Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Jugend”,
Münchener illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben, Nr. 32vom 30.7.1902,
in: „Neue Hamburger Zeitung” vom 9.8.1902 und
in: „Die Fahnenkompagnie”.
Mitten hinein in die schönste Kritik, die den ersten Tag der Divisions–Manöver beendete, platzen die allerhöchsten Ortes befohlenen Personalveränderungen: der Brigadekommandeur war in Genehmigung seines Abschiedsgesuches zur Disposition gestellt worden, und an seiner Stelle wurde der Oberst von Aberg, der bis dahin das Infanterieregiment von Dingsda geführt hatte, zum General ernannt, während Herr von Bedorf, der demselben Regiment bisher als Etatsmäßiger angehört hatte, zu dessen Kommandeur befördert wurde.
Verabschiedungen und Beförderungen während des Manövers sind mehr als selten, man wartet für gewöhnlich damit bis nach Schluß der Herbstübungen; so riefen die Veränderungen in den Kommandostellen die allergrößte Aufregung hervor. Und doch hatte man nach dem, was vorgefallen war, nichts Anderes erwartet. Am ersten Tage der Brigademanöver war Seine Exzellenz der Herr Divisionskommandeur dem ihm unterstellten General und Brigadekommandeur — ob mit oder ohne genügende Veranlassung, das mag dahingestellt werden — derartig grob geworden, daß der sein Schwert in die Scheide steckte und offen bekannte: „Ich spiel' nicht mehr mit, so etwas lass' ich mir nicht gefallen, ich gehe in Pension.” Noch an demselben Tage hatte er sich von einem Oberstabsarzt einen Totenschein ausstellen lassen und telegraphisch seinen Abschied erbeten. Der war nun da, und zum zweiten Mal steckte der Herr General sein Schwert in die Scheide und wandte sich an seine Offiziere: „Meine Herren, ich habe mich gefreut, Sie kennen gelernt zu haben — leben Sie wohl.”
Und im Galopp ritt er davon — nach Pensionopolis.
Da hörte er plötzlich Hufschläge hinter sich und als er sich umsah, bemerkte er seinen neuernannten Nachfolger, denn General von Aberg, der ihn einzuholen versuchte. Der General a.D. hielt sein Pferd an und wartete, bis der Andere herankam: „Nun, was gibt's, Verehrter?”
Der Verehrte wurde verlegen, dann aber fragte er: „Herr General, ich habe eine etwas sonderbare Bitte, aber da Sie ja auch Feldzüge mitgemacht haben, werden Sie dieselbe vielleicht verstehen. Wie man im Kriege, wenn die eigene Uniform nicht mehr zu gebrauchen ist, den Rock eines lieben Kameraden, der den Heldentod fand, anzieht, um selbst weiter seine Pflicht thun zu können —”
Der General a.D. verstand. „Ach so,” sagte er, „Sie sind in einiger Verlegenheit. Sie sind plötzlich General geworden und haben jetzt nichts anzuziehen? Da möchten Sie, daß ich Ihnen meine Uniform überlasse? Aber selbstverständlich, wir haben ja so ziemlich die gleiche Figur, sie wird Ihnen schon passen. Lassen Sie sich die Sachen heute Nachmittag holen. Ich schenke sie Ihnen natürlich. Möchten Sie glücklicher in dem neuen Rock werden, als ich es war; ich habe mich über ihn nur zweimal gefreut: als ich ihn zum ersten Mal anzog und heute, da ich ihn wieder ausziehe. Möge das Kleid des Brigadekommandeurs für Sie nicht zum Totenhemde werden. Nun aber guten Morgen, ich will frühstücken, zum ersten Mal seit vierzig Jahren als Civilist — das wird mir aber schmecken.”
Der alte General ritt der Sektflasche entgegen, der neue General aber machte mit seinem Pferde Kehrt und trabte zu der Truppe zurück. Erst verabschiedete er sich von seinem alten Regiment, dann übernahm er das Kommando über die Brigade, und schließlich nahm er die Glückwünsche der Herren Offiziere aus Anlaß seiner Beförderung entgegen. Je nach Charakter und Veranlagung sprachen die Herren bei dieser Gelegenheit mehr oder weniger, am kürzesten aber faßte sich der neuernannte Oberst von Bedorf: der klemmte sich das Monocle ein, musterte den neuen General, reichte ihm huldvollst zwei Finger der rechten Hand und sagte weiter nichts als: „Viel Glück.”
Das klang niederträchtig ironisch, und alle merkten es auch, selbst der neue General, aber er war klug und weise und that, als hätte er nichts gemerkt.
Das Verhältniß zwischen dem bisherigen Oberst und seinem Etatsmäßigen war ein sehr sonderbares gewesen: der Herr Oberstleutnant hatte befohlen und der Herr Oberst hatte gehorcht. Das hatte seinen guten Grund gehabt. Der Herr Oberst war ein Strohkopf, der seine Carriere in erster Linie nicht seinen geistigen Fähigkeiten verdankte, die er nicht besaß, sondern hauptsächlich seiner Schwester, die mit einem Herrn des Militärkabinets verheirathet war. Der frühere Oberstleutnant aber besaß keine Schwester, geschweige denn einen Schwager, wohl aber einen sehr hellen Kopf und hervorragende militärische Kenntnisse. Er war seinem Oberst in jeder Weise weit überlegen gewesen, und wenn er diesen auf seine ewige Frage: „Herr Oberstleutnant, was macht man da? Was würden Sie in diesem Falle thun?” nicht stets mit Rath und That zur Seite gestanden hätte, so wäre der Oberst trotz aller Verwandtschaft schon längst bei dem alljährlichen Großschweineschlachten in die Wurst gekommen. Nun aber war er General und der neue Herr Oberst war sehr begierig, welche Geschäfte er fortan machen würde. Der morgige Tag würde ja schon eine gewisse Aufklärung darüber bringen. —
Der nächste Tag brach an, und der neue General, in den Kleidern seines Vorgängers, berief die Offiziere seiner Brigade zu sich, um den Angriffsbefehl vorzulesen. Der Befehl war nicht schlecht. Seine Excellenz, der der Uebung als Zuschauer und Kritiker beiwohnte, nickte ein paar Mal zustimmend mit dem Kopfe, und selbst der neue Herr Oberst hatte nur wenig auszusetzen, aber für ihn war es klar, daß der neue General höchstens seine Unterschrift zu dem Befehl gegeben hatte, alles Andere rührte nach seiner gewissenhaften Ueberzeugung von dem Brigadeadjutanten her. So warf er denn auch dem neuen General einen Blick zu, der da zu sagen schien: „Mich täuschst Du nicht,” und der General verstand diesen Blick und ärgerte sich maßlos. Trotz der Freundlichkeit, die er ostentativ zur Schau trug, hatte er sich schon gestern über seinen ehemaligen Stabsoffizier geärgert, als dieser ihm gnädig zwei Finger reichte und nur: „Viel Glück” sagte. Er hatte darüber nachgedacht, ob es nicht zweckmäßig wäre, jetzt seinen einstigen Rathgeber in die ihm gebührenden Schranken zurückzuweisen. Es mußte eine Aenderung eintreten, er mußte dem neuen Oberst gewaltsam Respekt einflößen. Wie Friedrich der Große einst seinen Freunden zugerufen hatte: „Meine Herren, jetzt bin ich König,” so wollte und mußte er Gelegenheit finden, den Anderen mit den Worten niederzuschmettern: „Mein Herr, jetzt bin ich General!”
Der Vormarsch zum Gefecht begann, und der neue General nahm sein altes Regiment an die Tête, um den Leuten dadurch eine Auszeichnung zu Theil werden zu lassen, denn im Kampfe an der Spitze zu sein, ist ja für den Soldaten die höchste Ehre. Wenigstens im Ernstfalle. Im Manöver aber ist es etwas Anderes, da bummelt man lieber im Gros und überläßt es gern anderen, den Feind aufzusuchen. Aber das Regiment von Dingsda war nun einmal an der Tête, und schließlich erwachte in den Leuten ein gewisser Ehrgeiz, sie wollten ihre Sache gut machen, sie wollten sich nicht blamiren.
Das wollte der neue General auch nicht, aber trotzdem blamirte er sich fortwährend. Anstatt an einem geeigneten Platz, an der Spitze des Gros zu reiten und ruhig auf Meldungen über den Feind zu warten, ritt er beständig bei seinem alten Regiment herum und spielte General. Obwohl er jeden Offizier und jeden Unteroffizier persönlich kannte, that er, als wenn er aus einer wildfremden Garnison hierher versetzt worden wäre: „Miserable Gewehrhaltung! — Welche Kompagnie? — Fünfte? Wie heißt der Hauptmann? — Hauptmann von Reder? Ach bitte, Herr Hauptmann, sehen Sie sich, bitte, einmal diese Gewehrhaltung an. So etwas wünsche ich in der Brigade nicht wiederzusehen. — Warum geht der Unteroffizier da nicht auf Vordermann? Wie heißt er? — Hansen? Ich werde dafür sorgen, daß fortan in der Brigade nur mit solchen Unteroffizieren kapitulirt wird, die in jeder Hinsicht ihre Schuldigkeit thun.”
So ging das weiter. Am Schlimmsten aber wurde es, als das Gefecht begann. Anstatt von einem Feldherrnhügel aus die Sache zu leiten, raste der General bald hierhin, bald dorthin, und wenn er gesucht wurde, befand er sich immer bei seinem alten Regiment.
„Es war halt nix,” wie Lenau sagt. Das war der kurze Inhalt einer langen Kritik, die Seine Excellenz nach Beendigung des Gefechtes vom Stapel ließ. Erst kam ein mächtiger Anpfiff, hinterher etwas Zucker: allerdings müsse man ja in Erwägung ziehen, daß der Herr General erst vor vierundzwanzig Stunden den Befehl über die Brigade übernommen habe; die Uebung, die den Meister mache, fehle ja noch, es würde ja schon noch werden — aber schön konnte die Kritik trotz allen Zuckers nicht werden.
Endlich ritt Seine Excellenz fort und der Herr General blieb mit den Offizieren seiner Brigade allein zurück. Er sah es ein, er hatte sich blamirt, und wenn er es noch nicht gewußt hätte, so wäre es ihm klar geworden durch das infame ironische Lächeln seines ehemaligen Stabsoffiziers, der ihn während der ganzen Kritik durch sein Monocle mit einem Gesicht ansah, das da deutlich sagte: „Nur immer so weiter, dann ist es mit Deiner Generalsherrlichkeit bald zu Ende.”
Zuerst wurde der Herr General allen Offizieren grob, daß sie ihn nicht genügend unterstützt hätten — über das Warum, Wieso und Inwiefern ließ er sich nicht weiter aus.
Dann schickte er die Leutnants fort und wurde den Herren Hauptleuten und den Herren Stabsoffizieren aus demselben Grunde grob.
Dann schickte er die Herren Hauptleute fort und wurde den Herren Bataillonskommandeuren und den Herren Regimentskommandeuren aus demselben Grunde grob.
Dann schickte er die Herren Bataillonskommandeure fort und wurde den beiden ihm unterstellten Regimentskommandeuren aus demselben Grunde grob, oder besser gesagt: er wollte ihnen grob werden. Aber als sein ehemaliger Oberstleutnant ihn so frech ansah, da schwand sein Muth dahin, die Zunge klebte ihm am Gaumen, er konnte nicht sprechen. — Es entstand eine lange Pause.
„Herr General, ich glaube, Sie wollten uns etwas sagen,” nahm jetzt der frühere Oberstleutnant das Wort, obgleich er der jüngste der beiden Regimentskommandeure war.
Das war mehr als Kühnheit, das war Insubordination, und der neue General war vor Entsetzen zuerst sprachlos, dann aber brauste er auf: „Herr Oberst, was erdreisten Sie sich — — ich habe mir früher manches von Ihnen gefallen lassen, jetzt aber bin ich General!”
Aber wenn der General geglaubt hatte, daß diese Worte auf seinen ehemaligen Rathgeber auch nur den leisesten Eindruck machen würden, so irrte er sich sehr. Mit unnachahmlicher Ruhe und Gelassenheit legte der Herr Oberst seine Hand an den Helm und sagte freundlich zustimmend: „Zu Befehl, Herr General, jetzt sind Sie General.”
„Jawohl, jetzt bin ich General, und als solcher muß ich Ihnen sagen: ich verlange Respekt und Gehorsam von Ihnen, und Sie haben zu schweigen, bis ich Sie frage. Aber noch eins muß ich Ihnen sagen, Herr Oberst von Bedorf, Sie sind ja allerdings erst seit vierundzwanzig Stunden Oberst, die Uebung, die den Meister macht, fehlt ja noch und mit der Zeit wird es wohl schon noch werden, aber dennoch, Herr Oberst — — — — eine derartige Schweinerei, so etwas von einer Regimentsführung wie heute Morgen habe ich noch nie gesehen, habe ich überhaupt nie für möglich gehalten. Als ich noch Oberst war” — — — —
„Also gestern,” erlaubte sich der Oberst von Bedorf gehorsamst zu bemerken.
„Als ich noch Oberst war,” fuhr der General erregt fort, ohne auf den Einwurf einzugehen, „da habe ich geglaubt, wenn Sie einmal ein Regiment bekämen, würden Sie mit demselben Ehre einlegen und es ausgezeichnet führen. Aber was ich heute sah, war miserabel — hundsmiserabel.”
Der Herr General schwieg und man sah ihm deutlich den Zorn und die Erregung an, in der er sich künstlich hineingeredet hatte. Den Oberst von Bedorf aber verließ auch jetzt nicht seine ruhige Ueberlegenheit, der er es verdankte, daß er bei den höchsten Vorgesetzten glänzend angeschrieben war. Er konnte sich schon erlauben, sich gegen einen ungerechten Vorwurf zu vertheidigen, er wußte, das würde ihm das Genick nicht brechen, und so sagte er denn: „Herr General, ich stimme Ihnen vollständig bei, aber mich trifft keine Schuld, denn ich habe das Regiment heute Morgen garnicht geführt.”
Ueberrascht blickte der Herr General auf und sah seinen Oberst mit großen, starren Augen verwundert an. „Sie haben das Regiment nicht geführt?” fragte er schließlich erstaunt. „Sie nicht? Wer denn sonst?”
Und ohne zu zögern, sagte der Herr Oberst: „Sie, Herr General!”