Pscht.

Von Freiherr v. Schlicht.
in: „Das kleine Journal” Nr. 281 vom 11.Okt. 1897,
in: „Abendblatt”, (Chicago Ill.), vom 26.10.1897,
in: „Montags-Zeitung” vom 26.10., 1. und 8.11.1897 und
in: Excellenz kommt


Es war einmal ein Vater, der hatte, wie das ja zuweilen vorkommen soll, einen Sohn. Als dieser Knabe — Söhne sind meistens Knaben — nun herangewachsen war, berief er eines Tages seinen Vater zu sich und sprach: „Vater, ich habe mir die Sache überlegt, ich will Offizier werden.”

„Tout comme vous voulez, mon cher fils,” sagte der cher papa, „aber Eines merke Dir: ein Zahngeschwür ist kein Vergnügen, eine Reblaus keine Zahnbürste und Offizier sein ist auch der Güter höchstes nicht — wenigstens nicht immer.”

„Ach, Papa,” erwiderte der angehende Krieger, „wie magst Du nur so sprechen: es giebt nichts Schöneres, als Offizier zu sein. Denke Dir nur, in schmucker Uniform durch die Straßen der Stadt zu gehen, den Säbel rasseln zu lassen, von Allen angesehen und beneidet zu werden — giebt es etwas Herrlicheres?”

Einen Augenblick dachte der Vater nach, dann sprach er: „Mein Sohn, ich sehe, daß Du Deinen zukünftigen Beruf voll und ganz erfaßt hast, und mit Freuden bemerke ich, daß Du Dir von der Thätigkeit eines Offiziers im Krieg und im Frieden ein vollkommen richtiges Bild machst. Dir alle Deine Wünsche zu erfüllen, war von je her, wie es sich für einen modernen Vater ziemt, mein eifrigstes Bestreben. Thue, was Du nicht lassen kannst, werde Lieutenant — mein Segen und ein anständiger Zuschuß werden Dich überallhin begleiten, nur nicht nach Amerika, wenn Du einst gezwungen sein solltest, diese Reise anzutreten.”

„Aber, cher papa,” warf der Sohn tief geknickt und in vorwurfsvollem Tone ein.

Auf diesen vorwurfsvollen Ton erwiderte der Vater in würdevollem Ton: „Mein Sohn, ich will Dir mal etwas sagen, was ich Dir heute noch sagen kann, ohne Dich in Deiner sogenannten Ehre zu kränken: Du bist ein dummer Junge. Bitte, bleib' ruhig sitzen und höre weiter: Bald, wenn Du den bunten Rock ausgezogen(1) hast, bist Du kein dummer Junge mehr, wenigstens nicht vor den Augen der Welt, die nur das Aeußere sieht, da bist Du ein Mann. Du trittst in das Leben ein und das Leben trittan Dich heran und drei W werden fortan für Dich eine große Rolle spielen: Wein, Würfel und Weib.”

„Huldigst Du dem Wein, wirst Du ein Trinker, so ruinirst Du Deine Gesundheit, wirst unfähig zu jeder ernsten Arbeit und gehst zu Grunde.”

„Huldigst Du den Würfeln, wisrt Du ein Spieler, so verdirbst Du Deinen Charakter, verlierst die Achtung Deiner Mitmenschen und die Achtung vor Dir selbst.”

„Huldigst Du dem Weib — so thust Du recht, denn zu unserer Freude hat der Herr sie geschaffen und sie sind da, damit wir ihnen dienen. Und nun weißt Du Bescheid.”

Und der Sohn ging hin und handelte nach den Worten seines Vaters.

Ich weiß nicht, wo ich die Geschichte her habe, wie es überhaupt gar nicht so viel giebt, die(2) ich nicht weiß, das aber weiß ich doch, daß der Vater dieses Sohnes ein sehr verständiger Mann gewesen sein muß.

Mir hat Niemand einen Rath mit den drei W gegeben, ich habe allen dreien gehuldigt. Die mich kennen, werden es schaudernd bezeugen. Am meisten habe aber auch ich, wie ich glaube, dem letzten W gehuldigt. Ich habe viel geliebt — ob ich auch viel geliebt worden bin, ist eine andere Sache.

Ich habe so viel geliebt, daß ich mich eines Tages nicht mehr begnügte mit den Frauen und Jungfrauen, die da leben und weben, sondern daß ich mich eines Tages in ein Gebilde meiner Phantasie verliebte — und das Kind dieser Liebe war und ist die „Tante Jette”(3), die kürzlich im Berliner Theater aufgeführt wurde und seitdem eine ganze Reihe von Wiederholungen erlebt hat und hoffentlich auch noch erleben wird.

Man hat mich kürzlich aufgefordert, anzugeben, wie mir bei der Premiere zu Muth gewesen wäre.

Du großer Gott — wie war mir zu Muth! Nachmittags um sechs Uhr fühlte ich mein Ende nahen — ich ließ mir nicht den Beichtvater, wohl aber den Kellner kommen und bestellte Pilsener Bier — gut, aber viel. Nur dem Erfinder des Pilsener Bieres verdanke ich es, daß ich heute noch lebe. Als ich das ausverkaufte Haus sah, dachte ich: Was bleibt von dem ganzen Publikum übrig, wenn es auf einmal mitten während der Vorstellung aufsteht und hinausgeht? Im Geiste gähnte mich eine gähnende Leere an und ich stürzte hinter die Kulissen. Wie Marius auf den Trümmern von Karthago saß ich dort auf einer leeren Kiste: mir war zu Muth — nein, mir war gar nicht zu Muth —, meinen Muth hatte ich im Hotel in die Kommode eingeschlossen. Mir war ganz gewaltig bange, und wenn ich das fröhliche Lachen im Zuschauerraum hörte, dann dachte ich immer: „Herr Gott, sie lachen dich aus,” ohne zu bedenken, daß bei einem Schwank das Lachen doch die Hauptsache ist — na, und wenn ich etwas klatschen hörte, dann faßte ich mich an jene Körperstelle, auf der nur Akrobaten nicht sitzen, weil sie immer Kopf stehen, und dachte: „Wie wird es dir ergehen?” Was der Wentzel(4) dachte, der mir von allen vier Wentzel der liebste ist, weiß ich nicht. So ging mir's bei der „Tante Jette”, bis freundlicher Beifall mir sagte: „Beruhige dich, die Gefahr ist überstanden.”

Froh und glücklich ging ich am Abend — oder war es am nächsten Morgen? — nach Haus, froh hauptsächlich darüber, daß am ganzen Abend im ganzen Theater nicht ein einziges Mal das Wort laut geworden ist, das jeder Autor am meisten haßt, das Wort: Pscht.

Und aus Dankbarkeit will ich dem Worte die nachfolgenden Zeilen weihen.

In der Wilhelmstraße war's. Ich schlenderte nichts Böses thuend und denkend so für mich hin, als ich plötzlich vor dem Kriegsministerium stand. Fast ohne es zu wollen, war ich stehen geblieben und meine Blicke schweiften bewundernd über den gewaltigen Bau, hinter dessen Mauern unsere tüchtigsten und bedeutendsten Offiziere Jahr aus Jahr ein unermüdlich für die Sicherheit des Vaterlandes thätig sind.

Und von den oberen Fenstern anfangend, glitten meine Blicke tiefer und tiefer, bis sie endlich auf zwei Soldaten haften blieben.

Diese zwei Soldaten, um nicht zu sagen, diese beiden Soldaten, waren keine gewöhnlichen Soldaten, sondern sie waren Wachtsoldaten. Mit klingendem Spiel, angeführt von einem Lieutenant mit gezogenem Schwert, begleitet von Schusterjungens und anderen vielbeschäftigten Menschen, waren sie am Mittag des vorhergegangenen Tages in stolzer Haltung, im strammen Schritt, die Fußspitzen, wie das Gesetz es befiehlt, auswärtssetzend, von Vielen bewundert und beneidet, aus ihren Kasernen nach der Wache „gerückt”. Bei ihrer Ankunft war die alte Wache herausgetreten, Trommelwirbel war erklungen und unter präsentirtem Gewehr hatten die beiden Offiziere sich die Wache übergeben.

Dann war die alte Wache ohne klingendes Spiel, angeführt von einem Lieutenant mit gezogenem Schwert, von keinem Schusterjungen und keinem anderen vielbeschäftigten Menschen begleitet, in strammen Schritt, die Fußspitzen, wie das Gesetz es befiehlt, auswärtssetzend, von Niemandem bewundert und von Keinem beneidet, von der Wache nach der Kaserne „gerückt” und die neue Wache hatte ihre Thätigkeit begonnen, die darin besteht, daß sie nichts weiter thut, als daß sie darauf wartet, bis Jemand kommt.

Auch die beiden Grenadiere, die vor dem Kriegsministerium standen, warteten.

Die treue Flinte — warum sind „Flinten” eigentlich, wie man immer sagt, treu? Doch wohl nur deshalb, weil sie alle zwei Jahre ihren Herrn wechseln, wie ihr Herr nach Ablauf der zwei Jahre seine Liebste — die treue Flinte im Arm gingen die Soldaten vor ihrem Schilderhaus auf und ab.

Ich sah mir die beiden Jünglinge an: große, stramme, hübsche Jungens, dick und wohlgenährt, ob nur von Speck und Erbsen oder ob auch von den heimathlichen Kartoffeln, die vielleicht gerade bei ihm zu Haus am größten sind, wage ich nicht zu entsheiden.

Ich freute mich über die schöne Garnitur, die die Leute anhatten, und durch den Rock hindurch sehend, gewahrte ich den leeren Brustbeutel, den der Soldat nicht im Spind, sondern auf dem Körrrrrr–perrrrr tragen soll.

Daß der Brustbeutel leer war, schloß ich mit einiger Sicherheit daraus, daß es der Tag vor dem Löhnungsappell war.

Weiter drang mein Blick und durch den Brustbeutel hindurch sah ich die Heldenbrust des Mannes, bedeckt mit dem Hemd zweiter Garnitur.

So ausgerüstet und mit Gewehr und Seitengewehr bewaffnet, gingen die Beiden auf ihren Plätzen auf und ab. Die Augen schweiften in die Ferne suchend — forschend — erspähend — durchbohrend — weitere ähnliche Worte weiß ich leider im Augenblick nicht.

Endlich schienen ihre Blicke gefunden zu haben, was sie suchten, und mich neben die beiden Wachtsoldaten stellend, folgte ich der Richtung ihrer Blicke.

Da sah auch ich —

„Es naht im leichten Tändelschritt
Herr Schmidt.”

Ob er Schmidt hieß? Qien sabe!

Im gemüthlichsten Bummeltempo, mit sichtbarem Behagen eine Cigarette rauchend, tauchte am Horizont in weiter, weiter Ferne eine rothe Hose auf — keine aus Frankreich importirte, sondern vielmehr eine, die im Falle eines Krieges nach Frankreich exportirt wird: eine preußische Generalstabshose.

Und ist es zu glauben? In dieser Generalstabshose steckte ein Generalstabsoffizier.

Die Hose mit dem Offizier — man kann abe rauch sagen, der Offizier mit der Hose — kam näher, immer näher.

Der beiden Wachtsoldaten bemächtigte sich eine gewisse Unruhe — die Kreise, in denen sie auf ihren Plätzen hin und hergingen, wurden kleiner und kleiner, bis sie zuletzt so klein waren wie das Tippel auf dem i? Ach nein, so klein nicht, wohl aber so klein, wie der nicht unbedeutende Theil unseres großen Vaterlandes, den ein vorschriftsmäßiger Kommißstiefel bedeckt.

Immer näher kam der Offizier.

Die vier Augen waren starr auf den friedlichen Wanderer gerichtet, sie ließen ihn nicht aus den Augen, weil sie ihn nicht drinnen hatten!

Sie warten und warten immer noch — aber jetzt —

Zwölf Schritte ist der Vorgesetzte etwa noch von ihnen entfernt, da kommt für einen Augenblick Leben in die Bude. Mit schnellen, kurzen Schritten eilen die Grenadiere auf ihre Plätze, der Eine rechts, der Andere links von seinem Schilderhaus, nehmen das Gewehr auf die linke Schulter, richten sich schnell mit der vorderen Kante des Schilderhauses aus und dann — ja, was dann? Dann stehen sie still.

Wenn der Soldat still steht, soll sich eigentlich kein Auge im Kopfe bewegen, wie eine alte Unteroffiziers–Redensart besagt.

Aber die Augen der beiden Grenadiere standen nicht still, die rollten und rollten und rollten, als wenn sie ein paar echte Harzer Roller wären, und immer blickten sie nach der rothen Hose, die näher und näher kam.

Nun war sie nur noch sechs Schritt entfernt.

Da öffnete der rechts stehende Grenadier das Gehege seiner Zähne, klappte es wieder zu und machte dann: Pscht.

Das klang so, als wenn der Mann seiner Liebsten heimlich ein Zeichen giebt — nur sie soll es hören, sonst kein Mensch, der Vater nicht und um Gottes Willen nicht die Mutter, die ist in allen Stücken — so akkurat.

Und noch akkurater sind manchmal die Vorgesetzten, die dürfen das „Pscht” auch nicht hören, sonst ist der Deubel los.

So „pscht” der rechte Flügelmann denn leise, leise — der linke Flügelmann hört das Zeichen, einen Augenblick stehen sie stiller als still. Kopf in die Höh', Schultern zurück, Brust heraus, Bauch herein, Kniee durchgedrückt, dann zählen sie in Gedanken eins — zwei —

Und ehe der Zuschauer noch weiß, wie das so plötzlich gekommen ist, steht das Gewehr, das bis dahin auf der linken Schulter des Mannes lag, plötzlich „senkrecht” vor der Mitte des Soldatenleibes, dicht vor der linken Patronentasche.

Nun weiß man auch, warum der Soldat vor seinem Mi–Ma–Magen zwei Patronentaschen hat, obgleich er doch keine einzige Patrone gar nicht bei sich hat.

Unter präsentirtem Gewehr standen die beiden Grenadiere und sahen dem Vorgesetzten kein Loch in den Bauch, wohl aber ein Loch in den Rücken, denn der Offizier hatte sich vor ein Schaufenster gestellt und bewunderte andächtig die dort ausgelegten Herrlichkeiten.


Aus: „Excellenz kommt!”, Seite 21

Ich habe in meiner Jugend Unterricht im Gedankenlesen genommen, und so war es mir ein Leichtes, nachdem ich das Monocle, das ich nicht besitze, mit meinem Sacktuch, das ich besitze, gereinigt, hinter der Stirn der Soldaten, durch den Helmschirm, der mit den Augenbrauen abschneidet, hindurch die Gedanken der Krieger zu lesen, die also lauteten: „Was thun, spricht Zeus, die Welt hab' ich vergeben und präsentiret hat der Grenadier. Sollen wir nun wieder Gewehr über nehmen? Dann können wir mit jener Gewißheit, die tödtlich ist, obgleich sie nie tödtet, annehmen, daß der Offizier sich in demselben Augenblick umdreht, in dem wir das Gewehr mit einem hörbaren Ruck, bei dem die Schulter blau, grün, roth, gelb, schwarz und weiß werden muß, auf die linke Schulter schieben.

Und dann können wir sicher sein, gemeldet zu werden, weil wir nicht rechtzeitig präsentirt haben.

Folglich bleiben wir mit präsentirtem Gewehr stehen. Wie lange? Das kommt erstens darauf an, wie lange uns der Offizier noch seinen Rücken zudreht, zweitens aber hängt es davon ab, wie lange es noch dauert, bis mir die Arme absterben und das Gewehr der starken Hand entsinkt.”

Hinter der Soldatenstirn stand geschrieben: entsingt. Ich halte mich aber für verpflichtet, wenn auch nicht die Stilistik, so doch wenigstens die Orthographie zu berichtigen.

Bei präsentirtem Gewehr soll der Oberring mit dem obersten Rockknopf abschneiden — ist dieser abgerissen, was unter keinen Umständen vorkommen darf, soll der Ring in Höhe des obersten Knopfloches stehen. Ist dieses Knopfloch, was erst recht unter keinen Umständen vorkommen darf, ausgerissen, dann — ja, was dann? Das weiß ich selbst nicht, ich glaube, dann ist es das Praktischste, man näht erst wieder das Knopfloch, näht dann schnell den Knopf wieder an und steckt dann schnell den Knopf wieder hindurch.

Dann weiß das Gewehr wenigstens, wo es hingehört.

Immer tiefer sank den beiden Grenadieren das Gewehr, vom obersten Rockknopf bis zum zweiten, dann bis zum dritten — es fiel von Stufe zu Stufe, wie ein Barometer, das, weil es nicht steigt, von seinem Besitzer die Treppe hinutergeworfen wird — die linken Hände hatten schon lange auf den linken Patronentaschen einen verbotenen, aber willkommenen Stützpunkt gefunden, da machte der Offizier endlich linksum — und trat schnellen Schrittes, ohne das Kriegsministerium, das ihm zur Genüge bekannt war, eines Blickes zu würdigen, in den Laden, dessen Schaufenster er so eingehend bewundert hatte.

Arme Wachtsoldaten!

Wieder überlegten die beiden Krieger: sollen wir übernehmen oder sollen wir stehen bleiben?

Der rechte Posten, anscheinend ein Mann von schneller Entschlossenheit, beschloß, nachdem er sich die Sache noch fünf Minuten überlegt hatte, das Erstere.

Wieder öffnete sich das Gehege seiner Zähne, wieder schloß er es und abermals machte er: „Pscht.”

Einen Augenblick standen die beiden Grenadiere still und setzten sich in Positur: Kopf in die Höh', Schultern zurück, Brust heraus, Bauch herein, Kniee durchgedrückt, dann zählten sie leise in Gedanken — das Wort „leise” ist hier eigentlich und uneigentlich ein Unsinn — eins — zwei. Auf „eins” schoben sie das Gewehr auf die linke Schulter, auf „zwei” fuhren die rechten Hände pfeifend durch die Luft und legten sich vorschriftsmäßig an das respektive Hosenbein.

Und wieder überlegten die Jünglinge: „So weit wären wir jetzt. Was nun? Wenn wir jetzt unsere Wanderung wieder aufnehmen und hier herumlaufen, so riskiren wir es, daß der Vorgesetzte in dem Augenblick aus dem Laden heraustritt, in dem wir wandern. Das geht nicht, folglich bleiben wir stehen.”

Und sie blieben stehen. Die in der Erden festgemauerte Form war das reine perpetuum mobile gegen die Unbeweglichkeit, mit der die beiden Grenadiere standen. Aber dennoch sah man es ihnen an, wie gerne sie einmal den linken Fuß weggesetzt hätten — als wohlerzogene Soldaten schienen sie gar nicht auf den Gedanken zu kommen, daß man auch mit dem „rechten” Fuß „rühren” kann, und doch kann man es, obgleich man im Allgemeinen und im Besonderen diese Thätigkeit ja mit den Händen vornimmt. Ich kenne das Gefühl: „rühren” wollen und nicht können, weil man nicht darf, aus eigener Erfahrung — so seh' ich mir denn die linken Kommißstiefel an — und richtig: in Ungeduld wippten die beiden Fußspitzen auf und ab. Ein Kommißstiefel hat bekanntlich, da er vorne schräge ist und so \ aussieht, zwei Spitzen, eine linke und eine rechte, auf daß sich das Wort erfüllet: „Lass' die Linke nicht wissen, was die Rechte thut.”

Da öffnete sich die Thür des Ladens — der rechte Posten gab das Zeichen: Pscht, und bombenstill standen die Gewehre.

Aber nein, es war eine Täuschung — nicht der erwartete Offizier trat heraus, sondern nur ein junges Mädchen in rothem Rock.

Wieder ein „Pscht” und abermals flogen die Gewehre auf die linke Schulter.

Und wieder standen die Soldaten still.

O Herr, wie wird dies enden? dachte ich bei mir — ich bin wirklich ein armer Teufel, aber trotzdem hätte ich, wenn ich gekonnt hätte, in dem ersten besten Laden das Ende dieses Stillstehens gekauft und es den Soldaten geschenkt.

Da sah ich im schnellen Schritt die Ablösung herankommen und wenig später hatten die Posten ihre Plätze gewechselt.

„Auf Posten nichts Neues,” meldeten die beiden Grenadiere und leise setzten sie hinzu: „Paßt auf, dort drüben im Laden ist ein Offizier, er muß gleich herauskommen.”

Dann zogen die beiden Grenadiere, die ihre zwei Stunden 'rum hatten, unter dem aufführenden Gefreiten von dannen und ich schloß mich ihnen an.

Als ich einige Schritte gegangen war, hörte ich hinter mir ein „Pscht”.

Ich wandte mich um und sah die beiden neuen Grenadiere mit präsentirtem Gewehr stehen — ihre Ehrenbezeugung galt der rothen Hose, die nun aus dem Laden getreten war und, ohne einen Blick auf die Posten zu werfen, ganz gemüthlich vorüberschritt, als ahnte sie nichts von dem Pscht, das ihretwegen so oft erschallt war — — —


Fußnoten:

(1) In der Buchfassung heißt es hier statt „ausgezogen” — sinngemäß auch einzig richtig — „angezogen”. (zurück)

(2) In der Buchfassung heißt es: „was”. (zurück)

(3) Der Militärschwank „Tante Jette” wurde am 17.Sept. 1897 im „Berliner Theater” uraufgeführt. (zurück)

(4) H. von Wentzel lebte damals als Hauptmann a.D. in Charlottenburg und widmete sich der Bühnenschriftstellerei: er ist der eigentliche Gedankenvater des gemeinsam verfaßten Schwankes: „Tante Jette”. (zurück)


zurück zur

Schlicht-Seite