Die Spezialreserve.

Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Sie will nicht heiraten”


Es war der Tag der Brigademanöver; Seine Exzellenz, der Herr Divisions­kommandeur war eingetroffen, und die beiden ihm unterstellten Generale sollten von heute ab nicht nur um die Stellung im Gelände, sondern auch vor allen Dingen um ihre Existenz kämpfen, denn nach einem alten Wort sind die Manöver nicht dazu da, um zu zeigen, was die Leute können, sondern um an den Tag zu bringen, was die Vorgesetzten nicht können.

So schlafen im Manöver die Untergebenen denn auch viel besser als die Vorgesetzten, obgleich die einen auf dem Strohlager, die andern aber in weichen Betten unter seidenen Decken ruhen.

Und der General der Nordpartei hatte heute nacht so gut wie gar nicht geschlafen, er hatte einen entsetzlichen Traum gehabt. Eine Kompagnie, die von einem Oberleutnant der Reserve geführt wurde, hatte solche Torheiten gemacht, daß er deswegen bei der Kritik entsetzliche Grobheiten zu hören bekam.

Er erwachte in Schweiß gebadet, Gott sei Dank, es war nur ein Traum gewesen, aber der Schrecken lähmte ihm wirklich alle Glieder, als sich wenige Stunden später auf dem Rendezvousplatze herausstellte, daß der Hauptmann der zwölften Kompagnie des einen ihm unterstellten Infanterie­regiments krank geworden war und daß an seiner Stelle laut Regiments­befehl der älteste Offizier der Kompagnie, ein Oberleutnant der Reserve, die Führung übernommen habe.

„Passen Sie auf, das ist mein Tod,” wandte er sich an seinen Adjutanten, dem er von seinem Traum erzählt hatte; aber der widersprach. „Der Mann kann uns nicht gefährlich werden, außerdem gibt es doch ein sehr einfaches Mittel, um alle Gefahr abzuwenden, wir stellen den Mann einfach kalt, nehmen ihn als Spezialreserve, behalten ihn für alle Fälle zu unserer Verfügung und geben ihm dann einfach nichts zu tun. Dann kann er doch auch keine Dummheiten machen.”

Der General atmete erleichtert auf, den guten Rat wollte er befolgen, und als er bald darauf seine Offiziere um sich versammelte, um ihnen den Tagesbefehl mitzuteilen, schloß er seine Rede mit den Worten: „Zu meiner persönlichen Verfügung halte ich mir die zwölfte Kompagnie zurück, die heute von dem Oberleutnant der Reserve geführt wird, und zwar wähle ich gerade diese, weil ich dem Herrn Leutnant Gelegenheit geben möchte, zu zeigen, was er kann. Das wird ihm bei der Lösung eines Spezialauftrages leichter möglich sein, als wenn er im großen Verband mitwirkt.”

„Gott sei Dank,” sagte der General, „den Mann hätten wir beseitigt, der kann auf seinen Auftrag ewig und drei Jahre warten. Das wird ihm auch weiter nicht unangenehm sein, denn er sieht nicht gerade danach aus, als ob er ein militärisches Genie wäre.”

Und wirklich machte der Herr Oberleutnant der Reserve in diesem Augenblick keinen allzu vertrauen­erweckenden Eindruck, deutlich sprachen aus seinen Augen und seinen Zügen die Angst und Unruhe. Es war das erstemal, daß er eine Kompagnie führte, und daß man ihm da gleich einen Spezialauftrag gab, war ja sehr schmeichelhaft für ihn und bewies deutlich das Vertrauen, das die Vorgesetzten in seine Kenntnisse setzten, aber trotzdem wäre es ihm lieber gewesen, der Herr General hätte sich für ihn einen anderen herausgesucht.

Der General hatte den Auftrag, mit seiner Brigade einen ihm genau bestimmten Gelände­Und während sie wartete und wartete, tobte da vorne der Kampf. Der General betrachtete die Bewegung desabschnitt zu erreichen und diesen gegen einen etwaigen Angriff des Feindes zu verteidigen. So trat die Truppe gleich an, und kaum hatte man das Marschziel erreicht, da wurde die Spezialreserve von dem Brigade­adjutanten hinter eine Waldparzelle geführt, in der sie kein Mensch, selbst nicht das scharfe Auge Seiner Exzellenz zu entdecken vermochte, und dort sollte sie warten, bis ihre Stunde geschlagen hätte.

Und während sie wartete und wartete, tobte da vorne der Kampf. Der General betrachtete die Bewegung des Feindes, und allzu Erfreuliches sah er nicht, der Gegner war ihm bedeutend überlegen und lange würde es nicht mehr dauern, dann mußte er seine Stellung räumen.

Zum Überfluß erschien auch noch Seine Exzellenz: „Nun, Herr General, wie ist Ihnen?” fragte er.

Dem war gar nicht gut, trotzdem oder gerade deshalb sagte er: „Ganz ausgezeichnet, Exzellenz.”

„Na, das freut mich, hoffentlich bleibt es auch so,” meinte der hohe Herr leutselig, aber trotzdem war der General glücklich, als Exzellenz davonritt.

Aber schon nach einer Viertelstunde hielt zwar nicht Exzellenz selbst, wohl aber dessen Adjutant plötzlich neben dem General: „Seine Exzellenz hat da hinten bei der Waldparzelle eine Kompagnie entdeckt und läßt fragen, warum die nicht in das Gefecht eingreift?”

Dem General trat der Angstschweiß auf die Stirn, denn die Wahrheit durfte er nie gestehen, wenn er sich nicht selbst sein eigenes Grab graben wollte. So sagte er denn: „Ich halte die Kompagnie für alle Fälle bereit, sie wird später weiteren Befehl erhalten.”

„Und worin werden diese weiteren Befehle bestehen?” erkundigte sich der Adjutant weiter.

„Das wird die Zukunft und der Verlauf des Gefechtes später zeigen, jetzt weiß ich's auch noch nicht.”

Aber auch damit war der Adjutant nicht zufrieden: „Exzellenz weiß es auch nicht, möchte es aber sehr gerne wissen.”

Der General sah ein, er mußte irgendeine Antwort finden, aber ihm fiel absolut nichts ein.

Da kam ihm sein Adjutant zu Hilfe, der warf dem anderen Adjutanten einen Blick zu, der da deutlich sagte: „Menschenskind, merken Sie denn nicht, daß wir den wahren Grund nicht verraten können?”

Adjutanten verstehen sich immer, so sagte der andere denn plötzlich: „Ach so, nun verstehe ich, also aus dem Grunde —”

Der General hatte keine Ahnung, worauf sich das bezog, trotzdem sagte er jetzt: „Na gewiß, natürlich nur aus dem Grunde, oder haben Sie etwas anderes geglaubt? Ich bin sicher, daß Sie Seine Exzellenz davon überzeugen werden, daß meine Anordnung durchaus richtig und durch die Gefechtslage geboten ist.”

Wieder warf der Brigadeadjutant seinem Kameraden einen flehenden Blick zu, und in dem stand geschrieben: „Bring mir meinen General nicht um, lüge in seinem Interesse, wir Adjutanten lügen ja so viel, daß es auf einmal mehr oder weniger nicht ankommt.”

Und die Augen des andern sagten: „Was ich tun kann, soll geschehen.”

Gleich darauf nahm der Verlauf der Gefechtes die ganze Aufmerksamkeit des Generals in Anspruch, der Gegner setzte seinen Angriff erneut weiter fort, machte dann aber plötzlich einen groben Fehler, und als spät am Mittag das Signal „Halt” geblasen wurde, war der Angriff abgeschlagen, der General war Sieger geblieben.

Er strahlte vor Vergnügen über das ganze Gesicht und ritt so froh zur Kritik wie noch nie. Dort würde er Lob zu hören bekommen, und er hörte es:

„Zunächst die Hauptsache, Herr General. Mein Adjutant brachte mir die Meldung, Sie hätten die Kompagnie dort hinten im Walde zurückbehalten, um für den Fall, daß Sie die Stellung räumen müßten, gleich eine ganz frische Kompagnie zur Hand zu haben, die dem nachdrängenden Gegner Widerstand entgegensetzen könnte. Das zeigt mir klar und deutlich, daß Sie auf alle Eventualitäten gefaßt waren und für jeden etwa vorkommenden Fall Ihre Dispositionen getroffen hatten. Ich kann nur sagen, diese Anordnung findet ganz meinen Beifall, und ich möchte Ihnen meine ganz besondere Anerkennung darüber aussprechen.”

Der Herr General blickte bei den Worten Seiner Exzellenz zuerst ganz überrascht auf, die Absicht, die ihm da unterschoben wurde, war ihm ganz neu und ganz fremd, aber je länger er jetzt darüber nachdachte, desto mehr kam er zu der Überzeugung, daß er wirklich nur aus dem ihm genannten Grunde die Spezialreserve ausgeschieden hätte.

Und mit vollem Recht war er stolz darauf, daß Seine Exzellenz seine Anordnungen nicht nur lobte, sondern, daß er sie so klar und deutlich getroffen hatte, daß der Adjutant Seiner Exzellenz sie erraten hatte, ohne erst weiter danach zu fragen . . . .


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