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Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Seine Hoheit”


Leutnant von Wachwitz von den Husaren saß im Kasino und fühlte sich. Und zwar fühlte er sich gewaltig, das merkte man an dem stolz aufgedrehten Schnurrbart und an der ganzen Flasche Mumm, die vor ihm stand. Er befand sich in jener Stimmung, in der einem gar nichts imponiert, ein gewöhnlicher Vorgesetzter am allerwenigsten, und als jetzt sein gestrenger Rittmeister ebenfalls ins Kasino trat, erhob er sich gar nicht, um eine Verbeugung zu machen, ja, er lüftete seinen Hosenboden nicht einmal einen halben Zentimeter vom Stuhl. Der Rittmeister bemerkte es und wurde grob.

„Ein andermal stehen Sie gefälligst auf, das verlange ich von allen jüngeren Herren, besonders von denen, die auf meiner Schwadron stehen.”

„Stehen ist gut,” dachte Wachwitz, „gestanden haben ist aber noch viel besser. Mich bist du los, meine Chonne-Taube, aber was mir viel wichtiger ist, ich bin dich los. Dein Herz scheint es noch gar nicht zu wissen, daß ich für die bevorstehende mehrtägige Übung zum Ordonnanz-Offizier kommandiert bin, und wenn die Sache gut geht, und wenn Exzellenz mit mir zufrieden ist, dann werde ich auch später Ordonnanz­offizier bleiben und bei der Schwadron werde ich entweder gar nicht mehr Dienst tun oder höchstens ganz kurze Gastrollen geben. „Ordonnanz­offizier Seiner Exzellenz”, das ist doch wohl 'ne Visitenkarte, das klingt doch ganz anders als — als — na, als was anderes.”

Ordonnanzoffizier Seiner Exzellenz, das war doch noch 'mal etwas, da kam er mit dem hohen Herrn täglich und stündlich in Berührung, man wurde mit ihm zusammen einquartiert, selbstverständlich nur auf den größten Rittergütern oder auf den vornehmsten Schlössern, man wohnte da mit ihm zusammen auf demselben Korridor, man benutzte mit ihm zusammen vielleicht teilweise dieselben Zimmer, ja vor allen Dingen würde ihm die hohe Auszeichnung zuteil werden, mit Seiner Exzellenz zusammen dasselbe verschwiegene Gemach benutzen zu dürfen. Und gerade in dem Punkte war Wachwitz, wie das bei seiner adligen Geburt auch gar nicht zu verwundern war, sehr empfindlich. Nichts war ihm schrecklicher, als in einem elenden Bauernhaus einquartiert zu sein und sein sorgenvolles Herz in einem Raum ausschütten zu müssen, der womöglich nicht einmal ein Tür besaß, in dessen Hintergrund die Schweine grunzten und auf dessen Schwelle neugierige Hühner herumgackerten. Und dann der Geruch. Wachwitz schauderte zusammen, gewiß, er war mit Leib und Seele Soldat, er war bereit, alle Anstrengungen und Entbehrungen zu ertragen, aber etwas mochte er denn doch nicht missen, das war die Wasserspülung und der damit verbundene Komfort. Gottseidank, jetzt würde er alles haben, was er in der Hinsicht brauchte, um glücklich zu sein, und auch sonst konnte der intime Verkehr mit Seiner Exzellenz ihm nur nützen. Durch die eine Exzellenz würde er weitere Exzellenzen kennen lernen, er würde vielleicht das Glück haben, dem hohen Herrn eine kleine Anekdote erzählen zu dürfen oder ihm ein Streichholz anzubieten, er würde bis an sein Lebensende unauslöschliche Eindrücke behalten, und wenn er dann später einmal verheiratet war, dann brauchte er nicht wie der brave Bewitz jeden Abend in die Kneipe zu laufen, weil er sich bei seiner jungen Frau dreiviertel tot langweilte, sondern er konnte dann später seiner Frau und noch später seinen Kindern und in noch späteren Jahren seinen Enkeln von der köstlichen Zeit erzählen, in der er als Ordonnanz­offizier Seiner Exzellenz mit diesem auf das intimste verkehrte, mit diesem zusammen in demselben Schloß wohnte und der hohen Auszeichnung für würdig befunden war, mit Seiner Exzellenz zusammen ein gewisses verschwiegenes Gemach benutzen zu dürfen.

So trank Wachwitz denn seine Flasche Sekt aus und begab sich dann nach Haus, um die nötigen Vorbereitungen für seine Tätigkeit als Ordonnanz­offizier zu treffen, und diese bestanden selbstverständlich darin, daß er unter ausführlicher Schilderung der ihm zuteil gewordenen Auszeichnung die sämtlichen Verwandten je nach Maßgabe ihrer Mittel von dreihundert Mark aufwärts anpumpte. Und das Geld traf ein, und bald kam dann auch der Tag, an dem Exzellenz zu der angekündigten Divisionsübung alarmieren ließ. Es war noch scheußlich früh am Morgen, drei Uhr, die meisten hatten noch gar nicht ausgeschlafen und einige waren noch gar nicht im Bett gewesen. Zu diesen letzteren gehörte Wachwitz, so konnte er sich denn schon eine Viertelstunde, nachdem Alarm geblasen war, bei Seiner Exzellenz melden und der machte ein sehr zufriedenes Gesicht, als der Leutnant sich so schnell bei ihm einfand. Nach und nach trafen auch die anderen Truppen auf dem Alarmplatz ein, und nachdem Exzellenz seine Dispositionen ausgegeben hatte, zog man in den unblutigen Krieg.

Bereits nach zwei Stunden traf man auf den Gegner und gleich darauf begann das Gefecht. Als Exzellenz den ersten Kanonenschuß hörte, fiel er beinahe vom Pferd, nicht etwa aus Angst, denn Exzellenz war sehr mutig und die Kanonen waren ja auch gar nicht geladen, aber er begriff nicht, daß die Artillerie schon jetzt schoß. Er hatte dem Brigade­general, der auf der anderen Seite führte, einen genau ausgeführten Angriffsbefehl geschickt, beide Parteien sollten zu derselben Stunde antreten und die Entfernung war so bemessen, daß die beiden Parteien wenigstens einen vierstündigen Anmarsch brauchten, um aufeinander zu stoßen. Und nun donnerten die Kanonen jetzt schon.

„Die Geschütze sollen das Maul halten,” schrie Exzellenz, und Leutnant von Wachwitz stürmte davon.

„Was ist denn los?” fragte der Kommandeur der Artillerie, als der Ordonnanz­offizier ankam.

„Maul halten,” rief er ihm zu.

„Sind Sie verrückt geworden?” schrie der ihn an, „ich verbitte mir den Ton.”

Aber Wachwitz raste weiter von einer Batterie zur anderen: „Maul halten.”

Endlich kam Wachwitz zu dem Kommandeur der Artillerie zurück. „Aber Herr Oberst, Exzellenz hat doch befohlen, daß die Geschütze das Maul halten.”

„Ach so,” meinte der, „nun verstehe ich. Aber ich denke ja gar nicht daran, meine Geschütze schweigen zu lassen. Solange der Gegner schießt, schieße ich auch, das sagen Sie nur Seiner Exzellenz.”

„Werde es ausrichten.”

Wachwitz ritt davon und als er dem hohen Herrn die Nachricht überbrachte, war der zunächst über den widerspenstigen Untergebenen außer sich, dann aber sah er ein, daß der doch recht hatte. Hörte der auf zu schießen, dann mußte der Gegner glauben, die feindliche Batterie wäre zum Schweigen gebracht, und auf Grund der neuen Gefechtslage würde der Gegner zu einem plötzlichen Angriff übergehen und unter Umständen das für mehrere Tage bestimmte Gefecht schon heute zu Ende führen.

„Ich muß den Herrn General sprechen, und zwar sofort. Vorher aber lassen Sie Halt blasen.” Das geschah, und dann schrieb Exzellenz eine Meldekarte und malte auf das Kuvert drei Kreuze. Dann wandte er sich an Wachwitz: „Sie wissen doch, was die drei Kreuze bezeichnen?”

Und ob der es wußte, das war ja so ziemlich das einzige, was er als Ordonnanz­offizier überhaupt zu wissen brauchte. Ein † bedeutete Trab, †† abwechselnd Trab und Galopp und ††† haste was kannste, Schenkel ran, Schenkel ran, laß ihn laufen, was er kann.

Wachwitz sauste davon und war bald bei der Gegenpartei: „Wo ist der Herr General?”

„Wir wissen es selbst nicht, seit einer Viertelstunde ist er spurlos verschwunden.”

Und das hatte seinen guten Grund. Der Herr General machte eine Bitterwasserkur durch und auch heute Morgen hatte er teils aus Angewohnheit, teils aus Pflichtgefühl ein großes Glas leergetrunken. Aber wohl infolge der frühen Morgenstunden war es ihm noch schlechter bekommen als sonst, er hatte entsetzliche Leibschmerzen und diese zwangen ihn, sich ganz plötzlich in die stillste Einsamkeit zurückzuziehen und dort viel länger zu bleiben, als es ursprünglich seine Absicht gewesen war. Er brauchte sich auch gottlob nicht besonders zu beeilen, das Gefecht war eingeleitet und zu irgend einer Entscheidung würde es vorläufig nicht kommen. So ließ er sich denn Zeit und er mußte sich auch Zeit lassen, denn es gibt Dinge, die man beim besten Willen nicht immer so schnell erledigen kann, wie man gerne möchte, so zum Beispiel: Nasenbluten.

Immer noch ritt Wachwitz auf und ab und suchte den General, endlich fand er ihn, und er überreichte dem Vorgesetzten den Brief. Der General besah das Kuvert, und als er die drei Kreuze bemerkte, wurde er ganz blaß. Drei Kreuze sind das Zeichen des Todes, sollte er, ohne daß er etwas davon gemerkt hatte, inzwischen gestorben sein? Dann öffnete er das Kuvert und las: „In zwanzig Minuten ist dieser Brief in Ihren Händen, in weiteren zwanzig Minuten, also um zehn Uhr virezig Minuten wünsche ich Sie persönlich zu sprechen.” Und jetzt war es schon elf, diese Stunde hatte der Herr General soeben als Empfangszeit auf dem Kuvert bemrkt. „Vor halb zwölf können wir bei dem besten Willen gar nicht da sein, dann hat Exzellenz beinahe eine Stunde auf mich gewartet, ich bitte Sie, wieviel Groll und Zorn kann sich nicht im Laufe einer Stunde in einer Exzellenz gegen einen Untergebenen ansammeln. Dem fühle ich mich nicht gewachsen, ich sehe meinen Tod vor Augen, drei Kreuze können ja auch keine frohe Botschaft bedeuten.”

So galoppierte er denn seinem Ende entgegen, aber als er bei Exzellenz ankam, war dieser von der größten Liebenswürdigkeit, denn in der Zwischenzeit hatte sich herausgestellt, daß nicht der General, sondern er selbst bei der Abfassung des Befehls eine große Dummheit gemacht hatte; so erkundigte er sich denn nur nach dem Gesundheitszustand der Truppe, nach dem Befinden des Herrn Generals, und als dieser erklärte, an einer leichten Magenindisposition zu leiden, meinte er wohlwollend: „Nehmen Sie Bittersalz, Herr General, je mehr, je besser, es bekommt ausgezeichnet.” Einige Minuten später war er huldvollst entlassen und Wachwitz gab Seiner Exzellenz das leere Kuvert mit Empfangsbescheinigung des Herrn General. Schon wollte dieser es seinem Adjutanten geben, da fiel sein Blick auf den Vermerk: „Angekommen elf Uhr.”

„Was, so spät erst haben Sie die Meldekarte überreicht? Nun wird es mir klar, warum ich so lange auf den Herrn General habe warten müssen, Sie scheinen den ganzen Weg Schritt geritten und sich über die Bedeutung der drei Kreuze gar nicht klar zu sein.”

„Verzeihung, Exzellenz,” unterbrach Wachwitz ihn.

Aber Exzellenz mußte an irgend jemandem seinen Ärger, selbst eine Torheit begangen zu haben, auslassen, und so wurde er denn seinem Ordonnanz­offizier saugrob. „Mit dem ist augenblicklich nicht zu reden,” dachte Wachwitz, „ich werde nachher dem Adjutanten den wahren Sachverhalt schildern,” aber als er endlich dazu Gelegenheit fand, da war es schon zu spät, für ihn war schon ein anderer zum Ordonnanz­offizier ernannt worden.

Wachwitz ärgerte sich maßlos, er schämte sich vor sich selbst, vor den Kameraden und vor seinen Leuten, was mußten die von ihm denken, daß er nach kaum zwölfstündiger Tätigkeit seiner Stellung schon wieder enthoben war. Davon aber ganz abgesehen, hatte sich keine seiner Hoffnungen erfüllt, er hatte keine Anekdoten erzählen dürfen, er war gar nicht mit dem hohen Herrn in nähere persönliche Berührung gekommen, er hatte ihm nicht einmal ein Streichholz anbieten dürfen und er konnte später, wenn er verheiratet war, weder seiner Frau, noch seinen Kindern, noch seinen Enkeln, bis an sein Lebensende von der schönen Zeit erzählen, in der er als Ordonnanz­offizier Seiner Exzellenz die glorreichsten Tage seines Lebens durchgemacht hätte. Und als er am Abend, anstatt auf einem Schloß, in einem elenden Bauernhaus Quartier bezog, empörte ihn eins am meisten: er hatte nicht einmal mit Exzellenz zusammen das gemeinsame verschwiegene Gemach besuchen dürfen. Voller Ingrimm suchte er jetzt die stille Klause im Bauernhause auf, aber kaum dort angekommen, schlug er drei Kreuze und raste im Tempo † † † hinter den nächsten dichten Zaun.

Und als er von dort zurückkam, suchte er stillvergnügt seine Kemenate auf. Er war allen Groll, den er gegen Exzellenz auf dem Herzen hatte, im stillen Zwiegespräch mit der Natur losgeworden. Jetzt war ihm wieder wohl.


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