Das Mittagessen.

Humoreske von Freiherrn v. Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 6.Jan. 1901 und
in: „Zurück - marsch, marsch!”.


Se. Excellenz, der Herr Divisionscommandeur, hatte die ihm unterstellten Truppen zu einer dreitägigen Uebung mobil gemacht und zog mit ihnen fechtend und kämpfend durch das Gelände. Excellenz selbst focht natürlich nicht mit, als deus inactivus criticus(1) leitete er nur die Uebung, er hatte den beiden Parteien, der rothen und der blauen, den Auftrag gegeben, und die beiden Führer, die beiden Brigade­commandeure, gaben sich die größte Mühe, den Beifall Sr. Excellenz zu finden.

Aber nicht Alles, was man erstrebt, geht in Erfüllung. Diese alte Wahrheit mußten auch die beiden Führer heute wieder an sich erfahren.

Es war am zweiten Tag der Uebung, vom frühen Morgen bis zum späten Mittag hatten die Märsche und das Gefecht gedauert, nun war das „Halt” geblasen worden und das Signal „die berittenen Officiere” ertönte über die weite Ebene.

Im gestreckten Galopp kamen die Herren an — in kurzer Entfernung vor Sr. Excellenz parirten sie ihre Pferde und warteten auf Das, was der hohe Herr ihnen sagen werde — nach dem Gesichtsausdruck des Herrn Divisions­commandeurs zu urtheilen, würde es nicht allzuviel Gutes werden.

Und die so dachten, irrten sich nicht.

„Meine Herren,” begann Se. Excellenz, „ich kann Ihnen nur sagen, daß Das, was ich am heutigen Tage gesehen habe, mich in keiner Weise befriedigt hat, mich auch nicht befriedigen konnte, denn es sind Fehler gemacht worden, Fehler —”

Excellenz zog die beiden Schultern beinahe bis zu den Ohren in die Höhe, daß Denen, die es sahen, schwach wurde — dann rechnete der hohe Herr Jedem seine taktischen und strategischen Fehler mit einer Klarheit und Gründlichkeit vor, die in keiner Hinsicht etwas zu wünschen übrig ließ.

Endlich war der Herr Divisions­commandeur fertig, Alle athmeten erleichtert auf und drückten ihre Pferde heimlich und verstohlen schon etwas zurück, um bei dem „ich danke Ihnen, meine Herren” so schnell wie möglich davon reiten zu können, denn kein Soldat hält sich bei einer Kritik länger in der Nähe der Vorgesetzten auf, als es unbedingt sein muß.

Aber die Worte „ich danke Ihnen” erfolgten noch nicht.

„Meine Herren,” begann Excellenz nach einer kleinen Pause, „ich möchte noch eine andere Angelegenheit mit Ihnen besprechen.”

„Um Gottes Willen, was hat er denn nun noch auf dem Herzen,” dachte ein Jeder — aber er dachte es auch nur.

„Meine Herren,” begann Excellenz von Neuem, „ich habe gestern Nachmittag um vier Uhr die Vorposten, die Doppelposten und Feldwachen der rothen Partei abgeritten und dabei eine Entdeckung gemacht, für die ich gar keine Worte habe.”

„Gott sei Dank,” dachten die Angehörigen der rothen Partei, aber ihre Freude währte nicht lange, denn von Neuem mußten sie erfahren, daß ein Vorgesetzter dann die meisten Worte hat, wenn er angeblich gar keine hat.

„Meine Herren,” fuhr Excellenz fort, „darüber, daß die Posten nicht genügend instruirt waren und mir gar keine, oder doch nur schlechte Antworten gaben, will ich mich jetzt nicht weiter auslassen, darüber werde ich mich ein anderes Mal äußern. Jetzt möchte ich einen anderen Punct zur Sprache bringen — wie kommt es, Herr General, daß Ihre Vorposten gestern Nachmittag um vier Uhr noch nicht Mittag gegessen hatten? Ich bitte darüber um Aufklärung.”

Der Herr General der rothen Partei, dem diese Worte galten, machte ein sehr erstauntes Gesicht. Was der Herr Divisions­commandeur ihm da soeben sagte, war ihm vollständig neu, na, und über Sachen, die man selbst nicht weiß, kann man nur schlecht oder garnicht Auskunft geben.

So that denn der Herr General das Klügste, was er nach seiner Meinung thun konnte, er warf dem Herrn Oberst, dessen Regiment gestern theilweise auf Vorposten gewesen war, einen fragenden Blick zu. Der mußte ja Bescheid wissen — aber der Oberst wußte es leider auch nicht. Er war, nachdem er mit seinen Unterführern die Stellung recognoscirt hatte, in sein Quartier geritten und hatte, da Das auch nicht seine Aufgabe war, sich nicht weiter um das Abkochen der Vorposten gekümmert.

Der Herr Oberst warf seinem Adjutanten einen schnellen Blick zu, der da bedeutete: „Wissen Sie etwas?” Aber der Adjutant wußte auch nichts — der hatte so viel schriftliche Arbeiten zu erledigen gehabt, daß er bis spät in die Nacht hatte arbeiten müssen.

Der Herr Oberst war nicht im Stande, eine Antwort zu geben, so that er das Klügste, was er nach seiner Ansicht thun konnte, er warf dem Herrn Major einen fragenden Blick zu.

Aber auch dieser bedauerte unendlich. Er hatte mit der Vorposten­compagnie die Stellung besichtigt, Alles auf das Genaueste mit dem Hauptmann besprochen und war dann zu dem Vorpostengros zurückgeritten. Er hatte sich das Mittagessen, das ihm die Schreiber und Ordonnanzen inzwischen bereitet hatten, wohl schmecken lassen und sich durch eigenen Augenschein davon überzeugt, daß auch die Mannschaften des Heeres(2) zu essen hatten. Um die Vorposten­compagnie hatte er sich nicht weiter gekümmert, wie es auch nicht seine Aufgabe war, und so that er jetzt das Klügste, was er nach seiner Ansicht thun konnte, er warf dem Hauptmann einen fragenden Blick zu.

Dem Häuptling war dabei gar nicht wohl zu Muthe. Hätte er ganz allein in diesem Augenblick über sein Schicksal zu entscheiden gehabt, so hätte er sich sofort, aber umgehend, auf ein Jahr beurlaubt und hätte auf Staatskosten eine Reise um die Welt angetreten. Aber leider war auch sein Geschick, wie das der meisten anderen Menschen von „höheren Mächten” abhängig — so nahm er denn allen Muth zusammen, nahm den Kopf in die Höh, die Brust heraus und legte zum Zeichen, daß er Etwas zu sagen habe, die Hand an den Helm.

Excellenz hatte die fragenden Blicke, die von einer Charge zur andern gingen, wohl bemerkt, denn einer Excellenz entgeht so leicht nichts.

„Nun, wie ist's?” fragte er. „Zwar finde ich es sonderbar, daß ein Hauptmann mir eine Frage beantworten will, die ich an den Herrn General richtete, aber ich will zufrieden sein, wenn ich überhaupt Antwort bekomme. Nun also, Herr Hauptmann, auf Ihre Erklärung bin ich neugierig, woran liegt es, daß Ihre Leute gestern Nachmittag zu so später Stunde noch nicht gegessen hatten?”

Einen Augenblick zögerte der Hauptmann noch, es genirte ihn, Aller Blicke auf sich zu fühlen und in Gegenwart so vieler Vorgesetzten zu sprechen. Aber was half es? Die Erklärung mußte er doch geben, und je eher er sie gab, desto besser war es.

Und so sagte er denn mit lauter, bestimmter Stimme: „Excellenz, die Vorposten hatten noch nicht gegessen, weil das Essen noch nicht fertig war.”

Wie von den Taranteln der ganzen Welt gestochen, fuhr Excellenz vom Sattel in die Höhe und stellte sich aufrecht in die Bügel.

„Herr Hauptmann,” donnerte er, „Herr Hauptmann, Das soll eine Entschuldigung, eine Erklärung sein? Anstatt mir eine Antwort zu geben, wiederholen Sie mir meine Frage — ich will ja gerade wissen, warum das Essen noch nicht fertig war — also bitte.”

„Wir sind zu spät in das Bivouac gekommen, Excellenz,” stotterte der Herr Hauptmann.

Excellenz setzte sich wieder in den Sattel zurecht. „So, so, Das also ist's,” sagte er, „aber nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Hauptmann, was Sie mir eben sagen, ist Das, was man eine faule Ausrede nennt. Ich habe gestern die Uebung so zeitig abgebrochen, daß sie um ein halb drei Uhr im Bivouac waren — eine Stunde später hätten alle Leute ihr Essen haben müssen. Ich bin auch einmal Hauptmann gewesen und länger als eine Stunde hat bei meiner Compagnie das Abkochen nie gedauert. Wenn Sie längere Zeit dazu gebrauchen, dann beweist das mir, Herr Hauptmann, daß Ihre Leute in dem Graben der Kochlöcher und in dem Abkochen nicht genügend geübt sind. Das kann ich nur sehr tadeln und ich muß sowohl den Herrn Oberst wie auch den Herrn Major sehr bitten, dafür Sorge tragen zu wollen, daß dieser Dienstzweig bei den Compagnien so geübt wird, wie es seine Wichtigkeit verlangt.”

In dieser Tonart ging es noch eine Viertelstunde weiter, und als Excellenz endlich sein „Danke sehr, meine Herren” gesagt hatte, da sprach der Herr General noch mit dem Herrn Oberst, und der Herr Oberst sprach mit dem Herrn Major, und der Herr Major sprach dann zum Schluß noch mit dem Herrn Hauptmann.

Und lauter Liebenswürdigkeiten waren es nicht, die die Vorgesetzten ihren Untergebenen sagten — ach nein, im Gegentheil.

„Der Herr General hat befohlen,” schloß der Herr Major seine Ausführungen, „daß Ihre Compagnie auf Vorposten kommt. Wir wollen Ihnen Gelegenheit geben, das Abkochen zu üben, darauf können Sie sich verlassen, Herr Hauptmann, und wenn Sie es trotzdem nicht lernen, dann soll Sie, mit Erlaubniß zu sagen, der Teufel holen.”

Und wie der Herr Major es angedroht hatte, so geschah es, am nächsten Tag, dem letzten der Uebung, zog der Herr Hauptmann mit seiner Compagnie wieder auf Vorposten. Das war nun weder eine reine, noch eine ungetrübte Freude, aber Befehl ist Befehl, und was befohlen ist, wird gemacht.

Die ganze Compagnie wußte, warum sie wieder auf Vorposten mußte und deshalb wurde das Abkochen im bildlichen und im wirklichen Sinne: „mit Dampf betrieben”, zum zweiten Mal sollte Excellenz keinen Anlaß zum Tadel haben.

Aber mitten in das Abkochen hinein galopirte von der Feldwache zu der Vorposten­compagnie ein Husar mit der Meldung: „Excellenz nähert sich der Feldwache und dann Posten ab.”

Dem armen Hauptmann stand beinahe das Herz still, er sah nach der Uhr, erst vor dreiviertel Stunden war er in das Bivouac gekommen, er hatte sofort die Feldwache und die Posten abgesandt, das Essen, das ihnen nachgesandt werden sollte, konnte noch nicht fertig sein, es war auch noch nicht fertig, aber es mußte fertig sein. Sonst gab es ein Unglück, und an dem gestrigen Tag hatte der Hauptmann mehr als genug.

Was thun? Einen Augenblick zögerte er noch, dann schickte er den Husar mit einem Befehl an die Vorposten zurück und im Carriere stürmte die Husarenjacke davon — unglücklicherweise gerade Sr. Excellenz in den Weg.

„Nun, wohin so eilig, mein Sohn?” fragte der hohe Herr wohlwollend.

„Zu den Vorposten, Ew. Excellenz,” lautete die Antwort.

„Und was sollen Sie dort?” fragte Excellenz weiter.

„Den Posten einen Befehl überbringen, Excellenz.”

„Das kann ich mir denken,” erwiderte der Herr Divisions­commandeur, „aber wie lautet der Befehl, den Sie überbringen? Wiederholen Sie ihn mir wörtlich.”

Lieber wäre es dem Husaren gewesen, er hätte schweigen können, aber einer Excellenz gegenüber war er machtlos, und so wiederholte er denn wörtlich, was der Hauptmann ihm gesagt hatte: „Befehl der Vorposten­compagnie an die Feldwache und an die Doppelposten: Das Mittagessen hat bereits vor einer halben Stunde stattgefunden. Ihr seid Alle satt.”

Excellenz erwiderte garnichts, wandte sein Roß und ritt schweigend zur Vorposten–Compagnie, dort aber machte er den Mund auf, und zwar ganz gehörig.

Als Excellenz wieder von dannen ritt, war der Hauptmann satt, obgleich er noch garnichts gegessen hatte, jeglicher Appetit war ihm vergangen.


Fußnoten:

(1) In der Fassung von „Zurück — marsch, marsch!” heißt es hier: „deus militaris criticus”. (zurück)

(2) In der Fassung von „Zurück — marsch, marsch!” heißt es hier: „Mannschaften des Gros”. (zurück)


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