Leutnant Müller VII.

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Richtung, Fühlung, Vordermann!” und
in: „An die Gewehre”


Das Infanterieregiment Dingsda führte nicht nur in der Brigade, sondern auch in der Division und im ganzen Armeekorps den Beinamen das „Müllerregiment” und zwar deshalb, weil sich im Offizierkorps sechs Leutnants Müller befanden, die den bestehenden Bestimmungen gemäß den Zusatz I, II, III usw. bis Leutnant Müller VI erhielten.

Kein Mensch wußte, ob es Zufall oder Absicht war, daß das Regiment mit so vielen Müllern gesegnet wurde, man gab sich auch gar nicht die Mühe, viel darüber nachzudenken, sondern erklärte die Sache einfach für 'ne Gemeinheit. Es war und blieb einfach 'ne Gemeinheit, ein Offizierkorps, in dem das blaue Blut nur sehr wenig vertreten war, und das nur ganz vereinzelte Adlige aufwies, nicht nur in der Provinz, sondern gewissermaßen im ganzen Lande, dadurch zu verhonepipeln, daß man es derartig „bemüllerte”.

Wenn die sechs Müller noch wenigstens sechs Grafen desselben Namens gewesen wären, das hätte man schließlich noch ruhig hingenommen, denn Graf Bismarck VI. klingt doch noch gar nicht so schlecht, aber Müller VI.?

Von diesem „Gemüllere” konnte dem stärksten Magen ganz schwach werden.

Auch in dienstlicher Hinsicht waren diese sechs Müller sehr unpraktisch. In erster Linie natürlich für die sechs Müller selbst, denn wenn bei dem Regiments­exerzieren oder einer anderen nie fehlenden Gelegenheit der Oberst einem Müller grob werden wollte und es demgemäß auch wurde (so etwas braucht sich ein Vorgesetzter erst garnicht vorzunehmen), dann erwischte er unter zehn Malen sieben Mal den Falschen und anstatt des Leutnant Müller IV bekam Leutnant Müller II einen hereingewürgt und das konnte man dem Vorgesetzten nicht einmal so übelnehmen, denn wer konnte sich immer im Augenblick so schnell darauf besinnen, ob dieser Müller nun der Vierte, der Dritte oder sonst einer war.

Wenn es nur ein Müller war!

Und auch für die anderen war diese „Müllerei” dienstlich zuweilen sehr unangenehm, denn um nicht nur den Müllers etwas auf den Hut zu geben und um dadurch nicht in den Verdacht zu kommen, ungerecht zu sein und beständig auf den „Müllers herumzureiten”, bekamen die Nicht-Müllers sehr oft einen Anschnauzer, der eigentlich einem Müller galt.

Und auch, wenn es darauf ankam, einen Offizier für einen besonders schwierigen oder ganz besonders langweiligen Dienst zu bestimmen, fiel die Wahl meistens auf einen Nicht-Müller, damit es nicht hieß, die Vorgesetzten chikanierten die Müller und packten ihnen alles Unangenehme auf.

So hatten die Müllers darunter zu leiden, Müller zu heißen, und die Nicht-Müllers litten darunter, daß sie keine Müller waren.

Es waren zuweilen wirklich unhaltbare Zustände und alle Welt hoffte, daß das Militärkabinett das eines Tages auf Grund seiner hohen Weisheit auch einsähe, und ihm dadurch ein Ende machen würde, daß es von den sechs Müllern wenigstens fünfe(1) in ein anderes Regiment versetzte.

Aber das Militärkabinett dachte nicht daran, das einzusehen, nicht, weil es nicht weise sondern weil ihm diese Müllerei ganz gleichgültig war und daß es ihm sogar noch gleichgültiger war, bewies es dadurch, daß es eines Tages noch einen Müller, den siebenten, in das Regiment hineinversetzte.

Als es in dem Offizierkorps bekannt wurde, daß noch ein Müller käme, packte alle die Verzweiflung und diese Verzweiflung bot ihnen eine willkommene Gelegenheit, sich ganz gehörig im Kasino zu betrinken, um ihren Ärger hinunterzuspülen. Aber je mehr sie spülten, je mehr ärgerten sie sich und als sie endlich trotz des besten Willens nicht mehr spülen konnten, da ärgerten sie sich erst recht.

Drei Tage später kam der neue Müller an. Mit offenen Armen wurde er gerade nicht empfangen, aber die Antipathie, die man ihm entgegenbrachte, legte sich doch etwas, als man erfuhr, daß er sich nicht Müller, sondern Mueller schrieb.

Das war wenigstens ein kleiner Unterschied und so wurde denn sofort auf dem Regimentsbüro beschlossen, den neuen Leutnant nicht Müller, erst recht aber nicht Müller VII, sondern „Mühler” zu nennen, denn wie der Herr Oberst sehr richtig bemerkte ist ü ein ü, ein ue aber ist nicht ü, sondern ue.

Aber als am nächsten Morgen der Kommandeur den Herrn Leutnant „Mühler” vor die Front rief, kam dieser nicht und auf den zweiten Ruf kam er auch nicht. Aber er sollte kommen, der Oberst wollte es, aber „Müller VII” rufen wollte er nicht, das hatte er sich fest vorgenommen und so rief er denn plötzlich: „Herr Leutnant Mu-eller”.

Aber nun kam der Leutnant Mueller erst recht nicht.

Da sah der Oberst ein, wenigstens für heute blieb ihm nichts anderes übrig, als „Herr Leutnant Müller” zu rufen, das tat er denn auch, aber nun kam der Gerufene auch nicht, denn er hieß nicht „Müller”, sondern „Müller VII”.

Aber „Müller VII” wollte der Oberst nicht sagen und so blieb ihm nur eins. Er rief „Die Herren Leutnants Müller” und gleich darauf standen alle sieben vor ihm.

Und dann wurde er allen sieben schon deshalb grob, weil es sieben waren und dann wurde er jedem einzelnen noch im besonderen grob, mit Nummer I fing er an, mit Nummer VII hörte er auf und dem wurde er am allergröbsten, weil der nicht gleich gekommen war, als er gerufen wurde.

Dann aber erhielt der Regimentsadjutant den Auftrag, am Nachmittag einmal kameradschaftlich mit dem neuen Leutnant Mueller zu sprechen und den dahin zu bringen, daß er auf den Namen „Mühler” höre.

Am Nachmittag nahm sich der Adjutant den neuen Kameraden bei verschiedenen Sektflaschen vor und redete auf ihn ein: „Sehen Sie mal, lieber Freund, der Name Müller ist gewiß sehr schön, aber trotzdem sind sechs Müller schon ohnehin reichlich genug, aber wenn wir nun auch mit dem zweiten halben Dutzend anfangen sollen und das Militärkabinett hat kein Einsehen, dann haben wir bald das Dutzend voll und das geht doch nicht. Unser Regiment hat im letzten Krieg mit großer Auszeichnung vor dem Feinde gekämpft und nun lauter Müller im Offizierkorps? Einfach unmöglich! Und ich meine, wenn Sie sich nun fortan „Mühler” nennen lassen, ist das keine Kränkung für Sie, sondern eine Art Standeserhöhung. Ich meine, „Müller” und „Mühler” ist ein Unterschied wie „Schulze” und „von Schulze”. Sie werden also durch die andere Aussprache Ihres Namens gewissermaßen in den erblichen Adelsstand erhoben und wenn es heutzutage unter Kameraden ja natürlich auch ganz gleichgültig ist, ob einer adlig ist, oder bürgerlich, so ist das natürlich doch trotz alledem ein verfluchter Unterschied. Das kann ich am besten beurteilen. Glauben Sie, daß ich Regiments­adjutant wäre, mit der absoluten Gewißheit später Brigadeadjutant zu werden, wenn ich nicht adlig wäre? Bei meiner Begabung? Ganz ausgeschlossen! Natürlich ist die Behauptung, daß der Adel protegiert wird, Unsinn, aber verdammt nützen tut ein anständiger Name doch. Ich sage Ihnen, wenn Sie „Müller” heißen, bringen Sie es nicht einmal zum Stabsoffizier, als „Mühler” können Sie sogar General werden und wenn Sie Glück haben, erhalten Sie dann sogar noch den wirklichen Adel. Also seien Sie verständig, tun Sie uns allen und dem Herrn Oberst speziell den Gefallen und lassen Sie sich „Mühler” nennen.”

Im Gegensatz zu dem Adjutanten, der vor und während seiner Rede sehr viel Sekt getrunken hatte, war der andere noch ganz nüchtern und so sagte er denn: „Ich habe nicht die geringste Veranlassung, meinen Namen, den alle meine Vorfahren in Ehren geführt und in Ehren gehalten haben, zu ändern und ich würde glauben, meine Eltern zu verleugnen, wenn ich mich fortan „Mühler” nennen ließe. Ich gebe meine Einwilligung nicht dazu und wenn man mich trotzdem so nennt, so werde ich mich über jeden, der das tut, beschweren, selbst über den Herrn Oberst.”

Dem Adjutanten fiel das Glas aus der Hand: „Mann, haben Sie 'ne Ahnung von unserem Oberst! Die Kenntnisse, die er besitzt, und die Grobheit! Der hat im vorigen Jahr mal einen Schreiber aus dem Büro angebrüllt, daß dem beide Trommelfelle gesprungen sind. Der Kerl lebt jetzt in seinem Heimatsdorf als Ganzinvalide mit 'ner Riesenpension — ich glaube, er kriegt so ungefähr zwanzig Mark im Monat. Aber taub ist der Kerl, sowas gibt es gar nicht wieder. Ich kann Ihnen sagen, der hört es auf Kaisers Geburtstag nicht mal, wenn ein Hoch auf S. M.(2) ausgebracht wird. Können Sie sich sowas von Taubheit vorstellen, daß man nicht mal ein Hoch auf S. M. hört? Damit der Kerl dann mitbrüllt und damit er weiß, was los ist, muß man ihn erst mit 'nem Knüppel auf den Schädel schlagen — so taub ist das Luder. Und da wollen Sie sich über unsern Obersten beschweren? Eine Beschwerde ist schon faul, wenn man Unrecht hat und nun erst, wenn man Recht hat. Lassen Sie sich lieber ein paar Zähne ausziehen, auch wenn sie ganz gesund sind, ich sage Ihnen, das tut lange nicht so weh, als wenn man bei einer Beschwerde Erfolg hat.”

Der Adjutant trank eine Flasche Sekt nach der andern, um den Kameraden umzustimmen, schließlich gab er es auf: „Wenn Sie denn nicht freiwillig mit unserem Vorschlag sich einverstanden erklären, dann müssen wir Sie eben zu Ihrem Glücke zwingen, denn nicht für uns, sondern auch für Sie wäre es ein Glück, wenn Sie diesen schauderhaften Namen Müller, der an und für sich natürlich ebenso schön ist wie Meier oder irgend ein anderer, los werden(3).”

Und der Herr Oberst, dem am nächsten Morgen der Fall vorgetragen wurde, war ganz derselben Ansicht: „Wir müssen ihn zwingen, in erster Linie natürlich seinetwegen, damit er Karriere macht, dann aber auch unseretwegen, denn es macht mir wirklich keinen Spaß, einem Offizierkorps vorzustehen, in dem jeder Dritte „Herr Müller” heißt.”

So ging denn ein Schreiben an die Brigade ab: „Ob es nicht möglich wäre, den Leutnant Mueller dienstlich zu veranlassen, sich „Mühler” zu nennen. Der neu in das Regiment versetzte Leutnant sei allem Anschein nach, obgleich man ja noch wenig Gelegenheit gehabt habe, seine Kenntnisse zu prüfen, ein selten befähigter Offizier, dem später der Name Müller sicher hinderlich sein werde und aus diesem und aus anderen Gründen, besonders, da man schon sechs Müllers habe und ganz besonders, weil im Offizierkorps Meinungs­verschiedenheiten darüber herrschten, ob Mueller wie „Müller” oder wie „Mühler” gesprochen würde, bäte das Regiment die Brigade geneigtest, die Entscheidung dahin treffen zu wollen, daß der Leutnant Mueller fortan Leutnant „Mühler” genannt werde.”

Da es sich um eine so wichtige Sache, wie eine Namensänderung handelte, war der Herr General, der das Schreiben zuerst erhielt, für die Beantwortung nicht kompetent — so schickte er den Brief an die Division und von da ging das Schreiben an das Generalkommando und von da ging es an das Militärkabinett, und von da ging es an das Archiv, das die Schreibweise der Namen für die bürgerlichen Offiziere bearbeitet und von da ging es an das Kriegsministerium, in die Abteilung für persönliche Angelegenheiten und von da ging das Schreiben zur nochmaligen Prüfung wieder an die untere Instanz zurück und nach erfolgter Prüfung ging es wieder an die obere Instanz hinauf und dann ging es, nachdem die Entscheidung getroffen war, auf dem Instanzenweg wieder an das Regiment zurück, allwo sie eintraf, nachdem inzwischen zweiundeinhalbes Jahr verstrichen war.

Und die Entscheidung der höchsten Instanz lautete dahin, daß Leutnant Mueller nicht „Mühler”, sondern „Müller” gesprochen würde — daß die höchste Instanz es aber allerhöchsten Ortes befürworten wolle, daß Leutnant Mueller sich fortan „Mühler” nennen und schreiben dürfe, wenn dieser ein derartiges Gesuch einreiche. Voraussetzung sei dabei natürlich, daß Leutnant Mueller nach wie vor ein so tüchtiger und befähigter Offizier sei, wie er in dem vor mehr als zwei Jahren eingereichten Gesuch geschildert wäre.

Die Antwort der höchsten Instanz war, bis sie zu dem Regiment zurückgelangte, auf den verschiedenen Büros natürlich zahllose Male abgeschrieben worden, damit jede Behörde ein Exemplar der Entscheidung zu den Akten legen konnte. Und da war bei dem Abschreiben irgendwo und igendwie ein Irrtum unterlaufen, den die anderen entweder garnicht bemerkten oder garnicht als Irrtum erkannt hatten und gegen den es in absehbarer Zeit auch keine Abhilfe gab, da die schriftliche Entscheidung trotz des Schreibfehlers die Unterschrift der höchsten Instanz trug.

Und auf Grund dieses Fehlers hieß Leutnant Mueller fortan nicht Leutnant „Mühler” und erst recht nicht Müller VII, sondern er führte einen Namen, den es bisher weder im Regiment noch in der ganzen Armee gegeben hatte, denn in der dem Regiment zugegangenen Antwort hieß es nicht: „Leutnant Mueller wird wie „Müller” gesprochen”, sondern es stand da klar und deutlich geschreiben: „Leutnant Mueller wird Leutnant „Wiemüller” gesprochen.”


Fußnoten:

(1) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier: „fünf”. (zurück)

(2) In der Fassung von „An die Gewehre” (1924!!) heißt es hier und im nächsten Satz anstatt: „ein Hoch auf S. M.” einfach nur: „ein Hoch”. (zurück)

(3) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier: „los würden”. (zurück)


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