Das Tandem

Humoreske von Freiherr von Schlicht
in: „Ihr Trick”


Frau Tilly, die ebenso schöne wie elegante und vornehme Gattin des Großkaufmanns Ringwald, lag in ihrem mit auserlesenstem Geschmack, zugleich aber auch mit raffiniertester Behaglichkeit eingerichtetem Zimmer auf der Chaiselongue und dachte und sann und träumte vor sich hin. Das Buch, in dem sie gelesen, lag aufgeschlagen in ihrem Schoß, die Zigarette nur halb aufgeraucht und noch glimmend neben ihrem Platz auf einem kleinen niedrigen orientalischen Tisch in einem Aschenbecher, denn sie mochte nicht lesen, sie mochte auch nicht mehr rauchen, sie mochte in der Stimmung, in der sie sich befand, überhaupt nichts. Nichts, gar nichts, nicht einmal leben, das aber nicht, als ob sie lebensüberdrüssig gewesen wäre oder irgendeinen Grund gehabt hätte, sich auch nur für den kleinsten Bruchteil einer halben Sekunde den Tod zu wünschen, o nein, das nicht, aber sie hatte trotzdem, wenigstens augenblicklich, das Leben sehr satt, weil sie es ganz außerordentlich langweilig und stumpfsinnig fand. Und vor allen Dingen war es immer dasselbe. Wie hatte doch ein Dichter, auf dessen Namen sie sich im Augenblick nicht besinnen konnte, bereits den Säugling in der Wiege philosophieren lassen: „Das Leben ist, ich merk' es schon, ein ewiges Einerlei mdash; man macht sich naß und wird wieder trockengelegt, oh, wär' doch erst alles vorbei.”(1) Der Standpunkt des Säuglings war eigentlich der einzig richtige, nur daß man, wenn man erst tot und verbrannt war, von dem Leben natürlich noch weniger hatte als bei Lebzeiten.

Aber was hatte man, solange man lebte, vom Leben?

Frau Tilly seufzte schwer auf und zündete sich, um über diese schwierige Frage in Ruhe nachdenken zu können, nun doch eine neue Zigarette an, aber bevor sie sich anschickte, eine Antwort auf die sich selbst gestellte Frage zu finden, suchte sie zunächst zu ergründen, warum sie heute eigentlich so mißmutig und mißvergnügt wäre, und es dauerte lange, bis sie darauf die Antwort fand, das aber nicht, weil sie nicht hätte finden können, sondern weil sie die von Anfang an wußte, sich die aber nicht eingestehen wollte, um sich nicht erneut ärgern zu müssen.

Aber trotzdem, war es nicht mehr als traurig, daß sie gestern nun schon ihren zehnten Hochzeitstag gefeiert hatte? Wie konnte eine mit dreißig Jahren doch noch immer blutjunge und eine zum Überfluß auch noch so hübsche und elganten Frau wie sie in dem Alter, das doch noch gar keins war, nun schon so lange verheiratet sein? Und war es nicht wahr, wie einmal einer sagte, daß hübsche, elegante Frauen überhaupt nicht verheiratet sein dürften? Heiraten mußte ein junges Mädchen selbstverständlich, aber es müßte irgendeine Erfindung gemacht werden, daß es trotz seiner Verheiratung unverheiratet blieb, denn mit dem Verheiratetsein hörte die Jugend mit allen ihre Freuden auf. Was bei einem jungen Mädchen von zwanzig Jahren ganz selbstverständlich erschien, das gehörte oder schickte sich für eine junge Frau von zwanzig Jahren schon nicht mehr, wie das Herumflirten, das leidenschaftliche Tanzen und manches andere.

Heiraten wollen, sich einen Mann wünschen und von dem in schlaflosen Nächten wachend träumen, war sehr hübsch, und das hatte seinen großen Reiz. Aber verheiratet sein, sich keinen Mann mehr wünschen zu dürfen, weil man schon einen hatte, und in schlaflosen Nächten den Ehemann zuweilen schnarchen zu hören, das hatte gar keinen oder doch nur sehr geringen Reiz.

Es war wirklich mehr als traurig, daß die Erfüllung aller Wünsche, wenn auch gerade keine Enttäuschung oder Ernüchterung, so doch immerhin die Erfüllung brachte, und es müßte in der Welt so eingerichtet sein, daß die Wünsche entweder überhaupt nicht in Erfüllung gingen oder wenn doch, dann nur zum kleinsten Teil, so daß man immer noch weiter wünschen konnte.

Für einen Augenblick ärgerte Frau Tilly sich nun selbst über den Unsinn, den sie sich da zusammen­philosophierte, oder wie sie das sonst nennen sollte, dann aber schämte sie sich ein kleines bißchen und gestand sich ein, daß doch gerade sie wahrhaftig alle Ursache hätte, um wunschlos glücklich zu sein. Was fehlte ihr denn zu ihrem Glück? Sie hatte einen sehr hübschen, klugen, eleganten Mann, der, trotzdem er erst Ende der Dreißig war, das von seinem verstorbenen Vater ererbte Geschäft zu solcher Höhe und zu solcher Blüte gebracht hatte, daß es sich hier in der großen Handelsstadt, aber auch im Auslande, des besten Rufes und des größten Ansehens erfreute. Und sie hatte in ihrem Gatten einen Menschen, der in seinem Privatleben kennen anderen Wunsch kannte als den, sie, seine über alles geliebte Frau, restlos glücklich zu machen.

Ja, ihr Mann liebte sie auch heute noch genau so wie am ersten Tag ihrer Ehe, und sie liebte ihn auch wieder, und sie hatte gar nichts an ihm auszusetzen. Aber es war nun doch einmal immer derselbe Mann, nun schon zehn lange Jahre, und sie war doch erst dreißig, und wenn sie sich in diesem Augenblick klar machte, daß sie ihn vielleicht noch zehn oder gar noch zwanzig oder dreißig Jahre haben sollte, dann war das wirklich sehr langweilig, zumal sie nicht allzuviel von ihm hatte. Morgens mit dem Glockenschlag halb neun verließ er, wenn er nicht auf einer seiner vielen Reisen war, das Haus, um in das Geschäft zu fahren, und kam nachmittags um vier Uhr zurück. Dann wurde um fünf gegessen, und am Abend waren sie entweder im Theater, im Konzert, sie hatten Gäste, oder sie waren selbst eingeladen. Viel Sitzfleisch besaß ihr Mann nicht, er mußte immer etwas vorhaben, und er hielt es für seine Pflicht, dafür zu sorgen, daß auch sie sich des Abends nicht mit ihm allein langweilte, zumal sie ohnehin den ganzen Tag allein war, denn ihre Ehe war kinderlos und würde es nach dem Ausspruch des Arztes auch bleiben. Damit hatte ihr Mann und sie sich, wenn auch schwer, abgefunden, und das störte jetzt das Glück ihrer Ehe in keiner Weise mehr.

Aber gab es ein Glück in der Ehe, und gab es überhaupt ein Glück? Wie hatte sie doch vorhin in dem Buch gelesen, das noch aufgeschlagen in ihrem Schoß lag? Ach so, nun fiel es ihr wieder ein, denn sie hatte sich die Worte eingeprägt: Glück ist kein Zustand, es ist nur eine Augenblicks­empfindung. Und kaum empfunden, ist es nur noch eine Erinnerung, wird überhaupt erst manchmal in der Erinnerung Glück.

Und wenn der, der das schrieb, recht hatte, und warum sollte er das nicht haben, dann war es doch eigentlich sehr, sehr traurig, daß man immer nur in der Erinnerung glücklich war und nie im Augenblick, nie in der Gegenwart selbst, und noch viel trauriger war es, daß manches erst in der Erinnerung Glück wurde, manches, das man damals gar nicht als solches erkannt und empfunden hatte, weil es vielleicht noch gar nicht das Glück war, sondern weil man sich hinterher lediglich einbildete, es wäre das Glück gewesen.

Und wenn dem wirklich so war, und wenn man nie in Augenblick selbst, sondern immer nur in der Erinnerung und in der wohl auch nur in der Einbildung glücklich war, dann verlohnte sich dieses Leben erst recht nicht, und je eher man verbrannt wurde, desto besser war es.

Aber so viel wußte sie trotzdem, wenn sie ihren Mann doch noch irgendwie dahin bringen sollte, daß er ihren sehnlichsten Wunsch erfüllt und ihr ein Tandem schenkte, eins jener Gespanne, bei dem die beiden Pferde nicht nebeneinander gespannt waren, sondern bei dem eins vor dem anderen ging, das eine in der Deichsel, das andere frei davor, dann hatte der Verfasser des Buches mit seiner Weisheit Salomonis unrecht, dann war wenigstens ihr Glück doch ein anhaltender Zustand, keine Augenblicks­empfindung und erst recht keine Erinnerung. Das wollte sie dem Verfasser auch schreiben, wenn sie erst ihr Tandem besaß, aber wie sollte sie das bekommen, nachdem ihr Mann ihr auch gestern diese Bitte nicht erfüllte, trotzdem sie für den Tag einen ganz, ganz großen Wunsch frei gehabt hatte. Allerdings setzte ihr Mann, als er ihr das erklärte, gleich hinzu: „Alles kannst du dir wünschen, Tilly, nur nicht das Tandem,” aber sie hatte seine Worte nicht ernsthaft genommen, vielmehr geglaubt, er sage das nur, damit ihre Freude um so größer wäre, wenn er ihr doch endlich, endlich diesen ihren sehnlichsten Wunsch erfüllt. Aber selbst der gestrige Tag hatte ihr das Geschenk nicht gebracht, sondern nur eine allerdings wundervolle Perlenkette, aber was sollte sie mit der? Sie besaß ohnehin schon so viel Schmuck, daß eine boshafte neidische Bekannte sie einmal, natürlich hinter ihrem Rücken, den wandernden Juwelierladen genannt hatte.

Und warum schenkte ihr Mann ihr das Tandem nicht? Angeblich, weil er sie über alles liebe, weil er bei dem Gedanken, sie führe mit dem Gespann durch die lebhaften Straßen, nicht ruhig in seinem Bureau würde arbeiten können, da es für eine Dame zu schwierig sei, die beiden Pferde zu lenken und weil, wenn das vorderste, nicht in der Deichsel gehende, Pferd unruhig würde oder scheute, sehr leicht ein großes Unglück entstehen könne.

Es war ihr unverständlich gewesen, und das war es ihr auch jetzt wieder, wie ein sonst so kluger Mann so unlogisch denken und sprechen konnte. Gerade weil er sie über alles liebte, durfte er ihre Bitte nicht abschlagen, sondern mußte sie erfüllen, und außerdem blieb es doch abzuwarten, ob das vorderste Pferd unruhig werden und scheuen würde, und ob es dann auch wirklich ein Unglück gäbe. Und außerdem würde sie, ehe sie mit dem Gespann durch die Straßen der Stadt fuhr, sehr gründlichen Fahrunterricht nehmen und sich die beiden Pferde sehr gut und sehr sicher einfahren lassen.

Aber mit den Männern, ganz besonders mit dem eigenen Mann, war, wenn die sich einmal etwas in ihren Dickkopf gesetzt hatten, leider Gottes nicht vernünftig zu reden, die wußten angeblich immer alles besser, und anstatt, daß sie sich überzeugen ließen, verlangten sie von ihren ohnehin schon so vernünftigen Frauen, daß die Vernunft annähmen und sich nicht auf eine vorübergehenden Laune verbissen.

Natürlich, bei den Frauen war so etwas eine vorübergehende Laune, bei den Männern hieß es in solchem Falle: Das ist mein wohlüberlegter, feststehender und unabänderlicher Entschluß.

Und bei ihr war es ganz bestimmt keine Laune, denn eine solche hielt doch höchstens ein paar Tage oder ein paar Wochen an, sie aber wünschte sich das Tandem schon länger als ein Jahr, und wenn ihr Mann sich einbildete, daß er es ihr eines Tages nicht doch noch schenken würde, irrte er sich gewaltig.

Allerdings wußte sie bei dem besten Willen nicht, wie sie ihren Willen noch durchsetzen sollte, nachdem ihr auch der gestrige Hochzeitstag nicht seine Erfüllung gebracht hatte. Und daß der das nicht getan, daß sie nicht wußte, wie sie zu dem Tandem kommen sollte, und daß sie sich gestern für die Perlenkette hatte bedanken müssen, anstatt ihrem Mann zu erklären: Ich will keinen Schmuck, ich will ein Tandem mit zwei reizenden Grauschimmeln oder mit zwei Füchsen oder meinetwegen auch mit zwei Rappen — das verdarb ihr jetzt vollkommen die Stimmung, denn das war ja noch viel trauriger, als erst dreißig Jahre und trotzdem schon zehn endlos lange Jahre verheiratet zu sein.

Aber wenn sie erst das Tandem hatte, wollte sie gern fünfzig werden und dann schon dreißig jahre lang verheiratet sei.

Und um vielleicht herauszutüfteln, was sie noch tun könne, um das Gespann zu erhalten, dachte sie wie schon so oft an alles, was sie bereits getan, um ihren Willen, nein, ihren Wunsch, durchzusetzen.

Und je länger sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr wieder, daß sie, damit ihr Mann ihr die Bitte erfülle, schon alles, aber auch wirklich alles getan habe, was sie nur konnte. Nur eins hatte sie nicht getan, sie hatte nicht eine halbe Minute geschmollt, sie war nicht gekränkt und beleidigt gewesen, sie hatte erst recht keinen Flunsch gezogen, wie andere Frauen das in ähnlichen Fällen zu tun pflegen, und sie hatte sich nicht eine Minute verstimmt gezeigt, wenigstens nicht nach außen hin, und was in ihrem Innern vorging, brauchte ihr Mann nicht zu wissen, das interessierte ihn anscheinend auch gar nicht, sonst hätte er ihren Wunsch von Anfang an erfüllt, schon um ihr das zu ersparen, was sie innerlich durchmachte und durchkämpfte.

Nein, geschmollt und gebarmt oder gar geweint hatte sie nicht, nicht einen Augenblick, das wäre auch das Dümmste gewesen, was sie hätte tun können, und alles, was irgendwie an Dummheit erinnerte, lag ihr absolut nicht, dafür war sie von Haus aus zu klug, dafür hatte sie einen zu scharfen Verstand, und namentlich hatte sie es in anderen Familien bei anderen Frauen zu oft gesehen, wie falsch, wie grundfalsch die es anstellten, um ihren Mann doch noch dahin zu bringen, wo sie ihn haben wollten.

Zunächst tat sie, als glaube sie ihm, daß wirklich nur seine übergroße Liebe zu ihr ihn abhalte, ihr das Tandem zu schenken, sie sah es sogar offiziell ein, daß er mit seinen Befürchtungen recht habe, und daß ein solches Gespann für eine Dame unter Umständen wohl wirklich gefährlich werden könne. Und diese seine Sorge um sie, die große Liebe zu ihr, die aus dieser seiner Fürsorge sprach, dankte sie ihm, so schwer es ihr auch wurde, mit heißen, flammenden Küssen und mit den zärtlichsten Liebkosungen nicht nur bei Tag, sondern auch bei Nacht. Sie war ihm die zärtlichste und die leidenschaftlichste Geliebte, aber natürlich bot sie sich ihm niemals an, sondern sie brachte es in geschickter, unauffälliger und immer neuer Art dahin, daß er, wenn sie sich mit einem Gutenachtkuß, da sie natürlich getrennte Schlafzimmer hatten, vor ihrer Tür von ihm verabschiedete, um Erlaubnis bat, sich noch einmal nach ihr umsehen zu dürfen, und auch dann sagte sie nicht gleich ja, sondern ließ sich, um seine Wünsche und Leidenschaften noch mehr zu entflammen, eine ganze Weile bitten, bis er anscheinend auch ihre Sinne erweckt hatte und bis sie ihm schließlich ihr Einverständnis ins Ohr flüsterte. Und wenn er dann kam, war sie ganz Liebe, ganz Leidenschaft, ganz Hingabe, aber trotzdem, so viele zärtliche Liebesgeständnisse dann auch über seine Lippen kamen, das Wort seiner Liebe, das sie am meisten beglückt hätte, das Wort: „Ich schenke dir das Tandem,” bekam sie nicht zu hören.

Ja, sie hatte wirklich alles, alles versucht. Sie zog sich so hübsch für ihn an, wie sie es nur konnte, und da sie einen anerkannt guten Geschmack besaß und in ihren Schränken über sehr viele und sehr schöne Kleider verfügte, konnte sie sich sehr hübsch anziehen. Und sie tat noch mehr, sie bat ihren Mann, zuweilen des Abends doch mit ihr zu Hause zu bleiben, da das Alleinsein in den eigenen vier Wänden doch in erster Linie das wahre Glück der Ehe ausmache, und wenn sie allein waren, bat sie ihn, ihr etwas vorzulesen, obgleich er leider ganz miserabel las. Aber sie bat ihn dennoch, weil sie wußte, daß es ihm Freude machte. Und sie tat noch mehr, sie sorgte dafür, daß noch besser, noch reichlicher, noch üppiger gekocht wurde als bisher, und trotzdem kam sie mit ihrem allerdings sehr reich bemessenen Wirtschaftsgeld aus. Ja, sie reichte auch mit ihrem sehr hohen Toilettengeld, das allerdings nur, weil sie das, was ihr zu teuer war, und was sie nicht gleich bezahlen konnte, ganz einfach aufschreiben ließ. Und namentlich kam sie mit keiner Silbe auf ihren Tandemwunsch zurück.

Aber alles das und alles, was sie sich sonst ausdachte, half nichts, bis sie sich in einer schlaflosen Nacht bei dem, wie sie sich selbst eingestand, sehr häßlichen Wunsch ertappte, ihr Mann möge ihr untreu sein oder untreu werden, danit sie ihm, sobald sie hinter seine Schliche gekommen sei, erklären könne: Verzeihen kann und werde ich dir niemals, was du mir angetan hast, und ich verstehe es nicht, daß du überhaupt noch den Mut hast, mir gegenüberzutreten und mir in die Augen zu sehen. Trotzdem aber will ich, um das Gerede der Leute und das der Welt zu vermeiden, natürlich ohne jedes weitere intime Eheleben, als deine Frau bei dir bleiben und wie bisher deinem Hause vorstehen, aber nur unter der einen Bedingung, daß du mir noch heute das Tandem schenkst, damit ich fortan bei meinen täglichen Spazierfahrten wenigstens vorübergehend mein häusliches Leid und das, was du mir angetan hast, vergesse.

Wenn sie erst so zu ihm sprechen konnte, mußte er ihr den Wunsch erfüllen, und tat er es auch dann nicht, ließ sie sich einfach scheiden.

Und aus diesem Gedankengang heraus wünschte sie sich im weiteren Verlauf der schlaflosen Nacht, daß er sie wirklich und gründlich betröge, und daß sie das dann gleich erführe. Und im weiteren Zusammenhang damit kamen ihr zum erstenmal Bedenken und Zweifel, ob ihr Mann, ihr Thomas, ihr wirklich unverbrüchlich treu wäre. Sicherlich tat sie ihm mit der Vermutung, daß er es nicht sei, unrecht, denn nicht das lseisesten Anzeichen sprach dafür, daß er sie schon je betrogen hätte, aber war das letztere nicht eher ein Beweis dafür, daß er sie betrog, daß er es nur so geschickt anfing, daß sie bisher nie auf den Gedanken gekommen war, und lachte er sie nicht vielleicht täglich im stillen aus, weil sie seine Treue als etwas ganz Selbstverständliches annahm.

Und gab es überhaupt Männer, die ihren Frauen treu blieben? Davon hatte sie bisher noch nie etwas gehört, und warum sollte ausgerechnet ihr Mann in der Hinsicht eine Ausnahme bilden? Und doch nur die liebe Eitelkeit ließ die Frauen immer glauben, daß gerade ihr eigener Mann keinen Sinn und kein Interesse für andere Frauen hätte. Das glaubten die dummen Gänse so lange, bis sie eines Tages die Beweise dafür in Händen hielten, daß auch ihr Mann nicht ein Atom besser sei als seine Geschlechts­genossen.

Schon weil nicht auch sie zu den dummen Gänsen gehören wollte, durchzuckte sie da mit einemmal der Entschluß, es in Erfahrung zu bringen, ob ihr Mann ihr treu sei, und ob er ihr auch treu bleiben würde, wenn die Versuchung in verlockendster Gestalt an ihn herantrat. Woher sie die Versuchung für ihn nehmen sollte, wußte sie sofort, aber erst prüfte sie sich und ihr Herz sehr gewissenhaft daraufhin, ob ein Treubruch ihres Mannes sie sehr unglücklich machen würde. Dieser schwierigen Frage opferte sie drei schlaflose Nächte, dann beantwortete sie die mit einem lauten vernehmlichen Nein, denn erstens bekam sie dann ganz gewiß das Tandem, an dem ihr zum mindesten ebensoviel gelegen war wie daran, daß sie schließlich doch noch ihren Willen durchsetzte, und dann war ein Treubruch ihres Mannes mit den darauffolgenden Szenen und Aussprachen doch wenigstens einmal eine Abwechslung in dem ewigen Einerlei ihrer sonst so glatt und trotz aller Vergnügungen und Gesellschaften so ruhig dahingehenden Ehe.

Aber obgleich sie sich die Frage mit einem Nein beantwortet hatte, zögerte sie noch weitere drei Tage, bevor sie sich entschloß, zu ihrer bevorstehenden Gesellschaft nach längerer Zeit einmal wieder die geradezu sündhaft schöne verwitwete Frau Elli Michels einzuladen. Die war so schön, besaß so leidenschaftliche dunkle Augen, einen so verführerischen Mund und, wie allgemein bekannt, ein so heißes Temperament, daß die meisten Damen schon Angst davor hatten, ihre Männer nur mit ihr zusammen­kommen zu lassen, zumal alle wußten, daß sie mit ihren zweiunddreißig Jahren ihrem verstorbenen Mann die Treue über das Grab hinaus keineswegs bewahrte.

Ja, man behauptete sogar, sie schenke ihre Gunst nur verheirateten Männern, schon weil sie bei denen der strengsten Verschwiegenheit sicher sei. Aber wie dem auch immer sein mochte, und so viel man auch über die sündhaft schöne Frau Elli munkelte und so viel man auch über sie zu wissen glaubte, Tatsachen, die sie irgendwie kompromittiert oder bloßgestellt hätten, wußte niemand über sie, und wer vielleicht doch etwas Belastendes wußte, sprach sich aus irgendwelchen Gründen nicht darüber aus. So hatte Frau Elli zwar keinen einwandfreien Ruf, aber sie verkehrte dennoch in der ersten Gesellschaft, schon weil die Damen sich hüteten, sich die schöne, temperamentvolle Frau in aller Form zur Feindin zu machen.

Frau Elli Michels wurde von ihr, Frau Tilly, zu ihrem Fest eingeladen, und sie erschien auch, schöner und verführerischer denn je, in strahlendster Laune und im Schmuck einer geradezu feenhaften Toilette, die ihre Reize noch verführerischer erscheinen ließen.

Mit der wird dein Mann dich nun also, wenn alles nach deinen Wünschen geht, in der allernächsten Zeit betrügen, dachte sie, während sie ihren Gast mit der größten Herzlichkeit begrüßte, während dabei aber zugleich ein ziemlich dummes, kleines und kleinliches Gefühl der Eifersucht in ihr wach wurde. Aber nein, sagte sie sich gleich darauf, Eifersucht war es sicher nicht, sondern nur das ihr vorläufig noch fremde Gefühl, fortan die Liebe ihres Mannes, nein, nicht seine Liebe, sondern lediglich gewisse Beweise seiner Liebe, mit einer anderen teilen zu müssen, denn daß ihr Gatte von Frau Ellis Schönheit hingerissen, ihr rasend den Hof machte, daß Frau Elli mit Freuden darauf eingehen, und daß sich dann alles andere sehr schnell ganz von selbst entwickeln würde, unterlag für sie nicht dem leisesten Zweifel, zumal sie den beiden das gegenseitige Sichfinden nach Möglichkeit dadurch erleichterte, daß sie die an der langen Tafel nebeneinander setzte. Ja, zuerst hatte sie daran gedacht, daß ihr Mann Frau Elli zu Tisch führen solle, aber das wäre wohl zu deutlich gewesen, und deshalb beschränkte sie sich darauf, die Tischordnung so zu machen, daß Frau Elli zur Linken ihres Mannes saß. Und damit die beiden sich in keiner Weise von ihr beobachtet glauben konnten, hatte sie ihren eigenen Platz so gewählt und vor sich und um sich herum so viele hohe Blumensträuße stellen lassen, daß sie fast unsichtbar war, beinahe, als läge ihr daran, bei Tisch nicht gesehen zu werden.

Nur ein ganz kleines Ausguckloch hatte sie sich gelassen, und was sie von dem aus bei Tisch von den beiden sah, erfüllte sie mit den schönsten Hoffnungen für die Zukunft, und in diesen wurde sie nach Schluß der Gesellschaft dadurch bestärkt, daß ihr Mann, als sie noch eine kleine Weile über den Verlauf des Abends plauderten, kein Wort über die schöne Frau Elli fallen ließ, ja, daß er das Gespräch mit deutlicher Verlegenheit schnell auf etwas anderes brachte, als sie deren Namen einmal absichtlich, wenn auch nur ganz flüchtig, nannte.

Diese seine Verlegeneheit sprach ja Bände, und in der Nacht, der Erfüllung ihres Wunsches meilenweit nähergerückt, überlegte sie sich sehr ernsthaft, ob sie sich als Begleiter für ihre späteren Tandemfahrten einen kleinen Groom oder einen erwachsenen erfahrenen Kutscher nehmen solle. Praktischer war natürlich ein Kutscher, reizender und flotter aber ein hübscher kleiner, womöglich schwarzer Groom, und deshalb entschied sie sich für den.

Aber schon wenige Tage später fiel der kleine Groom wieder vom Bock, auf dem er in ihren Gedanken neben ihr gesessen hatte, denn eines Abends sagte ihr Mann im Laufe des Gespräches zu ihr: „Weißt du, Tilly, je mehr ich inzwischen über Frau Michels nachgedacht habe, und ich gebe dir offen zu, daß ich mich viel mit ihr beschäftigte, desto weniger gefällt sie mir, und ich möchte dich bitten, sie nicht wieder zu uns einzuladen.”

Das war deutlich, das hieß ganz klar: Die schöne Frau hat mir Avancen gemacht, ich habe auch daran gedacht, darauf einzugehen, aber mich im letzten Augenblick und zur rechten Zeit noch eines besseren besonnen, da mir vieles an der Frau unsympathisch ist.

Ja, das hieß es! Wenn es anders wäre, würde er sie nie und nimmer gebeten haben, Frau Michels nicht wieder einzuladen, denn das nicht zu tun, kam einer beinahe tödlichen Beleidigung gleich, und der würde er eine Dame, die ihm nahe stand, nie und nimmer ausgesetzt haben.

In der diesem Abend folgenden Nacht vergoß sie in ihrem Bett die bittersten Tränen, denn nun war es mit dem Tandem vorläufig wieder nichts, und sie hatte sich schon ganz deutlich mit dem, gefolgt und begleitet von den neidischen Blicken ihrer besten Freundinnen, durch die Straßen der Stadt fahren sehen.

Aber es sollte und mußte mit dem etwas werden, und deshalb zerbrach sie sich den Kopf darüber, warum sich ihr Mann von der schönen Frau Elly nur nicht habe umgarnen lassen. Etwa aus Liebe zu ihr? Möglich war das ja, aber vielleicht hatte ihn noch etwas anderes abgehalten, Beziehungen zu Frau Elli anzuknüpfen, und sie glaubte auch zu wissen, warum sich die Sache zwischen den beiden nicht nach ihren Wünschen entwickelt hatte. Ihr Mann war feige, er fürchtete, seine Beziehungen zu der jungen Witwe könnten selbst hier in der großen Stadt schnell bekannt werden und ihr zu Ohren kommen. Deshalb, einzig und allein deshalb hatte er sich gesagt: Sie Sache ist sengerig, von der läßt du deine Finger, zumal du auf deinen vielen Reisen Zeit und Gelegenheit genug hast, deine Frau zu betrügen und dich mit anderen Frauen und mit hübschen jungen Mädchen zu amüsieren.

Und da wußte sie auch plötzlich so genau wie sonst nichts auf der Welt, daß ihr Mann sie auf seinen vielen Reisen betrog, und es war ihr völlig unfaßlich, daß dieses Wissen erst jetzt über sie kam.

Aber was nützte ihr dieses Wissen und wie verhalf ihr das zu ihrem Tandemgespann, wenn sie für dieses ihr Wissen keine positiven Beweise in Händen hatte?

Dieser schwierigen Frage opferte sie abermals drei schlafose Nächte, die sie so krank und elend machten, daß ihr Mann sie immer aufs neue bat, den Arzt kommen zu lassen. Aber sie widersetzte sich dem mit aller Entschiedenheit, sie wußte ja am besten, daß der ihr nicht helfen konnte, denn sie mußte sich allein darüber schlüssig werden, ob sie in Zukunft ihren Mann auf seinen Reisen von einem ihr zufällig als durchaus vornehm, reell und als absolut verschwiegen bekannten Detektivinstitut überwachen lassen solle oder nicht, um baldmöglichst diese positiven Beweise zu erhalten.

Gewiß, sehr vieles sprach dagegen, und vieles, nein eigentlich alles, lehnte sich in ihr gegen diesen Gedanken auf, aber sehr vieles, eigentlich sogar noch mehr als alles, sprach auch dafür. In erster Linie natürlich ihre große Liebe zu ihrem Mann, der sehnsüchtige Wunsch, endlich, endlich zu erfahren, ob er ihr wirklich ganz treu sei und ob für ihn tatsächlich kein anderes weibliches Wesen auf der ganzen Welt existiere als nur sie. Und nicht zuletzt die mehr oder weniger in jeder, selbst der klügsten Frau schlummernde Eifersucht. Ja, sie mußte es wissen, ob er nur sie liebe, schon um ihm, wenn er ihr treu war, diese seine große seltene Liebe ihrerseits so zu danken und zu vergelten, wie er es dann verdiente.

Aber wenn die Motive, die sie leiteten, auch reinster und edelster Natur waren, ganz anständig erschien ihr ihr Vorhaben doch nicht, obgleich sie bei dem jeden, aber auch jeden Gedanken an das Tandem vollständig ausschaltete.

Bis sie sich dann doch endlich entschied, ihn überwachen zu lassen. Gott allein war ihr Zeuge, leicht wurde es ihr nicht, aber es mußte sein, ihr ganzes Ehe- und Lebensglück stand auf dem Spiel.

So setzte sie sich mit dem Detektivbüro, das in allen großen Städten Zweigniederlassungen hatte, in Verbindung und holte sich nach jeder Reise ihres Mannes, von der sie die betreffende Filiale rechtzeitig vorher verständigte, die postlagernd für sie einlaufenden Berichte ab. Aber so eingehend, so gründlich und so gewissenhaft die auch waren, sie enthielten absolut nichts, was auch nur den leisesten Anhalt dafür gab, daß ihr Mann ihr irgendwie untreu war. Als einzig Belastendes hatte das Büro ihr lediglich einmal zu berichten gewußt, daß ihr Mann in seinem Hotel einem auffallend hübschen und adretten Stubenmädchen mit einem harmlosen Scherzwort in die Backen gekniffen habe.

Gewiß, das gehörte sich nicht, aber das war kein Grund, dafür von ihm das Tandem zu verlangen, und das war erst recht kein Grund, an seiner Liebe und an seiner Treue zu zweifeln.

Aber trotzdem, wer konnte wissen, ob dieses In-die-Backen-kneifen nicht der Anfang eines Ehebruchdramas war, das in ihrem besonderen Falle allerdings nicht mit einer Scheidung, sondern mit einem Tandem enden würde. So gab sie Auftrag, ihren Mann in Zukunft ganz besonders schsrf zu beobachten, wenn er wieder in dem Hotel absteigen würde, in dem das hübsche Zimmermädchen mit der gekniffenen Wange war. Das geschah auch, aber das Detektivbüro wußte in den nächsten Wochen und Monaten so absolut gar nichts zu berichten, daß es schließlich selbst darum bat, den ihm erteilten Auftrag rückgängig zu machen, da es weitere Beobachtungen für vollständig zwecklos halte und da es seinen reellen Geschäftsgrundsätzen widerspräche, seinen Auftraggebern unnötige und überflüssige Ausgaben und Unkosten zu verursachen.

Als sie sich diesen, den letzten Brief von der Post abgeholt hatte, war sie außer sich und vergoß dieses Mal nicht erst in der Nacht, sondern schon am Nachmittag die bittersten Tränen, denn da sah sie es endlich, endlich ein, wie zwecklos, nein, wie unrecht es gewesen war, ihren Mann, der nicht eine Sekunde daran dachte, sie zu betrügen, so lange heimlich beobachten zu lassen. Und was hatte das gekostet! Sicherlich, auf die verschiedenen Tausendmarkscheine kam es ihr nicht an, denn sie hatte dank der Freigebigkeit ihres Gatten stets ein sehr ansehnliches Bankkonto, über das sie jederzeit frei verfügen konnte und das er wieder auffüllte, wenn es erschöpft war, ohne auch nur mit einer Silbe danach zu fragen, wofür sie das Geld ausgegeben habe. Aber wenn sie das Endresultat vorausgesehen, hätte sie sich von dem Geld doch lieber ein hübsches Kleid, einen ganz besonders schönen Mantel oder etwas Ähnliches gekauft. Bis sie sich eingestand, daß nichts törichter sei, als über einen Satz nachzudenken, der mit dem Wort „wenn” anfing. Ja, das war wirklich töricht, traurig aber, mehr als traurig, einfach zum Verzagen und zum Vezweifeln war es, daß auch dieser so schön ausgeheckte Plan, um von ihrem Mann das Tandem geschenkt zu erhalten, scheiterte.

Das war deshalb sogar ganz besonders, nein, über alle Maßen traurig, weil ihr von der Minute an bis zu diesem Augenblick, in dem sie verzweifelt, verstimmt und in der denkbar schlechtesten Laune auf ihrer Chaiselongue mit ihrem Leben und mit ihrem Geschick haderte, trotz allen Kopfzerbrechens auch nicht die kleinste Idee gekommen war, wie sie ihren Willen bei ihrem Mann doch noch hätte durchsetzen können. Das hatte sie überhaupt nur noch einmal wieder versucht vor acht Tagen, als er ihr erklärte, sie habe aus Anlaß des bevorstehenden zehnten Hchzeitstages eine ganz große Bitte frei. Da sprach sie noch einmal in aller Offenherzigkeit von ihrem Tandem, aber auch das war gescheitert.

Frau Tilly lag auf ihrer Chaiselongue und weinte tränenlos vor sich hin, während sie dabei in ihrem Zorn und in ihrer doch nur zu begründeten Nervosität ihr dünnes feines Batisttaschentuch teils zerbiß, teils zerriß, bis jetzt nach einem leisen diskreten Anklopfen die Zofe bei ihr eintrat, um sie zu fragen, ob sie Besuch annähme. Frau von Rohrbach, die erst heute morgen um zehn Uhr von der Reise zurückgekehrt sei, wäre da und —

Mit einemmal hatte Frau Tilly all ihren Ärger und Verdruß vergessen und richtete sich schnell auf: „Aber natürlich bin ich zu sprechen, für Frau von Rohrbach immer. Das wisen Sie doch Claire, also schnell, ich lasse sehr, sehr bitten.”

Eine Minute später trat Frau von Rohrbach, eine junge, muntere, hübsche und sehr gut angezogene Erscheinung, bei ihr ein, und nachdem sie sich beide mit zärtlicher Umarmung und mit einem nicht minder zärtlichen Kuß begrüßt hatten, setzten sie sich gegenüber, um miteinander zu plaudern, denn da sie sich beinahe vier Wochen nicht sahen, gab es ja so viel zu erzählen. Namentlich aber bedauerte Frau Marga von Rohrbach es immer wieder, daß sie gestern an dem Fest aus Anlaß des zehnjährigen Hochzeitstages nicht habe teilnehmen können: „Ich habe es dir ja schon geschrieben, Liebste, aber ich bin trotzdem gleich heute zu dir gekommen, um dir auch noch mündlich zu sagen, wie leid es mir tut. Ich habe meinen Mann so gebeten, seine Reise zu beschleunigen, damit wir rechtzeitig zurück wären, ich habe ihn auch gebeten, mich sonst wenigstens allein vorausfahren zu lassen, aber das erstere ging nicht, und das letztere leider erst recht nicht, denn mein Mann erklärte mir kategorisch: „Wenn du willst, daß ich dir untreu werde, laß mich meinetwegen allein, sonst bleibst du bei mir.” Und mit einem Seufzer, dem man deutlich ihre Verliebtheit anhörte, schloß sie: „Ach, die Männer sind eine zu schreckliche Erfindung.”

Dem hätte Frau Tilly aus ehrlichster Überzeugung gerade jetzt nur zu gern beigestimmt, statt dessen mußte sie der Freundin ausführlich von dem Verlauf der gestrigen Gesellschaft erzählen, mußte ihr auch die schöne Perlenkette zeigen, die sie zum Geschenk erhalten und sich um die, wenn auch frei von jedem wirklichen Neid, beneiden zu lassen.[sic! D.Hrsgb.] Und sie mußte es mit anhören, wie glücklich, wie wunschlos glücklich sie sich fühlen müsse, bis es ihr endlich gelang, das Gespräch auf etwas anderes, für sie weniger Peinliches und Ärgerliches, zu bringen, als Frau Marga sie dann mitten in einem Satz mit der Bemerkung unterbrach: „Du, Tilly, ich kann es nicht länger für mich behalten, ich muß es dir erzählen, denn deswegen bin ich in erster Linie schon heute zu dir gekommen. Also nun paß mal auf. Weißt du, mit wem wir während unserer Reise wiederholt zusammengetroffen sind? Mit keinem Geringeren als mit Kuno Walther, dem berühmtesten aller Klaviervirtuosen.”

„Aber davon hast du mir ja in deinen Briefen nicht eine Silbe geschrieben?” meinte Frau Tilly ehrlich erstaunt.

„Das tat ich absichtlich nicht, Liebste, weil es eine Überraschung für dich sein sollte.”

„Eine Überraschung für mich?” fragte Frau Tilly, die Freundin verständnislos ansehend.

„Ja, für dich,” erwiderte Frau Magda mit einem fröhlichen Lachen. Dann fragte sie: „Du kennst doch Kuno Walther?”

„Natürlich kenne ich ihn,” gab Frau Tilly so unbefangen wie es ihr nur möglich war zur Antwort. „Ich habe ihn oft, nein sehr oft spielen hören und mich jedesmal aufs neue von seiner Kunst hinreißen lassen.”

„Da kennst du ihn aber doch nur als Künstler, nicht wie ich auch als Menschen und als Gesellschafter,” gab Frau Marga zurück, „und da muß ich dir sagen, da kennst du ihn überhaupt nicht, denn abgesehen davon, daß er ein selten hübscher Mensch ist, der in seiner äußeren Erscheinung so gar nichts Weiches und Frauenhaftes an sich hat, wie so viele andere Virtuosen, ist er der liebens­würdigste, der lustigste und der amüsanteste Gesellschafter, den man sich nur denken kann. Wir haben wirklich oft Tränen gelacht, wenn wir des Abends mt ihm zusammen aßen. Und dabei ist er in seinem ganzen Wesen die Natürlichkeit selbst, obgleich er doch alle Ursache hätte, auf seine Erfolge in der Kunst und auch auf die bei den Frauen eingebildet zu sein. Aber von den letzteren hält er eigentlich nicht allzuviel, er behauptet, die warteten es — besonders bei den Künstlern — gar nicht ab, bis sie erobert würden, sondern sie wollten selbst erobern, und das nähme der Sache von Anfang an jeden prickelnden Reiz.”

„Da hat er vielleicht nicht so ganz unrecht,” warf Frau Tilly ein.

„Kann sein, kann aber auch nicht sein,” erwiderte Frau Marga übermütig. „Von seinem Standpunkt aus hat er sicher recht, von ihrem Standpunkt aus haben es aber wohl auch die Frauen. Doch darum handelt es sich jetzt nicht, sondern um etwas ganz anderes. Kuno Walther, der fuchsteufelswild wird, wenn man ihn Meister oder so ähnlich nennt, kommt in der allernächsten Zeit für einige Wochen hierher, um sich in die Behandlung des durch seine Massage ja berühmt gewordenen Doktor Bender zu begeben. Er hat sich infolge von Überanstrengung eine kleine Sehnenzerrung am rechten Arm zugezogen, die ihn zwingt, seine Konzertreisen vorläufig zu unterbrechen und sich und seinen Arm zu schonen. Kaum hatte er uns das erzählt, da bat ich ihn natürlich gleich, bei uns Besuch zu machen und einen oder mehrere Abende bei uns zu verbringen. Aber so liebensüwrdig er auch sonst war, er versprach das doch nicht so schnell, wie ich es erhoffte, sondern er stellte zunächst zwei Bedingungen.”

„Die eine lautete natürlich, daß man nicht von ihm verlange und ihn auch mit keiner Silbe darum bäte, etwas zu spielen?” erkundigte sich Frau Tilly.

„Richtig erraten,” stimmte Frau Marga ihr bei, „aber auf die zweite Bedingung wirst du nicht so leicht kommen, denn die bestand darin, daß er wenigstens am ersten Abend eine ebenso schöne wie elegante, kluge und amüsante Tischdame bekäme.”

„Aber an dem Abend, an dem er zum erstenmal bei euch im Hause ist, muß er doch dich führen, oder du müßtest dich, richtiger gesagt, von ihm führen lassen,” warf Frau Tilly ein, in der bei Frau Margas Worten, ohne daß sie sich das Warum gleich hätte erklären können, eine leise Unruhe wachgeworden war.

„Das hatte ich natürlich auch als ganz selbstverständlich angenommen,” gab Frau Marga lachend zurück, „und das wollte ich ihm auch offen erklären, als er mir den Wunsch nach seiner Tischdame äußerte. Aber dann sagte ich mir: Künstler sind nun einmal Künstler, die haben das Vorrecht, ein klein wenig anders sein zu dürfen als andere Menschen, die können manches sagen, was man einem anderen vielleicht als unhöflich auslegen würde. Doch die Absicht, das zu sein, hatte er ganz bestimmt nicht, ja in seiner frischen, lebhaften, temperamentvollen Art hielt er seine Worte sicher für die natürlichsten und selbstverständlichsten von der Welt. Doch wie dem auch immer sei, ich beeilte mich, ihm seine Bitte erfüllen zu wollen, und erklärte ihm, daß er in dir eine Tischdame bekäme, die in jeder Hinsicht selbst seine hochgespanntesten Erwartungen übertreffen würde.”

„In mir?” fragte Frau Tilly, die Freundin mehr als verdutzt ansehend, obgleich sie im stillen schon längst vermutet hatte, daß alles, was die andere ihr bisher gesagt hatte, so enden würde, wie es das nun getan. Aber schaden konnte es dennoch auf keinen Fall, wenn sie sich ganz verwundert und erstaunt stellte.

„Ja, in dir, Tilly,” wiederholte Frau Marga, über ihren noch immer fassungslosen Ausdruck belustigt, „denn das Vergnügen und die Auszeichnung, an unserem Gesellschaftsabend von einem so berühmten Gast wie Kuno Walther zu Tisch geführt zu werden, gönne ich, da ich dafür selbst nicht in Frage komme, nur meiner allerbesten Freundin, und die bist du nun doch einmal. Ja, dir gönne ich ihn sogar aufrichtig, von ganzem Herzen, und ich bin mehr als neugierig, ob es ihm, wie er es vorhat, gelingen wird, an dir eine Eroberung zu machen, wenn auch nur eine platonische oder wie ich das sonst nennen soll.”

Frau Tilly lachte so unbefangen wie nur möglich auf: „Er will an mir eine Eroberung machen, wenn auch nur eine in allen Ehren? Der Ärmste! Da tut er mir schon heute leid, denn damit wird er kein Glück haben. Und damit er sich da keinen falschen Hoffnungen hingibt, wirst du ihm auch wohl gleich erzählt haben, wie glücklich gerade ich mit meinem Mann zusammen lebe?”

„Natürlich tat ich das,” beruhigte Frau Marga sie. „Ja, noch mehr, ich setzte ihm auseinander, daß du zu jenen seltenen Frauen gehörst, bei denen eine Eroberung, ganz einerlei in welchem Sinne, von Anfang an vollständig ausgeschlossen sei. Aber anstatt ihn abzuschrecken oder zu entmutigen, reizte ihn das nur noch mehr. Er brennt förmlich darauf, deine Bekanntschaft zu machen, aber er läßt dir durch mich ausdrücklich sagen, daß er nicht im entferntesten daran denke, dich auch nur zu dem kleinsten Unrecht gegen deinen Mann verleiten zu wollen.”

„Das wäre ja auch noch schöner,” lachte Frau Tilly hell und fröhlich auf. Am liebsten aber hätte sie gefragt: Wenn er das aber nicht will, und ich nehme zu seiner Ehre an, daß er diese Absicht tatsächlich nicht hat, was will er denn von mir, und worin soll da die Eroberung, die er an mir machen will, bestehen? Etwa darin, daß ich ihm nach junger Mädchen Art heimlich ein Stelldichein gewähre, daß ich mit ihm postlagernde Briefe tausche und mich bei Mondscheinbeleuchtung von ihm anschmachten lassen?

Doch das durfte sie selbst ihre beste Freundin nicht fragen, wenn sie die nicht auf ganz falsche Gedanken und Vermutungen bringen wollte. Dafür beschäftigten sie diese Fragen aber desto mehr, als Frau Marga sich nach einer kleinen Plauderstunde von ihr verabschiedet hatte, und als sie wieder allein war.

Und da mußte sie so viel an Kuno Walther denken, wie sie das noch nie getan, obgleich ihre geheimsten Gedanken ihm schon oft gegolten hatten, weniger ihm, dem in der ganzen Welt als großen Virtuosen anerkannten Künstler, als dem großen schlanken, auffallend hübschen Menschen, der schon deshalb wirklich so gar nichts Frauenhaftes und Webliches an sich hatte, weil es bekannt war, daß er, soweit seine Zeit und seine Reisen es ihm erlaubten, jeden nur denkbaren Sport trieb, um seinen Körper für die Strapazen seines Berufes zu stärken und zu stählen. Ganz deutlich sah sie ihn vor sich, wie sie ihn schon so oft auf dem Podium gesehen, denn sie versäumte keines seiner Konzerte, nicht nur aus Enthusiasmus für seine Kunst, sondern weil er mit seinen wundervollen stahlblauen Augen, mit seinem dichten braunen Haar, mit seinem energischen ausdrucksvollen bartlosen Gesicht für sie der hübscheste Mann war, den sie je gesehen.

Und so verlegen sie das auch in diesem Augenblick wieder machte, sie gestand sich trotzdem offen ein, daß sie, wenn sie sich nach einem seiner Konzertabende noch leidenschaftlicher als sonst ihrem Mann hingab, daß sie dann, wenn sie die Augen schloß, nur, aber auch nur Kuno Walther vor sich sah.

Wenn das in den Augen und nach der Meinung gar zu sittenstrenger Menschen vielleicht ein Ehebruch gewesen sein sollte, dann mußte sie offen eingestehen, schon oft die Ehe gebrochen zu haben, obgleich sie sich sonst von dieser Schuld vollständig frei fühlte und auch noch nie den Gedanken gehabt hatte, die auf sich zu laden.

Aber ob es nun nicht vielleicht zu einem Ehebruch — nein, das war ein ganz schreckliches Wort, das sie nicht einmal im stillen aussprechen wollte — aber ob es nun nicht vielleicht zu einem kleinen Treubruch ihrerseits oder wenigstens zu irgendwelchen Heimlichkeiten vor ihrem Mann kam? Gewiß, das würde sehr unrecht sein, aber das war doch wenigstens einmal eine kleine Abwechslung in dem ewigen Einerlei ihrer nun schon zehnjährigen Ehe, in der im großen und ganzen ein Tag dahinging wie der andere, und in der sie, wenn sie ganz offen und ehrlich sein wollte, doch noch nichts, aber auch noch gar nichts erlebt hatte.

Nun aber kam ein Erlebnis, wenn es auch noch abzuwarten blieb, welcher Art es sein würde.

Und wieder fragte sie sich: Was hieß es, daß er sie erobern wollte, ohne sie dadurch auch nur zu dem kleinsten Unrecht gegen ihren Mann zu verleiten?

Darauf fand sie trotz allen Nachdenkens keine Antwort, und deshalb gestand sie sich plötzlich: In Wirklichkeit will er dich natürlich vollständig erobern, aber er hat dir das Gegenteil sagen lassen, entweder weil er die Wahrheit nicht sagen lassen konnte und weil er das auch für überflüssig hielt, da er es als selbstverständlich annahm, daß du die allein erraten würdest, oder aber er wollte dich in Sicherheit wiegen und dir zunächst den Glauben und die Überzeugung beibringen, du hättest in keiner Weise etwas Ernstliches von ihm zu befürchten, bis er dann doch eines Tages mit dir macht, was er will, und um sich dann hinterher dir gegenüber damit herausreden und entschuldigen zu können, daß er dir sagt: Nun ist es doch anders gekommen, als ich dachte, aber das habe ich nicht gewollt, das wissen Sie, denn was Frau Marga Ihnen damals von mir ausrichtete, war meine ehrlichste Überzeugung. Meine Liebe und meine Leidenschaften haben es anders gefügt, und daraus dürfen Sie mir keinen Vorwurf machen, denn wenn wir unsere Liebe und unsere Sinne immer meistern könnten, wären die nicht die Elementargewalten, die nicht nur das Leben des Einzelnen, sondern die ganze Menschheit und das ganze Weltall beherrschen.

So würde er dann zu ihr sprechen und zum Überfluß auch noch von ihr verlangen, daß sie ihm glaube, denn in vieler Hinsicht setzten die Männer bei den Frauen eine Leichtgläubigkeit voraus, die für das weibliche Geschlecht geradezu beschämend und erniedrigend war.

Aber dem, daß er so zu ihr sprechen könne und sprechen würde, durfte sie sich natürlich nicht aussetzen und nie, aber auch niemals würde sie sich von ihm wirklich erobern lassen, so lustig, so amüsant und so pikant eine derartige Eroberung auch wohl für beide Teile sein mußte, namentlich für sie, damit dadurch wenigstens einmal eine kleine Abwechslung in das ewige Einerlei ihrer nun schon zehnjährigen Ehe käme, die natürlich noch zehn oder gar zwanzig und dreißig Jahre dauerte, wenn ihr Mann, nein, wenn sie selbst nicht vorher starb. Ihrem Thomas einen frühzeitigen Tod zu wünschen, hatte sie keine Veranlassung. Das wäre roh und herzlos gewesen, und so etwas lag ihr absolut nicht. Das paßte schon eher zu ihrem Mann, denn wenn der nicht trotz seiner sonstigen tadellosen Manieren und trotzdem er sich wahrhaft blendend gut anzog, ohne das irgendwie zu übertreiben und dadurch als Mann lächerlich zu wirken, ja wenn ihr Mann trotz seiner vielen vortrefflichen Charaktereigenschaften im innersten Kern seines Wesens nicht doch roh und herzlos wäre, hätte er ihr schon längst ihren Herzens-, nein ihren Lebenswunsch erfüllt und ihr das Tandem geschenkt.

Und in diesem Augenblick, da sie wieder an das Gespann dachte, das sie bei Tag und Nacht, wenn bisher leider auch noch nicht in Wirklichkeit, sondern lediglich in ihren Träumen vor sich sah, wußte sie, daß sie das Tandem nun doch noch bekommen würde. Kein anderer als Kuno Walther sollte ihr zu dem verhelfen; aber nicht etwa, daß sie es darauf ablegen würde, er solle es ihr schenken und auch nicht, daß sie ihn bat: Helfen Sie mir, bei meinem Mann meinen Willen durchzusetzen. Nein, das nicht, denn schenken lassen durfte sie sich von ihm natürlich nichts, gar nichts, höchstens ein paar Blumen, und wenn sie ihn um seine Hilfe bat, stellte sie sich damit ein ganz großes Armutszeugnis aus, denn dann würde er ihr mit vollem Recht erklären: Aber meine Gnädigste, eine so schöne, elegante und verführerische Frau wie Sie hat in ihrer Schönheit und in ihren Reizen doch die stärkste Macht, um jeden Mann völlig wehrlos zu machen und um bei dem alles, aber auch alles zu erreichen, was sie will. Ich wenigstens wüßte soviel, wenn ich das Glück hätte, Ihr Gatte zu sein —

Wie alle Männer in solchem Falle würde aber auch er den Satz nicht zu Ende sprechen, sie nur verlangend und begehrlich ansehen und im stillen sicher sehr froh darüber sein, daß sie nicht seine Frau war, einmal, weil er als reisender Virtuose wohl überhaupt keine Frau gebrauchen konnte, dann aber auch, weil es nun einmal gewissermaßen eine Spezialität der Männer war, sich so zu stellen, als wünschten sie sich gerade immer die Frau, von der sie ganz genau wußten, daß sie die nie bekommen könnten und nie bekommen würden.

Aber selbst als ihr Gatte hätte auch er ihr vielleicht, oder sicher ihren Wunsch ebenfalls nicht erfüllt, denn das, was ein Mann bei einem anderen seiner Frau gegenüber ganz selbstverständlich oder völlig unbegreiflich findet, das bekommt für ihn persönlich ein ganz anderes Gesicht, sobald er selbst der Mann geworden ist.

Ach, die Männer waren im Gegensatz zu den Frauen doch entsetzlich komplizierte Naturen und nichts war für eine schöne junge elegante Frau so schwer, wie jahraus, jahrein mit demselben Mann verheiratet zu sein und bei dem und mit dem glücklich zu bleiben. Und wenn ein Frau das unter tausend Fällen neunhundertundneunzigmal nicht wurde und nicht blieb, war das einzig und allein die Schuld der Männer.

Aber sie würde ja nun nach einer alles in allem doch recht trostlosen und eintönigen zehnjährigen Ehe endlich wunschlos glücklich werden und es auch bleiben, wenn sie nun in der allernächsten Zeit ihr Tandem bekam, zu dem Kuno Walther ihr verhelfen sollte.

Und nachdem sie noch eine kleine Viertelstunde über diesen Punkt nachgedacht hatte, fiel ihr auch glücklicherweise ein, wie er ihr dazu verhelfen könne.

Im Gegensatz zu dem, was sie vorhin beschlossen, nahm sie sich vor, sich doch von ihm erobern zu lassen, wenn auch nur so weit, daß sie ihrem Mann gegenüber in keiner Hinsicht ein etwas schlechtes Gewissen zu haben brauchte, und damit es auch nie soweit käme, wollte sie sich lediglich erobert stellen, ohne es tatsächlich zu sein. Sie wollte nur den Anschein erwecken, als sei es Kuno Walther gelungen, sie zu gewinnen, und das, was er sich da sicher sehr bald einbildete, besonders wenn sie ihn darin bestärkte, würden alle ihre Bekannten und alle ihre Freundinnen auch bald glauben. Alle würden und sollten es merken, wie es um sie stand, nur ihr eigener Mann würde, wie jeder Ehemann bei solcher Gelegenheit, blind bleiben, bis ihn ein sogenannter guter Freund oder ein anonymer Brief darüber aufklärte, wie man in der Gesellschaft über sie und Kuno Walther spräche und wie es für alle keinem Zweifel unterläge, daß sie beide einander nahe, näher, am nächsten ständen. Dann würde er sie nach Männerart in roher, brutaler Weise, wie er es auch sollte, zur Rede stellen, er würde sie mit Vorwürfen, mit Schmähungen, Kränkungen und Beleidigungen überhäufen und es ihr, wie er es auch nicht sollte und nicht durfte, nicht glauben, daß zwischen ihr und Kuno Walther niemals auch nur das geringste gesprochen und geschehen sei, das er nicht jederzeit hätte mit anhören und mit ansehen können. Er würde ihr erst glauben, wenn sie den Auftrag gab, sofort ihre Koffer zu packen und wenn sie sich anschickte, für immer sein Haus zu verlassen, in dem sie solchen unerhörten, durch nichts begründeten Verdächtigungen ausgesetzt sei, und wenn sie mit der Einleitung des Scheidungsprozesses drohte. Nein, nicht drohte, denn Drohungen hatten immer etwas Unwahres, etwas Gemachtes und Theatralisches an sich und hinterließen deshalb nicht den gewünschten Eindruck. Aus dem Grunde würde sie auch nicht drohen, sondern lediglich in aller Ruhe, aber gerade deshalb auch mit aller Bestimmtheit sagen, sie ginge aus dem Haus, alles übrige würde er in kürzester Zeit durch ihren Rechtsanwalt erfahren, und wenn Kuno Walther, der ihr so gleichgültig sei wie kaum ein zweiter Mensch auf der Welt, später in dem Scheidungsprozeß unter seinem Eid aussage, daß niemals auch nur die geringsten unerlaubten Beziehungen zwischen ihr und ihm bestanden hätten, würde er das wohl glauben müssen. Aber wenn er sich einbilde, daß sie dann hinterher wieder zu ihm zurückkäme, irre er sich sehr — sie ginge jetzt gleich, und wenn sie gegangen wäre, würde sie nie, niemals, unter gar keinen Umständen zu ihm zurückkehren.

Jawohl, so wollte sie zu ihm sprechen, und schon weil er nicht die leisesten Beweise für seine völlig unwahren Anklagen besaß, würde er alles tun, was er nur konnte, um sie zurückzuhalten. Und nicht nur das, er würde sie um Verzeihung bitten und sie hundert- und tausendmal fragen: Was kann ich tun, damit du mir vergibst?

Aber sie durfte überhaupt nicht vergeben, wenigstens erst nach Wochen, oder frühestens, des Tandems wegen, nach Tagen, und auch dann durfte sie ihm nicht gleich die Bedingung nennen, unter der sie einzig und allein vielleicht, vielleicht im Laufe der Zeit bereit sein würde, über sein skandalöses Benehmen den Mantel der christlichen Liebe zu decken, sondern sie mußte darüber erst in aller Ruhe nachdenken, und sie durfte ihrerseits erst und nur dann auf das Gespann zurückkommen, wenn er ihr das eines Tages nicht von selbst anbot, damit sie endlich, endlich aufhöre, ihm zu zürnen.

Jaohl, so wurde die Sache gemacht, so und nicht anders, und einen besseren Trick als den, den sie da ganz zufällig gefunden, hätte sie sich nie ausdenken können, zumal ihr Mann ja nie auf den Gedanken kommen würde, daß das ganze weiter nichts als nur ein Trick sei, um endlich, endlich an seiner Seite ganz glücklich zu werden.

Die Männer waren in der Hinsicht ja so einfältig, um nicht zu sagen, so dumm, und die hielten ihre Frauen noch für viel besser, als die es ohnehin schon waren.

Unwillkürlich fiel ihr eine kleine Geschichte ein, die sie vor vielen Jahren einmal in der Zeitung unter den Prozeßnachrichten gelesen hatte. Da wünschte sich in einer Großstadt eine Dame der Gesellschaft von ihrem Mann sehnsüchtig einen kostbaren Schmuck, den er ihr aber verweigerte, weil der angeblich seine Mittel überstiege. Natürlich gab die Frau, die die glänzende Vermögenslage ihres Mannes genau kannte, sich mit dem Bescheid nicht zufrieden, sondern steckte sich hinter eine auffallend hübsche Stenotypistin ihres Mannes und erklärte der: „Fräulein, an dem Tage, an dem ich die Beweise dafür in der Hand habe, daß Sie meinen Mann zu einem Ehebruch verleiteten, schenke ich Ihnen fünftausend Mark.” Schon acht Tage später hatte sie die Beweise in Händen und vierundzwanzig Stunden darauf besaß sie auch den Schmuck. Aber als der Mann dann auf Verlangen seiner Frau hin der hübschen Stenotypistin kündigte und sie sofort entlassen wollte, rächte sie sich und erzählte ihm, wie alles gekommen sei, daß sie ihn nur auf Veranlassung seiner Frau verführt habe, und daß sie darauf nur eingegangen sei, um in der Notlage, in der sie sich befunden, in den Besitz des Geldes zu gelangen.

Natürlich glaubte der Mann den angeblich schamlosen Lügen seiner Angestellten nicht, und in diesem seinen Unglauben wurde er durch seine Frau bestärkt, die ihm hoch und heilig schwur, an allem sei kein wahres Wort. Damit war die Sache anscheinend erledigt, die Stenotypistin wurde entlassen, aber die ging zu dem Richter, um eine Entschädigung dafür zu verlangen, daß sie ohne jeden Grund ihrer Stellung enthoben worden sei. Dort wiederholte sie unter Eid ihre Aussage gegen die Anklage ihres früheren Chefs, aber sie wäre vielleicht wegen wissentlichen Meineids noch schwer bestraft worden, wenn die Ehefrau nicht unmittelbar, bevor sie freiwillig aus dem Leben schied, um nicht vor Gericht erscheinen zu müssen, in einem hinterlassenen Brief die volle Wahrheit gestanden hätte.

Aber selbst da hatte der Ehemann nicht an den wahren Sachverhalt glauben können, sondern beständig behauptet, die unerhörten Beschuldigungen seiner früheren Angestellten hätten den Verstand und die Sinne seiner Frau derartig verwirrt, daß sie schließlich gar nicht mehr gewußt hätte, was sie tat und was sie schrieb.

Frau Tilly wunderte sich selbst, daß sich ihr die Geschichte, die schon weit zurücklag, so fest eingeprägt hatte, daß sie sich ihrer auch heute noch erinnerte. Auf jeden Fall hatte die Dame damals mit ihrem Trick sehr unehrenhaft, sehr häßlich und namentlich sehr dumm gehandelt, denn wie hatte sie sich nur derartig in die Hände einer anderen, die noch dazu unter ihr stand, begeben können? Sie selbst hätte es an der Stelle der freiwillig aus dem Leben Geschiedenen anders angefangen, um den Schmuck zu bekommen, sie hätte sich einen anderen Trick ausgedacht, und vor allem hätte sie sich keinem Menschen anvertraut, nicht einmal ihrer besten Freundin, ebenso wie sie jetzt gegen Frau Marga oder gegen sonst irgend jemanden auch nur mit einer Silbe verraten würde, daß sie sich nur zum Schein von Kuno Walther erobern lassen wolle und warum sie das täte.

Ihr Trick blieb ihr Geheimnis, das sie selbst, wenn sie das Tandem schon längst hatte, auch ihrem Mann nie verraten würde, dem am allerwenigsten, damit er sich hinterher nicht schandbar ärgerte, so plump auf den hineingefallen zu sein. Ihr Trick blieb ihr Geheimnis, solange sie lebte, und später nahm sie es mit in ihr Grab.

Vorläufig aber lebte sie noch, Gott sei Dank, denn jetzt sollte das Leben erst schön und glücklich werden. So begann sie denn auch bereits am nächsten Tag mit ihren Vorbereitungen, um ihren Trick durchführen zu können.

Wenn ein Mann etwas erreichen oder durchführen will, verläßt er sich in erster Linie auf seinen Verstand, eine Frau aber verläßt sich dabei am meisten auf ihre Schneiderin, und als auch Frau Tilly das tat, handelte sie sehr klug, und sie tat auch sehr gut daran, daß sie so schnell zu ihrer Lieferantin ging, denn in dem großen Modewarenhaus, in dem sie zu kaufen pflegte, waren gerade neue wundervolle Kostüme eingetroffen. Die Post hatte sie erst vor einer Stunde gebracht, so daß sie noch nicht einaml alle ausgepackt waren.

Frau Tilly wartete, bis alle ausgepackt waren, und sie würde darauf auch gewartet haben, wenn es nicht nur Viertelstunden, sonden volle Stunden, Tage, Wochen und Monate gedauert hätte, denn wenn eine Dame Gelegenheit hat, als allererste ganz neue Modellkleider vorgelegt und vorgeführt zu bekommen, geht ihr während des Wartens ein Jahr so schnell dahin wie ein Tag.

Endlich kamen die neuen Kleider, von jungen hübschen schlanken Mannequins mit unnatürlichen Schritten und mit noch unnatürlicheren Körperbewegungen getragen, und schneller, als sie es für möglich gehalten, schon nach knapp drei Stunden, hatte sie eine wahrhaft blendend schöne, raffiniert vornehme, aber erst recht raffiniert einfache, gerade dadurch aber besonderes Aufsehen erregende Toilette erstanden. Den enormen Preis bezahlte sie, ohne sich auch nur eine Minute zu besinnen, dafür ließ sie sich aber auch von der ersten Direktrice die schriftliche Erklärung geben, daß das von ihr gekaufte Modellkleid nicht ein einziges Mal kopiert und unter gar keinen Umständen hier in der Stadt zum zweitenmal verkauft werden dürfe. Geschah es dennoch, so sollte die Firma verpflichtet sein, die heute von ihr erstandene Toilette, selbst wenn sie die schon getragen, zurückzunehmen und ihr den vollen Betrag, den sie dafür bezahlt, zurückzuerstatten.

Und damit das Kleid auch wirklich nicht kopiert würde, und auch nicht kopiert werden könne, ließ Frau Tilly es sich sofort einpacken und fuhr den großen Karton in ihrem Auto selbst nach Hause.

Das Kleid war mehr als schön, es war ein Gedicht, ein Hauch, es war, wenn sie sich so ausdrücken durfte, die in genialster Weise von der Hand eines Meisters geschaffene Verführung in Gestalt der Keuschheit und Anmut. Es war ein Kleid, für das kein Wort des Lobes und der Anerkennung hoch genug war, und so erregte sie denn auch Sensation, als sie es an dem Gesellschaftsabend im Hause ihrer Freundin Marga zum erstenmal trug. Schon ihr Mann hatte seinen Augen nicht getraut, als sie ihm, dem sie das Kleid bisher absichtlich nicht gezeigt hatte, fertig zum Fortgehen gegenübertrat, und wie ruhten nun erst die Blicke der anderen Herren, aber auch die der neidischen Damen auf ihr. Von dem Moment an, da sie den Empfangssalon betrat, bildete sie den Mittelpunkt, und über ihrem Kleide vergaß man beinahe ganz, daß man bisher voller Ungeduld auf den berühmten Gast gewartet hatte.

Endlich kam er, um sich gleich in frischer, natürlicher und lustiger Weise zu entschuldigen, falls er nicht ganz pünktlich wäre, aber die Schuld läge nicht an ihm, sondern an seinem Impressario, der ihn heimtückisch überfallen habe, um ihn für ein Konzert einzufangen, bis er seine Schilderung dieses Besuches plötzlich unterbrach, mit schnellen Schritten und einem übermütigen Lachen zu dem großen Bechsteinflügel ging, von dem mit einem „Sie erlauben, gnädige Frau?” den Schlüssel, nachdem er abgeschlossen, abzog, um den dann aber nicht in die Tasche zu stecken, sondern um ihn nach der Art eines Zauberkünstlers zwischen seine beiden Hände zu legen und mit denen allerlei geheimnisvolle Manipulationen auszuführen, bis der Schlüssel, als er die Hände wieder öffnete, spurlos verschwunden war, während er dabei hinzusetzte: „Natürlich glauben die Herrschaften, ich hätte den Schlüssel einfach in meinem rechten oder linken Ärmel verschwinden lassen, aber das stimmt nicht. Ich habe den einem von Ihnen in die Tasche gezaubert, und wer ihn dann morgen früh bei dem Kleiderreinigen findet, wird gebeten, ihn gegen gute Belohnung entweder auf dem Fundbureau auf dem Rathaus oder hier bei der gnädigen Frau wieder abgeben zu wollen,” und erklärend schloß er: „Ich mußte den Schlüssel verschwinden lassen, damit ich nachher nicht vielleicht doch in Versuchung komme, etwas zu spielen, und das darf ich meines Armes wegen unter gar keinen Umständen.”

Keiner der vielen Gäste hatte ihm so belustigt zugehört, keine sich über seine Art so amüsiert, wie Frau Tilly es tat. Sein ganzes Wesen gefiel ihr, und sein Äußeres gefiel ihr erst recht. Er sah in dem Frackanzug ganz ausgezeichnet aus, und nun, da sie ihn zum erstenmal ganz in der Nähe sah, fand sie ihn noch viel hübscher als bisher auf dem Konzertpodium. Und ganz besonders fiel ihr auf, daß er sich in all den Jahren, die sie ihn nun doch schon kannte, in keiner Weise verändert hatte. Er schien nicht älter geworden zu sein, denn trotzdem er mit seinen fünfundvierzig Jahren, oder wie alt sie ihn sonst auf Grund seiner langen Künstlerlaufbahn schätzen sollte, doch kein junger Mensch mehr war, besaß er noch nicht ein graues Haar und sein Gesicht noch keine einzige Falte, geschweige denn irgendwelche Runzeln, und dabei war doch gerade das unstete Leben, das er führte, anstrengend und aufreibend.

Nach einigen Minuten, während denen er sich allen Gästen einzeln hatte vorstellen lassen, ging man in den großen Speisesaal, und kaum hatte er an ihrer Seite Platz genommen, als er zu ihr sagte: „Wissen Sie, gnädige Frau, warum ich vorhin die Sache mit dem Klavierschlüssel machte, der sich aber, nebenbei bemerkt, tatsächlich nicht in meinen eigenen Taschen befindet, sondern draußen auf dem Korridor in einem der vielen dort herumliegenden Damenpompadoure, oder sagt man Pompadüre?”

„Das weiß ich auch nicht,” lachte sie fröhlich auf, bevor sie fragte: „Gegen Sie ist der berühmte Bellachini ja der reinste Stümper, wie haben Sie nur den Schlüssel aus dem Zimmer nach draußen gezaubert?”

„Sehr einfach, gnädige Frau,” gab er trocken zur Antwort. „Ich habe mich gleich, als ich kam, mit dem Diener, der mir die Tür öffnete, verständigt, und dem habe ich, als wir zu Tisch gingen und als er mir meinen Platz anwies, den Schlüssel heimlich in die Hand gedrückt. Sie sehen, es geht alles auf die natürlichste Weise zu.”

„Das scheint mir jetzt auch so,” stimmte sie ihm bei. „Aber Sie fragten mich, ob ich wüßte, warum Sie vorhin das Zauberkunststück zum besten gaben. Das weiß ich wirklich nicht, aber vielleicht erklären Sie es mir.”

Mit seinen auffallend schönen schwarzblauen Augen sah er sie bewundernd an: „Es geschah, gnädige Frau, um meine eigene Aufmerksamkeit und die der anderen Gäste von Ihrer Person abzulenken, um Zeit zu gewinnen, mich zu beherrschen und mich wieder zu sammeln, denn als ich Sie sah, erriet ich sofort, daß Sie die Dame wären und sein müßten, von der Frau Marga mir auf der Reise so viel Liebes und Gutes zu erzählen wußte und auf deren persönliche Bekanntschaft sie mich sehr neugierig machte. Aber so viel Frau Marga mir auch über Sie sagte, gnädige Frau, die Wahrheit sagte sie mir natürlich doch nicht, ja, bis zu einem gewissen Grade hat sie mich sogar direkt belogen.”

„Inwiefern denn das?” fragte Frau Tilly, ihn mehr als verwundert anstaunend, da sie ihn nicht verstand. Sollten seine Worte ihr, trotzdem sie ihm zu gefallen schien, beweisen, daß er sich nach der Schilderung von Frau Marga von ihrer äußeren Erscheinung noch mehr versprochen hatte.

Er hatte in der letzten Minute den Blick nicht von ihr abgewandt, trotzdem war ihr so, als sähe er sie eigentlich erst jetzt an, während er zu ihr sagte: „Frau Marga hatte mich darauf vorbereitet, daß ich in Ihnen eine der schönsten, elegantesten und bezauberndsten Frauen kennenlernen würde, die mir je begegneten. Damit aber hat sie viel zu wenig gesagt, denn Sie, meine Gändigste, sind die Schönste, die Eleganteste, die Verführerischste, und zwar nicht nur die, die man sich denken kann, sondern die es überhaupt gibt. Ohne Ihnen eine fade Schmeichelei sagen zu wollen, behaupte ich, Sie sind die Dame par excellence, Sie sind in jeder Hinsicht die Dame in der Vollendung.” Bis er ganz unvermittelt schloß: „Wissen Sie, gnädige Frau, daß ich Ihren Gatten ermorden könnte?”

Gerade weil sich das so übertrieben fürchterlich drohend anhören sollte, klang es humoristisch. Deshalb war Frau Tilly froh, über seine Bemerkung fröhlich auflachen zu können, schon weil sie dadurch der Notwendigkeit entging, auf seine Äußerungen, mit denen er ihr gehuldigt, etwas erwidern zu müssen, und deshalb fragte sie jetzt auch nur: „Was hat mein Mann Ihnen denn getan, daß Sie ihn ermorden möchten?”

Mit finsteren, rollenden Augen sah er zu ihr auf: „Er hat Sie geheiratet, gnädige Frau, und das verzeihe ich ihm nie.”

„Vielleicht doch,” neckte sie ihm, „oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich in diesem Augenblick noch ein unverheiratetes junges Mädchen wäre, das Sie anschmachtete, Sie um ein Autogramm bäte —”

„Um Gottes willen, nur das nicht, gnädige Frau,” unterbrach er sie. „Junge Mädchen sind besonders für uns Künstler etwas Furchtbares, so reizend sie, zumal wenn sie reizend sind, auch sonst immer sein mögen. Aber sie schreiben immer gleich Liebesbriefe, in denen sie uns anhimmeln, als wären wir Übermenschen, und dann wollen sie immer sofort geküßt werden. Und wenn wir dann zu dem Rendezvous kommen, sind sie meistens sehr enttäuscht, weil wir nicht unseren Flügel, unsere Geige, unser Cello oder was sonst immer gleich mitgebracht haben, um ihnen ganz allein eine musikalische Abend­unterhaltung zu bereiten oder ihnen auf diese Weise ein Ständchen zu bringen, denn das ist ja das Traurige für uns Künstler, daß wir nur in den allerseltensten Fällen um unserer selbst willen geliebt werden. Man liebt nicht uns, sondern unsere Fingerfertigkeit auf dem Instrument, das wir beherrschen, oder das hohe C, das man als Sänger in seiner Kehle spazieren trägt.”

Es war ein kleiner Stoßseufzer, den er da von sich gab, aber auch der klang lustig, wenigstens humoristisch-satirisch, in keiner Weise melancholisch, traurig oder gar die unausgesprochene Bitte enthaltend: Liebe du mich aber nur um meiner selbst willen, sei du die Frau, die ich schon so lange vergebens suchte, die in mir weiter nichts sieht als den Menschen und die, wenn sie mit mir zusammen ist, nicht einen Augenblick daran denkt, daß ich nebenbei oder in der Hauptsache auch noch Klavierspieler bin.

Mancher andere, der wie er die Absicht hatte, sie zu erobern, hätte ihr das wohl mit klaren Worten gesagt, um im Anschluß daran davon zu sprechen, wie traurig und wie einsam das Los eines Virtuosen sei, und mancher andere hätte dadurch wohl ihr Herz zu rühren und zu bewegen versucht.

Aber er machte gar nicht erst den Versuch, sie dadurch zu gewinnen, einmal weil das seinem offenen, natürlichen Wesen nicht liegen mochte, dann aber sicher auch, weil er sie richtig einschätzte und ganz genau wußte, daß sie auf derartige banale, abgeschmackte und abgebrauchte Redensarten nicht hineingefallen wäre. Wollte er sie, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grade wirklich erobern, dann wußte er ganz bestimmt selbst, daß er da bei ihr andere Mittel anwenden müsse.

Aber im weiteren Verlauf der langen Tischsitzung sagte sie sich mit einem immer größer werdenden Erstaunen, daß er eigentlich gar nichts tat, um sie zu gewinnen. Er machte ihr absolut nicht den Hof, er sagte ihr keine Schmeicheleien mehr, er flüsterte ihr keine leisen, das Herz und die Sinne betörenden Worte zu, sondern er war lediglich der liebenswürdigste und amüsanteste Tischherr, den sie je gehabt hatte. Er verstand es in meisterhafter Weise, sie zu unterhalten, er erwies sich als ein Mensch, der keineswegs nur für seinen Beruf Interesse hatte, er las viel, er besuchte auf seinen Reisen die Museen und Galerien der Städte, in die er kam, er war ein großen Naturfreund, kurz, er war so vielseitig gebildet, wie sie es kaum für möglich gehalten hätte. Und er verstand es wie nur wenige, aus seinem Leben, das ihn mit den verschiedensten und auch mit den bekanntesten Persönlichkeiten in Berührung brachte, zu plaudern. Dazu kam, daß er in ganz einziger Art kleine Geschichten und Anekdoten zu erzählen verstand. Wo sich im Laufe der Unterhaltung dazu Gelegenheit bot, flocht er eine solche gewissermaßen zur Illustration seiner Schilderungen ein, und immer war die so lustig vorgetragen, und immer war die meistens völlig überraschende Pointe so geschickt vorbereitet, daß sie sich nicht entsinnen konnte, jemals so viel und so herzlich gelacht zu haben wie heute, und daß sie plötzlich mit einem kleinen Schrecken an die nächsten Abende im eigenen Heim dachte, an denen ihr Mann sie zu unterhalten versuchen würde.

Sie sah es voraus, ob sie es wollte oder nicht, unwillkürlich würde sie dann an den heutigen Abend zurückdenken, sich nach Kuno Walthers Gesellschaft sehnen und sich wünschen, er säße anstatt ihres Mannes neben ihr.

Dann aber bekam sie plötzlich einen kleinen Schrecken. Hatte er das vielleicht beabsichtigt, hatte er das bei ihr zu erreichen versucht? Hatte die Eroberung ihrer Person für ihn vielleicht darin bestehen sollen, daß er sich sagte: Du mußt es zunächst dahin bringen, daß die schöne Frau sich zu Hause langweilt, daß sie sich nach dir sehnt, denn wenn du das erst erreicht hast, hast du sie gewonnen, dann macht sich alles weitere von selbst.

Und sie gestand sich ein: Wenn er das hatte erreichen wollen, dann hatte er es erreicht, nur daß sich alles weitere nicht nur nicht von selbst, sondern überhaupt nicht machen würde.

Nur ein Glück, daß sie in der Hinsicht ihrer absolut sicher war, und es war ein weiteres Glück, daß ihr nun wieder einfiel, was sie bisher bei seiner Unterhaltung ganz vergessen, daß sie sich von ihm ja auch erobern lassen wollte und mußte, um durch ihn auf Umwegen endlich zu ihrem Tandem zu kommen. Und als sie nun wieder daran dachte, tat er ihr aufrichtig leid. Der Ärmste träumte an ihrer Seite sicher schon jetzt von zärtlichen Schäferstunden, in denen sie ihm alles gab, was eine Frau einem Mann nur schenken kann, und sie wollte ihn lediglich als Sprungbrett benutzen, um von dem aus mit einem kühnen Satz auf den Kutschierbock ihres Tandems zu gelangen. Und weil er ihr plötzlich so leid tat, aber auch nur einzig und allein deswegen, wurde sie mit einemmal gegen ihn anders, wärmer, zutraulicher, herzlicher und intimer, so daß mit einem Schlage auch die Art seiner Unterhaltung eine andere wurde. Er erzählte nicht mehr, er sprach und unterhielt sich mit ihr. Geistreiche, amüsante, witzige Bemerkungen flogen zwischen ihnen hin und her, und so war es nach ihrer Ansicht ganz selbstverständlich, daß er gegen Schluß der Tafel zu ihr sagte: „Sie müssen mir Gelegenheit geben, gnädige Frau, Sie sehr bald wiederzusehen, und zwar morgen. Wann machen Sie Ihre Besorgungen, damit ich Sie unterwegs wie zufällig treffen und begleiten kann?”

Sie wollte mit ihm ja ins Gerede ihrer Bekannten kommen, sie wollte sich ja in den Augen der Welt von ihm erobern lassen, so veraredete sie für die nächsten Tage mit ihm ein Zusammentreffen zu einer Stunde, in der die ganze sogenannte gute Gesellschaft in den belebtesten Straßen auf und ab flanierte, angeblich, um Besorgungen zu machen, in Wirklichkeit aber, um zu sehen und um gesehen zu werden.

Und sie trafen sich nicht nur am nächsten Nachmittag, sondern fortan, wenn das Wetter es irgend erlaubte, alltäglich. Aber nicht nur das, er machte ihr und ihrem Mann seinen Besuch, er kam des Nachmittags zuweilen mit zu ihr hinauf, um bei ihr eine Tasse Tee zu trinken, er kam in ihre Loge, wenn sie mit ihrem Mann im Theater war, und um mit ihm gesehen zu werden, überredete sie jetzt ihren Mann sehr oft, das Theater zu besuchen. Er kam auch einmal zu einer kleinen intimen Gesellschaft, die sie ihm zu Ehren gab, und sie mußten seiner Einladung Folge leisten, als er sie mit einigen seiner sonstigen Bekannten zu einem ausgesuchten guten Diner in sein Hotel einlud, und alle wußten, es geschah nur ihr zuliebe, als er sich im Verlauf des Abends unaufgefordert an den schönen Flügel setzte und so hinreißend spielte, wie sie alle ihn noch nie hatten spielen hören.

„Je offener und je unvorsichtiger ich Ihnen meine Huldigungen darbringe, schöne Frau, desto weniger wird die Welt darauf achten, desto weniger wird sie auf die Vermutung kommen, daß es mir ernst damit ist, und desto weniger wird sie glauben, daß alle meine Gedanken und Empfindungen einzig und allein Ihnen gelten,” hatte er ihr einmal erklärt, und da das zu ihrem Trick und zu ihren Plänen paßte, hatte sie ihm nicht widersprochen. Aber im stillen machte sie ihm oft den Vorwurf, ihr zu offensichtlich den Hof zu machen, so offensichtlich, daß kein unparteiischer Dritter eigentlich glauben konnte, es sei ihm ernst mit seinem Werben, zumal er das in Gegenwart anderer stets in lustige humoristische Form zu kleiden verstand. Und doch wußte sie, aber sicherlich auch nur sie allein, wie er sich mit aller Gewalt um sie bemühte, wie er nichts unversucht ließ, um sie ganz zu gewinnen, wie er sie mit Bitten, mit heißen, leidenschaftlichen Worten und in glühenden Briefen, die er ihr des Morgens, wenn sie allein zu Hause war, unter vielen Blumen versteckt sandte, immer aufs neue bestürmte, ihn zu erhören und ihn zu dem glücklichsten aller Menschen zu machen. Und er gestand ihr ganz offen, daß er den Wunsch, sie sein nennen zu dürfen, schon damals gleich gehabt habe, als Frau Marga ihm von ihr sprach, daß er das aber selbstverständlich nicht hätte laut werden lassen dürfen.

Frau Tilly sah es von Tag zu Tag mehr, wie grenzenlos verliebt er in sie war, und er tat ihr ja so leid. Aber sie selbst tat sich erst recht leid, denn während sie sich der Welt gegenüber nur zum Schein erobern ließ, hatte er sie in Wirklichkeit erobert. Alle ihre Gedanken, alle ihre Träume galten nur noch ihm. Sie wurde bei dem, was sie täglich innerlich durchkämpfte, um ihm nicht zu unterliegen, um ihm nicht nachzugeben, wie sie ganz deutlich merkte, eine andere. Und diese Veränderung, die mit ihr vorging, merkten auch alle ihre Bekannten. Nur einer merkte natürlich nichts, gar nichts — ihr Mann. Der lebte ruhig neben ihr hin und mit ihr zusammen, als wenn es gar keinen Kuno Walther auf der Welt gäbe, und ihre Nervosität, ihre innere Unruhe, die sie in der langweiligen Nähe ihres Gatten manchmal kaum beherrschen konnte, ging vollständig spurlos an ihm vorüber.

Aber er mußte etwas merken, er mußte eifersüchtig bis zum Zerplatzen werden, er mußte ihr den Vorwurf der Treulosigkeit mit brutalen Worten in das Gesicht schleudern, solange sie sich noch mit gutem, reinem Gewissen gegen diese schmachvolle Verdächtigung zu verteidigen vermochte, denn das fühlte sie ganz deutlich, wenn Kuno Walther nicht bald abreiste, oder wenn sie nicht bald das Tandem bekam und dann mit dem so viel zu tun hatte, daß sie gar keine Zeit mehr fand, sich mit Kuno Walther zu beschäftigen, war sie verloren, und das wollte sie nicht.

So betete sie eines Abends voller Inbrunst zu dem lieben Gott, er möge endlich ein gewaltsames Ende dieses für sie unerträglichen Zustandes herbeiführen, und der liebe Gott schien nur auf dieses Gebet gewartet zu haben, denn als ihr Mann am nächsten Nachmittag aus dem Geschäft zurückkam, gab er ihr einen anonymen Brief zu lesen, den er erhalten und in dem ihm die Augen darüber geöffnet wurden, daß sie, Frau Tilly, ihn in der schamlosesten Weise mit Kuno Walther betrüge.

Und während sie den Brief voller Empörung las, wartete sie voller Ungeduld darauf, daß ihr Mann ihr ein Schimpfwort zurufen würde, das es ihr ermöglichte, ihm die dramatische Szene: „Ich verlasse dein Haus” vorzuspielen.

Aber ihr Mann dachte anscheinend nicht daran, ihr auch nur den leisesten Vorwurf zu machen, sondern meinte, während sie den Brief immer wieder las und während sie weiter darauf wartete, er solle von ihr verlangen, daß sie sich verteidige und rechtfertige, denn selbst an anonymen Anklagen pflegte stets wenigstens etwas Wahres zu sein, ja da meinte er lediglich ganz gelassen: „Gib mal der Wahrheit die Ehre, Tilly, den Brief hast du doch selbst geschrieben oder ihn dir von einer deiner Freundinnen schreiben lassen?”

Gott sei Dank, jetzt wurde die Sache doch noch dramatisch, und sie konnte vielleicht noch ihre dramatische Szene spielen, wenngleich der kleine Einakter nun wesentlich anders anfing, als sie es gedacht und erwartet hatte. Aber trotzdem, wenn nachher der Vorhang fiel, ging sie, wenn auch nur zum Schein, mit ihren Koffern durch die Mitte ab. Jetzt kam es nur darauf an, ihre Rolle gut durchzuführen.

So sah sie ihren Mann erst eine ganze Weile verständnislos an, als habe er völlig seinen Verstand verloren, dann meinte sie, ohne daß sie es dabei nötig gehabt hätte, sich irgendwie zu verstellen, voller Empörung, aber auch mit dem grenzenlosesten Erstaunen: „Ich hätte dir diesen schmachvollen Brief geschrieben oder ihn dir schreiben lassen? Ja, willst du mir nicht bitte erklären, wie du auf diese unerhörte Verdächtigung kommst, und willst du mir nicht ferner verraten, was ich damit hätte bezwecken und erreichen wollen?”

„Das Tandem, Tilly,” gab er mit einer wahrhaft grausigen Ruhe zur Antwort, während dabei ein nach ihrer Ansicht teuflisches Lächeln seinen Mund umspielte.

„Das — was?” fragte sie, ihn dabei ansehend, als sei er reif für das Irrenhaus und für die Gummizelle. Aber als sich ihr die beiden Silben mühselig über die Lippen rangen, wußte sie, daß er sie durchschaut hatte, und daß das Tandem für sie für immer verloren war.

Anstatt ihre Frage zu beantworten, lachte er übermütig auf, bevor er meinte: „Na, Tilly, nun stell' dich nur nicht an, als hättest du mich nicht verstanden. Du kannst es ruhig zugeben, denn ich mache dir aus dem Trick, den du dir ausgedacht hattest, nicht den leisesten Vorwurf, zumal ich mich über den schon lange im stillen herrlich amüsiere. Ich will auch gern anerkennen, daß dein Trick gar nicht so schlecht ausgeheckt war, und mancher andere Mann wäre auf den auch sicher hineingefallen. Aber daß du mich für so dumm und für so leichtgläubig hieltest, ist das einzige, was ich dir bei der ganzen Geschichte etwas übel nehme. Ich habe dich von dem Augenblick an durchschaut, als wir zu der Gesellschaft bei Frau Marga gingen und als du mir in dem neuen wunderhübschen Kleid gegenüber­tratest. Da sagte ich mir im stillen sofort: Aha, die Tilly will sich in der Toilette den Klavierfritzen erobern, damit ich eifersüchtig werde und ihr dann doch noch das Tandem schenke. Und ich wollte dir damals gleich erklären: Gib dir nur keine Mühe, Tilly, das Gespann bekommst du aus den Gründen, die ich dir schon oft auseinandersetzte, doch nicht, niemals, weder jetzt, noch in zwanzig Jahren, und du hättest es auch dann nicht bekommen, Tilly, wenn ich an den anonymen Brief geglaubt, wenn ich dich des Treubruches beschuldigt hätte, und wenn du mir dann den alten abgedroschenen Einakter: ,Ich verlasse dein Haus' vorgespielt haben würdest.”

Schon ein paarmal hatte sie ihn unterbrechen wollen, jetzt aber rief sie ihm mehr als erregt zu: „Alles was du da sagst, ist so bodenlos gemein, daß ich dafür gar keinen Ausdruck finde. Ich meine natürlich nicht,” verbesserte sie sich schnell, zuerst frisch darauflos lügend, „daß du mir meinen sehnlichsten Wunsch niemals erfüllen wirst. Nein, daran dachte ich eben wirklich nicht. Aber daß du mir zutraust, ich hätte mir einen Trick ausgedacht, ich hätte mir von Kuno Walther den Hof machen lassen, um mich absichtlich mit ihm in das Gerede der Welt zu bringen, damit dir irgend jemand durch einen anonymen Brief die Augen öffne und damit ich dir auf deine Vorwürfe hin der Wahrheit gemäß hätte erwidern können: Wenn Kuno Walther in dem Ehescheidungsprozeß unter seinem Eid vernommen wird, dann muß sich ja herausstellen —”

„Also sogar an einen solchen Prozeß oder an die Drohung mit dem hattest du des Tandems wegen auch schon gedacht?” unterbrach er sie belustigt. „Nur gut, Tilly, daß du dich eben in deiner völlig überflüssigen Erregung verplappertest und mir das verraten hast.”

„Ich habe gar nichts verraten, das schon deshalb nicht, weil ich nichts zu verraten habe,” widersprach sie energisch, „denn die ganze Trickgeschichte, die du mir da vorhin andeutetest, ist nicht meine, sondern lediglich deine Erfindung, die besteht nur in deiner Einbildung, aber nun entschuldige mich bitte, ” setzte sie hinzu, „ich habe von deinen Vorwürfen so rasende Kopfschmerzen bekommen, daß ich mich unbedingt hinlegen muß. Du speisest wohl allein, ich brächte doch keinen Bissen über die Lippen, so maßlos empört bin ich über dich.”

„Das tut mir aufrichtig leid, Tilly,” gab er zur Antwort, aber er machte trotzdem nicht den kleinsten Versuch, sie zurückzuhalten, als sie sich gleich darauf von ihm verabschiedete. Ja, er machte sogar ein belustigtes Gesicht, das ihr ganz deutlich sagte: Deine Kopfschmerzen gönne ich dir von Herzen. Wenn du jetzt bald in deinem Bett liegst und über alles nachdenkst, wirst du hoffnetlich zu der Erkenntnis kommen, daß ich doch nicht der Esel bin, für den du mich in diesem besonderen Falle gehalten hast.

Aber als Frau Tilly sich hingelegt hatte, dachte sie schon deshalb zuerst gar nicht an ihren Mann, weil sie vor Empörung und lauter Tränen überhaupt nicht denken konnte. Ihr schöner Trick! Wie stolz war sie auf den gewesen und mit welcher Ausdauer hatte sie den durchgeführt. Und nun hatte alles doch nichts geholfen, denn anstatt des Tandems hatte sie lediglich die Gewißheit erhalten, daß sie das Gespann nie, aber auch nie bekommen würde.

Das aber sollte ihr Mann büßen! Das gestand sie sich ein, als sich ihre Gedanken nun doch mit ihm beschäftigten. Das sollte er büßen und erst recht, daß er sie nicht nur durchschaut, sondern ihr das auch noch in so brutaler Weise mit einem mehr als teuflischen Lachen offen erklärt hatte. Dafür wollte und würde sie sich an ihm rächen.

Und glücklicherweise wußte sie auch schon, wie sie sich rächen würde. Gleich morgen wollte sie Kuno Walther erhören und ganz die Seine werden.

Sicherlich, ganz recht war es nicht von ihr und eigentlich hatte ihr Mann das auch sonst nicht um sie verdient, aber das würde doch wenigstens einmal eine kleine Abwechslung in dem ewigen Einerlei ihrer nun schon zehnjährigen Ehe sein, die unter Umständen noch zehn oder gar noch zwanzig Jahre dauern konnte.

Und wenn sie Kuno Walther erhört hatte, dann —? Ja, was dann? Darüber zerbrach sie sich eine ganze Weile den Kopf, bis sie schließlich die Antwort darauf fand und gleich darauf stillvergnügt vor sich hinlachte.

Ja, dann würde sie ihren Mann überreden, mit ihr zum Wintersport in das Riesengebirge zu fahren, damit inzwischen das dumme, alberne Gerede über sie und Kuno Walther aufhöre, zumal an dem ganzen Klatsch nicht eine wahre Silbe sei.

Sie wußte, daß ihr Mann mit ihr zum Wintersport, den er auch seinerseits sehr liebte, fahren würde, und wenn er das getan, ohne daß er wußte und ahnte, warum ihr nur so plötzlich die Idee zu dieser Reise gekommen sei, dann wollte und würde die Strafe, die sie über ihn verhängte, weil er ihren Trick durchschaute, darin bestehen, daß sie ihm, der ihr das Tandem für ihre Spazierfahrten nicht schenken wollte, dafür ihrerseits, schon um ihn durch ihre Güte zu beschämen, für seine Rodelfahrten ein Geschenk machte — und zwar einen Hörnerschlitten. —


Fußnoten:

(1) „Das verzweifelte Flaschenkind” von Johannes Trojan aus „Die zehnte Muse”, Verlag Otto Eisner, Berlin, 1904. (Zurück)


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© Karlheinz Everts