Der sehnlichste Wunsch meiner Frau.

Humoristisch-satirische Plauderei von Freiherr von Schlicht
in: Frauen!


Meine Frau hatte einen Wunsch auf dem Herzen. Ob es eine Frau gibt, die einmal keinen Wunsch hat, weiß ich nicht, ich kenne keine solche Frau, aber meine Frau hatte einen Wunsch, sogar den sehnsüchtigsten ihres ganzen Lebens, natürlich aber bisherigen ganzen Lebens, denn ob in Zukunft nicht vielleicht ein anderer Wunsch nicht einmal doch noch sehnsüchtiger werden würde, das wußte meine Frau noch nicht, das blieb erst abzuwarten. Vorläufig war dieser Wunsch, den sie auf dem Herzen hatte, der sehnsüchtigste.

Eine Frau besteht überhaupt nur au sehnsüchtigsten Wünschen. Heute wünscht sie sich sehnsüchtigst, daß es nicht regnet, damit sie den neuen Hut mit der roten Pleureuse aufsetzen kann, morgen wünscht sie sich sehnsüchtigst, daß die Kinder von der Frau Justizrat keine Masern bekommen, weil die Frau Justizrat dann nicht mit ihr zusammen bei den lebenden Bildern mitwirken kann, und über,orgen wünscht sie sich sehnsüchtigst, daß es in Strömen regnet, damit das Gartenfest so verregnet, daß drinnen im Saal getanzt werden muß, denn sie tanzt nicht gern im Freien.

Jede Frau hat einen anderen sehnsüchtigsten Wunsch. Der meiner Frau bestand darin, sich in Öl malen zu lassen. Wie sie auf den Gedanken gekommen war, wußte sie ganz sicher selbst nicht, aber gerade deshalb behauptete sie, es doch zu wissen. Und so erklärte sie mir denn: „Wenn ich auch noch nie mit dir darüber gesprochen haben sollte, gesagt habe ich es dir sicher schon oft, daß es mein sehnsüchtigster Wunsch ist, mich einmal malen zu lassen. Du weißt, bei dem Photographen werden meine Bilder immer schlecht, denn ich habe nun einmal kein Photographiergesicht, aber mein Kopf eignet sich wundervoll dazu, porträtiert zu werden. Das haben mir schon viele Maler gesagt und ich habe mich schon oft malen lassen wollen — ganz früher schon, als ich noch gar nicht an dich dachte. Aber ich bin nie dazu gekommen, es fehlte mir immer an Zeit und dann die Hauptsache. wenn ich ja auch Geld habe, Geld hatte ich doch nie, deshalb habe ich es unterlassen, aber jetzt will ich mich wirklich malen lassen, denn nun habe ich Geld.”

Gewiß, meine Frau hat Geld, aber sie hat trotzdem nie Geld und so sah ich sie denn auf ihre letzten Worte hin ganz verwundert an: „Du hast Geld? Aber woher denn nur? ”

Und wenig später wußte ich, woher sie Geld hatte: ich sollte das Ölbild bezahlen. „Nicht wahr?” bat meine Frau, „du bezahlst das Bild, wenigstens vorläufig, ich gebe dir das Geld zurück, sobald ich irgend kann, spätestens in zwei Jahren. Ich habe es mir schon ausgerechnet, das kann ich sehr gut machen und wenn ich es trotzdem nichtmachen kann — nun, wenn ich einmal sterbe, erbst du ja doch alles und wenn ich dann tot bin und ich darf mich jetzt nicht malen lassen, dann machst du dir später die bittersten Vorwürfe, und sagst dir immer wieder: Ach, hätte ich ihr doch damals ihren sehnsüchtigsten Wunsch erfüllt, und nicht wahr, du erfüllst ihn mir?”

Auf Grund meiner langjährigen Erfahrungen bin ich zu der Erkenntnis gekommen, daß nichts falscher ist, als einer Frau einen Wunsch nicht zu erfüllen. Erfüllt man einen Wunsch nicht, dann muß man seiner Frau, weil man ihr den einen Wunsch abschlug, so viel andere Wünsche erfüllen, daß man viel billiger davon kommt, wenn man gleich „ja” und „Amen” sagt. So sagte ich denn ja und meine Frau war glücklich, nein, sie schwamm sogar derartig in einem Meer von Glückseligkeit, daß ich mich nur darüber wunderte, daß sie keinen Badeanzug anzog. Ach, sie war ja so glücklich und ganz bestimmt würde sie mir das Geld auch wiedergeben, allerdings in zwei Jahren ginge es doch wohl noch nicht, das hatte sie vorhin nur gesagt, aber in drei Jahren ganz sicher. Sie wollte mir einen Schuldschein ausstellen und wenn der in fünf Jahren noch nicht eingelöst war, dann sollte ich, obgleich wir keine Gütergemeinschaft haben, das Recht besitzen, mir das Geld auf ihrer Bank abzuholen. „Aber nicht wahr,” bat sie mit flehenden Augen, „das tust du mir nicht an? Und außerdem ist die Forderung nach fünf Jahren doch verjährt und ich lasse mich ja nur für dich malen.”

Und dann erfuhr ich auch das Nähere. Meine Frau hatte bereits mit einem bekannten Berliner Porträtmaler korrespondiert, der Preis des Bildes, der Beginn der Sitzungen, alles war schon verabredet, aber wenn es meiner Frau auch entsetzlich leid tat, nun 14 Tage von mir fortreisen zu müssen, meine Frau freute sich dennoch so schrecklich auf die Reise, daß sie es gar nicht sagen konnte. Ach, sie war ja über alles glücklich, aber als ich dann am Nachmittag von einem Spaziergang zurückkam, fand ich meine Frau, die zu Haus geblieben war, um die Reisevorbereitungen zu treffen, in Tränen aufgelöst auf einem ihrer sechs Koffer sitzen.

„Aber Kind, was hast du denn nur?” fragte ich ganz verwundert.

Und da kam es heraus, meine Frau wußte nicht, in welchem Kleid und in welchem Hut sie sich malen lassen solle. Allein konnte sie sich darüber nicht schlüssig werden und ich sollte ihr dabei helfen. Ich sollte für sie die Frage lösen: Was ziehe ich an?

Aber ich widersprach: „Liebling, das kann ich nicht. Es steht geschrieben, unser Leben währet 70 Jahre und wenn es hoch kommt, so sind es 80 Jahre. Mehr als die Hälfte der mir gegebenen Zeit habe ich bereits hinter mir und der Rest reicht nicht aus, um deine Frage zu beantworten. Wenn ich mich nicht sehr irre, hast du mir neulich erzählt, du hättest alles in allem 47 Kleider.”

„Nur 49,” widersprach meine Frau schluchzend, „aber von denen kommen doch höchstens 12 in Frage.”

„Schön,” stimmte ich meiner Frau bei, „aber außer diesen 12 Kleidern hast du, wenn ich mich recht bgesinne, alles in allem 32 Hüte.”

„Es sind doch nur 31,” widersprach meine Frau, „und von denen kommen höchstens 15 in Frage.”

„Das genügt ja schließlich auch noch,” meinte ich und dann fuhr ich fort: „Paß' mal auf, du hast 12 Kleider, die in Frage kommen, und 15 Hüte. Du kannst zu jedem Kleid einen anderen Hut tragen und zu jedem Hut ein anderes Kleid. Du hast also die Möglichkeit, dich nicht nur ein-, oder zweimal, sondern zwölfmal fünfzehnmal, im ganzen also einhundertundachtzigmal umzuziehen. Und nun wirst du mir glauben, wenn ich dir vorhin sagte: Der Rest meines Lebens reicht nicht aus, um dir bei diesen einhundertundachtzig verschiedenen Toiletten­möglichkeiten die Frage zu beantworten: was ziehe ich an?”

„Aber wenn du keinen Rat weißt,” schluchzte meine Frau, „ich allein weiß es doch auch nicht.”

Ich kann keinen Menschen weinen sehen, am allerwenigsten meine Frau, und ich zermarterte mir mein Gehirn, wie ich ihre Tränen trocknen könne, bis ich dann endlich sagte: „Weißt du, wir haben ja noch 48 Stunden Zeit, die wollen wir benutzen, um uns vielleicht doch irgendwie schlüssig zu werden, du ziehst jetzt der Reihe nach die 12 Kleider an, setzt zu jedem die 15 Hüte auf, dann finden wir vielleicht das Richtige.”

Wenn mir jemand zumuten sollte, einmal hintereinander 12 Anzüge anzuprobieren, würde ich den Mann totschlagen, aber Frauen denken über so etwas ja anders und so war meine Frau für die Idee sofort Feuer und Flamme. Im Nu waren die Tränen getrocknet und gleich darauf klingelte sie nach der Zofe.

Und schon 5 Minuten später begann das Anprobieren. Das erste Kleid wurde angezogen und dann kam der erste Hut, dann der zweite, dann der dritte und dann der vierte und dann sollte der fünfte kommen, aber statt dessen kam wieder der erste. Der zweite, dritte und vierte kamen für diese Toilette nicht in Frage, wohl aber der erste und der fünfte, nun galt es zu vergleichen, welcher besser paßte. Die Zofe war für den fünften, meine Frau war für den ersten und die beiden konnten sich nicht einig werden. Zehnmal wurde der erste Hut und ebenso auch der fünfte aufgesetzt und dann sollte ich die Entscheidung treffen. „Aber Kind,” bat ich, „probiere doch erst mal die anderen Hüte auf, dann können wir ja weiter sehen.”

Endlich drang ich mit diesem Vorschlag durch. Der erste und fünfte Hut wurden beiseite gelegt, dann kam endlich der sechste, dann der siebente und achte, aber als dann der neunte kommen sollte, kam wieder der fünfte. Nummer acht stand ausgezeichnet zu der Toilette, aber der fünfte paßte eigentlich doch besser. Schlecht hatte der erste auch nicht gestanden, eigentlich in mancher Hinsicht noch besser als der achte. Und von neuem wurde wieder der erste aufgesetzt und dann der fünfte und dann wieder der erste und dann der achte, bis meine Frau sich dann endlich definitiv für den achten entschloß, bis sie dann doch wieder irre wurde, als sie den zehnten aufsetze. Aber unglücklicher Weise hatte der zehnte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem vorhin als gar nicht in Frage kommenden weggelegten zweiten. Nun wurde der wieder hervorgeholt und jetzt sah meine Frau es plötzlich, der paßte eigentlich sehr gut zu der Toilette, wenigstens ebenso gut, wie der fünfte, und entschieden viel besser, als der erste und sicher ebenso gut wie der achte. Und von neuem bat sie die Zofe: „Geben Sie die Hüte noch mal her, ich werde sie alle nochmals rasch aufsetzen.”

Und meine Frau setzte die Hüte wirklich alle rasch noch einmal auf, aber wie lange dauerte es, bis sie die dann wieder abnahm ! Erst besah sie sich von vorn in dem Spiegel, dann von der rechten Seite, dann von der linken, dann von hinten und dann wieder von vorn und dann nochmals von den Seiten. Und als sie dann endlich mit dem Besehen fertig war, nahm sie den Hut auch noch nicht ab, sondern prüfte ihn daraufhin, ob er ihr auf die Dauer auch nicht zu schwer würde, ob sie ihn bei den Sitzungen auch stundenlang würde aufbehalten können.

Und als meine Frau sich dann endlich doch wieder für Nummer acht entschieden hatte, setzte sie noch die fehlenden Nummern elf bis fünfzehn auf, aber nur deshalb, um auch die einmal aufgesetzt zu haben. Und dann wurde sie bei Nummer vierzehn doch wieder an Nummer acht irre. Dieser schwarze Pleureusenhut stand ganz ausgezeichnet, der stand noch besser als Nummer acht, aber der stand ja auch nicht schlecht und Nummer vierzehn wurde abgesetzt und Nummer acht wieder aufgesetzt und vergleichsweise wurde dann wieder Nummer fünf herangeholt. Wenn Nummer eins ja auch gar nicht sehr in Frage kam, aufsetzen mußte sie ihn ja doch einmal.

Und endlich, endlich nach dreistündiger Arbeit hatte meine Frau ihre Wahl getroffen und blieb unter allen Umständen bei Nummer zwölf und nur um sich und mir und der Zofe zu beweisen, daß sie wirklich das Richtige getroffen habe, setzte sie rasch noch einmal alle fünfzehn Hüte der Reihe nach auf. Bis Nummer sieben ging alles gut — aufsetzen, abnehmen, aber bei Nummer sieben trat plötzlich und ganz unerwartet eine Verkehrsstockung ein. Anstatt den Hut gleich wieder abzunehmen, behielt meine Frau ihn auf und da ich glaubte, meiner Frau täten die Arme weh von dem vielen Hochheben, gab ich der Zofe ein Zeichen, meiner Frau behilflich zu sein. Aber die wehrte ab: „Lassen Sie doch,” und zu mir gewandt setzte sie hinzu: „Findest du nicht auch, daß Nummer sieben eigentlich noch besser zu der Toilette paßt, als Nummer zwölf?”

Aber ich fand gar nichts. Das Einzige, was ich fand, war, daß ich ein Idiot gewesen war, als ich meiner Frau den Vorschlag machte, alle Hüte und Kleider einmal anzuprobieren. Und lediglich um zu einem Schluß zu kommen, stimmte ich meiner Frau bei, Nummer sieben stände viel besser als Nummer zwölf.

„Aber Nummer zwölf paßt auch nicht schlecht,” widersprach meine Frau und wandte sich dann an die Zofe: „Geben Sie den rasch noch einmal her.”

Leise und verstohlen holte ich aus der Westentasche ein Zehnmarkstück hervor und hielt es der Zofe heimlich hin. Ds hieß auf deutsch: „Sie bekommen diese zehn Mark, wenn Sie den Hut nicht nochmals hingeben.”

Und die Zofe verstand den Wink, sie suchte und suchte und fand den Hut nicht, aber leider Gottes fand meine Frau ihn. Gleich darauf thronte er auch schon wieder auf ihren Locken und als es endlich Zeit zum Abendessen wurde, war die Entscheidung gefallen, es blieb bei Nummer sieben.

Aber als meine Frau dann nach dem Abendessen die zweite Robe anzog, paßte Nummer sieben absolut nicht zu der Toilette. Der Hut war einfach unmöglich und von neuem ging es von Nummer eins bis Nummer fünfzehn, bis meine Frau sich um Mitternacht für Nummer vier entschieden hatte.

Aber als sie am nächsten Morgen den Hut Nummer vier zu der Toilette Nummer drei aufsetzte, erwies sich das als eine Unmöglichkeit und als sie dann den Hut Nummer sechs aufsetzte, ging der nicht zu der vierten Toilette, wohl aber paßte Nummer sechs zu der fünften Robe, aber auch Nummer acht kam in Frage und plötzlich fing meine Frau an, zu überlegen, ob Nummer acht nicht vielleicht zu der ersten Toilette passen würde. Und je mehr Kleider und je mehr Hüte im Laufe der Zeit anprobiert und aufgesetzt wurden, desto schwerer wurden die Zweifel: „Wähle ich Kleid eins mit Hut sieben, oder Kleid fünf mit Hut sechs, oder aber Kleid sechs mit Hut fünf, oder Kleid neun mit Hut drei, oder nicht doch lieber Kleid eins mit Hut sieben, oder aber Kleid vier mit Hut fünfzehn?”

Seit dem Tage, an dem meine Frau den sehnsüchtigsten Wunsch äußerte, sich in Öl malen zu lassen, sind viele Wochen vergangen, aber der Maler wartet immer noch und er wird wohl auch ewig warten müssen, denn auch heute weiß meine Frau noch nicht, was sie anziehen soll.

Und sie wird es auch wohl nie wissen, denn als sie sich gestern endlich definitiv für Hut vier und Kleid neun entschieden hatte, da hatte sie sich den Hut Nummer vier vom vielen Aufsetzen derartig übergesehen, daß sie den Hut nicht mehr sehen konnte, nicht einmal mehr für Minuten, geschweige denn für immer auf dem Bilde.

Und damit war der sehnsüchtigste Wunsch meiner Frau, in Öl gemalt zu werden, wenn auch nicht gerade erfüllt, so doch Gott sei Dank für immer erledigt, denn darauf, daß sie sich in einer Toilette ohne Hut porträtieren lassen könne, kam sie glücklicherweise nicht, denn was für die Erde des Himmels Blau, was für die Blumen des Äthers Tau, das sind für die Frauen die Hüte !


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