Der Scheinwerfer.

Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „General-Anzeiger für Dortmund und die Provinz Westfalen” vom 22.7.1901,
in: „Neue Hamburger Zeitung” vom 27.7.1901,
in: „Dagens Press” vom 27.3.1920 unter dem Titel „Strålkastaren” und
in: „Der geplagte Rittmeister”

Vergleiche hierzu die gleichnamige Erzählung von Teo von Torn.


Das Manöver stand vor der Thür, und zwar nicht nur ein gewöhnliches Herbstmanöver, sondern sogar ein Kaisermanöver. Seine Majestät selbst wollte sich von der kriegsgemäßen Ausbildung der Truppen überzeugen. Als dies bekannt wurde, ergriff natürlich eine große Aufregung alle beteiligten Gemüter, denn jeder hatte den Wunsch, mit Ehren zu bestehen und, wenn irgend möglich, den Allerhöchsten Beifall zu erringen.

So wurde denn in den letzten Wochen vor dem Manöver in den verschiedenen Garnisonen der verschiedenen Armeekorps ganz gewaltig exerziert, nicht am wenigsten in der kleinen Stadt Bedorf, in der Major von Emberg als selbständiger Bataillons­kommandeur die ihm unterstellten vier Kompagnien kommandierte. Im allgemeinen war der Herr Major nicht für eine Überanstrengung seiner eigenen Person und seiner Untergebenen, denn er vertrat die sehr richtige Ansicht, daß es nicht auf das Quantum, sondern auf das Qualum des Dienstes, den man abhielte, ankäme. Aber angesichts der bevorstehenden Manöver änderte er doch sein dienstliches Glaubens­bekenntnis und hielt sich selbst und sein Bataillon den ganzen Tag auf den Beinen — man konnte nicht wissen, wozu es gut war.

Da geschah es, daß der Herr Major eines Tages von dem Herrn Oberst, der mit den beiden anderen Bataillonen des Regiments in einer anderen Garnison lag, einen Schreibebrief erhielt:

„Euer Hochwohlgeboren wird es nicht unbekannt sein, daß die diesjährigen Manöver in gegenwart Seiner Majestät dazu benutzt werden sollen, eine nicht unbedeutende Anzahl neuer Einführungen — ich nenne nur den Fesselballon und den Heliographen — auf ihre Verwendbarkeit für die Kriegszwecke zu prüfen. Eine besonders große Rolle wird bei den bevorstehenden Nachtgefechten dem elektrischen Scheinwerfer zugeteilt werden. Euer Hochwohlgeboren ersuche ich, die Ihnen unterstellten Truppen auf das eingehendste über das Wesen und die Bedeutung der Scheinwerfer zu unterrichten, wenn irgend möglich praktische Übungen mit demselben vorzunehmen und mit aller Strenge darauf zu achten, daß die Leute sich, sobald der Scheinwerfer in Thätigkeit tritt, wie der Blitz auf die Erde werfen, damit sie so wenig wie möglich vom Gegner gesehen werden.”

Der Herr Major von Embeg war noch ein begeisterter Anhänger der alten Schule, er hielt von allen Neuerungen, die sich erst noch bewähren sollten, nicht allzuviel, aber er war ja schließlich nicht der verantwortliche Chefredakteur, er hatte nur das zu thun, was befohlen war, und so rief er denn am nächsten Tag seine Offiziere zusammen.

„Meine Herren,” sagte er, „ich habe gestern von dem Herrn Oberst ein Schreiben erhalten, in dem es uns zur Pflicht gemacht wird, die Leute auf das eingehendste über das Wesen und die Bedeutung der elektrischen Scheinwerfer, die in dem bevorstehenden Manöver eine große Rolle spielen werden, zu instruieren. Meine Herren, was ein elektrischer Scheinwerfer ist und wie derselbe funktioniert, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu erklären.”

Der Herr Major schwieg und sah sich fragend im Kreise um. Ihm selbst war die Sache nicht ganz klar, und seinen Offizieren noch weniger, die hatten in der kleinen, kaum zehntausend Einwohner zählenden Stadt noch gar keine Gelegenheit gehabt, einen Scheinwerfer zu sehen.

„Na, das freut mich, meine Herren,” fuhr der Major fort, als niemand eine neugierige Frage an ihn richtete, „na, das freut mic, daß Sie alle Bescheid wissen, da wird es Ihnen ja ein Leichtes sein, Ihre Leute zu instruieren. Schärfen Sie den Mannschaften schon in den Unterrichts­stunden ein, daß sie sich, sobald der Scheinwerfer sein Licht verbeitet, so schnell wie möglich auf die Erde werfen, damit sie vom Gegner nicht gesehen werden können. Bei einigen Nachtübungen werden wir dann später die Sache auch praktisch durchmachen.”

Eigentlich war für den nächsten Tag Instruktion durch die Unteroffiziere angesetzt, aber angesichts des wichtigen Themas, das von höherer Stelle befohlen war, mußten die Herren Leutnants ihre Züge selbst unterrichten.

„Wie Ihr wißt,” begannen die Herren Leutnants, „werden wir demnächst in das Manöver gehen, und bei der Gelegenheit werdet Ihr gar manches zu sehen bekommen, von dem Ihr bisher auch im Traume noch nichts geahnt habt. Von diesen vielen Dingen will ich Euch heute nur eins nennen, weil die Hauptsache ist, daß Ihr Euch dann so schnell wie möglich auf die Erde werft, ich meine den elektrischen Scheinwerfer. Was Elektricität ist, wißt Ihr ja, und wer es nicht weiß, der braucht sich einfach einen elektrischen Straßenbahnwagen oder noch besser das elektrische Licht, das wir hier ja leider allerdings auch nicht haben, anzusehen, und dann weiß er Bescheid. Und mit dem Scheinwerfer ist es ebenso. Den wirft natürlich der Gegner, damit er von seiner Stellung aus die unsrige erkennen kann. Zuerst ist es in der Nacht natürlich ganz dunkel, denn dafür ist es Nacht, aber dann wird es mit einem Mal ganz hell, eben durch den Scheinwerfer, und dann, wie gesagt, habt Ihr Euch so schnell wie möglich auf die Erde zu werfen, damit der Feind Euch nicht sieht. Und wenn Ihr auf der Erde liegt, dann bleibt Ihr liegen, bis es wieder dunkel ist, und dann steht Ihr nicht von selbst auf, sondern wartet gefälligst das Kommando ab. Das ist die ganze Geschichte. Ist das in Eure dicken Schädel hineingegangen? Ja? Schön. Also, Gefreiter Hansen, was ist ein elektrischer Scheinwerfer?”

Wie vorauszusehen, fiel die Antwort nicht sehr zur Zufriedenheit aus, so erklärte der Leutnant die Sache noch einmal, und dann noch einmal, und da die eine Stunde nicht ausreichte, instruierten am nächsten und an den folgenden Tagen die Herren Leutnants noch einmal, bis schließlich alle wußten: wenn der Scheinwerfer leuchtet, wird es hell, und dann werfen wir uns auf den Bauch, und da bleiben wir vorläufig liegen.

Nach acht Tagen ließ der Herr Major sich schriftlich von den einzelnen Kompagnien melden, wie weit die Instruktion gediehen sei, und als er erfuhr, daß selbst der Dümmste jetzt Bescheid wisse, befahl er, von der grauen Theorie zur Praxis überzugehen.

Das war nun aber viel leichter befohlen als ausgeführt, denn ein Scheinwerfer war in der ganzen Stadt nicht aufzutreiben, und die vorhandenen Mittel reichten nicht aus, um sich von auswärts einen kommen zu lassen, und schließlich hätte auch kein Mensch verstanden, ihn zu bedienen.

Aber praktisch geübt werden mußte die Sache trotzdem, und so rückten denn die Kompagnien eines schönen Abends zur Nachtübung aus. Darüber, wie sie die stockfinstere Nacht ohne Scheinwerfer erhellen sollten, waren sich die vier Hauptleute, als sie den Kasernenhof verließen, noch vollständig im unklaren, aber sie vertrauten darauf, daß ihnen im letzten Augenblick noch ein geistreicher Gedanke kommen würde.

Und sie täuschten sich nicht.

Der Hauptmann der königlich neunten Kompagnie war der Vater der genialen Idee, die er seinen Kollegen von derselben Fakultät mitteilte, und die diese gleich ihm zur Ausführung brachten.

Als die Kompagnien um Mitternacht auf dem Fleck Erde, den sie erreichen sollten, angekommen waren, ritt der Häuptling vor die Mitte seiner Kompagnie und zündete sich ein Streichholz an.

Verwundert sahen die Leute auf. das war ja noch nie dagewesen, daß ihr Vorgesetzter im Dienst rauchen wollte, denn zu welchem anderen Zweck konnte er sich das Streichholz anzünden?

„Achtung — — — Scheinwerfer!” erklang da plötzlich die Stimme des Hauptmanns.

Neugierig wollten sich alle umsehen, aber der Vorgesetzte verhinderte die Ausführung dieses Entschlusses.

„Leute, seht Ihr denn nicht?” rief er. „Hier — — — hier!” Und hoch in der Rechten hielt er das brennende Streichholz.

Die Leute sahen es wohl, aber so schnell vermochten sie sich nicht in die Situation hineinzudenken, und als sie es endlich gethan und als sie sich niederwerfen wollten, war das Streichholz ausgebrannt und auch der Handschuh des Herrn Hauptmanns. Nun war es ja doch zu spät, nun konnten sie ja ruhig stehen bleiben, und das thaten sie auch.

„Also noch mal, Leute,” mahnte der Vorgesetzte.

Eine Minute später flammte abermals ein Streichholz auf, und abermals hieß es: „Achtung — — — Scheinwerfer!”

Wie ein Blitz warf sich die Kompagnie auf die Erde.

„Gut, sehr gut,” lobte der Hauptmann, „aber es kann noch besser gehen, noch schneller, noch viel schneller. Was Ihr eben gemacht habt, war nur sehr mäßig, wenn Ihr so lange gebraucht, um Euch hinzulegen, sieht der Gegner Euch sofort. Das muß viel, viel fixer gehen, — also noch mal.”

Und aus diesem einen Mal wurden noch ungezählte viele Male, bis die Sache endlich den Beifall des Herrn Hauptmanns fand, nicht, weil es nun besser ging, als am Anfang, sondern aus zwei anderen Gründen: erstens brach der Morgen an, und zweitens waren in der ganzen Kompagnie keine Streichhölzer mehr aufzutreiben.

Als der Herr Major am nächsten Tag erfuhr, wie geschickt die Häuptlinge das Hindernis in Gestalt des fehlenden Scheinwerfers zu beseitigen verstanden hatten, lobte er seine Kompganie­chefs sehr. Damit aber nicht genug, setzte er eine Art Besichtigung an, und als das Bataillon auch bei dieser Gelegenheit seine Sache sehr gut machte und bei dem Schein der Streichhölzer auf das Kommando: „Achtung, Scheinwerfer!” fast spurlos von der Erdoberfläche verschwand, da dankte er in längerer Rede den Offizieren und Unteroffizieren für die große Mühe, die sie sich mit der Ausbildung der Mannschaften gegeben hatten, und zog, als der befohlene Tag da war, wohlgemut mit seiner Truppe ins Manöver.

Seinetwegen konnten nun sämtliche Scheinwerfer der Welt in Thätigkeit gesetzt werden, seine Leute waren darauf gedrillt.

Die Manöver begannen, aber das erste Nachtgefecht ließ lange auf sich warten, bis eines schönen Morgens der Kampf schon um zehn Uhr abgebrochen wurde. Da wußten alle: wenn wir heute Nacht nicht mobil gemacht werden, dann werden wir es nie.

Und Abends um zehn Uhr erfolgte der stille Alarm: kein Signal erschallte, sondern leise, leise, stillerweise wurden die Schläfer aus den Betten und aus dem Stroh geholt. Totenstille herrschte beim Antreten, und demjenigen, der es während des Marsches wagen sollte, den Mund aufzumachen, wurde ein ganz gewaltiger Rüffel in Aussicht gestellt. Der geplante Überfall schien glücken zu wollen. Die feindlichen Vorposten merkten nichts, es fiel kein Schuß, und immer näher und näher kam man der feindlichen Stelung. Die Entfernung der beiden Parteien voneinander betrug vielleicht nur noch tausend Meter, schon glaubte man an einen leichten, herrlichen Sieg — — — da traten bei dem Gegner plötzlich die elektrischen Scheinwerfer in Thätigkeit und überfluteten das ganze Vorgelände mit einem fast taghellen Licht.

Das anrückende Detachement warf sich, so schnell es konnte, auf die Erde, alles versuchte nach Möglichkeit, von der Erdoberfläche zu verschwinden, nur das Bataillon des Majors von Emberg marschierte, ohne sich nach seinen Offizieren umzusehen, unentwegt weiter.

Und damit war das Unglück fertig. Der Gegner hatte den herankommenden Feind bemerkt, und ein mörderisches Feuer vereitelte im letzten Augenblick den mit so viel List und Tücke angesetzten nächtlichen Überfall.

Bei der Kritik sehnte sich der Major von Emberg nach jenen seligen Tagen zurück, in denen er noch nicht auf der Welt gewesen war. Er bekam Dinge zu hören, Dinge — von denen er selbst früher nichts geahnt hatte, ein Glück im Unglück war es nur, daß Seine Majestät dem Nachtgefecht nicht beigewohnt hatte.

Ein geschlagener und vernichteter Mann ritt er zu seinem Bataillon zurück und ließ die vier Kompagnien stillstehen. Zuerst gab er den Tadel, den er selbst empfangen, mit Zins und Zinseszinsen an seine Untergebenen zurück, aber als sein Zorn verraucht war, wurde die Neugierde in ihm wach. „Kinder,” sagte er beinahe leutselig, „eins möchte ich wissen. Wie ist es nur möglich, daß trotz aller Instruktions­stunden und trotz aller praktischen Übungen kein Mensch von Euch auch nur die geringste Notiz von dem Scheinwerfer nahm?”

Aber beim Militär erhält man auf eine an die Allgemeinheit gerichtete Frage nie Bescheid. So ritt der Herr Major denn auf eine Kompagnie zu und ließ auf gut Glück einen Mann vortreten.

„Wie heißen Sie?” fragte der Vorgesetzte.

„Meyer, Herr Major,” lautete die Entgegnung.

„Gut,” lobte der Major, seinen Beifall darüber aussprechend, daß sein Untergebener gerade Meyer und nicht anders hieß. „Schön, Meyer, nun sagen Sie mir, warum haben Sie sich nicht um den Scheinwerfer gekümmert?”

Und ohne zu zögern, gab Meyer zur Antwort: „Ich habe gar kein Streichholz brennen sehen!”


„Dagens Press” vom 27.3.1920:


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