Musketier Meyer.

Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Libausche Zeitung” vom 10.3.1905,
in: „Der Dichterleutnant” und
in: „Meine Kabarettgeschichten”


Musketier Meyer hatte eine Eigenschaft, die ihm schon wenige Tage nach seinem Dienstantritt den Spott und die Verachtung seiner Kameraden und den Zorn seiner Vorgesetzten eintrug: er wusch sich nicht. Zuerst regte man sich nicht allzusehr darüber auf, denn es kommt sehr oft vor, daß neu eingestellte Rekruten keinen übertriebenen Hang zur Reinlichkeit haben, aber das schlimme war bei Meyer, daß er seine Untugend nicht ablegte. Er wusch sich nicht, und damit Punktum. Jeden Morgen erschien er ungewaschen zum Dienst, jeden Morgen erhielt der Korporal­schafts­führer einen Verweis, weil Meyer sich wieder nicht gewaschen hatte, und jedesmal schwor der Unteroffizier dann: „Na warte, Meyer, heute wasche ich dich aber.” Aber trotz dieses täglichen Schwures wusch er ihn doch nicht, denn er sagte sich: „Fängst du erst an, ihn zu waschen, dann bleibt von ihm nichts übrig, und wenn Meyer morgen früh spurlos von der Erdoberfläche verschwunden ist, oder wenn nur noch traurige Knochenüberreste von ihm vorhanden sind, dann wirst du womöglich noch bestraft, weil du Hand an einen Untergebenen gelegt hast,” und dem wollte er sich nicht aussetzen. So wusch der Unteroffizier den Meyer nicht, und Meyer wusch sich selbst auch nicht. Aber eines Tages nahm der Leutnant seine Leute zusammen und legte ihnen nahe, als gute Kameraden für Meyers Reinlichkeit etwas Interesse an den Tag zu legen. Der Wink war deutlich, Meyer sollte mit Gewalt gewaschen werden, aber Meyer hatte nicht nur schmutzige Hände, er hatte auch sehr große Hände, und an diese wagte sich niemand heran. So blieb Meyer nicht nur ungeschoren, sondern auch ungewaschen. Dem Unteroffizier war die Geduld schon lange gerissen, jetzt riß sie auch dem Leutnant; der steckte sich hinter seinen Hauptmann, und dieser befahl: „Meyer, entweder waschen Sie sich bis morgen vormittag, oder Sie fliegen drei Tage in den Kasten.”

Und da Meyer sich nicht wusch, flog er in den Kasten, und nach drei Tagen flog er wieder hinaus.

Und zum zweitenmal befahl der Hauptmann: „Entweder Sie waschen sich, oder Sie fliegen fünf Tage in den Kasten.”

Und Meyer flog abermals. Aber auch das half nichts. „Sieben Tage Arrest!” donnerte der Hauptmann. Da fiel ihm ein, daß er eine solche Machtbefugnis gar nicht besaß, diese Strafe konnte nur der Herr Major verhängen und so wurde diesem der Fall vorgetragen. „Bevor ich den Mann bestrafe, werde ich ihn zunächst einmal ermahnen.” Aber die Ermahnung nützte nichts; und das nahm der Herr Major ihm sehr übel, und er sperrte Meyer sieben Tage ein.

Meyer war jetzt bald einen Monat Soldat und hatte sich in der ganzen Zeit noch nicht einmal die Hände gewaschen, und dafür gab es nach der Meinung der höheren Vorgesetzten nur eine Erklärung: Meyer war geisteskrank. So wurde er denn zur Beobachtung seines Geisteszustandes dem Lazarett überwiesen. Körperlich Kranke müssen bei ihrer Aufnahme im Lazarett gleich gebadet werden, für geistig Kranke besteht diese Bestimmung nicht, und so legte sich denn Meyer kreuzfidel ungewaschen ins Bett und ließ sich beobachten. Vierzehn Tage lang versuchten der Unter­lazarett­gehilfe, der Ober­lazarett­gehilfe, der Einjährige Arzt, der Assistenzarzt, der Stabsarzt und der Oberstabsarzt an Meyer Spuren geistiger Verkommenheit zu entdecken, aber schließlich wurden sie sich darüber einig, daß dem Mann weiter nichts fehle als Wasser und Seife. Meyer wurde als gesund entlassen und flog als erstes wieder in Arrest, weil er schmutzig zum Dienst kam.

Endlich sah das Regiment ein, daß die Sache so nicht weiter ginge, Meyer saß beständig in Arrest, er kam fast nie zum Dienst, und so wandte sich das Regiment an die Brigade und unterbreitete dieser die schwierige Frage, was mit Meyer geschehen solle. Der Herr Brigade­kommandeur wußte das auch nicht, so wandte er sich an die Division, und da die Division auch nichts wußte, wandte sie sich vertrauensvoll an das Generalkommando. Seine Exzellenz der Kommandierende hätte diesen schwierigen Fall gerne einer höheren Instanz unterbreitet, aber da er in diesem Falle selbst die höchste war, mußte er die nötige Weisheit besitzen. Diese aber besaß er nicht. Und da er sich an keinen Höheren wenden konnte, wandte er sich an einen Untergebenen, an seinen Adjutanten: „Sagen Sie mal, lieber Graf, was macht man denn da?”

Der Graf war ein ganz Feiner, stets tipptopp angezogen und tadellos in seinen Manieren. Man wußte nicht, was man an ihm mehr bewundern sollte, seine geistigen Kenntnisse oder seine tadellosen Lackstiefel. So sagte er denn: „Kann mir gar nicht vorstellen, daß es solche Menschen gibt, die sich nicht waschen.”

Exzellenz stimmte ihm bei: „Ich mir auch nicht.”

„Wenn es nicht so unappetitlich wäre, müßte es eigentlich ganz amüsant sein, sich solches Wesen mal anzusehen.”

„Meinen Sie?” fragte Exzellenz. Viel Lust schien er nicht zu haben.

Und dem Grafen war die Lust auch schon wieder vergangen, aber Exzellenz hatte plötzlich Lust bekommen; so sagte er denn: „Wir werden uns den Mann ansehen, einmal der Wissenschaft wegen, dann aber auch, um ein Exempel zu statuieren. Wenn dem Mann befohlen wird, sich zu waschen, da wäscht er sich auch, und wenn er sich nicht wäscht, dann — ja was dann?” Exzellenz hielt inne, das war ja gerade die Frage, die er beantworten sollte und auf die er keine Antwort fand.

„Ja, was dann?” fragte sein gräflicher Adjutant nicht ohne leise Ironie; der freute sich stets, wenn er wußte, daß sein Herr nichts wußte. „Ja, was dann?”

Dann? Exzellenz sah seinen Adjutanten einen Augenblick ganz groß an und sprach gelassen das große Wort: „Dann ist er ein Schwein!”

Dagegen konnte der Adjutant nichts einwenden. Um aber zu beschließen, was mit diesem zweibeinigen Borstenvieh geschehen solle, wurde seine Besichtigung für die nächsten Tage auf das Programm gesetzt. Die Reise nach der Garnison war nicht weit: nur eine kleine Stunde mit der Bahn; die durfte man nicht scheuen.

Die Kunde, daß Exzellenz selbst erscheinen würde, um sich den Musketier Meyer persönlich anzusehen, rief große Freude hervor, denn alle sagten sich: „Nun werde wir den Menschen irgendwie los.” Am meisten aber freute sich Meyers Korporal­schafts­führer über den bevorstehenden Besuch Seiner Exzellenz, und er nahm sich seinen Zögling in einer stillen Ecke vor. „Morgen können Sie was erleben, Meyer, morgen kommt Exzellenz, und dann heißt es: „Herunter mit der Kokarde von der Mütze, hinein in die zweite Klasse des Soldatenstandes und rein in die Arbeiter­abteilung, und das kann ich Ihnen sagen, dann werden Sie vergnügte Tage verleben, da haben Sie es gut, meine Turteltaube, da werden Ihnen die Augen schon übergehen. Aber das geschieht Ihnen ganz recht. Morgen sind wir Sie los, den Tag will ich segnen.”

Meyer bekam es mit der Angst. Daß es ihm morgen sehr schlecht gehen würde, bezweifelte er nach allem, was er zu hören bekommen hatte, nicht eine Sekunde. Aber wenn es ihm schlecht ging, dann sollte es seinen Peinigern auch schlecht gehen, dann wollte er vorher noch Rache nehmen an seinen Vorgesetzten, die ihn beständig bestraft hatten, nur weil er sich nicht wusch. Das sollten sie büßen, und er schwur ihnen Rache.

Am nächsten Morgen erschien Seine Exzellenz, und in seinem Gefolge kamen die andern hohen Vorgesetzten und sämtliche Offiziere des Regiments. Man wechselte einige Worte der Begrüßung, dann ging Exzellenz in das Exerzierhaus. Dort stand Meyer zur Besichtigung bereit.

„Wollen sich Exzellenz nicht lieber die Nase zuhalten?” riet der gräfliche Adjutant, als man sich dem Sünder nahte. „Ein Mensch, der sich seit einer Ewigkeit nicht gewaschen hat, kann doch unmöglich ein gutes Parfüm von sich geben.”

Aber Exzellenz hatte glücklicherweise einen Stockschnupfen; so waren seine Geruchsnerven unempfänglich.

Im weiten Bogen umkreiste der hohe Herr den Musketier Meyer, und die ganze Suite kreiste mit, es war der reine Kreislauf.

Endlich hatte Exzellenz den Mann genug gemustert, wenigstens das, was äußerlich an ihm sichtbar war, nun wollte er auch das andre sehen: „Ziehen Sie sich aus,” befahl er.

„Aber Exzellenz,” bat der Graf, „der Anblick dürfte nicht gerade genußreich werden.”

Aber Exzellenz bestand auf seinem Willen. „Ziehen Sie sich aus,” befahl er noch einmal, und wenig später stand Meyer in seiner ganzen, nackten Schönheit da.

Auf jeden Anblick war man vorbereitet gewesen, auf einen solchen, wie er sich jetzt bot, aber doch nicht. Alle waren starr vor Entsetzen.

Exzellenz faßte sich zuerst, und als er sich endlich gefaßt hatte, da wurde er allen direkten Vorgesetzten des Musketiers Meyer sacksiedegrob, dem Herrn Oberst, dem Herrn Major, dem Hauptmann und dem Leutnant, und am allergröbsten wurde er dem Korporal­schafts­führer.

Nur einer bekam kein Wort der Grobheit zu hören, das war der Musketier Meyer selbst, der stillvergnügt in sich hineinlachte. Und daß der nichts auf den Hut bekam, hatte seinen guten Grund. Er hatte seinen Racheplan ausgeführt: er war heute nacht, als alles im tiefsten Schlummer war, aufgestanden und hatte sich stundenlang gewaschen.


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