P.D.S.

Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Indiana-Tribüne” vom 27.4.1901,
in: „Der nervöse Leutnant” und
in: „Der Gefechtsesel”


Es war im Regiment ein offenes Geheimnis, daß Leutnant Pfeiffer den Pegasus ritt, oder daß er, wie ein Kamerad es nannte, „die lyrische Flöte pfiff”. Kam das Gespröch auf seine Dichterei, so leugnete er bis ins dritte und vierte Glied, jemals einen Vers verbrochen zu haben, aber sein Erröten und seine Verlegenheit straften ihn Lügen. Jeder wußte, er dichtet doch.

Und Leutnant Pfeiffer dichtete auch thatsächlich — bei seiner Geburt hatte die Muse ihn ganz flüchtig auf die Stirne geküßt und heilige Begeisterung für alles Schöne erfüllte ihn.

Er dichtete, und zwar nicht nur lyrische Gedichte, sondern auch Dramen. Es wäre mehr als unnatürlich gewesen, wenn der letzte Hohenstaufe ihn nicht begeistert und inflammiert hätte, und so schrieb er seit Jahr und Tag an einem neuen „Konradin”, und in sechs Akten hoffte er den Stoff zu bewältigen.

Endlich war die Arbeit fertig, er zweifelte nicht daran, daß sie ihm gelungen sei, ein Bühnenerfolg konnte nach seiner Ansicht nicht ausbleiben. Wollte er das Werk aber veröffentlichen, so bedurfte er dazu der Genehmigung seines Herrn Oberst — der mußte das Drama zuerst lesen und seine Erlaubnis zur Publikation erteilen. Zitternden Herzens und mit zitternder Hand überreichte er eines Tages dem Kommandeur(1) sein Opus und bat, das Stück dem Königlichen Schauspielhaus in Berlin einsenden zu dürfen. Der Herr Oberst versprach, das Schauspiel so schnell wie möglich zu prüfen. Schon nach drei Tagen wurde Leutnant Pfeiffer auf das Regimenstbureau gerufen, um die Kritik in Empfang zu nehmen.

Freudestrahlend sprang er die Treppen, die zum Allerheiligsten führten, hinauf — ein geschlagener Mann schlich er sie wieder herunter. Die Kritik war grausam gewesen und wie ein roter Faden hatten sich durch die Rede des Herrn Oberst die Worte gezogen: „Dichten Sie nicht, sondern studieren Sie das Exerzier­reglement.”

Der Kritik, die der Vorgesetzte über den Untergebenen gefällt hatte, folgte die Kritik des Untergebenen über den Vorgesetzten: „Es fällt mir gar nicht ein, bestreiten zu wolle, daß unser Kommandeur ein äußerst tüchtiger Offizier und ein hervorragender Beamter ist, aber von der Poesie und der Litteratur hat er nicht die leiseste Ahnung. Sein Urteil und sein Verbot machen es mir unmöglich, meinen Konradin an die Bühnen zu versenden, aber ich denke nicht daran, die Poesie ganu aufzugeben. Ich dichte ruhig weiter, ich nehme ein Pseudonym, das ich niemand verrate und dann dichte ich nicht nur für mich, sondern auch für die Öffentlichkeit — die Kritik wird ja dann zeigen, ob ich nicht doch Talent besitze.”

Er suchte einen Verleger und er fand einen solchen, nachdem er sich verpflichtet hatte, die ganzen Druck- und Versandtkosten für die erste Auflage seiner „Herzensmelodien”, die er unter dem nom de guerre „P.F.Eiffer” veröffentlichte, aus eigener Tasche zu bezahlen.

Das geschah und wenige Wochen später erschien das Buch, das äußerlich einen sehr hübschen Eindruck machte. Auf Wunsch des Autors wurde es zahllosen Zeitungen zur Besprechung übersandt und ungeduldig wartete Pfeiffer auf die Kritiken.

Aber die kamen nicht — er schrieb an die Redakteure, er schrieb an ein litterarisches Bureau, das Ausschnitte aus allen Zeitungen der Welt liefert, er bezahlte vorläufig die Zusendung von hundert Kritiken im voraus — aber es half alles nichts, die Kritiken blieben aus.

Endlich, endlich hatte der Himmel ein Einsehen und eines Morgens entdeckte er in einer der in der Garnison erscheinenden Zeitungen eine Besprechung seiner Herzensmelodien. Für einen Augenblick lähmte ihn der freudige Schreck, dann sprang er auf und schloß die Thüren seines Zimmers ab, damit kein Unberufener ihn bei dem Lesen stören könne, dann ergriff er die Zeitung.

„Selten,” so begann der Schreiber, „selten, nein, wir dürfen wohl sagen: noch nie ist uns ein solches Taöent der Talentlosigkeit begegnet, wie in dem Verfasser der Herzensmelodien, der nach Angabe des Verlegers in unserer Stadt wohnen soll. Wir können das nur bedauern, denn die persönliche Bekanntschaft mit dem Autor könnte vielleicht den einen oder den anderen verleiten, das Buch nicht nur zu kaufen, sondern auch zu lesen und vor letzterem namentlich können wir nicht eindringlich genug warnen.” In dieser Tonart ging es weiter, und als der arme Dichter-Leutnant bei dem letzten Wort angekommen war, das da lautete: „erbärmlich”, packte ihn nicht nur die Verzweiflung, sodern auch die Wut gegen den Kritiker, der sich nicht scheute, seinen vollen Namen „Dr. Paul Berger” unter sein gehässiges und ungerechtes Urteil zu setzen.

„Rache will ich nehmen, Rache!” knirschte der heruntergerissene Dichter, „Rache, blutige Rache!”

Zuerst wollte er dem Kritiker seinen Sekundanten schicken, dann wollte er ihn mündlich zur Rede stellen, dann wollte er ihm schriftlich seine Ansicht auseinandersetzen — ja, was wollte er nicht alles? Aber schließlich that er von allem, was er sich in der ersten Erregung vornahm, nichts, denn er mußte immer bedenken, daß er Offizier war, er durfte auch dem Redakteur gegenüber sein Pseudonym nicht lüften, wenn er nicht nur in des Teufels Küche, sondern auch in die Küche des Herrn Oberst kommen wollte. An das, was geschähe, wenn der Kommandeur erführe, daß sein Leutnant der Verfasser der „Herzensmelodien” sei, mochte er gar nicht denken.

Aber die Kritik ganz stillschweigend hinzunehmen, konnte der Herr Leutnant sich denn doch nicht entschließen.

Als der Doktor Berger am nächsten Morgen sein Redaktionszimmer betrat, fand er unter den Postsachen einen Brief, auf dem als Absender P.F.Eiffer angegeben war.

„Aha,” dachte er, „da bin ich begierig — natürlich eine gekränkte Dichterseele, die von mir verlangt, daß ich meine gestrige Kritik zurücknehmen soll — fällt mir gar nicht ein.”

Er öffnete das Kuvert und zog eine geschriebene Visitenkarte heraus:

P. F. Eiffer,
Verfasser der Herzensmelodien

Die Rückseite der Karte war leer. „Schreibt er denn gar nichts?” dachte der gestrenge Herr Kritikus.

Da entdeckte er in der rechten Ecke der Karte die drei Buchstaben p. d. s.

„P. d. s.?” wiederholte der Doktor, „was soll denn das heißen? Ich kenne ein p. f., ein p. p. c., ein p. c.(2), aber p. d. s. — das giebt es ja gar nicht.”

Er warf die Karte in den Papierkorb und machte sich an die Arbeit — mit der großen Schere in der Rechten „schrieb” oder richtiger gesagt schnitt er einen Leitartikel aus den verschiedensten Zeitungen zusammen, aber seine Gedanken kehrten wider seinen Willen immer zu dem „p. d. s.” zurück.

„Er muß sich doch irgend etwas dabei gedacht haben,” sprach der Doktor vor sich hin, „ich selbst bin — als Alt-Philologe — kein perfekter Franzose und Engländer, ich werde heute bei Tisch einmal meinen Freund, den Doktor der neueren Sprachen fragen, der wird es ganz gewiß wissen.”

Aber der wußte es auch nicht. „P. d. s.?” sagte er, „ich muß offen und ehrlich gestehen, daß ich von dieser Abkürzung noch nie gehört habe; aber dadurch wird die Sache für mich um so interessnter. Ich werde heute Nachmittag versuchen, hinter das Geheimnis zu kommen. Das p. heißt natürlich „pour”; das ist nicht nur klar, sondern Klärchen. Bleibt nur noch d. und s. Ich werde im Lexikon diese beiden Buchstaben vom ersten bis zum letzten Wort durchgehen — morgen Mittag weiß ich Bescheid.”

Aber am nächsten Mittag wußte der Neu-Philologe ebensowenig, was das p. d. s. bedeutete, wie der Alt-Philologe.

„Vielleicht weiß es einer der anderen Herren?” fragte der Redakteur und er trug den Fall den anderen Herren, mit denen zusammen er täglich im Restaurant speiste, vor — es waren Mediziner, Rechtsanwälte, Vertreter eines jeden Standes und jeden Berufes, aber p. d. s.? das kannte keiner.

„Dann wollen wir uns nicht weiter mit der Sache aufhalten,” sagte Dr. Berger, „gehen wir zur Tagesordnung über.”

Aber man kann sich viel leichter vornehmen, nicht mehr an eine Sache zu denken, als diesen Vorsatz auch ausführen; am Nachmittag auf dem Bureau dachte der Herr Doktor doch wieder an das p. d. s. und es passierte ihm sogar, daß er mitten in der Nacht aufwachte und noch lange wach lag, weil die Bedeutung der drei Buchstaben ihn beunruhigte und quälte.

Er fing an, nervös zu werden, er wollte, er mußte Aufklärung haben.

Am Abend erschien in dem Briefkasten der Zeitung eine fingierte Anfrage seitens einer „Leserin”: „Kann mir einer der freundlichen Leser oder eine der liebenswürdigen Leserinnen dieses Blattes mitteilen, was auf einer Visitenkarte die Buchstaben p. d. s. bedeuten? Im voraus besten Dank.”

Von den „notariell” beglaubigten vierzigtausend Abonnenten des Blattes liefen etwa viertausend Briefe ein und in allen stand dasselbe: „Sie meinen wohl p. f., p. c., oder p. p. c.? Ein p. d. s. giebt es nicht; aber wenn es das doch giebt, teilen Sie es bitte im Briefkasten mit.”

Ein Brief nach dem anderen flog in den Papierkorb.

„Es giebt doch ein p. d. s.,” schrie der Doktor, „ich habe es nicht einmal, ich habe es dreimal mit eigenen Augen auf der Karte gelesen — daß der Schreiber sich verschrieben hat, ist ausgeschlossen; ein p. f. geht als Antwort auf meine Kritik der Herzensmelodien ebensowenig, wie ein p. c. oder ein p. p. c. Das Einfachste wäre, ich suchte in Erfahrung zu bringen, wer der Verfasser der schauderhaften Gedichte sei und schriebe ihm dann direkt. Aber das geht nicht — soll ich mich dem aussetzen, daß der Autor zu mir sagt: „Was? Sie schreiben über meine Lieder eine vernichtende Kritik und wissen nicht einmal, was das p. d. s. bedeutet? Das giebt es nicht, wenn ein Redakteur auch nicht allwissend ist, so muß er sich seinen Lesern gegenüber doch wenigstens so stellen, als wenn er alles wüßte.”

Und dennoch blieb dem Doktor kein anderer Ausweg, das sah er mit der Zeit selbst ein. Er nahm seine ganze Energie zusammen, er wollte nicht mehr an die drei Buchstaben denken, er schalt sich kindisch und thöricht, daß er sich durch eine so gleichgültige Sache irgendwie beunruhigen lasse — aber die schönsten Reden, die er sich hielt, hatten keinen Erfolg. Er mochte thun, was er wollte, beim Lesen und Schreiben, beim Spazierengehen und beim Schlafen dachte und träumte er nichts anderes, wie p. d. s. Er fühlte sich körperlich elend — es mochte an seiner Konstitution, an seinen durch die viele Arbeit überreizten Nerven liegen, aber er fühlte, daß er ernstlich krank werden würde, wenn er nicht endlich Ruhe bekäme.

So kam, was kommen mußte. Eines Mittags ließ sich Dr. Paul Berger in der Wohnung des Leutnants Pfeiffer melden — der machte ein sehr erstauntes Gesicht, den gefürchteten Kritiker vor sich zu sehen, dann bat er ihn höflich, Platz zu nehmen und fragte nach seinen Wünschen.

„Lassen Sie mich das Ihnen kurz sagen,” gab der Doktor zur Antwort; „Sie sandten mir, nachdem ich Ihr Buch besprochen, Ihre Visitenkarte mit den Worten p. d. s. Diese drei Buchstaben verfolgen mich, sie lassen mir keine Ruhe, ich seh sie vor mir Tag und Nacht, ich werde krank, wenn es so weiter geht — haben Sie Mitleid mit mir und sagen Sie mir: was bedeutet p. d. s.?”

Der junge Offizier saß seinem Besucher verlegen gegenüber; eine kleine Weile schwieg er noch, dann sagte er:

„Sie werden mir nachfühlen, Herr Doktor, daß ich mich über Ihre Besprechung meines Buches nicht allzusehr freute. Nach meiner Meinung war und ist mir Unrecht geschehen. Was Sie über mich geschrieben haben, war nach meiner Ansicht Unsinn und da wollte ich Ihnen beweisen, daß ich wenigstens auf diesem Gebiete Ihnen geistig ebenbürtig bin. So sandte ich Ihnen die Karte, denn das p. d. s. bedeutet nämlich — gar nichts.”(3)


Fußnoten:

(1) In der Fassung von „Der Gefechtsesel” heißt es hier: „Kommandanten” (Zurück)

(2) p. f. = pour féliciter
     p. p. c. = pour prendre congé
     p. c. = pour condoler
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(3) Dem Leser dieser Erzählung bietet sich allerdings eine nicht nur mögliche, sondern sehr wahrscheinliche Deutung der Abkürzung p. d. s. an:
     p. d. s. = pour demander satisfaction
[D. Hrsgb.] (Zurück)


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