Der große Schrank.

Humoreske von Freiherr von Schlicht (Dresden).
in: „Leipziger Tageblatt” vom 16.3.1901,
in: „Mährisches Tagblatt” vom 16.3.1901,
in: „Hagener Zeitung” vom 16.3.1901,
in: „Bonner Zeitung” vom 17.3.1901,
in: „Hamburger Nachrichten”, belletristisch-literarische Beilage, vom 24.3.1901,
in: „Iserlohner Kreisanzeiger und Zeitung” vom 26. und 27.3.1901,
in: „Libausche Zeitung” vom 10. und 11.4.1901,
in: „Badische Presse”, Unterhaltungsblatt, vom 10. und 14.4.1901,
in: „Düna-Zeitung” vom 14.7.1901,
in: „König Eduards Testament” und
in: „Der Mann mit den vier Frauen”


Die jugendliche, kaum zweiundzwanzig Jahre alte Gattin des Oberleutnants von Heymann befand sich in der denkbar besten Laune. Sie lag in dem niedrigen, amerikanischen Schaukelstuhl, hatte die in durchsichtigen seidenen Strümpfen und entzückenden kleinen Pariser Lackschuhen steckenden Füßchen weit von sich gestreckt und wiegte sich hin und her. Ungeduldig waren ihre Blicke nach der Thür gerichtet, durch die ihr Gatte, den sie hatte nach Haus kommen hören, jede Secunde eintreten konnte, und als sie nun seine Schritte im Nebenzimmer vernahm, und als gleich darauf die Thür aufging, umspielte ein glückliches, selbstzufriedenes Lächeln den kleinen Mund.

Er küßte ihr die rothen Lippen, die sie ihm darbot, ohne ihre Stellung zu verändern, und fuhr ihr liebkosend mit der Rechten über die Wange und durch das schöne hellblonde Haar, das sich vorn auf der Stirn in zahllosen, natülichen kleinen Löckchen kräuselte.

„Dir scheint ja etwas ganz besonders Angenehmes widerfahren zu sein?” sagte er, „so junge Eheleute, wie wir es sind — heute sind wir 422 Tage verheirathet — pflegen ja noch keine Geheimnisse vor einander zu haben. Also bitte, laß mich theilnehmen an Deinem Glück: was giebt es? Hat Dein Vater das Reitpferd, um das Du ihn batest, an Dich gesandt, oder ist Deine Tante gestorben und hat sie Dir die beiden schwarzen Perlen vermacht, die Du so leidenschaftlich gern haben möchtest? Mir persönlich wäre das Reitpferd lieber, zumal wir bei dieser Wohnung einen geradezu idealen Stall haben, in dem ich noch ganz bequem eine Box einrichten lassen könnte. Aber nun heraus mit der Sprache, was giebt's?”

Für einen Augenblick, als ihr Gatte den Stall so lobte, war etwas wie ein Schatten über ihr heiteres Gesicht gehuscht, aber schnell verscheuchte sie die Wolke wieder und sagte lächelnd: „Wenn Du es denn wissen willst, so höre und freue Dich mit mir: ich habe heute unsere Wohnung gekündigt.”

Er sah sie an, als hätte er sie nicht richtig verstanden. „Was hast Du gethan?” fragte er, „Du hast die Wohnung gekündigt? Aber warum denn in aller Welt?”

„Es ging nicht mehr länger,” gab sie zur Antwort, und bei diesem stichhaltigen Grunde, gegen den bei Frauen jeder Widerstand nutzlos ist, knickte er mit einem leise hörbaren Ruck in sich zusammen. „Es ging wirklich nicht länger,” wiederholte sie, „und ich kann Dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, daß ich endlich den Entschluß, den ich in schlaflosen Nächten faßte, zur That werden ließ. Du bist ja ein herzensguter Mann, und ich habe Dich sehr, sehr lieb, so lieb, daß Du mir noch einen Kuß geben darfst, aber von Wohnungen verstehst Du gar nichts. Unser Parterre hat große, große Mängel, mit deren Aufzählung ich Dich nicht erst langweilen will, glaube mir so, daß ich Recht habe, und daß es wirklich nicht länger ging.”

„Ich habe vor Deiner Klugheit, die sich am glänzendsten darin zeigte, daß Du unter Deinen zahllosen Bewerbern gerade mich auswähltest, einen viel zu großen Respect, als daß ich den geringsten Zweifel in Deine Worte setzen sollte,” gab er zur Antwort, „wenn es nicht länger ginge, na, denn geht es eben nicht länger. Aber unangenehm ist mir die Sache trotzdem, es ist viel leichter, eine Wohnung zu kündigen, als eine neue zu finden.”

„Aber Alfred, ich bitte Dich, das kann doch keine Schwierigkeiten haben, es stehen ja zahllose Wohnungen leer — ich habe bereits eine Annonce für den Anzeiger aufgegeben, vorläufig erscheint sie einmal, wie lautet sie doch noch, ach ja, richtig, so war es: Gesucht für möglichst sofort eine herrschaftliche Parterre­wohnung von 6 bis 7 großen Zimmern in nächster Nähe der Grenadier–Caserne. Verlangt wird außerdem: Pferdestall, Gas, Wasserleitung, Parketfußböden und Garten. Offerten mit Preisangabe erbeten Jägerstraße 10 part. Bist Du mit dem Wortlaut einverstanden?”

„Vollständig,” gab er zur Antwort, „über die Kündigung zu jammern, hat ja keinen Zweck mehr, nun heißt es abwarten, welchen Erfolg Deine Annonce hat.”

Schon am nächsten Tage liefen die ersten Offerten ein, und glückstrahlend öffnete sie die Briefe in Gegenwart ihres Gatten. „Siehst Du, Alfred, ich sagte es ja, es herrscht ein Ueberfluß an leeren Wohnungen.”

Dann las sie die erste Offerte: „Ich hätte eine sehr schöne Wohnung, allerdings ohne Gas und ohne Parket, aber die vier Stuben, mehr sind es leider nicht, sind sehr schön—”, sie las nicht weiter, sondern sagte ärgerlich: „Wollen die Leute sich über uns lustig machen?”, dann öffnete sie ein neues Couvert: „In allernächster Nähe der Grenadier–Caserne, kaum fünfundzwanzig Minuten mit der Elektrischen, habe ich eine hochherrschaftliche erste Etage.”  ”Das nennen die Menschen nun: in allernächster Nähe,” rief sie ärgerlich, „was ist denn das hier: „Vier Treppen hoch — aber sehr bequeme Treppen — habe ich eine ungewöhnlich große und elegante Mansardenwohnung, die ich Ihnen, da Sie es sind, zu dem billigsten Preise überlassen will.” Auch wieder nichts, vielleicht aber hier: „In einem ganz ruhigen Hause, in dem nur sieben Familien wohnen, ist durch Zufall die zweite halbe Etage frei geworden. Sie wird Ihnen gefallen, obgleich sie gerade nicht in der Nähr der Grenadier–Caserne liegt.”

„Der Mann ist wenigstens offen und ehrlich,” lobte sie, „aber ich bezweifle trotzdem, daß sie mir gefallen wird. Was ist das hier: „Da mein Arzt mir einen längeren Aufenthalt im Süden verordnet hat, möchte ich mein schönes Parterre auf ein halbes Jahr in Aftermiethe geben — vielleicht sehen Sie sich die Wohnung einmal an.”

„Ich denke gar nicht daran,” schalt sie ärgerlich, „hier Alfred, mach' Du einmal einen Brief auf, vielleicht hast Du mehr Glück. Lies einmal vor,” und er las: „Ich empfehle Ihnen auf das Angelegentlichste die bisher von Oberleutnant von Heymann bewohnte hochherr­schaftliche Wohnung.”

„Nein, das ist denn doch aber zu stark,” rief die Hausfrau, „da bietet uns unser Wirth unsere eigene Wohnung an, ich glaube, das könnte ihm passen, wenn wir gleich wieder mietheten, das giebt es aber nicht. Das finde ich beinahe unverschämt, Alfred, das dürftest Du Dir nicht gefallen lassen, ich an Deiner Stelle würde zu dem Wirth hingehen und ihm gehörig meine Meinung sagen.”

„Darüber können wir ja noch sprechen,” gab er zur Antwort, „verdenken kann man es dem Manne ja weiter nicht, daß er uns gerne behalten will, vorläufig wollen wir erst noch die anderen Offerten prüfen.”

Und sie prüften weiter. „Wenn Ihnen mit einem sehr schönen Gartenhaus mit geräumigen, sehr gut heizbaren Zimmern gedient ist, könnte ich Ihnen dienen.”

Eine Offerte lautete kurz und bündig: „Ich hätte wohl was für Sie, vielleicht sehen Sie es sich einmal an.”

Ein Anderer schrieb: „Eine Wohnung, wie Sie sie suchen, werden Sie schwer finden. Vielleicht paßt Ihnen die meinige; drei Zimmer, große Küche und Speiseschrank. Oeffentliche Badeanstalt in der Nähe, ebenso Pferdestall.”

Schon wollte Frau Hildegard verzweifeln, als sich auch hier wieder das Wort bewahrheitete: „Ende gur, Alles gut.”

Die letzte Offerte brachte die Ankündigung einer Wohnung, wie sie gesucht wurde, und schon am Nachmittag machte Frau von Heymann sich auf den Weg, um sich die Räume anzusehen. Freudestrahlend kehrte sie zurück, die Wohnung hatte ihr ausgezeichnet gefallen, und als sie ihrem Gatten, der erst zum Abendessen aus der Caserne zurückkehrte, am Theetisch gegenüber saß, konnte sie nicht genug Worte des Lobes finden. Aber mit einem Male wurde sie still und nachdenklich, ja, ihm war sogar, als ob sie erblaßte.

„Kind, Liebling, was hast Du denn nur?” fragte er besorgt.

„Nichts, nichts,” versuchte sie zu leugnen, dann aber sagte sie: „Alfred, mit Schrecken fällt mir eben ein, ich habe es vollständig vergessen, mich danach umzusehen, ich weiß nicht, ob wir den großen Schrank in der Wohnung unterbringen können.”

Dieser große Schrank aus schwerem Eichenholz mit einem künstlerisch geschnitzten Aufsatz, war trotz seiner äußeren Schönheit ein wahres Unthier — er paßte als Möbel in die heutige Zeit wie etwa ein Mammut unter die modernen Thiere. Der Schrank, in dessen Innern Frau Hildegard ihre prachtvolle Leinenaussteuer aufbewahrte, hatte Abmessungen, die den heutigen Zimmern geradezu Hohn sprachen; er war drei Meter breit und fast eben so hoch. Er war schön anzusehen, schwer zu transportieren und unmöglich aufzustellen.

Alfred zuckte bei den Worten seiner Gattin schmerzlich zusammen, er dachte mit Schrecken daran, welche entsetzliche Rolle der große Schrank bei dem Miethen der ersten Wohnung gespielt hatte, und nun, nach kaum einem Jahr, ging die Sache abermals los.

„Wie konnte ich den aber auch nur vergessen,” jammerte sie.

„Das ist auch mir unbegreiflich,” erwiderte er, „so klein und winzig ist er ja nicht. Aber der Schaden läßt sich wieder gut machen, Du siehst Dir die Wohnung ja doch noch einmal an, dann nimmst Du einfach den Schrank mit und probirst an Ort und Stelle aus, wohin Du ihn am besten stellst.”

Sie sah ihn zürned an: „Alfred, laß doch bitte derartige Scherze, Du weißt, ich liebe sie nicht.”

Das klang so tadelnd und vorwurfsvoll, daß er fast wider Willen einlenkte: „Nun, so schlimm war es ja nicht gemeint. Wenn Du morgen hingesht, kannst Du Dich ja in der Wohnung nach einem passenden Platz für den großen Schrank umsehen.”

Das that sie denn auch, aber als sie wieder nach Hause kam, war sie genau so klug wie zuvor: sie hatte nämlich vergessen, sich die Maße des Unglücksmöbels einzuprägen, und in Folge dessen konnte sie sich nur in Vermuthungen ergehen: „Ich glaube, der große Schrank kann auf dem Corridor zwischen der Eßzimmer- und Salonthür stehen, aber nein, noch besser steht er gleich links, weiß Du, wenn man hereinkommt, links an der Thür an der großen Wand. Allerdings müßte die Waschtoilette dort dann von der Wand fortgeniommen und an einer anderen Stelle befestigt werden, meinst Du nicht auch?”

Er wußte gar nichts, da er die Wohnung nicht einmal von außen kannte, und er meinte noch weniger, aber er stimmte ihr trotzdem bei, denn er sagte sich, daß es absolut gar keinen Zweck hätte, ihr zu widersprechen. „Wenn meine Frau im Geiste mit dem großen Schrank hantirt, dann dichtet sie, und dichtende Leute darf man nicht stören,” pflegte er zu sagen, und so ließ er sie ruhig weiter disponiren. Für den Augenblick schien sie aber nichts mehr zu wissen, sie sah träumerisch vor sich hin, dann aber sagte sie plötzlich: „ Er könnte aber auch vielleicht, allerdings nur vielleicht, in dem Eßzimmer stehen, das ist ausnahmsweise groß, aber leider ist es nicht übertrieben hoch. Glaubst Du, daß es gehen wird? ”

Er glaubte auch in diesem Falle nichts, trotzdem sagte er mit lauter, vernehmlicher Stimme: „Gewiß.”

Anstatt Lob zu ernten, wurde er getadelt: „Du kennst die Wohnung ja gar nicht.”

„Doch,” log er muthig darauf los, „ich bin dort heute vorbeigeritten und habe mir das Haus angesehen. Aber nun laß, bitte, den großen Schrank ruhen, er liegt mir bereits im Magen, und solche Ungeheuer rufen zuweilen Verdauungs­störungen herbei, die unter Umständen nicht ganz ungefährlich sind.

Sie hielt es unter ihrer Würde, auf diese unpassende und ungehörige Bemerkung hin etwas zu erwidern, auch sah sie ein, daß sie erst in der neuen Wohnung die nöthigen Messungen vornehmen müsse, bevor sie endgiltig über den Platz für den großen Schrank disponiren könne.

Am nächsten Mittag machte sie sich wieder auf den Weg, aber kaum war sie einige Schritte vom Hause entfernt, als der Regen, der schon lange gedroht hatte, losbrach, ach, und sie hatte nur einen Sonnenschirm bei sich. Schnell eilte sie zurück, um sich den Regenschirm zu holen und setzte dann muthig ihren Weg fort — aber als sie in der neuen Wohnunh ankam, lähmte sie beinahe der Schreck. Sie hatte ja mit dem Sonnenschirm Maß genommen: vier Schirme war das Unthier lang, vier und ein halb Sonnenschirm hoch, und nun hatte sie diesen Maßstab vergessen! Sie kam in ihrer Verwirrung gar nicht auf den Gedanken, jetzt mit dem Paraplue die Wände auszumessen und dann zu Hause die Probe auf das Exempel(1) zu machen — unverrichteter Sache kam sie daheim wieder an, und erst der nächste Tag brachte die definitive Entscheidung: der große Schrank ging nirgends hin.

Sie war der Verzweiflung, dem Selbstmord nahe. „Alfred,” sagte sie, „was machen wir nur? Wenn die Wand zwischen der Eßzimmer- und der Salonthür nur fünf Centimeter breiter wäre, dann ginge es, dann ginge es sogar sehr gut, und Du solltest nur sehen, wie hübsch sich dann das ganze Entrée einrichten ließe. Du hättest mir dann einige hübsche Portièren und Teppiche geschenkt, dem Schrank gegenüber hingen dann Deine alten Waffen —”

„Halt mal,” bat er, „warum giebst Du Dir die Mühe, die ganze Wohnung einzurichten, wir können sie ja nun doch nicht nehmen?”

Sie stöhnte laut auf: „Alfred, wo bleiben wir nur mit dem großen Schrank?”

Er dachte einen Augenblick nach, dann sagte er: „Wir verkaufen ihn.”

„Nie, niemals,” rief sie lebhaft, „der Schrank ist ein Familien­erbstück, schon mein Urgroßvater hat ihn besessen —”

„Und als Berloque an der Uhrkette getragen, jawohl, das weiß ich Alles,” unterbrach er sie, „das hast Du mir oft genug erzählt; gewiß ist es sehr schön, an alten Familien­erbstücken zu hängen, aber man muß den Muth haben, sich von ihnen zu trennen, wenn sie nicht mehr in die heutige Zeit hineinpassen. Daß Du den Schrank noch benutzest, kommt mir beinahe so vor, als wolltest Du heute noch die Kleider Deiner seligen Urgroßmutter benutzen.”

„Das ist nun die berühmte Logik der Männer,” sagte sie etwas geringschätzig.

Seine Stirn legte sich in tiefe Falten: „Thu mir den einzigen Gefallen und reize mich nicht — im Dienst habe ich Aerger genug, zu Hause möchte ich Ruhe und Frieden haben.”

Aber trotz seiner Worte blieb die Stimmung mäßig, und als sie sich am Abend „gute Nacht” sagten, war der eheliche Krieg noch nicht zu Ende. Auch die nächsten Tage brachten keine Versöhnung — im Gegentheil, die Stimmung wurde immer gereizter, denn der neue Wirth drängte, da sich angeblich auch noch andere Miether gemeldet hatten, auf eine definitive Entscheidung: sie wollte miethen und er wollte miethen, aber das einzige Hinderniß bildete der große Schrank.

Sie zerbrach sich den Kopf: „Wo kann er nur stehen,” und er grübelte darüber nach: „Wie werde ich das Ungeheuer mit Anstand los?”

Da ereignete sich eines Tages etwas ganz Wunderbares: als Herr und Frau von Heynemann eines Abends von einem ungewöhnlich langen und weiten Spaziergang zurückkehrten, war der große Schrank spurlos aus der Wohnung verschwunden. Das Leinenzeug lag fein säuberlich in große Laken gehüllt auf der Erde, aber der Schrank war fort — ein großes Loch in der Luft kündete die Stelle, wo er sonst gestanden hatte, an. Man klingelte nach den Dienstboten, aber vergebens, sie waren zur Stadt geschickt, um Besorgungen zu machen und noch nicht wieder daheim, und als sie endlich zurückkehrten, vermochten auch sie nicht die geringste Auskunft zu geben. Alle waren außer sich; der Hausherr stürzte sofort zur Polizei, um den Diebstahl und Einbruch zu melden, sämmtliche Hausbewohner suchten und recherchirten. Eine Anfrage bei den Nachbarn ergab, daß sie gesehen hätten, wie der Schrank auf einen großen Wagen geladen und fortgefahren sei — an einen so unverschämten Diebstahl, noch dazu am hellen Tage, hatte Niemand gedacht.

Der große Schrank war fort und blieb fort. Wie jedes Unglück, hatte aber auch dieses sein Gutes, die Gatten versöhnten sich. die neue Wohnung wurde gemiethet, und nach und nach kam die Hausfrau zu der Erkenntniß, daß der neue Leinenschrank, den ihr Gatte ihr gekauft hatte, in mancher Weise praktischer und bequemer sei als der alte.

Und eines Abends sagte die kleine Frau sogar: „Weißt Du, Alfred, eigentlich bin ich überglücklich, daß ich den großen Schrank los bin — aber wissen möchte ich doch, wer ihn gestohlen hat.”

Einen Augenblick zögerte er moch, dann sagte er: „Na, wenn Du es wirklich wissen willst, wer der Dieb war, so kann ich es Dir sagen — ich war es selbst. Ich ließ ihn von unserem Packer abholen, und der stellte ihn auf seinen Speicher, die Polizei habe ich natürlich gar nicht benachrichtigt, und deshalb konnte sie das Unglücksmöbel ja auch nicht wiederfinden.”

Sie sah ihn erst mit großen, starren Augen verwundert an und wußte offenbar nicht, was sie sagen sollte, dann aber reichte sie ihm die Hand: „Weißt Du, Alfred, unter Umständen, aber natürlich auch nur unter Umständen, seid Ihr Männer doch manchmal praktischer, als wir Frauen.”

„Na, endlich doch einmal eine Frau, die uns Männern Gerechtigkeit widerfahren läßt,” sagte er fröhlich, „ich hab's ja immer gewußt, Du bist doch die Klügste und Beste von Allen, mit und ohne großen Schrank, aber offen und ehrlich gestanden, bist Du mir „ohne” lieber.” Und zärtlich zog er sie an sich.

Der große Schrank blieb aber auch in Zukunft da, wo er war.


Fußnote:

(1) In der Fassung von „König Eduards Testament” heißt es hier: „Probe auf das Exemplar”. (zurück)


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© Karlheinz Everts