Paradeorden.

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Seine Hoheit”


Eine Parade über das ganze Armeekorps sollte den Schluß der Herbstmanöver bilden. Seine Durchlaucht der Durchlauchtigste und Gnädigste, in dessen von Gottes Gnaden ererbtem Land das Armeekorps stand, hatte die Gnade gehabt, zu dieser Parade sein persönliches Erscheinen mit aller Bestimmtheit zuzusagen. So wurde denn Parademarsch geübt, wo sich nur immer eine passende und unpassende Gelegenheit dazu fand. „Denn,” so sagten die Unteroffiziere, und zwar mit vollem Recht, „der Parademarsch ist die Hauptsache und für den Ausgang eines Krieges viel wichtiger als Ihr glaubt. Meint Ihr, die Japaner hätten jemals Port Arthur bekommen, wenn die Russen einen besseren Parademarsch gemacht hätten? Und meint Ihr, die Russen hätten die letzte Seeschlacht verloren, wenn die Matrosen wie bei uns nicht nur im Wettrudern, sondern auch im Parademarsch ausgebildet wären? Habt Ihr eine Ahnung! Aber es ist nur das Gute, daß Ihr auch keine zu haben braucht, dafür sind wir da, wir Eure Vorgesetzten, und die Weisheit der Vorgesetzten ist die Klugheit und das Lebensglück der Untergebenen. Das merkt Euch und denkt darüber nach, aber nicht während des Dienstes, da habt Ihr an gar nichts zu denken, sonst werdet Ihr noch dummer, als Ihr es sowieso schon seid.”

Der Tag der Parade kam näher und näher, schon stand man am Vorabend des großen Ereignisses, da hieß es plötzlich: Seine Durchlaucht, der Durchlauchtigste und Gnädigste, ist plötzlich verhindert worden, die Parade selbst abzunehmen. Seine Durchlaucht haben geruht, seinen durchlauchtigsten Sohn mit der durchlauchtigsten Vertretung zu beauftragen.

Warum kam Seine Durchlaucht nicht selbst? Darüber zerbrach man sich den Kopf, aber als man dann noch spät am Abend den wahren Grund erfuhr, war man tief gerührt. In dem Ländchen Seiner Durchlaucht war Fleischnot ausgebrochen. Die Preise stiegen rapid in die Höhe, die Schweine waren in dem Ländchen ausgestorben und die armen Leute hatten nichts mehr zu essen. So wurde Seiner Durchlaucht berichtet, und Durchlaucht durchlauchtigstes Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Er selbst hatte von der Fleischnot zwar noch nichts verspürt, und er konnte es sich auch nicht recht vorstellen, wie es wäre, wenn es mittags zum Luncheon und abends zum Diner nicht jedesmal drei bis vier verschiedene Fleischgerichte gäbe. Und daß die Schweine ausgestorben waren, erfüllte ihn sogar mit einer gewissen Genugtuung, denn gegen Schweine jeglicher Art hatte er von jeher eine große Antipathie gehabt. Aber troz alledem, das Volk jammerte, und die Zeitungen schrieben: Macht die Grenzen auf! Da mußte etwas geschehen. Zwar waren die Grenzen seines Reiches beschränkt, aber trotz dieser Schranken standen sie ganz weit offen, doch vielleicht konnte man sie trotzdem noch weiter öffnen. Ob aber deshalb gleich Schweine hineinlaufen würden, war mehr als zweifelhaft. Immerhin mußte man es wenigstens versuchen, und man mußte so tun, als ob man etwas täte, und wie sehr das Wohl seines Volkes Seiner Durchlaucht am durchlauchtigsten Herzen lag, das würde allen dadurch am deutlichsten werden, daß er eine schleunige Sitzung seines Ministeriums gerade für den Tag anberaumte, an dem er eigentlich die Parade über seine schönen Truppen abhalten sollte.

Daß Seine Durchlaucht im stillen eine große Angst davor hatte, sich zu Pferde zu setzen und Galopp reiten zu müssen und daß er die Schweinenot als willkommenen Anlaß benutzte, der Parade fern bleiben zu können, das brauchte ja schließlich niemand zu wissen.

So blieb Seine Durchlaucht denn in der Residenz, und für ihn fuhr sein ältester Sohn ins Manövergelände. Das war ein junger Herr von einundzwanzig Jahren, sehr flott und sehr frisch, sehr gut angezogen und sehr gut beritten. Und als die Menge am nächsten Tag die junge Durchlaucht sah, da jubelte sie ihm zu, einmal weil er der Sohn seines Vaters war, der zu Hause mit seinen Ministern darüber nachdachte, woher er plötzlich wieder Schweine bekommen könne, dann aber auch, weil er sehr gut aussah, und schließlich, weil er ein Fürst war. Und einem Fürsten zuzujubeln, ist dem Deutschen angeboren, man muß selbst dann jubeln, wenn man gar nicht will. Und so jubelten sie denn gewaltig.

Die junge Durchlaucht geruhte die Huldigung des Volkes gnädig entgegenzunehmen, dann ritt er zu einer von der Natur bei der Erschaffung der Welt extra geschaffenen Grasnarbe, auf der ein für allemal die Pferde der hohen Herrschaften, die die Parade abnahmen, zu stehen hatten. Und als der Gaul die historische Stätte betrat, war er sich des großen Augenblickes voll bewußt. Er hob stolz den Kopf, aber noch höher hob er den Schweif, und gleich darauf ließ er etwas zur Erde niederfallen. Seine Durchlaucht bemerkten es nicht, wohl aber sahen es die Adjutanten, und erschrocken sahen sie sich um, ob nicht jemand mit einer Handschaufel und mit einem Handbesen zur Stelle war. Aber es war niemand da.

Da nahm die Parade ihren Anfang, und, um der Gerechtigkeit die Ehre zu geben — schön war sie nicht. Die Infanterie hatte zu viel üben müssen, die Beine wollten nicht mehr so, wie sie sollten, es war kein Schneid im Marsch, es fehlte die Seitenrichtung, es fehlten die richtigen Abstände. Die Infanterie war nicht schön, die Kavallerie war es auch nicht und die Artillerie erst recht nicht. Bei den Husaren fielen ein paar Kerls von den Pferden, und bei der Artillerie fielen sogar ein paar Leute von den Protzen. Wirklich gut waren nur die Kriegshunde, die von den Jägern an der Leine vorübergeführt wurden, die machten einen ganz vorzüglichen Eindruck.

Seine Durchlaucht war noch sehr jung, aber trotzdem hatte er aus den halblauten Äußerungen seiner Begleitung herausgehört, daß die Parade, wie das ja allerdings bei der besten Truppe einmal vorkommen kann, total mißglückt war. Als Durchlaucht sich auf Grund der erlauschten Meinungen zu dieser Erkenntnis durchgerungen hatte, freute er sich seiner Weisheit und wollte dieselbe gleich zum besten geben, damit auch die minder geistig Begabten etwas davon hätten. Da klapperte etwas in seiner Tasche, und als er hinfühlte, war es die Ordensauszeichnung für Seine Exzellenz, die sein durchlauchtigster Vater ihm gleich mitgegeben hatte, und die er Seiner Exzellenz persönlich überreichen sollte. Die anderen zahlreichen Orden, die zur Verteilung bestimmt waren, ruhten in den Rockschößen der Adjutanten.

Und als Seine Durchlaucht den Orden klappern hörte, wurde er beinahe traurig, denn nun durfte er seine Weisheit nicht strahlen lassen, sondern er mußte nun so tun, als wenn er gar nicht bemerkt hätte, wie traurig der Vorbeimarsch gewesen war. So lobte er denn bei der Kritik darauf los: „Parade glänzend verlaufen — namentlich die Infanterie — tadellose Seitenrichtung — famoses Innehalten der Abstände — Kavallerie und Artillerie selbstverständlich nicht minder gut — sogar die Kriegshunde einfach glänzend — na, überhaupt und so — er hätte das ja auch gar nicht anders erwartet, und sein durchlauchtigster Vater ebenfalls nicht, und deshalb hätte ihm dieser gleich die nötigen Orden mitgegeben, die er sich nun freue, verteilen zu dürfen —”

„Nun, wie war's?” fragte am Abend der durchlauchtigste Vater, als sein Sohn und Erbe zurückkam.

Die alte Durchlaucht war in sehr guter Laune, denn die Fleischnot war definitiv beseitigt. Man hatte einfach beschlossen, den Schweinezüchter Zsupan, der dem Durchlauchtigsten von einem Wiener Musikfritzen empfohlen worden war, zum Landwirtschaftsminister zu ernennen. Und die gute Laune des alten Herrn hielt auch an, als sein Sohn und Erbe zu ihm sagte: „Weißt du, Papa — Mühe genug haben sich ja alle gegeben, sie haben es vielleicht zu gut machen wollen, und gerade deshalb ist wohl manches mißglückt. Aber das geht ja oft so — gerade, wenn man zeigen will, was man kann, dann klappt es nicht.”

Das waren für eine junge Durchlaucht sehr weise Worte, und sein Vater, Seine Durchlaucht, der Durchlauchtigste und Gnädigste, wurde daher auch nachdenklich. „Ja, ja, so etwas soll zuweilen vorkommen,” stimmte er bei, „und daß nicht alles so war, wie es sein sollte, tut mir leid, schon der Leute wegen, für die ein solcher Tag eine große Anstrengung ist.” Er schwieg eine kleine Weile, dann fragte er: „Aber nicht wahr — die Orden hast du doch verteilt?”

„Gewiß, Papa.”

Da flog ein zufriedenes Lächeln über das durchlauchtigste Gesicht Seiner Durchlaucht und seinem Sohn und Erben wohlwollend auf die Schultern klopfend, sagte er: „Mein Sohn, nimm von mir eine weise Lehre an und merke sie dir für die Zeit, in der du selbst Durchlaucht, der Durchlauchtigste, sein wirst. Die Orden, mein Sohn, die sind bei solcher Gelegenheit die Hauptsache, die muß man los werden, und zwar je mehr, desto besser, dann ist eine Parade in den Augen der Zuschauer und in den Augen der Welt selbst dann gut gewesen, wenn sie auch noch so elendiglich war.”

Seine Durchlaucht schwieg einen Augenblick, dann sagte er: „Schade, wenn ich hätte ahnen können, daß nicht alles so klappen würde, wie es klappen sollte, dann hätte ich dir lieber gleich noch ein paar Dutzend Orden mehr mitgegeben.”


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