Von Freiherr von Schlicht.
in: „Die Nation”, Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft und Literatur,
22.Jahrgg. 1904/05, Nr.52 vom 23.9.1905 und
in: „Seine Hoheit;”
Das Infanterieregiment Nr. 444 führte den Beinamen „Das Regiment Húrrah”, aber selbstverständlich mit Betonung des Hurrah auf der ersten Silbe. Denn dieses Wort so auszusprechen, wie es früher unsere Eltern und Großeltern taten, und wie wir es in unserer Jugend auch noch selbst lernten, das gilt heutzutage in Offizierskreisen für mehr als geschmacklos, das ist geradezu ein Zeichen geistiger Unbildung und ein Mangel an guten gesellschaftlichen Manieren. Das ist beinahe noch schlimmer, als lose Handmanschetten tragen oder ungestärkte Hemden.
Ehe das Regiment diesen stolzen Beinamen erhielt, hatte es im Schatten der Verborgenheit geblüht. Daß das Regiment existierte, wußte man ja aus der Rangliste, und bei Uebungen in größeren Verbänden kam man ja auch mit ihm in nähere Berührung; aber sonst war das Regiment in seiner stillen Garnison nichts als eine Nummer, allerdings eine sehr hohe, aber trotzdem nur eine Nummer.
Das wurde mit einemmal anders, seitdem das Regiment den Beinamen „Das Regiment Húrrah” hatte. Donnerwetter, das hörte sich doch noch nach etwas an, das war ja geradezu der lebendig gewordene Patriotismus, das klang ja fast ebenso feudal wie die Namen der vornehmen Garderegimenter. Und plötzlich wurde das Regiment von den anderen Truppen des Armeekorps mit zur Garde gerechnet, für sie war es Garde, und wenn es an den anderen vorbeimarschierte oder irgendwie mit den anderen in Berührung kam, dann hieß es ganz geheimnisvoll: „Achtung — das Regiment Húrrah kommt.”
Und dabei wußte niemand, welchem Umstande das Regiment diesen stolzen Beinamen verdankte, nur die 444er wußten es, aber die hüteten sich, das Geheimnis preiszugeben. Im Gegenteil, sie verstanden es, sich mit dem Nimbus der Unfehlbarkeit zu umgeben, und ihre hoheitsvollen Mienen schienen stets zu sagen: habt Achtung und Respekt vor uns, wir stehen dem Herzen Sr. Majestät ganz besonders nahe, wir sind das Regiment Húrrah. Und diesem Beinamen beugten sich die anderen derartig, daß die 444er nach und nach anfingen, selber daran zu glauben, daß sie höhere Wesen wären und daß sie den Ursprung ihrer Bezeichnung fast ganz vergaßen. Vielleicht, weil in diesem Falle das Wort Hurrah mit Patriotismus und Loyalität garnichts zu tun hatte.
Die Sache war ganz einfach gekommen. Vor mehr als einem halben Jahr hatte das Regiment einen neuen Kommandeur erhalten, und gerade damals war die Zeit, in der theoretisch und praktisch die Frage erörtert wurde: wird in den nächsten Feldzügen der Feind in einer Entfernung von sechshundert Metern lediglich durch das Feuergefecht niedergekämpft werden müssen, oder gibt es eine Möglichkeit, näher an den Gegner heranzukommen und trotz der heutigen Feuerwaffen einen Sturmangriff auszuführen?
Und der neue Kommandeur war ein begeisterter Anhänger des Bajonetts. Gewiß, das Feuergefecht mußte ja auch sein, es mußte den Angriff vorbereiten, aber die Hauptsache blieb doch: „Seitengewehr pflanzt auf — marsch, marsch, hurrah!” In diesem Sinne leitete er alle Uebungen, und in diesem Sinne sollten auch die Bataillonskommandeure und Hauptleute alle Gefechte durchführen. Er war fast immer bei dem Dienst zugegen, und wenn er da war, wollte er: „Húrrah” hören, sonst wurde er grob, und er konnte sogar saugrob werden. So tat man ihm denn seinen Willen, und wenn er auf den großen Exerzierplatz kam, auf dem die zwölf Kompagnien gleichzeitig übten, dann hörte man weiter nichts als „Hurrah — Hurrah — Hurrah”. Und als eines Tages wieder in Hurrahrufen das Menschenmögliche geleistet worden war, da hatte ein Witzbold die Bemerkung gemacht: „Wir müßten eigentlich das Regiment Húrrah heißen!” Und von diesem Tage an nannten sie sich selber so.
Das durften aber die anderen nicht wissen, dann würden sie ihr Ansehen verlieren, und das durften sie nicht, im Gegenteil, sie mußten es mit aller Gewalt aufrecht erhalten, denn sonst hätte man sie ausgelacht und verspottet. Und das durfte nicht geschehen, das waren sie nicht nur sich selbst, sondern vor allen Dingen ihrem neuen Kommandeur schuldig, denn nicht wie sonst hatte man ihnen einen gewöhnlichen Sterblichen geschickt, der es nach langer Dienstzeit zum Oberst gebracht hatte, um hier bei der zweiten Regimentsbesichtigung (die erste geht immer gut) seine dienstliche Seele auszuhauchen, sondern diesmal war etwas ganz Feines gekommen, ein Adliger, ein Herr von Amberg, der im Generalstab gesessen hatte und sich der höchsten Gunst seiner Vorgesetzten erfreute. Und daß man einem so bürgerlichen Regiment mit einem so durchaus bürgerlichen Offizierkorps einen so feudalen Oberst gab, hatte seinen bestimmten Grund. In der Nähe der Garnison, in der die 444er lagen, wohnte auf einem herrlichen Besitz der Fürst Edgar Carl Emil von Ohnegleichen, der in wenigen Monaten seinen sechzigsten Geburtstag feierte. Der hohe Herr hatte in seiner Jugend ebenfalls der Armee angehört, und wie sehr er diese liebte, ging am besten daraus hervor, daß er schon nach zweijähriger Dienstzeit freiwillig seinen Abschied nahm, um die Weiterentwicklung seines Regiments, der seine Unkenntnisse hindernd im Wege standen, nicht dauernd aufzuhalten. So hatte er sich denn auf seine Güter zurückgezogen, aber die Liebe zur Armee war in ihm nicht erstorben, was schon daraus hervorging, daß er jeden Soldaten, der ihm begegnete, leutselig nach seinem Namen fragte. Und der Kammerdiener, der den Fürsten begleitete, mußte dem Soldaten dann stets eine Zigarre geben. Schön war schon die Sorte nicht gewesen, die der alte Fürst für diesen Zweck ausgesucht hatte, aber schöner war sie auf dem Instanzenwege bis zum Kammerdiener auch nicht geworden. Wenn die Soldaten Seine Durchlaucht kommen sahen, kniffen sie schon aus, nur um keine Zigarre annehmen zu müssen; denn daß ein Soldat eine Zigarre, die er einmal in Händen hat, nicht auch raucht, das ist ausgeschlossen.
Seine Durchlaucht lebte nun schon seit vielen Jahren auf dem Schlosse seiner Väter, er ging hin und wieder einmal auf Reisen und hin und wieder schoß er auch einmal einen Rehbock, der sich dann bei der Schilderung seiner Jagderlebnisse regelmäßig in einen starken Hirsch, zuweilen auch in eine wilde Sau, die er mit der Saufeder abgefangen haben wollte, verwandelte. So ging er seinem sechzigsten Geburtstag entgegen. Und bei dem hohen Verdienst des Fürsten um den Staat, insonderheit aber mit Rücksicht auf sein warmes Interesse für die Armee war es beschlossen worden, Seiner Durchlaucht an Höchstihrem sechzigsten Geburtstag ein Regiment zu verleihen. Und das sollten die 444er sein.
Als diese eines Tages von der hohen Ehre und der hohen Auszeichnung erfuhren, die ihnen bevorstanden, waren sie vor Freude ganz außer sich. Einen Namenszug auf den Achselstücken und Achselklappen zu erhalten, ist der sehnlichste Wunsch eines jeden Truppenteils, und nun erst, wenn es sich um den Namenszug eines Fürsten Ohnegleichen handelt. In der Freude ihres Herzens betranken sich ein paar Offiziere bis zur Unsterblichkeit, aber das hätten sie lieber nicht tun sollen, denn schon wenige Tage später waren sie zur Versetzung in ein anderes Regiment eingegeben: „Offiziere, die sich betrinken, kann ich dem Fürsten Ohnegleichen nicht vorstellen,” erklärte der Oberst kategorisch. In ihrer Herzensangst, damit ihnen nicht das Gleiche passierte, gelobten sich die anderen Offiziere, fortan nur noch Wasser zu trinken. Das taten sie denn auch acht Tage, dann mischten sie das Wasser wieder mit Mosel, und dann mischten sie den Mosel mit Wasser, und dann tranken sie wieder den reinen Mosel, aber sie betranken sich schon deshalb nicht, weil der Mosel so sauer war, daß selbst eine an alles Leid gewöhnte Kehle nicht mehr als eine Flasche von dem Zeug vertragen konnte. Dann sah der Hals inwendig so rot aus, als wären die Mandeln angeschwollen, und der Magen brannte, daß man am liebsten gleich nach der Feuerwehr gerufen hätte.
Und endlich kam der Tag heran, an dem der Fürst seinen sechzigsten Geburtstag feierte. Schon am Tag vorher hatte der Landesherr, zu dessen Kontingent das 444. Regiment gehörte, Sr. Durchlaucht durch eine Kabinettsorder mitgeteilt, daß er ihm das Regiment verleihe und diesem den Namenszug und den Namen „Infanterieregiment Nr. 444 Edgar Carl Emil Fürst von Ohnegleichen” gegeben habe. Und der Fürst hatte dem Regiment mitteilen lassen, er wünsche an seinem Geburtstag den Parademarsch über das Regiment abzunehmen. Aber das nicht allein, der Fürst geruhte, seinem neuen Regiment noch andere Beweise seiner Huld zu geben. Er befahl, ihm nicht nur eine namentliche Liste des Offizierkorps zu überreichen, sondern auch ein namentliches Verzeichnis aller Mannschaften. Er wollte von jedem Kerl wissen, wie er hieße und wo er geboren wäre.
Und als größtes Zeichen seines Wohlwollens sollte jeder Mann des Regiments zur dauernden Erinnerung an diesen Ehrentag zwei Zigarren geschenkt erhalten.
Schon eine halbe Stunde vor der befohlenen Zeit stand das Regiment zur Parade bereit und die Unteroffiziere gingen die Front entlang und ermahnten die Leute: „Kerls, daß ihr mir ordentlich die Beine werft und die Fußspitzen auswärts, und die Kniee durchdrücken! Und vor allen Dingen ruft ordentlich Húrrah. Gelegenheit genug habt ihr ja gehabt, um es zu lernen, also: Maul auf, und schreit, so laut ihr könnt. Ihr wißt, wenn der Herr Oberst seine Ansprache beendet hat, dann gibt er das Zeichen zum Hurrahrufen mit dem Schwenken des Säbels. Also paßt genau auf, wenn das Zeichen kommt, und dann los mit dem Hurrah.”
Pünktlich auf die Minute erschien der Fürst, ein liebenswürdiger, alter Herr, dem man deutlich die Freude über die große, ihm zuteil gewordene Auszeichnung ansah. Er strahlte förmlich vor Vergnügen, und da er strahlte, strahlte seine ganze Suite mit.
Der Fürst war trotz seiner sechzig Jahre noch ein flotter Reiter, so galoppierte er denn an den rechten Flügel: die Musik spielte den Präsentiermarsch, die Trommeln wirbelten, die enthüllten Fahnen senkten sich — es war ein feierlicher Moment. Und, gefolgt von seiner Suite, ritt der Fürst bei den Klängen des Präsentiermarsches die Front ab. Endlich war er am linken Flügel angekommen, und nun sollte der zweite Teil des Programms seinen Anfang nehmen. Durchlaucht wollte eine Ansprache an das Regiment halten, und mit dem Schwenken des Säbels gab der Kommandeur der Musik ein Zeichen zum Aufhören.
Der Kapellmeister verstand das Zeichen richtig, aber das Regiment verstand es falsch, denn ohne jede weitere Veranlassung brüllten die zwölfhundert Kerls wie ein Mann: „Hurrah, hurrah, hurrah!”
Der Fürst machte ein ganz verwundertes Gesicht: „Warum rufen die Leute denn jetzt schon Hurrah, Herr Oberst?”
Der fiel beinahe vom Gaul: „Ich weiß es nicht, Durchlaucht.”
„Geben Sie den Leuten ein Zeichen, daß sie still sind.”
„Zu Befehl, Durchlaucht.” Und abermals schwenkte der Kommandeur mit dem Degen. Aber er erreichte damit gerade das Gegenteil von dem, was er wollte. Dem ersten dreimaligen Hurrah folgte ein zweites.
„Sonderbar,” meinte Seine Durchlaucht, „schreien Ihre Leute immer so viel Hurrah? Ich möchte jetzt ein Hoch auf unseren allergnädigsten Landesherrn ausbringen, bitte, machen Sie das den Leuten bekannt.”
Das geschah, und gleich darauf hielt der Fürst eine kurze Ansprache, aber der hohe Herr sprach so leise, daß niemand etwas hörte, und daß es niemand bemerkte, als er jetzt fertig war.
„Warum rufen Ihre Leute denn jetzt nicht Hurrah?” fragte der Fürst etwas ungnädig.
Die wahre Antwort konnte der Oberst nicht geben, so rief er denn selbst, so laut, wie er konnte: „Hurrah — hurrah — ” und gleich darauf stimmte die Mannschaft ein.
„Na endlich,” meinte der Fürst, „ein bißchen lange hat es allerdings gedauert.”
Und das Hurrah auf den Fürsten klappte auch nicht, denn als der Oberst seine Ansprache beendet hatte, und das Zeichen mit dem Säbel geben wollte, da hielt der Fürst so dicht neben ihm, daß er diesem unfehlbar über den Schädel gehauen hätte, wenn er den Arm geschwenkt hätte.
So mußte er auch jetzt selber Hurrah rufen, und bis die Kerls das hörten, und das Huirrah aufnahmen, verging wieder eine Zeit, Und dann war es kein militärisches Hurrah, nicht ein Ruf, sondern kleckerweise klang das Hurrah durch die Welt.
„Das Hurrah auf meine Person hätte ich mir eigentlich etwas freudiger gedacht,” meinte Seine Durchlaucht, „besonders nach den heutigen Beweisen meiner Huld, die ich dem Regiment gegeben habe.”
Der Oberst erwiderte garnichts, der saß ganz geknickt auf seinem Gaul und dachte: „O wär' es vorüber und alles erst vorbei.” Dann kam der Parademarsch, und der klappte so vorzüglich, daß der Fürst wirklich sehr zufrieden war und erneut seine große Freude darüber aussprach, daß man ihm gerade dieses Regiment verliehen habe.
Ein opulentes Frühstück im Kasino machte der Feier ein Ende. Die 444er waren mehr als stolz und glücklich, es gab nirgends einen Namenszug, der auch nur annähernd so schön und vor allen Dingen keinen, der auch nur annähernd so lang war, wie: Infanterie–Regiment Nr. 444, Edgar Carl Emil Fürst von Ohnegleichen. Und schon der Name „von Ohnegleichen” schloß den Vergleich mit jedem anderen Truppenteil aus. Und doch bedrückte sie etwas: das war das Mißlingen des Hurrahrufens, und alle hatten nur die eine Hoffnung, daß dies nicht weiter bekannt würde. Aber ein Armeekorps ist klein, und so hatte sich die Sache doch bald herumgesprochen. Und die Folge war, daß sie in Zukunft nie mit ihrem neuen Namen, sondern auch fernerhin stets nur „das Regiment Húrrah” genannt wurden. Und ebenso sehr, wie sie diese Benennung früher als große Auszeichnung empfunden hatten, empfanden sie dieselbe jetzt als tödliche Beleidigung. Und nicht ohne Grund. Denn zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, nicht richtig Hurrah rufen zu können, ist für ein Offizierkorps noch schimpflicher, als lose Handmanschetten und ungestärkte Hemden tragen.
Und so etwas tut man nicht. Ganz besonders nicht, wenn das Offizierkorps, obgleich bürgerlich, von hohem Adel ist, und den Namenszug führt: Edgar Carl Emil Fürst von Ohnegleichen.
Dresden. Freiherr von Schlicht.