Militärische Plauderei.
Von Freiherrn v. Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 6.Mai 1900 und
in: „Der grobe Untergebene”.
Es ist am Montag Morgen und in hellster Verzweiflung und in rasender Wuth steht der Häuptling der Königlichen Ersten vor seinen Leuten und macht ihnen in einer Art und Weise, die an Deutlichkeit und Grobheit nicht das Geringste zu wünschen übrig läßt, den Standpunct klar.
Und nicht ohne Grund, denn von der Compagnie, die gestern Abend Urlaub hatte, sind drei Leute zu spät und zwei überhaupt noch nicht nach Haus gekommen — die conjugiren selbst jetzt am hellen Vormittag noch aimer und sie schämen sich nicht einmal, denn wenn sie mit Herrn Roeren auch nur einigermaßen verwandt oder verschwägert wären, würden sie schon mit Rücksich auf ihn nicht nach Sonnenaufgang der Liebe huldigen.
Der Häuptling naht(1), mit Zittern und Zagen denkt er an die Grobheiten, die er zu hören bekommen wird. Die Kerls bummeln und der Hauptmann wird dafür angepfiffen, das ist die alte Geschichte. Der Herr Major wird sich den Häuptling rufen lassen und zu ihm sprechen: „Daß ich nicht so dumm bin, wie ich aussehe und auch wohl oft erscheine, beweist die Thatsache, daß die Empfehlungen meiner Vorgesetzten, die bekanntlich stets völlig objectiv und unparteiisch urtheilen, mir den Rang eines Stabsofficiers verschafften. Aber trotz der Sporen an meinen Stiefeln und trotz der Raupen in meinem Gehirn, ich wollte sagen, auf meinen Schultern, verstehe ich nicht, wie es nur möglich ist, daß gleichzeitig fünf Mann durchbrennen, wie gesagt, ich verstehe Das nicht, obgleich ich wohl behaupten darf, daß es Menschen giebt, die noch dümmer sind als ich.”
Auch der Herr Oberst wird ihn sich kommen lassen und zu ihm sagen — nein, sagen wird er gar Nichts, aber ansehen wird er ihn, von den Zehenspitzen anfangend, wird der vorgesetzte Blick immer weiter nach oben gleiten und bei der Halsgegend wird er Halt machen und sich dien Gurgel daraufhin genau ansehen, ob sie schon reif ist zugeschnürt zu werden, oder ob sie noch etwas Zeit hat.
Und wenn der Oberst ihn genug angesehen hat, dann wird er weiter Nichts sagen, als „danke” und der Hauptmann darf dann wieder gehen.
An dies Alles, was ihm bevorsteht, denkt der Häuptling und seine Stimmung wird dadurch nicht besser.
„Kerls,” ruft er endlich, „ich will Euch nun zum Schluß noch Etwas sagen. Ihr seid nicht werth, daß es Commißbrot auf der Welt gibt. Aber noch Eins will ich Euch sagen: morgen sollt Ihr mich kennen lernen, morgen, wenn die beiden Saufbrüder reumüthig wieder zur Caserne zurückkehren, morgen sollen Euch die Augen im Kopf und an den Füßen übergehen, laufen sollt Ihr morgen, daß Ihr für die nächsten acht Tage genug habt. Wir machen morgen einen Morgen–Spaziergang, der sich gewaschen haben soll, und wenn wir zurückkommen, fliegen die Sünder in das Loch. Unter vierzig Kilometer mit Gepäck lasse ich Euch morgen nicht los, danach richtet Euch ein.”
Die Leute hören es, wenn auch nicht gerade mit Freuden, aber sie sagen sich: „Strafe muß sein, schließlich sind wir ja selbst Schuld daran und die Brüder, die durchbrannten, und denen wir die morgige Promenade verdanken, können sicher sein, daß sie wahnsinnige Prügel bekommen, ehe sie sich heute Abend schlafen legen.”
Anders denken die Herren Leutnants: In der Theorie sind sie dafür, daß die Leute morgen „geschliffen” werden, aber in der Praxis sind sie dagegen, denn schlau und geistig bedeutend, wie sie in Folge ihrer Geburt und ihrer Erziehung sind, sagen sie sich, daß sie morgen früh mit müssen und ihnen liegt absolut garnichts daran, vierzig Kilometer marschiren zu müssen, lediglich deshalb, weil fünf Kerls mit ihren Liebeserklärungen nicht rechtzeitig fertig werden konnten.
Namentlich dem Herrn Ober ist die Sache sehr unangenehm, und vergebens sucht er nach einem „Druckpunct”, um sich von dem Morgenspaziergang befreien zu können. Da fällt ihm ein, daß sein Hauptmann ihm gestern Abend bei dem Skat fünfzehn Mark abnahm und ihm dadurch doch gewissermaßen zu Dank verpflichtet ist und mit einschmeichelndster Stimme fragt er den Vorgesetzten: „Herr Hauptmann, muß ich auch mit? Ich — ich bliebe sehr gern zu Haus.”
„Ich auch,” donnert der Vorgesetzte ihn an. „Herr, was denken Sie sich? Sind Sie, mit Erlaubniß zu fragen, über Nacht denn ganz verrückt geworden? Natürlich gehen Sie mit und zwar gehen Sie! Falls Sie die Absicht hätten, sich beritten zu machen, verbiete ich Ihnen Das hiermit. Haben Sie mich verstanden?”
„Gott sei es geklagt,ja,” denkt der Ober, eigentlich muß er „zu Befehl” antworten, aber er nimmt dem Häuptling seine Grobheit übel und nimmt sich vor, nicht eher wieder mit diesem elenden Knecht zu sprechen, bis er ihn nicht um Verzeihung bittet, und so sagt er garnichts.
Wenn man als Untergebener es nicht versteht, die Vorgesetzten in die richtigen Schranken zurückzuweisen, so wird diese Art von Leuten noch gröber, als sie es so wie so schon wird.
Am nächsten Morgen steht die Compagnie um fünf Uhr zum Abmarsch auf dem Casernenhof bereit. Die Leute finden diese frühe Stunde „gemein”, die Herren Leutnants erklären es eines anständigen Menschen einfach für unwürdig, zu einer Zeit, da noch nicht einmal die Abfuhrwagen aus den Straßen verschwunden sind, in das Gelände marschiren zu müssen.
Wer kann denn so früh schon anständig angezogen sein? Die Bartbinde muß, wenn sie ihren Zweck erfüllen soll, wenigstens zehn Minuten liegen, und so viel Zeit gibt es ja vor fünf Uhr morgens garnicht. Da gehen ja selbst die Bäckerjungens(2) barfuß, weil sie noch keine Zeit hatten, sich Strümpfe anzuziehen.
Im Galopp erscheint der Herr Hauptmann.
Mit einer Stimme und einem Gesichtsausdruck, die deutlich keine allzu rosige Stimmung verkünden, läßt der Herr Ober stillstehen und meldet dem Vorgesetzten.
Gleich darauf geht es zum Thor hinaus.
Auf dem Dienstzettel für das Bataillon und das Regiment hat der Hauptmann für heute eine Marschübung gemeldet. Das Gesetz will es, daß auch eine solche Uebung ihren taktischen und strategischen Hintergrund hat, und so gebiert der Häuptling denn ohne viel Schmerzen folgende Idee: „Wir werden nach dem Dorfe A marschiren und in Erfahrung bringen, ob dieser Ort von einer feindlichen Abtheilung besetzt ist!”
Daß kein Gegner dort ist, niemals dort war und auch nie dort sein wird, weil das Dorf viel zu weit entfernt liegt, weiß Jeder ganz genau. Man könnte sich die Mühe, nachzusehen, ruhig sparen, aber der Hauptmann hat's befohlen, folglich muß nachgesehen werden.
Der Morgenspaziergang beginnt. Zwei Leutnants sind nur bei der Compagnie und in Folge dessen können sie nicht einmal zusammengehen und sich gegenseitig ihr Herz ausschütten, sondern der Eine muß an der Tete, der Andere an der Queue marschiren, so will es die Feldienst–Ordnung.
Der Herr Ober pinschert vorne, und was er denkt, ist Schrecken, was er sinnt, ist Blut. „Hätte ich gewußt,” so meditirt er, „daß mir in meinem Leben dieser Tag bevorstände, so hätte ich mich meiner Geburt auf das Hartnäckigste widersetzt und wäre bis zu meinem Tode geblieben, wo ich war. Kann man sich etwas Stumpfsinnigeres denken, als einen solchen Morgenspaziergang? Man setzt mechanisch einen Fuß vor den anderen. Geht man zu langsam, so wird man angepfiffen, geht man zu schnell, so wird man angeheult, auf den Hut bekommtman immer was. An einem Kilometer marschirt der Soldat, wenn der Himmel nicht Mitleid mit ihm hat und ihn zu sich nimmt, zehn Mnuten, unter Umständen sogar zwölf. Dank der Liebenswürdigkeit unseres Hauptmann, der besser gethan hätte, einen ehrenvollen Civilistenberuf zu ergreifen — es soll ja auch derartige Chosen geben — als den bunten Rock anzuziehen, den ein höherer Vorgesetzter ihm hoffentlich recht bald wieder auszieht, Dank der Liebenswürdigkeit dieses Herrn, die(3) der Teufel holen möge, befinden wir uns heute in der beneidenswerthen Lage, vierzig Kilometer laufen zu dürfen. Vierzig mal zwölf sind — sind — vier mal zwölf sind — vier mal zehn sind vierzig, zwei mal vier sind acht, macht zusamen zweiunddreißig, nein richtig achtundvierzig. Eine Null daran sind 480, Das sind acht Stunden — Vater im Himmel erbarme Dich. Um fünfe sind wir abmarschirt, da sind wir um dreizehn, um nicht zu sagen um ein Uhr wieder zu Hause, vorausgesetzt, daß wir nicht unterwegs umfallen und liegen bleiben. Nicht nur die Dum–Dum–Geschosse, sondern auch die tödtlichste Langeweile vermag entsetzliche Verwirrungen in unseren Eingeweiden und in unserem Innern hervorzurufen. Ob es überhaupt nöthig ist, daß die Soldaten einen Kopf haben? Kann die Ernährung eines Kriegers nicht auch ohne den Mund erfolgen? Und zu anderen Dingen als zum Essen braucht der Bleisoldat seinen Schädel doch ganz gewiß nicht. Denken darf er nicht, Erstens weil hierbei nach der Behauptung aller Vorgesetzten doch Nichts als Unsinn herauskommt, Zweitens weil die Vorgesetzten völlig überflüssig wären, wenn auch die Untergebenen denken würden, und Drittens weil unsere Thätigkeit eine derartige ist, daß sie es garnicht verträgt, daß man über sie nachdenkt und sie in ihre einzelnen Bestandtheile zerlegt. Es sind Dies etwas sehr kühne Behauptungen, die meiner augenblicklichen Laune und Stimmung entspringen. Säße ich jetzt bei einem Champagnerfrühstück, zu dem ich die Einladung nur dem Umstande zu verdanken hätte, daß ich der Leutnantscharge angehöre, zu der so Viele beneidend und bewundernd hinaufsehen, so würde ich wohl anders urtheilen. Aber dieses Marschiren fängt an, mich verwirrt zu machen, vier Kilometer Staub habe ich nun schon geschluckt, sechsunddreißig weitere stehen mir noch bevor. Ob ich Das überlebe? Und ist dem Staate damit wirklich gedient, wenn ich heute Abend der Wahrheit gemäß mir sagen muß: ich habe den ganzen Tag weiter Nichts gethan, als daß ich stumpfsinng acht Stunden lang mechanisch einen Fuß vor den anderen setzte und mir dabei beide Stiefelabsätze schief lief? Ist diese Beschäftigung mit fünf Mark pro Tag nicht viel zu gering oder soll man sagen: nicht viel zu hoch bezahlt?
Jetzt ist es sechs Uhr — bis heute Mittag um ein Uhr habe ich noch Zeit, mit meinem Geschick zu hadern, den Mund zu halten, eine Cigarre nach der anderen zu rauchen, den entsetzlichen Qualm der Mannschaftspfeifen einzuathmen und darüber nachzudenken, was ich sein möchte, wenn ich nicht Leutnant wäre. Der Beruf eines Rothschilds würde mir am Meisten zusagen, aber unsere Wünsche sind ja dazu da, um nicht erfüllt zu werden.
Noch lieber aber als ein Rothschild wäre ich doch jetzt ein Hauptmann und ließe meinen Häuptling, der Leutnant sein müßte, bei meiner Compagnie eintreten. Die Versicherung will ich ihm sogar schriftlich geben, daß er Wunder erleben würde. Muß ich vierzig Kilometer laufen, so müßte er achtzig laufen.
Eine Stunde verrinnt nach der anderen, ein Kilometer folgt dem anderen und endlich, endlich, endlich ist man bei dem Dorfe D.(4) angelangt. Es ist ein elendes Nest, aber trotzdem haben die müden Beine den Wunsch, für die nächsten Stunden hier bleiben zu können. Das aber giebt es nicht. Wozu ward denn das Commando: „Kehrt marsch” erfunden, wenn es nicht gebraucht werden soll?
In umgekehrter Reihenfolge marschirt man wieder nach Haus.
Der Herr Ober will auf dem Rückweg noch mehr fluchen und noch geistreicher philosophiren als auf dem Hinmarsch, aber er ertappt sich dabei, daß er überhaupt keinen Gedanken mehr fassen, überhaupt nicht einmal mehr denken kann, nicht einmal solch' gewöhnliches Zeug, wie der Durchschnittsleutnant, den Gott den jungen Backfischen noch lange erhalten möge,zu denken pflegt.
Sein Schädel ist leer, vollständig leer, nein, Etwas birgt die Gehirndecke doch: zahllose feine Sandkörner, die der Herr Ober auf dem Marsch in die Nase bekam und die von hier aus immer höher bis in das Gehirn drangen und sich dort so ausbreiteten, daß sie alles Andere, was sie dort vorfanden, verdrängten.
Der Leutnant kann nicht mehr denken und der Morgenspaziergang hat seinen Zweck völlig erreicht: aus einem obstinaten, mit seinen Vorgesetzten und seinem Geschick hadernden Untergebenen ist ein Unterthan geworden, auf dem das Auge der Höheren fortan mit Wohlgefallen ruhen wird.
Denn darüber waren sich schon vor der Erschaffung der Welt die sieben Weisen Griechenlands einig, daß die Untergebenen die besten sind, denen ihre Gehirnmasse es unmöglich macht, eine eigene Meinung zu haben.
(1) In der Buchfassung heißt es hier: „rast”. (zurück)
(2) In der Buchfassung heißt es hier: „Bäckerjungen”. (zurück)
(3) In der Buchfassung heißt es hier: „den”. (zurück)
(4) In der Buchfassung heißt es hier: „Dorfe A”. (zurück)