Sergeant Haase und der Pardon

Erzählung von Freiherr von Schlicht.
in: „Leipziger Tageblatt” vom 24.10.1914,
in: „Bonner Zeitung” vom 25.10.1914,
in: „Taunusbote” (Bad Homburg) vom 2. und 4.12.1914,
in: „Badische Presse” vom 11., 12. und 13.2.1915,
in: „Ohligser Anzeiger” vom 12.4.1915,
in: „Unsere Feldgrauen”


Wenn es einen Menschen gab, in dem nach dem Worte des Dichters zwei Seelen beständig in seiner Brust stritten, dann war es der Sergeant Haase. Nach außen hin war er ein auffallend strammer und hübscher Mensch, der in seiner Infanterie­uniform ausgezeichnet aussah und dem gar manches holdes Mägdelein sehnsüchtig und verlangend nachblickte, wenn er stolz aufgerichtet durch die Straßen der Stadt schritt. In seinem Äußeren war er der Typus des preußischen Unteroffiziers, in seinem Innern aber war er, wie er es sich selber, aber auch nur sich allein, offen eingestand, ein ganz gewöhnlicher Zivilist, und das deshalb, weil er in seiner Brust ein Herz trug, das so weich war, daß er nicht einmal einer Fliege etwas tun konnte, geschweige denn seinen Leuten. Natürlich, tun durfte er denen ja auch nichts, nicht nur, weil das streng verboten war, sondern auch, weil das seinem eigenen Empfinden widersprach. Aber im Interesse des Dienstes mußte er doch oft mit einem unheiligen Donnerwetter dazwischenfahren, wenn die Griffe nicht klappten oder wenn irgendein dämlicher Polack anstatt mit dem linken Fuß zuerst mit dem rechten antrat. Aber wenn er dann fluchte und es sah, wie die Leute bei seinen Worten ängstlich zusammenfuhren, dann empfand er mit seinen Untergebenen ein solches Mitleid, daß er sie am liebten gleich darauf getröstet und ihnen zugerufen hätte: „Kinder, tut mir den einzigen Gefallen und weint nicht. Ich habe mir ja bei meinen Worten absolut nichts Böses gedacht, und ihr könnt davon überzeugt sein, daß es mir noch viel weniger Vergnügen macht, zu schelten als euch ausgescholten zu werden.”

Sergeant Haase hatte die Seele eines Kindes, bis dann plötzlich die Stunde kam, in der er nicht mehr wie bisher gegen seinen Willen, sondern aus ehrlichster Überzeugung fluchte. Das geschah, als der Befehl zur Mobilmachung kam. Der Krieg war da, hurra! Aber in die große Freude mischte sich bitteres Leid. Sein Regiment lag weit ab von der Grenze, und es würden nicht nur Tage, sondern Wochen vergehen, ehe es an den Feind ging. Da mußte man doch fluchen, was das Zeug halten wollte. Der Krieg war da, und von dem Augenblick der Mobilmachung an war das Zivilistische in dem Sergeanten Haase gestorben, er wußte nicht mehr, was ein Herz war. Wenisgtens bildete er sich das fest ein. Und als dann in die Garnison die ersten Siegesnachrichten von der Westgrenze kamen, zugleich aber auch die ersten Meldungen von den bestialischen Grausamkeiten, die an den deutschen Gefangenen verübt wurden, da war es der Sergeant Haase, der bei den gemeinsmen Mahlzeiten im Unteroffizierkasino am lautesten verkündete: „An den Franzosen und an den Belgiern, die uns in die Hände fallen, müssen wir Gleiches mit Gleichem vergelten, bis die Gegner uns schwören, unsere Gefangenen menschlich zu behandeln. Aber da es uns nicht liegt, bei den Grausamkeiten Gleiches mit Gleichem zu vergelten, müßte es bei uns Grundsatz sein, keine Gefangenen zu machen und unter gar keinen Umständen Pardon zu geben. Natürlich, ganze Truppenteile, die sich gefangennehmen lassen, kann man nicht niedermachen, aber wenigstens im Einzelgefecht sollte und müßte man unerbittlich sein, und soviel weiß ich — ich gebe keinen Pardon, und wer von den Franzosen in die Nähe meines Flintenlaufes oder auch nur meines Gewehrkolbens kommt, der ist geliefert, da hilft ihm kein Gott und erst recht kein Mensch.”

Wenn der Sergeant Haase so sprach blitzte es in seine sonst so gutmütigen Augen wild und beinahe teuflisch auf, daß die Kameraden sich gegenseitig ganz verwundert ansahen, und daß sie sich im stillen fragten: ob dessen kriegerische Stimmung wohl lange anhalten würde?

Aber die hielt an und sie ging auch nicht zum Teufel während der andlos langen Eisenbahnfahrt, die das Regiment dann endlich an die Grenze brachte. Gar manchen Tag und manche Nacht dauerte der Transport, und je häufiger sie unterwegs von den weiteren Erfolgen der deutschen Waffen und der Gefangennahme zahlreicher Franzosen und Belgier hörten, desto mehr lehnte sich in dem Sergeanten Haase alles gegen diese humane Kriegsführung auf, und immer wieder sagte er sich: na, soviel weiß ich, ich gebe keinen Pardon, und wenn der Franzose mich auch kniefällig darum bittet.

Bis dann der Tag kam, an dem sich dem Sergeanten Haase die Gelegenheit bot, seine Worte in die Tat umsetzen zu können.

Bei einem Vorgehen seiner Kompagnie gegen ein nur schwach besetztes feindliches Dorf war Sergeant Haase mit zwölf Mann als rechte Seitendeckung abgeschickt, um sich später in dem Dorf selbst wieder mit seiner Kompagnie zu vereinen, als er plötzlich und unerwartet unter Feuer genommen wurde. Blitzschnell warf er sich mit seinen Leuten auf die Erde. Unter Zuhilfenahme eines Fernglases hatte er gleich darauf festgestellt, woher das Feuer kam. Dort drüben halb rechts vor ihm saß eine schwache feindliche Abteilung in dem Chausseegraben, den sie als Deckung benutzte, und die Leute schienen die feste Absicht zu haben, ihn mit seinen Kerls in das bessere Jenseits zu befördern, wenigstens schossen sie wie wild darauf los.

Immer schießt nur, Kinder, dachte der Sergeant Haase, schießen könnt ihr soviel ihr wollt, schon damit eure Patronen bald alle werden, schießen könnt ihr, das stört mich absolut nicht, ihr dürft nur nicht treffen, und damit ihr das nicht tut, werden wir euch jetzt unter Feuer nehmen. Nun paßt auf, aber nehmt die Köppe hübsch weg.

Und gleich darauf erklang sein Kommando: „Vor uns halb rechts im Chausseegraben feindliche Infanterie — Kopf- und Brustziele — Visier sechshundert Meter — ganz langsames, ruhiges, bestgezieltes Einzelfeuer.”

Langsam wie auf dem Scheibenstand ließ Sergeant Haase seine Leute schießen, während er selbst nur ab und zu einen Schuß abgab, um besser die Feuerwirkung seiner kleinen Abteilung beobachten zu können. Und seine Leute schossen gut, ganz deutlich sah er durch sein Glas, wie dadrüben gar mancher das Gewehr aus der Hand fallen ließ, um dann zusammenzusinken. Das Feuer da drüben wurde immer schwächer. Waren es zunächst wohl zwanzig Mann gewesen, die seinen Vormarsch aufzuhalten versuchten, so waren es jetzt wohl nicht viel mehr als zehn. Aber auch die Brüder mußten ihm den Weg endlich freigeben, denn was sollte sein Hauptmann wohl von ihm denken, wenn er nachher nicht rechtzeitig mit seinen Leuten im Dorfe eintraf.

„Also los: „Sprung — auf — marsch, marsch!”

Dann auf halber Entfernung ein kurzes: „Halt — hinlegen — geradeaus auf die verdammten Kerle da drüben — Visier dreihundert Meter — Schnellfeuer!”

Ein paar Minuten Pause, um frische Luft in die Lungen zu bekommen, dann ein neues Kommando: „Seitengewehr pflanzt auf — Sprung — auf — marsch, marsch!”

Und mit Hurra vorwärts!

Was half es den paar Franzosen da drüben, daß sie in wahnsinniger Hast, ohne zu zielen, die letzten Patronen verfeuerten. Eine Minute später war die Abteilung überrannt und mit mächtigen Kolbenschlägen, denen kein französischer Schädel standhielt, wurde den Franzosen der Garaus gemacht. Eingedenk der Instruktion ihres Führer wurde kein Pardon gegebn. Am allerwenigsten von dem Sergeanten Haase selbst. Der war als erster bei den französischen Schützen angelangt, als erster hatte er den Gewehrkolben geschwungen, um den niederschmettern zu lassen, aber anstatt das sofort zu tun, stand er immer noch starr und unbeweglich, den Gewehrkolben hoch in der Luft über seinem eigenen Haupte und blickte in das Gesicht des französischen Infanteristen, der da jetzt vor ihm auf den Knien lag und mit stummen und doch so beredten, flehenden Augen zu ihm aufblickte, daß dem Sergeanten Haase ganz sonderbar zumute wurde, denn in diesen Augen stand gechrieben: „Wenn du noch einen Funken von Mitleid empfinden kannst, dann töte mich nicht. Ich tat nur meine Pflicht wie du, du sicher freiwillig, ich aber gezwungen, denn ich hasse diesen Krieg.”

Aber ncht allein, daß diese Augen so lebhaft sprachen, es war dem Sergeanten Haase, als habe er überhaupt noch nie bei einem Manne, noch dazu bei einem Soldaten so wundervolle, beinahe frauenhaft schöne, träumerische Augen gesehen. Und zu diesen Augen gehörte ein Gesicht, so weich und zart und doch nicht ohne eine gewisse Energie. Sicher ein Künstler, ein Komödiant, ein Musiker oder ein ähnliches Gesindel, dachte sich Sergeant Haase im stillen. Aber was ging ihn das an, der Franzose mußte sterben, da half dem kein Gott. Pardon wurde nicht gegeben, und er holte mit dem Gewehrkolben noch weiter aus — — — da richtete der Franzose nochmals seinen Blick auf ihn, während er ihm zugleich die rechte Hand mit dem Trauring entgegenstreckte und ihm zurief: „Pitié — pitié, marié — marié!”

„Hat sich was mit pitje, pitje, mein Junge,” rief der Sergeant seinem Gegner zu, „pitje, pitje macht auf mich gar keinen Eindruck, ebenso kannst du putje, putje sagen. Und daß du, marié, verheiratest bist, du siehst, mein Junge, etwas Französisch verstehe ich auch, ich habe das zu Hause in der Garniso nicht umsonst in meinen freien Stunden betrieben. Nun weiß ich, wozu das gut ist.” Und das hocherhobene Gewehr auf die Erde stellend und sich darauf stützend, sah er den Franzosen nun seinerseits mit ganz großen Augen an, um den gleich darauf verwundert zu fragen: „Du bist schon verheiratet, mein Junge? Das hätte ich dir weiß Gott nicht zugetraut. Du kannst doch noch gar nicht trocken hinter den Ohren sein. Wie alt oder, richtiger gesagt, wie jung bist du denn?”

Natürlich hatte der Franzose die Worte nicht verstanden, aber er sah es dem Sergeanten an, daß dieser eine Antwort von ihm erwartete, und schon, um den nicht zu erzürnen und sein Leben nicht zu gefährden, rief er ihm schnell zu: „Je n'ai pas compris, mon corporal. Si vous vouler parler français, vous parlez le français dans la perfection.”

Davon, daß er das Französich perfekt sprach, hatte der Sergeant Haase seinem Gegner bisher noch nicht den kleinsten Beweis erbacht. Das erfand der Bengel sich sicher auch nur, um sich bei ihm einzuschmeicheln, aber wenn der glaubte, daß das auf einen preußischen Unteroffizier irgendwelchen Eindruck macht und wenn der andere hoffte, sich durch solche plumpe Schmeicheleien sein Leben zu retten — das gab es nicht. Dessen Leben war verwirkt, Pardon wurde nicht gegeben, und gerade deshalb kam es dabei auf eine Minute früher oder später auch nicht an. So rief Sergeant Haase denn jetzt seinem Franzosen zu: „Ich habe dich gefragt, mein Junge, wie alt du bist. Oder um in einem perfekten Französisch zu reden: Quel âge avez vous?”

„J'ai vingt et un, mon corporal.”

„Der Teufel ist dein Korporal, aber nicht ich,” brauste Sergeant Haase auf, „ich bedanke mich für die Ehre, ein Korporal zu sein. Im übrigen aber ist es die Möglichkeit! Ganze einundzwanzig Jahre bist du alt und schon verheiratet. Da fehlt nur noch, daß du auch schon eine Familie begründet hast. Ein leichtsinniges Volk seid ihr Franzosen ja nun einmal, und ob du Kinder hast oder nicht, was geht das mich an, aber trotzdem, wissen möchte ich es doch, und deshalb frage ich dich jetzt: Hast du Bengel zu Hause ein paar Gören sitzen — avez vous des enfants?”

In den Augen des Franzosen blitzte es hell und freudig auf, und mit weicher Stimme gab er jetzt zur Antwort: „Oui, mon corporal, j'ai deux enfants.”

„Wenn du mich noch einmal ,mon corporal' nennst, schlage ich dir nicht nur einmal, sondern zweimal den Schädel ein,” fuhr Sergeant Haase ihn an, um dann gleich darauf zu fragen: „Was knöpfst du dir denn da plötzlich den langen Rock auf deiner Brust auf? Hast du da vielleicht noch ein heimliches Schießgewehr sitzen, mit dem du mir zu Leibe gehen willst. Nimm dich in acht, mein Junge,” und drohend schob er dem anderen den Flintenlauf dicht vor die Brust.

Aber der Franzose bekam keine Angst, er ließ sich auch in seinem Vorhaben nicht beirren, sondern knöpfte den Rock weiter auf und suchte dann in einem kleinen Paket Briefsachen herum, das er aus der inneren Rocktasche hervorgeholt hatte, um gleich darauf dem Sergeanten Haase ein Bild zu überreichen: „Ma femme et mes deux enfants!”

Und ehe er wußte, wie ihm geschah, hielt der Sergeant Haase eine Amateur­photographie in Händen. Das Bild war schlecht, aber trotzdem die Mutter mußte bildhübsch sein, und erst die beiden Kinder von einem und zwei Jahren, denn älter konnten sie unmöglich sein, waren süße, kleine Geschöpfe, beide mit ganz großen Augen und winzig kleinen Händen.

Es hätte nicht viel gefehlt und Sergeant Haase wäre wieder weich geworden wie früher in der Garnison. Aber Gott sei Dank, damit war es für immer vorbei, jetzt war man doch im Kriege, da war man noch mehr Soldat als sonst, und was ging es ihn an, ob der Mann zwei Kinder hatte oder gar keine, ob die hübsch oder häßlich waren. Wenn der Bengel glaubte, ihn mit solchem Firlefanz ködern zu können, dann war er schief gewickelt. Der mußte sterben, da half ihm kein Gott, Pardon wurde nicht gegeben, das wäre ja noch schöner, wenn er den anderen lediglich wegen dieser beiden kleinen Kinder — aber süß waren die Bälger. Schade, daß es Krieg war, und daß er die Kinder nur auf dem Bilde vor sich hatte, lieber hätte er die in Wirklichkeit auf seinen Schoß gehoben und mit ihnen „backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen” gespielt, wie er das mit seinen kleinen Neffen und Nichten tat, wenn er auf Urlaub bei seiner verheirateten Schwester war.

„Herr Sergeant, wir müssen weiter,” mahnte da die Stimme des ältesten Gefreiten, der dann gleich darauf hinzusetzte: „Wie ist es, Herr Sergeant, wollen der Herr Sergeant dem Kerl da selbst den Schädel einschlagen oder wollen der Herr Sergeant das mir überlassen?”

„Glauben Sie etwa, Gefreiter, daß ich das nicht selber kann?” gab Sergeant Haase mit strenger Stimme zurück, „der Kerl gehört mir, den überlasse ich keinem anderen, und seine Stunde hat jetzt geschlagen,” und sich an den Franzosen wendend, hielt er diesem das Bild wieder hin: „Hier, mein Junge, hast du es zurück. Es war ja sehr freundlich von dir, mich noch kurz vor Deinem Tode in deine intimsten Familen­angelegenheiten einzuweihen, aber einen Zweck hat es nicht gehabt. Hier, steck das Bild wieder ein. Hast du es bei Lebzeiten bei dir getragen, dann sollst du dich auch im Tode nicht von ihm trennen.”

Aber der Franzose nahm das Bild nicht, er schüttelte nur mit traurigen Augen den Kopf, und während er mit den Händen eine ablehnenden Bewegung machte, rief er dem Sergeanten Haase zu: „C'est à vous, mon corporal.”

Der blickte ganz überrascht auf: „Das Bild gehört mir? Das willst du mir schenken, mein Junge? Gewissermaßen als letztes Vermächtnis? Aber was soll ich mit dem Bilde? Glaubst du vielleicht, ich würde das Bild behalten. Glaubst du, ich hätte Lust, mir, so oft ich das Bild ansehe, zuzurufen: dem Manne dieser hübschen, kleinen Frau und dem Vater dieser Kinder hast du höchst eigenhändig den Schädel eingehauen, und du bist schuld daran, daß die Frau zur Witwe und daß die Kinder Halbwaisen wurden? Nein, mein Junge, das Bild nimm nur wieder, und wenn du es nicht haben willst, dann zerreiße ich es.”

Aber als er sich anschickte, das zu tun, ergriff der Franzose, der jede seiner Bewegungen beobachtet hatte, seine Hände und sah mit einem flehenden Blick zu ihm auf, in dem die Frage zu lesen stand: was haben dir meine Kinder getan?

Die Hände gegenseitig fest umspannt, die Blicke fest auf einander gerichtet, standen die beiden einander gegenüber — der Franzose nicht mehr um das eigene Leben, sondern für seine Frau und seine Kinder bittend, der Deutsche gegen die Empfindung seines Herzens ankämpfend und sich selbst daran erinnernd, daß er seine Pflicht tun müsse.

„Herr Sergeant, wir müssen weiter,” mahnte da die Stimme des Gefreiten zum zweitenmal.

Aus tiefem Sinnen funr Sergeant Haase auf: „Ja, ja, ich komme.”

Mit einem raschen Griff machte er sich frei und faßte nach seinem Gewehr, das er gleich darauf mit beiden Händen hoch über dem Kopfe des Franzosen schwang. Das Bild war auf die Erde gefallen, mochte es dort liegen bleiben.

Sergeant Haase erhob das Gewehr immer höher, um dadurch die Wucht des späteren Schlages zu vermehren, und der Franzose, der da einsehen mochte, daß sein letzter Augenblick gekommen war, nahm sein Käppi ab und hielt es still vor das Gesicht.

Und da sah Sergeant Haase, daß der Franzose blutete. Ein oder mehrere Streifschüsse mochten den Kopf getroffen haben, die Haare waren dicht mit geronnenem Blut bedeckt.

Einen Augenblick sah Sergeant Haase ganz verwundert auf diesen unerwarteten Anblick, dann aber erfüllte eine grenzenlose Glückseligkeit sein Inneres, und er fühlte sich so frei und erleichtert, als wäre eine zentnerschwere Last von ihm gewichen. Gott sei Dank, der Gegner war schon verwundet, da konnte — nein, da durfte er ihn nicht töten, den Verwundeten mußte Pardon gegeben werden, dafür ist man doch ein Deutscher.

So ließ er denn die erhobene Waffe abermals sinken, und sich an seine Leute wendend, befahl er: „Nehmt den Mann und führt ihn später zum nächsten Verbandsplatz. Ihr habt eure Gegner bei dem Sturmangriff erschlagen, bei mir ist es etwas anderes, einen verwundeten Feind zu töten, ist ehrlos. Nun vorwärts!” Und sich an den Franzosen wendend, der ihn mit heißen, dankerfüllten Augen ansah, rief er diesem zu: „Freue dich nicht zu früh, mein Junge, diesmal bist du noch mit dem Leben davon gekommen, aber wenn es abermals Krieg gibt, dann bleibe hübsch zu Hause, oder hüte dich wenigstens, mir von neuem zu begegnen, denn das laß dir bei dieser Gelegenheit sagen, wenn es in unserem ganzen Heere einen Menschen gibt, der keinen Pardon gewährt, dann bin ich es, der Sergeant Haase.”

Gleich darauf marschierten die Leute mit dem Gefangenen weiter, Sergeant Haase schloß sich ihnen an, aber nach wenigen Schritten machte er wieder kehrt, lief zu dem Chausseegraben zurück und hob die Photographie auf, die dort immer noch auf der Erde lag. Hatte der Franzose das Bild der Seinen auf dem Marsche und im Gefecht bei sich getragen, dann sollte er es auch während der ihm bevorstehenden langen Gefangennahme nicht missen.

Und als er das Bild aufgehoben und vom Schmutze gereinigt hatte, da führte er es heimlich und verstohlen an seine Lippen und küßte die beiden süßen, kleinen Kinder. Und als er sie geküßt hatte, rief er ihnen zu: „Kinder, freut euch mit mir, daß euer Vater verwundet war, aber euch kannn ich es ja eingestehen, euretwegen hätte ich ihn auch sonst am Leben gelassen.”


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