf das Urteil der Vorgesetzten, Rücksicht auf seine Familie, Rücksicht auf seinen Geldbeutel, der Mann hat so viel Rücksichten zu nehmen, daß er sich naturgemäß zum rücksichtslosesten Menschen der Neuzeit entwickelt. Er ist der krasseste Egoist des Jahrhunderts, das Wort: ,Nichts Menschliches ist mir fremd', ist ihm gänzlich unbekannt, er versteht und begreift nur das, was er selbst tut. In keinem Stand, in keinem Beruf ist der Kampf um die eigene Existenz so groß wie beim Militär, nirgends wird um das Dasein und um die Karriere mit solcher Verzweiflung und Erbitterung gekämpft, und da soll ich zu einem Vorgesetzten Vertrauen haben? Kann ich gar nicht, nicht, weil der Mann vielleicht kein Vertrauen verdient, sondern lediglich, weil er Vorgesetzter ist.”

Der kleine Trommberg wurde ganz still. Er saß verdammt tief drin in der Patsche. Er war Offizier geworden, weil das Geld zum Studium nicht langte, und er erhielt nur eine geringe Zulage. Er hatte nie übertrieben toll darauf losgelebt, aber wenn einmal die Stimmung über ihn kam, und die kam leider sehr oft, dann trank er statt einer Flasche Sekt drei, und bei dem Spiel kam es ihm dann auf ein paar Goldstücke mehr oder weniger auch nicht an. So hatte er sich langsam, aber sicher ganz tief hineingeritten. Die Gläubiger drängten, seine Zulage war auf Jahre hinaus einem Geldgeber verschrieben, er lebte von dem Taler und dem Zwanzigmarkstück, die ihm gute Freunde abwechselnd auf Nimmerwiedersehen borgten. Es war ein gräßlicher Zustand, und er mußte dem ein Ende machen, irgendwie mußte sich doch noch ein Ausweg finden lassen, um mit den Finanzen wieder in Ordnung zu kommen. Trotz seines Leichtsinns oder vielleicht gerade deshalb war er ein großes Kind, und so hatte sich bei den Worten des neuen Kommandeurs seiner die Hoffnung, ja noch mehr, die Gewißheit bemächtigt: „Das ist der Mann, der dir helfen wird. Nicht etwa, daß er dir deine Schulden bezahlt, aber er wird mit deinen Gläubigern unterhandeln, er wird dir zeigen, wie du fortan auf neuer Basis dein Leben einrichten mußt, vielleicht wird er dir aus einem der vielen Unterstützungsfonds eine größere Summe beschaffen, die einen Teil deiner Schulden deckt.”

Die Hoffnung war in ihm wach geworden, denn wenn man in Not ist, ist die Hoffnung ja unser einziger Trost und diese Hoffnung hatte sich in ein felsenfestes Vertrauen verwandelt, in ein festes Vertrauen zu dem Kommandeur, der da gesagt hatte: „Ich kann Ihnen noch keine Beweise geben: — glauben Sie mir.”

Und nun saß ihm der andere gegenüber, und versuchte ihm seinen Glauben wieder zu nehmen. Der war ja allerdings immer ein Skeptiker gewesen, der gefiel sich ja darin, den überlegenen Weisen zu spielen, keinem Menschen zu trauen, und dessen Wahlspruch lautete: Nihil admirari, nur nicht wundern, weder über irgend welche Ereignisse, noch über irgend welche Enttäuschungen, die man an den Menschen erlebt.

„Ich werde trotzdem doch mit dem Oberst sprechen,” dachte der kleine Trommberg im Stillen, „natürlich nicht heute und nicht morgen, aber wenn ich einmal gar nicht mehr ein und aus weiß, dann gehe ich zu ihm, er hat es ja selbst gesagt, ihm stehen die reichen Lebenserfahrungen zur Seite; da wird er auch für mich Rat wissen.”

„Wissen Sie, was ich täte?” fragte da der andere, der seine Gedanken erraten zu haben schien, „ich würde an Ihrer Stelle mein hochwohl­geborenes Maul halten. Ich sagte Ihnen schon, der Oberst kann Ihnen gar nicht helfen, selbst wenn er will. Leben Sie ruhig so weiter, wie bisher, ein paar Jahre winden Sie sich noch durch, was aber kann in der Zeit nicht noch alles passieren? Warum wollen Sie sich von dem Kommandeur vor der Zeit in Ihre Karten sehen lassen? Das tun Sie doch nicht einmal beim Skat, bei dem es sich vielleicht um einen Grand handelt, der Sie im schlimmsten Falle einen Taler kosten kann. Hier aber steht mehr für Sie auf dem Spiel, Ihre ganze Existenz. Warten Sie es ab, bis Sie das Vertrauen des Obersten unbedingt in Anspruch nehmen müssen, warten Sie noch ein paar Jahre, dann ist es immer noch Zeit.”

Aber der kleine Trommberg dachte anders: „Vertrauen kann ich nur von einem Menschen verlangen, dem ich selbst Vertrauen entgegenbringe. Der Oberst wird es mir hoch anrechnen, wenn ich ihm frewillig meine Lage schildere, und er wird mir dann sicher helfen.”

So stieg er denn eines Tages die Treppen zum Regiments­bureau in die Höhe. Er hatte am Morgen einen Brief erhalten, er sollte innerhalb der nächsten drei Tage 400 Mark bezahlen. Vierhundert Mark, wo er keine vier mehr besaß.

Der Oberst hörte ihn voller Teilnahme an, kein Wort des Vorwurfs oder des Tadels kam über seine Lippen, und dadurch ermutigt, sprach der kleine Trommberg immer freier und offenherziger, er schilderte seine Erziehung, sein ganzes Leben, wie er zwar immer leichtsinnig, aber doch niemals schlecht gewesen sei, wie ihm die starke Hand gefehlt habe, die ihn leitete, wie die Angst vor seinen früheren Vorgesetzten ihn abgehalten habe, eher zu sprechen, und wie nun die Bitte des Herrn Oberst, ihm Vertrauen entgegenzubringen, seine Zunge gelöst habe.

Endlich war der kleine Trommberg mit seinem Geständnis fertig.

„Ihre Lage ist schwer, junger Freund, aber vielleicht doch nicht so hoffnungslos, wie sie Ihnen und auch mir in diesem Augenblick erscheint. Lassen Sie mich überlegen, was zu tun ist. Dann lasse ich Sie wieder rufen.”

„Er wird mir sicher helfen,” sagte Trommberg glückstrahlend seinem skeptischen Freunde.

Der antwortete nicht, sondern machte nur ein Gesicht, das sehr deutlich sagte: „Wenn du auf mich gehört hättest, würdest du den Schnabel gehalten haben.”

Nach achtundvierzig Stunden wurde der kleine Trommberg zum Oberst gerufen.

„Ich habe mir alles reiflich überlegt, und ich danke Ihnen nochmals für das Vertrauen, das Sie mir entgegengebracht haben. Aber ich bin nicht nur Ihr Freund, sondern auch Ihr Vorgesetzter, das dürfen Sie ebenso wenig vergessen, wie ich es vergessen darf. Und sowohl als Ihr Freund, als Ihr Kommandeur muß ich Ihnen nach ruhigster Überlegung die schwersten Vorwürfe machen, daß Sie es nicht verstanden haben, besser zu wirtschaften. Ich habe das Verzeichnis Ihrer Schulden genau durchgesehen, und so sehr mich die Höhe derselben auch gegen Sie einnimmt, so sollen Sie mir doch nicht umsonst Ihr Vertrauen entgegengebracht haben. Ich will Ihnen sechs Wochen Zeit lassen, sich zu rangieren, und werde Ihre Gläubiger bitten, Sie so lange in keiner Weise zu mahnen. Sechs Wochen sind eine lange Zeit, eine noch längere Frist kann ich Ihnen nicht gewähren, denn ich muß auch an mich, an meine eigene Existenz, an das Ansehen des ganzen Offizierkorps denken, vor allen Dingen bin ich auch meinen Vorgesetzten gegenüber für den Lebenswandel meiner Offiziere verantwortlich. Ich hoffe, daß es Ihnen gelingen wird, Ihre Schulden zu decken, wenn nicht, so ist Ihre Lage trotzdem, wie ich Ihnen neulich schon sagte, nicht hoffnungslos. So manchem Offizier, der Schulden halber seinen Abschied nehmen mußte, ist es gelungen, sich entweder hier oder drüben eine neue Existenz zu gründen; wer arbeiten will, hat auch stets Arbeit gefunden, und da der Kern, der in Ihnen schlummert, trotz allen Leichtsinns au fond ein guter ist, so wird es auch Ihnen gelingen, sich eine neue Position zu schaffen.”

„Nun,” fragte der Skeptiker, als Trommberg totenblaß aus dem Regiments­bureau zurückkam, „nun, hat er geholfen?”

Aber diesmal blieb der kleine Trommberg die Antwort schuldig, er hatte nicht einmal den Mut, ihn anzusehen und sein spöttisches Lachen zu ertragen. Schweigend ging er an ihm vorüber; ohne sich im Kasino aufzuhalten, suchte er seine Wohnung auf und schoß sich eine Kugel in den Kopf.

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