Ich hatte einer jungen Freundin, einer ganz entfernten armen Verwandten, die mit ihren neunzehn Jahren ein geradezu bildhübsches Mädel war und die sich nur vorübergehend an meinem Wohnort aufhielt, für die dicht bevorstehende Eröffnung der Eisbahn einen Sweater versprochen, natürlich einen mit der dazu gehörigen Mütze, dem Schal und warmen Fausthandschuhen.
Wenn du nun von der hübschen Lili keinen Kuß bekommst, dachte ich, als ich ihr, noch dazu, ohne daß sie mich darum gebeten hätte, dieses Versprechen gemacht, ja wenn sie dich nun nicht küßt, damit du an dem Sweater auch deinerseits eine Freude hast, dann küßt dich nie wieder eine.
Und ich sah es Lili auch an, daß sie die Absicht habe, oder daß sie wenigstens die moralische Verpflichtung in sich fühle, mir einen Dankeskuß zu geben. Aber trotzdem, noch küßte sie nicht, sondern fragte als vorsichtige Evastochter zunächst: „Und wieviel darf der Sweater kosten?”
Mehr noch als mit ihrem Mund fragte sie mich mit ihren selten schönen rehbraunen Augen, und als sie mich so bittend, so schmeichelnd und so verheißungsvoll ansahen, wollte keine bestimmte Summe über meine Lippen, zumal sie mir später, wenn die nicht gereicht, ja doch nachträglich noch mehr abgeschmeichelt hätte, und so sagte ich denn: „Wieiviel er kostet, ist gleich, kleine Lili. Kauf dir, was dir gefällt, und ich werde dann die Rechnung bezahlen.”
„Ganz ohne zu schelten?” fragte die hübsche Lili trotzdem zur Vorsicht weiter.
„Ganz ohne zu schelten,” gelobte ich, und kaum hatte ich dieses Gelöbnis abgelegt, da saß sie, die mir bisher durch einen breiten Tisch getrennt in ihrer Sofaecke gegenüber gesessen hatte, plötzlich auf meinem Schoß, und auch heute ist es mir ein Rätsel, wie sie mit einer solchen blitzartigen Geschwindigkeit ihren Platz hatte wechseln können, denn sie saß so plötzlich auf meinen Knien, daß ich gar nichts davon bemerkt hatte, wie sie auch nur Anstalten machte, sich von dem Sofa zu erheben.
Ja ja! Wenn hübsche junge Mädchen und wenn junge Frauen etwas geschenkt haben wollen, können sie alles.
Die Lili saß auf meinem Schoß und küßte mich, aber leider blieb sie da nicht annähernd so lange sitzen, wie ich es mir gewünscht hätte, denn sehr schnell sprang sie wieder auf, weil sie, wie sie mir erklärte, sofort zur Stadt müsse, um sich den Sweater gleich zu kaufen.
„Aber solche Eile hat es doch nicht,” warf ich ein.
Die hübsche Lili würdigte mich gar keiner Antwort, sondern schon in der Tür stehend, drehte sie sich lediglich noch einmal nach mir um und tippte mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf ihre Stirn.
Das hieß auf deutsch: Was verstehst du als Mann davon?
„Aber präzise zwei Uhr wird zu Mittag gegessen,” rief ich ihr nach.
„Ganz präzise,” beruhigte sie mich, und als sie dann zurückkam, war es auch präzise, aber präzise vier Uhr. Dafür hatte sie jetzt aber auch einen geradezu bildschönen Hunger, vor allen Dingen aber hatte sie einen noch viel schöneren Sweater, denn der war ganz einfach blendend. Ein Modell, rot mit gelben Borten, mit gelbem Kragen, mit gelben Aufschlägen und ebensolcher Einfassung an den Taschen, denn er hatte Taschen, während die meisten keine hatten, und sie hatte sich schon so endlos lange gerade einen solchen gewünscht. Infolge ihrer Blutarmut litt sie nun einmal so an kalten Händen, da war es einfach zu schön, wenn man sich die Hände gleich in den Taschen wärmen konnte.
Der Sweater war einfach ein Gedicht, und dabei so billig. Er kostete mit der Mütze, dem Schal und den Handschuhen nur zwölfhundert Mark.
Wenn ein junges Mädchen oder eine junge Frau etwas geschenkt bekommt, kostet alles, selbst wenn es in die Tausende geht, „nur”. Wenn sie sich aber selbst etwas bezahlen soll, dann kostet alles; „Denk dir nur, es ist einfach unerhört.”
Also der Sweater, den ich mir wesentlich billiger gedacht hatte, kostete nur. Aber trotzdem hatte die hübsche Lili ihn sich noch nicht gekauft, sondern ihn bis morgen mittag zurücklegen lassen, da er leider nicht aus reiner Wolle gearbeitet war. Nun mußte sie sich erst überlegen, ob er auch warm genug wäre.
Wie man sich so etwas überlegen könne, war mir ein Rätsel. So etwas konnte man nach meiner Ansicht nur ausprobieren. Das wollte ich der hübschen Lili auch erklären, aber ich wollte nicht schuld sein, daß sie sich bei der Gelegenheit vielleicht mit ihrem Zeigefinger ein Loch in die Stirn bohre, um mir erneut zu beweisen, daß ich als Mann von solchen Dingen nichts verstände. So schwieg ich denn, und Lili überlegte sich die schwierige Frage, aber allein schien sie damit nicht fertig werden zu können, denn nach einer ganzen Weile fragte sie mich, was ich dazu meine, ob ich glaube, daß der Sweater, der aus sogenannter gezwirnter Wolle gearbeitet sei, für sie bei ihrer Blutarmut warm genug wäre.
Wie sollte ich das wissen, da sie es nicht selbst wußte? Da fiel mir ein Ausweg ein, und ich gab zur Antwort: „Vielleicht ist er trotzdem warm genug, wenn du dir etwas unter den Sweater ziehst.”
„Die Idee ist einfach glänzend,” rief Lili freudestrahlend, aber gleich darauf verwarf sie die Idee wieder als beinahe verrückt und als undurchführbar. Als beinahe verrückt, weil man sich doch einen Sweater kaufe, damit man unter ihm nichts Warmes anzuziehen brauche, und als undurchführbar, weil sie nichts zum Unterziehen besäße.
„Dann würde ich dir das auch noch schenken,” warf ich ein.
Aber davon wollte Lili nichts wissen: „Nein, auf keinen Fall, ich darf deine Güte nicht mißbrauchen. Der Sweater ist schon teuer genug. Wenn ich es mir richtig überlege, sind zwölfhundert Mark für ihn eigentlich eine Unverschämtheit.”
Wenn ein junges Mädchen oder eine junge Frau irgendeinen Gegenstand unter allen Umständen haben will, dann ist alles trotz der Teuerung oder gerade wenn man die berücksichtigt, bei richtiger Ueberlegung sehr billig. Hat sie aber an dem Gegenstand auch nur das geringste auszusetzen, oder wünscht sie sich den plötzlich nicht mehr so leidenschaftlich wie vor wenigen Minuten, dann ist jeder, aber auch jeder Preis eine Unverschämtheit. Folglich mußte die Lili den Sweater nicht mehr zu besitzen wünschen, weil er nicht aus reiner Wolle gearbeitet war, und ich war auch fest davon überzeugt, daß sie mir das nun erzählen würde. Statt dessen sagte sie ganz plötzlich und unvermittelt: „Und außerdem weiß ich nicht, ob es jetzt noch Mode ist, Taschen auf dem Sweater zu tragen, denn das Modell ist noch vom vorigen Jahr. Deshalb ist er doch auch so billig und kostet nur zwölfhundert Mark.”
Also jetzt kostete er schon wieder „nur”.
„Und nicht wahr,” fragte Lili weiter, „einen unmodernen Sweater würdest gerade du mir doch auch selbstverständlich nicht schenken?”
Warum nicht, wenn er dir Freude macht, wollte ich zur Antwort geben. Aber man darf einem hübschen jungen weiblichen Geschöpf nie das sagen, was man will, sondern immer nur das, was man soll, und deshalb erwiderte ich, das hätte ich, selbstverständlich, wenn überhaupt nur sehr ungern getan.
„Dann werde ich den Sweater gleich wieder telephonisch abbestellen,” entschied Lili nach kurzem Besinnen, und drei Minuten später war der ganz einfach blendende Sweater mit den Taschen, die sie sich bei ihrer Blutarmut für ihre kalten Hände schon so lange gewünscht hatte, für immer definitiv erledigt.
Aber leider nicht die Frage nach einem anderen Sweater.
Nach dem begann die Jagd am nächsten Tage aufs neue, und als die Lili am Mittag diesesmal wirklich pünktlich auf die Minute zu Tisch kam, hatte sie zwar keinen bildschönen Hunger, wohl aber einen neuen Sweater. Nein, den auch noch nicht, aber sie wußte jetzt, wie sie den bekäme. Als sie in einem anderen Geschäft als gestern gewesen, um dort zu suchen, war sie durch einen Zufall mit einer neben ihr stehenden fremden Dame aus München ins Gespräch gekommen, die ihr schließlich geraten hatte: „Wenn Sie auf mich hören wollen, dann kaufen Sie sich überhaupt keinen fertigen Sweater, sondern kaufen Sie sich gute Wolle und lassen Sie sich dann einen stricken. Das ist augenblicklich das Schickste, wenigstens tragen wir immer, wenn wir von München nach Garmisch-Partenkirchen zum Wintersport fahren, nie etwas anderes, als selbstgestrickte Sweater, und als solche natürlich nur richtige Schlüpfer, die selbstverständlich keine Taschen haben dürfen.”
Ach, die Lili war so grenzenlos glücklich, daß sie den alten Ladentaschenhütersweater gestern nicht gekauft, daß sie die Dame aus München getroffen und daß sie ihr so gut geraten hatte. Hinterher war sie gleich in einem anderen Geschäft gewesen, um sich Wolle zu kaufen, und es stand schon jetzt fest, der Sweater werde todschick werden, blau und rot, immer ein blauer Streifen neben einem roten, und sie hatte auch bereits mit einer ihr empfohlenen Strickerin telephoniert, die ihr fest versprochen hatte, den Sweater innerhalb fünf Tagen fix und fertig zu stellen. Am Nachmittag sollte sie zu ihr kommen, damit sie alles miteinander besprächen, und ihr die Wolle gleich mitbringen. Die war schon fest gekauft. Zwanzig Mark hatte die hübsche Lili von ihrem eigenen Gelde bereits angezahlt, den Rest aber von dreihundertundsechzig Mark —
Jawohl, den drückte ich ihr nebst den verauslagten zwanzig Mark in die Hand, sehr froh darüber, daß der Sweater mich nun nach menschlicher Voraussicht keine zwölfhundert Mark kosten würde.
Glückstrahlend zog die Lili am Nachmittag von dannen, in Tränen aufgelöst kam sie wieder nach Hause, und da erfuhr ich das Unglück. Die Wolle, die sie am Nachmittag abholte und gleich bezahlte, hatte sich für ihre Zwecke, obgleich sie in dem Geschäft ausdrücklich erklärt hatte, wofür sie sie verwenden wolle, als unbrauchbar erwiesen, denn es sei lediglich dicke Stickwolle gewesen, aber keine Strickwolle, und die Strickerin hatte erklärt, mit der nichts anfangen zu können. Vergebens hatte Lili versucht, das Geschäft zu bewegen, die Wolle zurückzunehmen oder gegen andere umzutauschen, aber das erstere zu tun hatte die Firma sich geweigert, da die Ware fest gekauft und bezahlt sei, und zu einem Umtausch war das Geschäft nicht in der Lage gewesen, da es keine andere Wolle habe.
Die verausgabten dreihundertundachtzig Mark waren also einfach zum Fenster hinausgeworfen, dafür hatte die hübsche Lili glücklicherweise bald darauf in einem anderen Geschäft. in das die Strickerin sie führte, wundervolle schöne dicke warme Strickwolle gefunden, die natürlich etwas teurer war, als die dünne Stickwolle, aber auch keineswegs zu teuer, denn sie würde nur etwa siebenhundertfünfzig Mark kosten. Der genaue Preis hinge noch davon ab, für welche Farbe sie sich entschiede. Rot und blau war leider bereits ausverkauft, aber weiß und gelb wären noch zu haben, und ich möchte ihr raten, wofür sie sich entscheiden solle. Weiß oder gelb?
„Grün,” entschied ich. Und als sie mich ganz verwundert fragte, wie ich denn darauf käme, erklärte ich ihr: „Wenn ein weibliches Wesen zwischen zwei Farben schwankt, entscheidet sie sich immer für eine dritte. Und das ist auch sehr gut, denn wenn du dir zum Beispiel weiße Wolle kauftest, würdest du dir später hundertmal sagen, ach, hätte ich doch lieber gelb genommen, und umgekehrt. Und um dir das später zu ersparen, rate ich dir gleich, entscheide dich für grün.”
„Nie und nimmer, entweder weiß oder gelb,” gb Lili auf das bestimmteste zurück, und dann entschied sie sich am nächsten Tag definitiv für lila, da die Verkäuferin ganz zufällig auch noch von der Farbe genügend Vorrat gefunden hatte.
Also lila! Das war ja auch sehr hübsch, und Lili war glücklich, schon weil die Strickerin ihr erneut geschworen hatte, den Sweater ganz bestimmt innerhalb von fünf Tagen fertigzustellen.
Aber er wurde natürlich nicht fertig. Etwas kommt in solchen Fällen immer dazwischen, und in diesem Falle war es eine ganz plötzliche Erkrankung, die es der Strickerin unmöglich machte, ihr Versprechen zu halten.
Die hübsche Lili weinte sich beinahe ihre kugelrunden Augen aus dem Kopf, denn zum Ueberfluß fing das Barometer auch noch an zu fallen, so daß es mit der Eisbahn, wenn auch nur vorübergehend, bald wieder vorbei sein würde und außerdem bestanden Lilis Eltern in Berlin auf ihrer Rückkehr, denn die wollten und wollten es nicht einsehen, daß sie ohne den Sweater doch nicht abreisen könne. Und ohne Lokomotive und ohne Wagen hätte sie ja zur Not reisen können, aber ohne den fertigen Sweater? Unmöglich. Den brauchte sie zu notwendig, das wußte nur sie.
Dann aber mußte sie eines Tages doch ohne den fahren, und statt des Sweaters nahm sie nur das große Paket Wolle mit, um es in Berlin stricken zu lassen, nachdem ich ihr versprochen hatte, selbstverständlich auch die Arbeit zu bezahlen.
„Hoffentlich kann ich dir schon in einigen Tagen die Rechnung schicken,” war Lilis unter Abschiedstränen beinahe erstickendes letztes Wort. Aber anstatt der Rechnung kam wirklich schon nach ein paar Tagen ein Brief.
Sie habe es sich während der langen Eisenbahnfahrt hin und her überlegt, und da wäre es ihr klar geworden, ein Sweater sei doch eigentlich ein Unsinn. Wäre es bisher auf der Eisbahn ohne den gegangen, ginge es auch in Zukunft ohne ihn und ich müßte doch bedenken, daß sie sich gar keinen Sweater gewünscht, sondern daß ich ihr einen angeboten habe. Nur um mir meine Freude an dem Schenken nicht zu verderben, hätte sie sich so gestellt, als freue auch sie sich. In Wirklichkeit aber habe ihr von Anfang an nichts an dem gelegen, und auch die Götter schienen einen Sweater für sie als völlig überflüssig zu betrachten, denn sonst wäre der ihrige sicher schon längst fertig, oder sonst hätte sie in Berlin doch wohl schon eine Frau gefunden, die solche Arbeiten mache. Bisher aber sei es ihr noch nicht gelungen, eine derartige Adresse ausfindig zu machen, auch gestern nicht, als sie deshalb wieder stundenlang unterwegs gewesen sei. Aber da habe sie anstatt der Strickerin etwas anderes geunden, in einem Geschäft, in dem sie bekannt sei, einen geradezu bildschönen und namentlich wundervoll warmen Flauschmantel, den sie herrlich gebrauchen könne, wenn sie sich auf der Eisbahn, noch dazu ohne Sweater, warm gelaufen habe und dann gleich nach Hause gehen oder gar in der kalten Elektrischen fahren müsse. Ich selbst müsse einsehen, es sei viel praktischer, daß sie nach dem Laufen als während des Laufens warm angezogen sei, denn während des Laufens selbst erkälte man sich doch eigentlich nie, sondern immer erst hinterher, und darum und deshalb — und außerdem sei der Mantel wirklich spottbillig, er koste nur zweitausendfünfhundert Mark, und wenn ich sie nur ein ganz klein wenig lieb hätte, dann solle und müsse ich ihr statt des versprochenen Sweaters, den ich ihr immer noch schuldig sei, bitte, bitte, bitte, den schönen Mantel schenken, den sie sich bereits gekauft habe, den sie auch schon trage und für den spätestens morgen der Betrag von mir gegen Postnachnahme einkassiert werden würde.
Da nahm ich mir ein Blatt Papier zur Hand und rechnete mir auf dem aus, daß mich Lilis Sweater alles in allem dreitausendsechshundertunddreißig Mark kostete, und das war eigentlich viel Geld, ganz besonders, wenn man sich klar machte, daß sie nicht einmal einen Sweater bekommen hatte.