Die Prinzenreise.

Satire von Freiherr von Schlicht,
in: „Parade-Haare”


Prinz Peter hatte seine Schulbildung beendet, obgleich er erst sechzehn Jahre alt war. Dank seiner hohen Geburt, dank der Nachsicht seiner Lehrer und dank des Kameraden, dem die hohe Auszeichnung zu Teil geworden war, bei dem Examen in allernächster Nähe Seiner Hoheit sitzen zu dürfen, obgleich sonst streng darauf gehalten wurde, daß die Schranken, die Se. Hoheit von den anderen gewöhnlichen Sterblichen trennten, nicht durchbrochen wurden — dank all dieser Umstände, die natürlich viel zu unbedeutend waren, als daß sie irgendwie den Ausschlag geben konnten, hatte Prinz Peter das Abiturium in einer Art und Weise bestanden, für die es überhaupt nicht genug Worte des Lobes und der Anerkennung gab.

Mit einem Extrazug war Prinz Peter in die weitgeöffneten Arme seiner hohen Eltern geeilt, um an ihren Brüsten auszuruhen von den Anstrengungen der letzten Wochen.

Prinz Peter war klug, er war sogar so klug, daß er vor sich selbst gar kein Geheimnis daraus machte, wie dumm er war. Am liebsten hätte er das auch anderen gegenüber eingestanden, denn es widerstrebte ihm, sich mit Weihrauch umwedeln zu lassen, und Lorbeeren zu ernten, die andere verdienten. Er hätte sich gar kein Gewissen daraus gemacht, offen und ehrlich zu bekennen: „Ich bin garnicht die Leuchte der Wissenschaft, für die man mich hält.” Aber sein hoher Vater verbot ihm, so zu sprechen, indem er ihm klar und deutlich bewies, daß nicht der Schein, sondern das Sein trüge, daß man stets mehr wäre, als man sowieso schon sei, wenn man es sich und den anderen nur einredet. Und auf das, was einer wäre, könnte man schon deshalb nichts geben, weil man nie wüßte, was noch einmal aus einem Menschen würde.

Über diese etwas unklare Rede dachte Prinz Peter drei Tage lang nach und außerdem beschlief er sie noch drei Nächte, aber einleuchten tat sie ihm trotzdem nicht und das war nach seiner gewissenhaften Überzeugung nur ein neuer Beweis dafür, daß er noch beschränkter war, als er so wie so schon zu sein geglaubt hatte.

Das Examen hatte den Prinzen Peter wirklich angestrengt. Sein Nachbar besaß eine zu schlechte Handschrift, da mußte er sich ja die Augen verderben, wenn er nur darauf hinsah, und der andere hatte sein Heft immer so gelegt, daß er darauf sehen mußte. Der Anblick dieser Hieroglyphen hatte nicht nur seinen Augen, sondern auch seinen Kopfnerven wehe getan. Er bedurfte wirklich eine lange Zeit der Erholung.

Und da nach der Ansicht seines hohen Vaters in diesem Falle das beste für Geist und Körper die Jagd war, wurde Prinz Peter unter der Oberaufsicht seines Forstmeisters in den Wald geschickt, um auf Rehböcke, Hasen und andere wilde Tiere zu schießen. Und als er zum ersten Mal vorbeigeschossen hatte, war er sehr stolz, denn in der Entfernung, in der die Tiere an ihm vorüber gejagt wurden, war das garnicht so leicht, wie es aussah.

Vier Wochen lang ging Prinz Peter täglich auf die Jagd, nur am Sonntag nicht, da schrieb er sein Jagdtagebuch ins Reine, damit sein hoher Vater seine Freude habe, wenn er sähe, wie er im Interesse des Landes unermüdlich bemüht gewesen sei, das Wild zu vernichten.

Und als der hohe Vater das Jagdbuch gelesen und die Anzahl der geschossenen Kreaturen gezählt hatte, kam er zu der Überzeugung, daß sein Sohn sich nun genug erholt habe und daß man jetzt wieder ernstlich an seine geistige Weiterentwickelung denken müsse.

Nchts aber bildete nach Ansicht des regierenden Fürsten so wie das Reisen und deshalb erhielt der Hoflokomotivführer denn den Auftrag, sich mit dem Extrazug bereit zu halten.

Es war nicht leicht zu bestimmen, wohin die erste Reise des Prinzen gehen sollte, die Welt war zwar groß, aber das väterliche Reich nur klein. Und es war doch selbstverständlich, daß der Prinz gewissermaßen erst Lokalstudien machen und seinen Sinn und Verstand erst schärfen müsse, um neue Eindrücke gebührend in sich aufnehmen zu können, ehe man ihn in die weite Ferne schickte.

Da fiel dem Hohen Herrn ein, daß von den Städten seines Reiches, die seinem landes­väterlichen Herzen nahe standen, eine den Vorzug hatte, ihm besonders nahe zu stehen. Eine seiner Ahnen hatte dort vor mehr als zweihundert Jahren einmal eine Eiche gepflanzt, die wegen ihres mächtigen Umfanges eine große Sehenswürdigkeit bildete und der erst kürzlich die Ehre widerfahren war, für die ,Woche' photographiert zu werden. Dann war auch noch ein neues Postgebäude da, mit Rücksicht auf die geringen Geldmittel das Staates nach Schema F aus rotem Backstein aufgeführt, aber es war doch neu, und außerdem, beinahe hatte der regierende Fürst die Hauptsache vergessen, 'ne alte Domkirche war auch da. Richtig, die alte Domkirche! Die hatte ein ganz berühmtes Altarbild und auch sonst gab es noch manches in ihr zu sehen.

Prinz Peter sollte sich die Stadt zuerst ansehen, und so wurde deren Oberhaupt denn davon verständigt, daß Se. Hoheit demnächst dort eintreffen würde, um die näher aufgeführten Altertümer und Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Ein offizieller Empfang sei nicht erwünscht, dagegen wäre der regierende Fürst damit einverstanden und würde sich sehr darüber freuen, wenn die Einwohner diese Gelegenheit benutzen würden, um ihrer Liebe und Verehrung für das angestammte Herrscherhaus irgendwie Ausdruck zu verleihen.

Außerdem aber wünsche der regierende Fürst, daß dem Prinzen Peter bei der Besichtigung der verschiedenen Sehenswürdigkeiten jedes Mal von fachmännischer Seite ein kurzer Vortrag gehalten würde, damit der Prinz bei dieser seiner ersten Reise auch etwas lerne.

Als der Bürgermeister dieses Schreiben des Hofmarschallamtes gelesen hatte, war er einen Augenblick vor Freude und Stolz ganz außer sich, dann berief er seinen ersten Polizisten zu sich, um durch diesen die Stadväter zu benachrichtigen, daß sie sich nachmittags zu einer wichtigen Sitzung im Rathaus einzufiden hätten.

Die Beratung währte ewiglich, aber als man sich gegen Mitternacht trennte, war das Programm in allen Einzelheiten festgestellt und dem Hofmarschallamt zur Begutachtung überwiesen worden.

Der regierende Fürst hatte gegen das Programm nichts einzuwenden. Prinz Peter war auch damit einverstanden, schon deshalb, weil er garnicht um seine Meinung gefragt wurde.

So konnte die Reise denn losgehen.

Pünktlich auf die befohlene Minute stand auf dem Bahnhof der Residenz der Extrazug bereit und mit seinem Adjutanten und seinen militärischen Begleitern, mit seinem Kammerdiener und einigen anderen Lakaien bestieg Prinz Peter den Train. Und kaum saß er, da zog die Lokomotive auch schon an und kaum hatte die angezogen, da öffneten sich die Türen des Salonwagens und die Lakaien servierten ein aus vielen Gängen bestehendes Frühstück, damit dem Prinzen die Fahrt nicht lang werde.

Auf die Minute lief der Zug in die Stadt ein, und umringt von den Stadtvätern, stand der Bürgermeister da, um den hohen Gast mit einer Rede willkommen zu heißen. Er gab einen kurzen geschichtlichen Rückblick auf die Entwicklung des Gemeindewesens von dem Tag ihrer Begründung bis zu dieser Stunde, denn Se. Hoheit sollte doch etwas auf dieser Reise lernen und er schloß damit, daß es möglich sei, auch in diesem Jahr mit nur 125% Kommunalabgaben auszukommen, während man zuerst gefürchtet hätte, diese auf 137% erhöhen zu müssen. Aber dank der weisen Fürsorge des erlauchten Vaters des hohen Gastes und der klugen Maßnahmen der Staatsregierung hätten sich diese Befürchtungen als überflüssig erwiesen.

Endlich hatte der Bürgermeister geendet und führte den Prinzen zu den bereitstehenden Equipagen. Ein tausendstimmiges Hurra schallte ihm entgegen und kaum hatte sich das gelegt, da ertönte aus dem Mund des Knabenchors, der unter der Leitung des Kantors aufgestellt war: Te Deum laudamus, te Dominum confitemur — Herrgott wir loben dich und wir bekennen uns zu dir.

Keine Stunde konnte ja auch geeigneter sein, Gott zu loben, als die, in der der Prinz zum ersten Mal seinen Fuß in diese Stadt setzte und man merkte dem hohen Gast auch deutlich an, wie gerührt er war.

Man nahm in den Wagen Platz und in langsamer Fahrt ging es durch die festlich geschmückten Straßen, immer an den Reihen der Hurra rufenden Bevölkerung entlang.

Gar zu gerne hätte der Prinz unterwegs etwas gesehen, aber er mußte immer grüßen und winken, und plötzlich lag die Stadt hinter ihm.

Zuerst fuhr man zu der historischen Eiche. Ein Sängerchor sang das Lied: „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben.” Und ausgehend von dieser Frage erklärte der erste Vorsitzende des Verschönerungs­vereins, daß man außer Gott das Wachsen gerade dieser Eiche dem erlauchten Ahnherrn Sr. Hoheit zu verdanken habe und in beredten Worten schilderte er, da der Prinz doch etwas lernen sollte, welche Stürme und Zeiten an diesem Baum vorübergerauscht wären, wie auch er Deutschlands Schmach, aber auch Deutschlands Erhöhung miterlebt habe, wie diese Eiche fest und unerschütterlich dastände und gewissermaßen ein Sinnbild sei der Treue, mit der die Bevölkerung an dem angestammten Herrscherhause hänge.

Endlich hatte der Redner geendet, jetzt wollte der Prinz sich die Eiche auch einmal ansehen, aber der Adjutant, der ungeduldig mit der Uhr in der Hand da stand, flüsterte ihm zu: „Wir müssen fort, Hoheit, die Zeit drängt!”

Gleich darauf nahm er im Wagen Platz und in schneller Fahrt ging es zu dem neuen Postgebäude. Draußen vor dem Portal standen die ganzen Beamten und an ihrer Spitze der Herr Postdirektor. Der war in seinem militärischen Leben Oberleutnant der Landwehr, so erschien er denn in voller Paradeuniform.

Ein Hurra tönte dem hohen Gaste entgegen, dann gab der Herr Postdirektor, nein, pardon, der Herr Oberleutnant der Landwehr einen kurzen geschichtlichen Überblick über die Entwicklung des Postwesens in der hiesigen Stadt. Er begann mit der Zeit der Fürsten von Thurn und Taxis und schloß, da der Prinz doch etwas auf dieser Reise lernen sollte, mit einem Hinweis darauf, einen wie ungeheuren Aufschwung der Verkauf der Postwertzeichen, die Annahme von Paketen und die Absendung von Depeschen unter der weisen und fürsorglichen Regierung des Landesherrn genommen habe. Und zu allerletzt erbat er sich die Gnade, dem regierenden Fürsten aus Anlaß der Anwesenheit seines erlauchten Sohnes im Namen aller Beamten und in seinem eigenen die Versicherung unwandelbarer Treue und Ergebenheit telegraphisch zu Füßen legen zu dürfen.

Prinz Peter war über diese zarte Aufmerksamkeit sichtlich erfreut und gab gerne seine Einwilligung. Dann schickte er sich an, das neue Postgebäude zu besichtigen, aber der Adjutant, der ungeduldig mit der Uhr in der Hand da stand, flüsterte ihm zu: „Wir müssen weiter, Hoheit, sonst wird die Zeit zu kurz, um das Programm durchzuführen.”

Eine Minute später fuhren die Wagen zur Domkirche. Voir dem Hauptportal erwartete die gesamte Geistlichkeit unter Anführung des ältesten Predigers die Ankunft des hohen Gastes, und da Se. Hoheit bei dieser Reise doch etwas lernen sollte, hielt einer der Herren einen Vortrag über die Erbauung der Kirche und über ihr Schicksal bis zu dieser Stunde. Und im Anschluß daran berichtete er über die Ausdehnung, die die Gemeinde genommen, über die Stärke des Kirchen­besuches und über die durchschnittliche Zahl der jährlichen Eheschließungen und Kindtaufen.

Und als der Redner geendet, erbat der Hauptprediger die Erlaubnis, in der Kirche in einem kurzen, öffentlichen Gebet den Segen Gottes auf das Haupt des allergnädigsten Landesherrn herab erflehen zu dürfen.

Se. Hoheit war über diese Aufmerksamkeit sichtlich erfreut und gab gerne seine Einwilligung, aber gerade, als er die Kirche betreten wollte, flüsterte ihm der Adjutant, der ungeduldig mit der Uhr in der Hand da gestanden hatte, leise zu: „Hoheit, wir müssen fort, unsere Zeit ist abgelaufen! Wir dürfen die Abfahrt nicht verschieben, wie leicht kann sonst unterwegs ein Eisenbahn­zusammenstoß erfolgen.”

So setzte man sich denn schnell in die bereitstehenden Wagen und fuhr zum Bahnhof.

Und kaum hatte Prinz Peter mit seiner Begleitung in dem Zug Platz genommen, da zog auch schon die Lokomotive an, da öffneten sich die Türen des Salonwagens und die Lakaien servierten ein aus vielen Gängen bestehendes Diner, damit dem Prinzen die Fahrt nicht lang werde.

Bald war man wieder in der Residenz und der regierende Fürst befahl sofort seinen Sohn zu sich, um von diesem zu hören, wie ihm seine erste Reise gefallen habe.

Aber Prinz Peter war lange nicht so entzückt, wie der Vater es erhofft hatte: „Ich weiß nicht, Papa, ich fand das alles sehr nett und sehr schön, aber zu sehen bekommen habe ich garnichts.”

Und Prinz Peter machte wirklich ein ganz betrübtes Gesicht.

Da aber ertönte die Stimme seines hohen Vaters an sein Ohr: „Mein Sohn, du hast gar keine Ursache, irgendwie unzufrieden zu sein, denn das merke dir ein für alle Mal: wie ein Baum, eine Kirche oder sonst irgend etwas aussieht, das weiß unsereins ganz genau, uns kann der Anblick solcher Dinge nichts Neues bieten. Etwas Neues zu sehen ist ja auch nur der Vorwand unserer Reisen, der Zweck ist, daß wir nicht selbst sehen, sondern gesehen werden.”

Der regierende Fürst schwieg und Prinz Peter schwieg auch. Was sein hoher Vater ihm da sagte, wollte ihm absolut nicht in den Sinn. Aber das lag natürlich nur an ihm, er mußte doch noch beschränkter sein, als er es so wie so schon geglaubt hatte.


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