Excellenz als Recrut.

Humoreske von Freiherrn v. Schlicht
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 13.Okt. 1901 und
in: „Der höfliche Meldereiter”.


Die dienstfreie, die köstliche Zeit, die dem Manöver und Entlassung(1) der Mannschaften auf dem Fuße folgt, näherte sich ihrem Ende. Man rüstet sich zum Empfang der neuen Recruten, und der Casernenhof, auf dem in den letzten Wochen nur Uniformen und Tornister ausgeklopft worden waren, bekam wieder sein altes Gesicht. Es wurde wieder exercirt, und auf den Appellplätzen der einzelnen Compagnien stand je ein Leutnant mit einigen Unterofficieren und einer Anzahl tüchtiger Gefreiter und Gemeiner und nahm mit ihnen auf das Genaueste die verschiedenen Reglements durch. Das war das Recruten­lehr­personal, das ausgebildet wurde, um später aus den Recruten brauchbare und verständige Soldaten zu machen.

Bei der fünften Compagnie führte an Stelle des erkrankten Officiers der Vicefeldwebel Gottschall die Oberaufsicht und in seinen Händen ruhte zugleich die Leitung des Dienstes. Er diente schon im zehnten Jahr und hatte schon acht Mal Recruten ausgebildet. Jedes Jahr that er seinen Dienst mit der größten Gewissenhaftigkeit, und sein Eifer wuchs von Jahr zu Jahr, weil sein Hauptmann ihm sagte: „Dieses Mal ist nun aber auch für Sie wirklich das letzte Mal.” — — Das machte Gottschall dann so froh und glücklich, daß er sich gelobte: „Wenn es wirklich das letzte Mal ist, will ich auch zeigen, was ich kann.” Und dann wurden die Recruten so gut, daß der Hauptmann im nächsten Herbst zu ihm sagte: „Gottschall, ich kann Sie doch noch nicht entbehren, dieses Jahr müssen Sie noch wieder hin zu den Recruten, dafür sollen Sie aber auch im nächsten Jahr ganz bestimmt frei sein.”

So ging Das von Jahr zu Jahr, und so kam es, daß Gottschall auch heute wieder auf dem Felde der Ehre stand. Er hatte seine Unterofficiere und Mannschaften um sich versammelt und andächtig lauschten diese auf die Rede, die Gottschall ihnen hielt: „Und dann, was ich sagen wollte, und worauf der Herr Leutnant und ich besonderen Werth legen: nicht Rühr an, merken Sie sich Das. Werden Sie grob, so viel Sie wollen, Das schadet nichts, im Gegentheil, ein kräftiger Fluch wirkt zuweilen Wunder. Aber fassen Sie mir keine Recruten an. Ein anständiger Vorgesetzter thut so was überhaupt nicht, trotzdem warne ich Sie, denn Sie Alle sind jung und Ihre Leidenschaft könnte einmal mit Ihnen durchgehen. Aber Sie sollen die Leute nicht nur nicht schlagen, was im höchsten Grade Pfui Teufel ist, sondern Sie sollen sie auch garnicht anfassen, um ihre Haltung oder ihre Gewehrlage zu corrigiren — — daraus entwickelt sich leicht ein Stoß, und dann ist die saure Gurke mit Essig und Oel fertig. So, Petersen, und nun erklären Sie uns einmal den schönen Griff: Das Gewehr über, präsentirt das Gewehr. Stellen Sie sich Ihrem Freund und Kameraden Hansen gegenüber; der Hansen ist der Recrut, der vor seinem Diensteintritt noch nie etwas davon gehört hat, daß es Gewehre gibt, und der auch nie ein solches Ding in den Händen gehabt hat. Sie sind der Lehrer. Also los.”

Der Unterricht begann: Petersen erklärte den Griff, zerlegte ihn in seine einzelnen Bestandtheile, und Hansen führte die einzelnen Tempos absichtlich genau so dumm und ungeschickt aus, wie die Recruten es machen.

„Sehr gut, Hansen,” lobte der Feldwebel, „es wäre ganz falsch, wenn Sie den Griff richtig machen wollten, so geben Sie Ihren(2) Kameraden Gelegenheit zu corrigiren. Also, Petersen, was haben Sie an der Gewehrhaltung auszusetzen?”

„Sehr viel, Herr Feldwebel,” lautete die Antwort, und dann begannen die Correcturen: „Kolben von der Brust — mehr — noch mehr — immer noch mehr — Das ist zu viel — noch zu viel — immer noch zu viel — nach der Brust sollen Sie den Kolben nehmen — Das ist nun wieder zu viel geworden — von der Brust — noch mehr — immer noch mehr — nun ist es wieder zu viel.”

„Sehr gut, Hansen,” lobte der Feldwebel, „genau so dumm stellen sich auch die Recruten an. Corrigiren Sie nur immer weiter, Petersen, einmal werden Sie die Gewehrhaltung schon richtig bekommen.”

Petersen that, wie ihm befohlen wurde, er corrigirte immer weiter, aber als das Gewehr immer noch nicht dahin kam, wohin es sollte, riß ihm schließlich die Geduld: „Hansen, sei nicht solch' Riesenochse,” rief er, und dann ließ er sich von seinem Temperament hinreißen: er trat auf den Kameraden zu und legte ihm das Gewehr mit einem hörbaren Ruck auf der Schulter zurecht.

Alle waren starr, am starrsten aber der Vice–Feldwebel Gottschall: „Da hat man sich nun gewissermaßen den Mund fußlig geredet,” schalt er, „daß mir Keiner unter keinen Umständen einen Mann anrührt, und was thut der Petersen, der Himmelhund, dies Kameelogramm der Kräfte — er thut es doch. wenn Sie das bei einem Recruten machen, dann sind Sie fertig, dann lasse ich Sie ablösen, denn meine Nachkommen sollen nicht von mir sagen, ich hätte es geduldet oder auch nur stillschweigend mit angesehen, daß einer von meinen Recruten angefaßt worden wäre.”

Vicefeldwebel Gottschall sah es dem Petersen an, wie leid es diesem that, sich haben hinreißen lassen(3), und so fügte er seinem Tadel noch einige Trostworte hinzu. „Na, Sie brauchen sich noch nicht gleich todtzuschießen, Petersen, so schlimm ist es noch nicht. Mehr als sein Unrecht einsehen und es bereuen kann ja schließlich kein Mensch. Wenn Sie mir geloben wollen, daß dieses erste Mal zugleich das letzte gewesen ist, soll der Fall erledigt sein. Bessern Sie sich.”

Und Petersen besserte sich, er gedache in Zukunft aller guten Lehren, die er erhalten hatte, und handelte danach.

So kam der Tag heran, an dem das Recruten­lehr­personal dem Herrn Oberst vorgestellt werden sollte. Wie jeder Besichtigung, so waren auch dieser verschiedene Vorbesichtigungen vorausgegangen. Zuerst hatten die Hauptleute sich ihre Untergebenen angesehen, dann hatten die Bataillons­commandeure sich von den Leuten etwas vorexerciren lassen, nun kam der Herr Oberst. Aber der Herr Oberst kam nicht allein, auch Seine Excellenz, der Herr Divisions­commandeur, der in der Garnison seinen Sitz hatte, und täglich über den Dienst, der beim Regiment stattfand, unterrichtet war, erschien. Die Ausbildung der Recruten ist ja von der größten Wichtigkeit, da wollte der hohe Herr sich durch eigenen Augenschein davon überzeugen, wie das Lehrpersonal ausgebildet sei. Als Excellenz gänzlich unangemeldet auf dem Casernenhof erschien, bekamen Alle, die ihn sahen, einen heillosen Schrecken. Aber Das half den Betheiligten noch weniger als gar nichts. Excellenz war da und dachte auch anscheinend gar nicht daran, vorläufig wieder fortzugehen. Er hatte sehr viel Zeit mitgebracht und besichtigte die einzelnen Compagnien mit einer Ausdauer, die nach Ansicht der Untergebenen einer besseren Sache würdig gewesen wäre. Endlich kam die fünfte Compganie an die Reihe, der Recruten­officier war immer noch krank, so hatte Vice­feldwebel Gottschall die ehrenvolle Aufgabe, seine Zöglinge vorzuführen. Eines sicheren Sieges gewiß, stand er in untadelhafter Haltung am rechten Flügel seiner Untergebenen und sah den kommenden Ereignissen ruhig entgegen. Mochten die Anderen gezittert haben, er zitterte nicht mit.

„Gut, sehr gut,” lobte der Herr Oberst, als Gottschall seine Leute genau nach dem Programm, das er sich ausgearbeitet hatte, vorstellte, und auch Seine Excellenz nickte beifällig mit dem Kopfe; was er sah, gefiel ihm sehr gut und was er hörte, noch mehr, die Unterofficiere und Gefreiten wußten das Reglement, soweit es für sie in Betracht kam, fast wörtlich auswendig. Schon wandte Excellenz sich zum Gehen, da durchfuhr ihn plötzlich der Gedanke: vielleicht fehlt es den Leuten trotz der guten theoretischen Kenntnisse an der nöthigen Praxis, vielleicht verstehen sie es nicht, Das, was sie wissen, den Leuten auch beizubringen. Aber noch war es ja Zeit, die Probe auf das Exempel zu machen.

„Bitte, geben Sie mir ein Gewehr,” sagte er plötzlich, und gleichzeitig hielt die ganze Abtheilung ihm die Gewehre entgegen.

Excellenz nahm eins derselben zur Hand und sah sich dann prüfend die vor ihm stehenden Leute an.

„Treten Sie einmal vor — ja, ich meine Sie, den dritten, vierten, fünften Mann vom rechten Flügel — wie heißen Sie?”

„Petersen, Eure Excellenz.”

„Also schön, Petersen, treten Sie vor — Sie sind der Lehrer, ich bin der Recrut — bringen Sie mir einmal die Chargirung von Gewehr bei Fuß bei, ich werde thun, was Sie anordnen, und Sie werden mich dann corrigiren, verstanden?”

„Zu Befehl, Eure Excellenz.”

„Schön, dann also los.”

Und Petersen begann mit den Worten des Reglements: „Die rechte Hand hält das Gewehr und streckt es, während der Mann sich halbrechts wendet, nach vorwärts. Das Korn befindet sich mit dem Auge in gleicher Höhe.”

Petersen machte eine Pause, um den Vorgesetzten zu corrigiren; schön machte der aber natürlich seine Sache nicht. Die Wendung halbrechts war unter jeder Kritik, und davon, wo ihm die Augen saßen, schien Excellenz keine blasse Ahnung zu haben, er hielt das Korn, die Visireinrichtung an der Mündung des Laufes beim linken Ohr.

Petersen corrigirte und corrigirte, aber besser wurde es trotzdem nicht; er fühlte die Blicke aller Vorgesetzten auf sich ruhen, die zuerst bei dem Beginnen Sr. Excellenz gelächelt hatten, die nun aber doch einsahen, daß der hohe Herr die Sache keineswegs als Scherz betrachtete.

„Vergessen Sie ganz, daß ich Ihr Vorgesetzter bin,” sagte Excellenz, „behandeln Sie mich genau so, wie Sie Ihre Recruten beahndeln würden.”

Das war für Excellenz leichter gesagt, als für Petersen gethan. Excellenz blieb doch immer Excellenz, aber schließlich redete sich Petersen derartig in Wuth hinein, daß er thatsächlich ganz vergaß, wen er sich gegenüber hatte.

„Gerade aus die Mündung,” corrigirte er mit einer Stimme, die immer mächtiger anschwoll. „Höher das Korn — noch höher — immer noch höher — in Augenhöhe — Das ist zu viel — tiefer — noch tiefer — immer noch tiefer — nun ist es wieder zu viel — höher — noch höher!”

Petersen sah es ein: so wurde es nichts. Zum Ueberfluß riß ihm seine Geduld und mit großen Schritten trat er erregt auf den Vorgesetzten zu, um diesem das Gewehr zurecht zu legen. Erschrocken wollte Excellenz zurückweichen — aber schon war es zu spät. Mit seiner großen Handschuhnummer faßte Petersen das Gewehr und setzte es dem hohen Vorgesetzten richtig in die Hüfte.

Es knackte ordentlich.

Excellenz war starr, denn er fühlte, wie seine Hüfte grün und gelb wurde. Dann aber gab er das Gewehr ab und wurde wieder Excellenz und als solcher wurde er seinem früheren Lehrer so grob, daß dieser sich in Zukunft nie wieder an einem wirklichen oder an einem imitirten Recruten vergriff — nicht etwa, weil er fortan die Lehren des Vicefeldwebels Gottschall beherzigte, sondern weil er als Recrutengefreiter einfach spurlos in die Versenkung verschwand.


Fußnoten:

(1) In der Buchfassung heißt es hier: „der Entlassung”. (zurück)

(2) In der Buchfassung heißt es hier: „Ihrem”. (zurück)

(3) In der Buchfassung heißt es hier: „daß er sich hatte hinreißen lassen”. (zurück)


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