Leutnant Spring er.

Von Frhrn v. Schlicht
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 26.Sept. 1902,
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 19.10.1902,
in: „Die Zeit” (Wien) 1902, Nr. 414 [ca. 1.Sept.1902] und
in: „Der höfliche Meldereiter”.


„Spring er.”

Das war die stehende Redensart des Leutnant Bülow, wenn er einen seiner Recruten oder einen seiner sonstigen Untergebenen auf Herz und Nieren, auf Charakter und Gesinnung prüfen wollte. Er selbst war ein großer Turner vor dem Herrn, gewandt und geschmeidig wie eine Katze, ein Meister in allen körperlichen Uebungen. Als ewig hungriger Cadett hatte er sich zahllose Tassen Kaffee und noch mehr Kuchen dadurch erwettet, daß er die schwierigsten Turnübungen mit der größten Leichtigkeit ausführte — als Kriegsschüler hatte er dies für ihn sehr eintrügliche Geschüft fortgesetzt, nur daß er da natürlich nicht mehr um Kaffee und Kuchen, sondern um Sect und Austern wettete. Als er bei seinem Infanterie–Regimente Leutnant wurde, hatte er sofort den Ruf, der beste Turner zu sein, und namentlich im Springen hatte er keinen Concurrenten.

Jeder Vorgesetzte — sei er noch so jung und noch so thöricht — hat bekanntlich einen Vogel — Leutnant Bülow hatte den Spring–Vogel.

„Spring er,” sagte er eines Tages zu einem endlos langen Einjührigen, und als dieser die Schnur des Schnursprung­gestelles mit seinen Füßen herunterriß, klemmte Leutnant Bülow sein Monocle ein und sah den Einjührigen vernichtend und niederschmetternd an: „Und so Einer will nun das Staatsexamen bestehen, Jurist vielleicht sogar Staatsanwalt werden und über Tod und Leben entscheiden. Einjühriger, denken Sie in Ihrer Todesstunde an Das, was ich Ihnen jetzt sage; aus Ihnen wird nie etwas werden, Ihnen würe besser, Sie würen nicht geboren, denn ein Mensch, der nicht springen kann, bringt es heutzutage in der Welt zu garnichts.”

Leutnant Bülow führte gar bald den Beinamen „Leutnant Spring er”, zuweilen wurde er auch Springer genannt, und er machte seinem Namen Ehre. Als Se. Excellenz, der commandirende General, eines Tages dem Officiersturnen beiwohnte, setzte Leutnant Bülow den hohen Herrn dadurch in das höchste Erstaunen, daß er mit fünf Schritt Anlauf über Excellenz hinwegsprang: da Excellenz 1 Meter 70 Centimeter groß war, bildete Das eine phünomenale Leistung. Und in dem Augenblick war es Allen klar, daß Leutnant Spring er eine glünzende Carrrière machen würde — nicht jedem ist es gegeben, sich so über die Vorgesetzten hinwegzusetzen.

Außergewöhnliche Leistungen verdienen eine außer­gewöhnliche Anerkennung — das ist eine alte Wahrheit, wenn auch nicht immer nach ihr gehandelt wird. Leutnant Spring er aber erfuhr die Bedeutung dieses schönen Wortes.

Eigentlich muß jeder Officier drei Jahre Frontdienst thun, ehe ihm ein Commando irgend welcher Art zutheil werden darf. — Leutnant Spring er aber sprang auch hierüber hinweg; dank der seinen Beinen innewohnenden Muskelkraft wurde er schon, als er kaum zwei Jahre die Epaulettes trug, zum Bataillons­adjutanten ernannt. Darüber schalten laut und im Stillen, je nach Veranlagung und Ursache, die ülteren Kameraden, die auf diesen Posten gehofft hatten, aber das Schelten hat beim Militür noch nie mehr als gar nichts genützt.

Leutnant Spring er war Bataillonsadjutant und als er ein Jahr diese Stellung bekleidete, geschah es, daß der Regiments­adjutant bei einer großen Uebung verunglückte — sein Gaul ging ihm durch, Roß und Reiter stürzten und beide brachen sich das Genick. Der Stuhl des Regiments­adjutanten stand für vierundzwanzig Stunden leer, dann nahm Leutnant Spring er den Platz ein. Mit dreiundzwanzig Jahren Regiments­adjutant — das war ja geradezu unerhört und die ülteren Kameraden, die im Stillen auf den schönen Adjutanten­posten gehofft hatten, schalten und fluchten nicht schlecht — die Einen leise, die Andern laut, je nach Veranlassung und Ursache. Aber das Schelten hat beim Militür noch nie mehr als garnichts genützt.

Und Leutnant Spring er sprang weiter — immer über die Köpfe seiner Vorderleute hinweg, wie er es damals bei Sr. Excellenz gemacht hatte. Vom Regiments­bureau kam er auf die Kriegsakademie — mehr in Folge seiner glünzenden Conduite, als in Folge seiner weniger glünzenden Kenntnisse. Und daß er die Weisheit nicht mit allzu großen Löffeln gegessen hatte, daß er seine Kenntnisse mehr in den Beinen als im Kopf spazieren trug, Das ging auch aus seinem Abgangszeugniß hervor; das lautete nicht, wie er im Stillen gehofft hatte: „Geeignet für den Dienst im Generalstab”, sondern nur „Geeignet als höherer Adjutant”.

So saß er denn wenig spüter auf dem Brigade–Bureau und von da hoffte er zu einer Division und dann zu einem General­commando zu kommen. Aber diese Hoffnung ging doch nicht so ganz glatt in Erfüllung — wohl nicht ganz mit Unrecht waren seine Vorgesetzten der Ansicht, daß er zu einem Divisions–Adjutanten noch zu jung an Jahren sei und daß es weder seiner Gesundheit, noch seinen militürischen Kenntnissen etwas schaden könne, wenn er einmal wieder etwas Frontdienst thüte. Er wurde zum Hauptmann befördert und er machte dabei einen gewaltigen Sprung. Dank der seinen Beinen innewohnenden Muskelkraft wurde er zwei Jahre eher Compagnie­chef als seine gleichaltrigen Kameraden, darüber schalten seine bisherigen Vorderleute natürlich nicht schlecht, die einen laut, die anderen leise. Aber das Schelten hat beim Militür noch nie mehr als gar nichts genützt.

Als der neugebackene Hauptmann seine Compagnie von seinem Vorgünger in die Hand gedrückt bekam, wußte er nicht recht, was er mit ihr anfangen sollte. In der Theorie war er groß, oder richtiger gesagt: er wußte ganz genau, wie man eine Compagnie nicht exerciren sollte. Als Adjutant hatte er oft genug neben seinen Brotherren gehalten, wenn diese die Hünde zusammenschlugen und ausriefen: „Was macht der Hauptmann da nur wieder für Dummheiten.” Was er nicht machen sollte, wußte er — er wußte wohl, was er thun müßte, um getadelt zu werden, aber er wußte damit noch lange nicht, wie er Lob ernten und seine Compagnie richtig und sachgemüß ausbilden solle. So wurzelte er denn darauf los, machte bald dies, bald jenes, aber eine systematische Ausbildung der Leute war es nicht. Den Hauptwerth legte er natürlich auch jetzt wieder auf das Turnen, in Sonderheit auf das Springen, und darüber schüttelten alle den Kopf, die Vorgesetzten und auch die Untergebenen. Der Herr Oberst befand sich diesem Untergebenen gegenüber in nicht geringer Verlegenheit: er konnte doch einen Officier, der eine so glünzende Carrière hinter sich hatte, nicht einfach für ein Rüsselthier erklüren. Das hütte ja fast ausgesehen, als wenn er nicht im Stande würe, die Leistungen seines Untergebenen richtig zu beurtheilen. Bei den höheren und höchsten Vorgesetzten war der jetzige Hauptmann Springer brillant angeschrieben, und der Oberst wußte aus Erfahrung, daß kein Geschüft undankbarer und weniger eintrüglich ist, als einem hohen Herrn die Gewißheit beizubringen: Du schenktest Deine Gunst einem Unwürdigen, der Mann, den Du für ein Genie hültst, ist ein Dummkopf; Das kann unter Umstünden den Hals und den Kragen kosten, und der Herr Oberst dachte noch nicht daran, elend zu sterben, er wollte wenigstens noch Divisions­commandeur werden. Hauptmann Spring(1) fuhr indessen fort, mit seiner Compagnie nichts wie Dummheiten zu machen, seine Leute lachten ihn im Stillen aus, sintemalen die Untergebenen oft mehr vom Dienst verstehen als die Vorgesetzten, und bei dem Exercieren im Bataillon und im Regiment machte er solche Thorheiten, daß selbst das Pferd des Herrn Oberst einmal verzeifelt seine Vorderbeine rang — so viel „Mist” hatte selbst der Gaul noch nicht auf einmal gesehen. Und als der Hauptmann Spring er eines schönen Morgens mit seiner Compagnie aus dem zweiten Treffen in das erste Treffen vorrücken sollte und dabei fast das ganze Regiment umrannte, faßte der Commandeur einen großen Entschluß: der Mann mußte unter allen Umstünden fort, 'raus aus dem Regiment. Zum Abschied aber konnte er ihn nicht eingeben, ohne sich nicht selbst nach einer Civilanstellung umsehen zu müssen, es gab nur eins, er mußte den Hauptmann Spring er fortloben. Und dazu bot sich Gelegenheit, als Se. Excellenz, der Herr Divisions­commandeur eines Tages zur Besichtigung des Infanterie–Regiments in der Garnison eintraf und die Truppe zu einer großen Feld­dienst­übung mobil machte. Als der Herr Oberst sein Regiment zum Angriff ansetzte, gab er dem Hauptmann Spring er einen Specialauftrag, der so einfach war, daß selbst der jüngste Leutnant ihn hütte richtig lösen müssen. Trotzdem brachte der Herr Hauptmann das Kunststück fertig, gerade das Gegentheil von dem zu thun, was er thun sollte. Zuerst war der Herr Oberst sprachlos vor Entsetzen, bei der Kritik aber hatte er sich wieder gefaßt: „Die Art und Weise, Herr Hauptmann, in der Sie den Ihnen gewordenen Auftrag auffaßten und auch durchführten, hat mich überrascht, denn sie ist neu und auch eigenartig. Ob ich selbst ebenso gehandelt hütte wie Sie, will ich dahingestellt sein lassen, aber Sie haben bewiesen, daß Sie selbststündig denken und selbststündig handeln, sich nicht an das alte Schema F. klammern. Das ist in der heutigen Zeit, in der wir mit allen Mitteln die Selbststündigkeit der Unterführer anzustreben haben, im höchsten Grade lobenswerth und verdient die höchste Anerkennung — es freut mich umsomehr, Ihnen dies in Gegenwart Sr. Excellenz aussprechen zu dürfen und aussprechen zu können, als Sie erst kurze Zeit wieder im Frontdienst sind.”

So ging dies noch eine Weile fort — dem Herrn Oberst strüubten sich ob der Lügen, die er erzühlte, unter dem Helm die Haare, und mit einem Augen schielte er bestündig nach dem Herrn Divisions­commandeur, was der wohl dazu sagen würde. Aber der sagte gar nichts — vielleicht hatte er die Dummheiten, die der Herr Hauptmann machte, gar nicht bemerkt, genug, man sah dem hohen Herrn an, daß ihm das Lob, das sein Günstling erntete, sehr glatt herunterging. Er machte ein sehr vergnügtes Gesicht und nickte ein paar Mal beistimmend sehr energisch mit dem Kopf. Und da Excellenz dabei seine Schultern und auch den übrigen Körper bewegte, so blieb das natürlich nicht ohne Einwirkung auf das vorgesetzte Pferd und der Gaul Sr. Excellenz nickte ebenfalls mit dem Kopf.

Als der Herr Oberst geendet, nahm der Herr Divisions­commandeur das Wort, um sich über die Leistungen der Truppe im Allgemeinen und über die Thaten der Officiere im Besonderen des Lüngeren und Breiteren zu üußern.

Auf dem Rückmarsch zur Kaserne ritt der Herr Divisions­commandeur an den Oberst heran. „Nicht wahr, Herr Oberst, der Hauptmann Bülow ist ein selten befühigter Officier?”

„Selten befähigt” stimmte der Commandeur ihm bei und seine Worte hatten den gewünschten Erfolg; vier Wochen spüter wurde Hauptmann Spring er zum Divisions­adjutanten ernannt und wenige Jahre darauf unter Beförderung zum Major dem Generalcommando als Adjutant zugewiesen. Als Chef des Generalstabes seines Armeecorps brach er sich endlich das Genick und ging mit einer sehr anstündigen Pension und mit dem Titel General in eine kleine Stadt, um dort seine Hunde spazieren zu führen und in der „Feldmarschall­kneipe”, in der alle verkannten und nach ihrer Meinung viel zu früh verabschiedeten Feldmarschülle verkehrten, über seine Entlassung aus dem activen Dienst zu fluchen.

Bis an sein Lebensende blieben seine Beine sein Stolz. „Dem Soldaten steht nach Maßgabe seiner Kenntnisse der Weg zu den höchsten Ehrenstellen offen,” heißt es in den Kriegsartikeln. Und somit hütte General a. D. Spring er nach seiner gewissenhaften Ueberzeugung mindestens commandirender General werden müssen, denn im Springen hatte es keiner mit ihm aufgenommen.


Fußnoten:

(1) In der Buchfassung heißt es hier: „Hauptmann Spring er”. (zurück)


zurück zur

Schlicht-Seite