Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Ihre Durchlaucht der Regimentschef” und
in: „Seine Hoheit”
Im Hause des Konsuls Baumgartner strahlte alles: der Spiegel an der Wand, das Auge der Mutter, die Livreeknöpfe der Diener und die Nase des Konsuls, der einem guten Tropfen nicht abgeneigt war. Alles strahlte und nicht ohne Grund, denn dem Hause war eine Ehre und eine Auszeichnung zu teil geworden, wie noch nie einer andern Familie in der großen Stadt. Der zwölfjährige Sohn des Hauses, der die Kadettenanstalt besuchte, der kleine Fritz, wie er in der Familie hieß, war für würdig befunden worden, mit dem Thronfolger zusammen erzogen zu werden. Denn auch der kleine Prinz besuchte das Kadettenkorps, wie das jetzt so Brauch ist.
Der kleine Fritz war der Spielgefährte und der Studiengenosse Sr. Hoheit(1) des zukünftigen Landesherrn geworden, das war nicht nur eine große Auszeichnung für den kleinen Fritz selbst, sondern auch für seine Eltern — für diese fast noch mehr als für ihren Sohn, denn der kleine Fritz konnte bei seiner Jugend kaum schon etwas böses getan haben, während dies bei den Eltern doch immerhin möglich gewesen wäre. So waren denn auch von höchster Stelle aus lange Erkundigungen über die Familie des Konsuls eingezogen worden, und erst als man erfuhr, daß gegen diese nicht das geringste einzuwenden war, wurde der kleine Fritz offiziell zum Spielgefährten Sr. Hoheit ernannt.
In dem Hause des Konsuls strahlte alles, und die Nase des Konsuls strahlte immer mehr, je besser die Weine wurden, mit denen er dieses frohe Ereignis feierte — der einzige, der nicht strahlte, war der kleine Fritz. Der hatte Angst, daß es ihm nicht gelingen würde, den Beifall Sr. Hoheit zu finden, und bange Zweifel ängstigten ihn, ob er auch klug genug sein würde, dem Unterricht, den Se. Hoheit erhielt, folgen zu können. Gewiß, nach dem Urteil seiner Lehrer war er ein ungeöhnlich befähigter und aufgeweckter Junge, dem das Lernen nicht die geringste Schwierigkeit machte, aber immerhin hatte es sich bisher doch nur um den ganz gewöhnlichen Lehrstoff gehandelt, den jeder bewältigen muß. Aber ein Prinz muß doch viel mehr lernen. Wenn der später ein ganzes Reich regieren sollte, da genügte es doch nicht, lateinische Verben zu können und Gleichungen mit zahllosen Unbekannten zu lösen, da mußte er doch in zahllosen anderen Fächern unterrichtet werden, um in späteren Jahren dem Vortrag seiner Minister folgen und seine Entscheidungen treffen zu können.
Werde ich klug genug sein? Das war die Frage, auf die der kleine Fritz erst später die Antwort fand, als sich herausstellte, daß er nicht nur klug genug, sondern zu klug war. Er wußte immer, was Se. Hoheit nicht wußte, und das ging natürlich auf die Dauer nicht. Das war für Se. Hoheit zu beschämend, denn unmöglich konnte man diesem einen bürgerlichen Konsulssohn als leuchtendes Vorbild hinstellen, dem nachzuahmen Se. Hoheit nacheifern müsse. Das wäre einer Umwertung aller Werte gleichgekommen, und davon durfte schon mit Rücksicht auf den späteren Beruf Sr. Hoheit keine Rede sein. Verderbliche neue Anschauungen mußten seinem jugendlichen Gehirn ferngehalten werden, vor allen Dingen mußte das Bewußtsein in ihm gestärkt und stets aufs neue geweckt werden, daß er mehr sei als alle anderen und infolge seiner Aufnahmestellung auch in jeder Hinsicht mehr wisse als die anderen. So wurde der kleine Fritz denn nicht gelobt, wenn er mit seiner Weisheit herausplatzte und dadurch das nicht brennende Licht Seiner Hoheit unter den Scheffel stellte, sondern er wurde getadelt, und er wurde ermahnt, sich an Sr. Hoheit ein Beispiel zu nehmen, zu schweigen, wenn er nicht gefragt sei, und wenn er gefragt würde, auch nicht gleich zu antworten, sondern wie Se. Hoheit sich die Worte erst reiflich zu überlegen. Und ferner wurde er belehrt, daß es besser sei, nach reiflicher Überlegung etwas falsches, als ohne jede Überlegung das Richtige zu sagen, denn die Hauptsache sei, daß der Geist es lerne zu denken. Wer da falsch denke, könne durch seine Lehrer auf den richtigen Weg gebracht werden, wer da aber gar nicht denke, aus dem würde nie etwas werden.
Der kleine Fritz war viel zu klug, um nicht einzusehen, daß diese Worte Unsinn seien, aber er nahm sie sich dennoch zu Herzen und wurde bald der Dümmste von allen. Darüber freuten sich alle, die Lehrer erhielten eine Belobigung, weil sie es verstanden hatten, Fritz auf den richtigen Weg zu leiten, und Fritz bekam an seinem Geburtstage von Sr. Hoheit eine Einladung zu Schokolade und Kuchen. Einen Kuchen bekam er, weil er geboren war, den zweiten, weil er am Morgen bei dem Unterricht trotz allen Nachdenkens nicht hatte herausbekommen können, was er ohne nachzudenken ganz genau wußte, daß in der aufgegebenen Gleichung x=10 und y=16 war. Se. Hoheit hatte das richtig herausgefunden, zwar nicht in seinem Gehirn, sondern aus dem Rechenheft eines anderen Sudiengenossen, der neben ihm saß. Und so entsprang der zweite Kuchen dem freudigen und stolzen Bewußtsein Sr. Hoheit, viel klüger zu sein als der kleine Fritz. Am Anfang war er auf den wirklich manchmal böse gewesen, und vorübergehend hatte er, trotzdem er ein Prinz war, in seine eigenen Kenntnisse Zweifel gesetzt, dann aber hatte er eingesehen, daß sein erlauchter Vater doch recht hatte, als er ihm eines Tages schrieb: Ein Bürgerlicher kann einen Prinzen wohl für kurze Zeit, nie und nimmer aber auf die Dauer geistig überflügeln.” Daß der Prinz an sich gewzeifelt hatte, lag natürlich in erste Linie an seiner Jugend, und je älter er wurde, desto mehr hörten solche Zeifel auf.
Schließlich hörten die Zweifel ganz auf, und wenn er überhaupt noch manchmal zweifelte, dann zweifelte er nur daran, daß er manchmal an sich selbst hatte zweifeln können.
Je älter und je klüger der Prinz wurde und je dümmer sich im Laufe der Zeit sein Studiengenosse Fritz stellte, umso mehr liebte er diesen, und es war bei ihm beschlossene Sache, daß er sich auch in späteren Jahren nicht von ihm trennen wolle. Allerdings, noch hatte das gute Zeit, denn sein hoher Vater dachte noch nicht daran, ihm den Thron abzutreten, einmal weil er noch nicht tot war, dann aber auch, weil es seinem Sohn noch an den nötigen Kenntnissen fehlte: er hatte noch nicht in der Armee praktisch Dienst getan, er hatte noch keine Reisen unternommen, er war noch nicht Protektor bei industriellen Ausstellungen gewesen, er hatte noch nicht ein einziges Mal öffentlich gesprochen, er hatte noch keine Liaison gehabt, er hatte es bei dem Automobilfahren noch zu keiner absoluten Meisterschaft gebracht, so daß ihm auch in dieser Hinsicht das Leben und das Wohlergehen seiner Landeskinder nicht so ohne weiteres anvertraut werden konnte, kurz und gut, er mußte noch viele Examina ablegen, ehe er seinem Vater bewiesen hatte, daß er wirklich werde regieren können.
Aber es kam anders, als der erlauchte Vater dachte, der schloß infolge eines Schlaganfalles eines Morgens die Augen und war tot. Und an dieser Tatsache konnte auch das Gutachten der klügsten Ärzte nicht ändern.
Der erlauchte Vater war tot und der erlauchte Sohn bestieg, da er bereits mündig war, den Thron, ohne vorher die Examina abgelegt zu haben — selbst das Examen im Korps hatte er nicht abgelegt. Aber das war ja auch überflüssig, bestanden hätte er es ja doch.
Am liebsten hätte Se. Hoheit seinen Freund Fritz gleich mit sich auf den Thron genommen, oder wenigstens mit bis zu den Stufen des Thrones. Aber das ging nicht, denn da der Vater von Fritz noch nicht gestorben war, und da man auch aus manchen anderen Gründen in sein Wissen größere Zweifel setzte als in das Sr. Hoheit, so mußte er erst ein Examen ablegen, ob er die nötigen geistigen Fähigkeiten besäße, später Gewehr über und Gewehr ab zu kommandieren und drei Mann trockenen Fußes über einen Rinnstein zu führen.
Fritz hatte die nötige Fähigkeiten und bestand das Examen.
Darüber wunderten sich alle, nur Se. Hoheit nicht, denn der ersah daraus, daß er seinen Studiengenossen nicht umsonst seiner Freundschaft und seiner Liebe gewürdigt hatte. Daß Fritz die Prüfung bestand, war ein neuer Beweis dafür, wieviel ein Bürgerlicher aus dem Verkehr mit einem Prinzen lernt, wie er dessen Fähigkeiten und Interssen zu erwecken versteht, wie er durch seine eigenen Kenntnisse den anderen anspornt und anfeuert, es ihm gleichzutun.
Je länger Se. Hoheit darüber nachdachte, desto mehr kam er zu der Überzeugung, daß es lediglich sein Verdienst sei, wenn Fritz, der sich doch nur ganz vorübergehend durch Kenntnisse ausgzeichnet hatte, bei dem Examen nicht durchgefallen war.
Und da Se. Hoheit, als ihm diese Erkenntnis kam, gerade vor dem Spiegel stand und da sah, daß ihm noch sehr viele Orden fehlten, verlieh er sich selbst aus Anlaß des glücklich bestandenen Examens seines Freundes seinen schönsten Orden zum Halse heraus, und auf diesem prangte in goldener Schrift das Wort: Merenti (dem Verdienste).
Und jeder, der diesen Orden zum Halse Seiner Hoheit heraushängen sah, beugte sich tief vor ihm bis zur Erde.
(1) In der Fassung von „Seine Hoheit” werden in der ganzen Erzählung die Abkürzungen Se.Hoheit und Sr. Hoheit voll ausgeschrieben. (Zurück)