Mist.

Militärische Humoreske von Freiherrn von Schlicht.
in: „Türke und Stachelschwein”


Der Soldat unterscheidet „Blech” und „Mist”. Unter „Blech” versteht man den Unsinn, der nach Meinung der klugen Leute, die alles besser wissen wollen, täglich auf den verschiedenen Bureaux zusammengeschrieben wird, unter „Mist” dagegen —

Der Rekrutenoffizier steht mit den seiner besonderen Obhut anvertrauten, beinahe hätte ich gesagt „Säuglingen” auf dem Kasernenhof und übt den langsamen Schritt. Seine Beine hinsetzen kann mit Ausnahme der Lahmen wohl jeder, aber sie richtig, d. h. vorschriftsmäßig hinsetzen, das ist eine Kunst, die zwar, wie so viele andere, auch brotlos ist, aber die ebenso wie jede andere geübt werden muß. Der Lieutenant sieht zu, wie seine Untergebenen die einzelnen Glieder exerzieren, er kann sich auf sie verlassen, sie verstehen das Handwerk zum mindesten ebenso gut, wie er selbst, wenn nicht noch besser, da sie eine längere praktische Dienstzeit hinter sich haben. Auch beim Militär gilt das Wort: „Grau, teurer Freund, sind nicht nur unsere neuen Mäntel, sondern auch alle Theorie.” Mit den theoretischen Kenntnissen allein bringt man keine drei Mann trockenen Fußes über einen Graben hinüber.

Der Hauptmann, alias Häuptling genannt, sieht dem Exerzieren schweigend zu.

Es ist stets unangenehm, wenn höhere Vorgesetzte bei dem Dienst zugegen sind. Wenn sie sprechen, tadeln sie, und wenn sie tadeln, denkt jeder Untergebene: „Wenn er doch nur den Mund halten wollte.” Schweigt er aber von Anfang an, so denkt jeder Untergebene: „Wenn er nur bloß etwas sagen wollte, anstatt stillschweigend zuzusehen, alle Wut in sich aufzusammeln und seinen Zorn bei irgend einer unpassenden Gelegenheit auszulassen!”

Recht machen kann es der Vorgesetzte seinen Untergebenen ebenso wenig, wie der Untergebene irgend etwas je ganz nach Wunsch der Vorgesetzten thut. Ich will damit nicht sagen, daß Untergeben nie belobt werden — aber uneingeschränktes Lob giebt es beim Militär nicht — ein „Aber” kriecht wenigstens immer hinterher.

„Das haben Sie gut gemacht, mein Sohn, aber ich glaube,wenn Sie die Sache so gemacht hätten, wie ich eben in meiner Kritik sagte, wäre der Erfolg noch größer gewesen.”

Der Glaube macht eben selig!

„Herr Lieutenant, dürfte ich Sie bitten, die Unteroffiziere einen Augenblick zusammenzurufen?” Der Hauptmann spricht's und der Lieutenant denkt: „Warum ruft er denn nicht selbst, glaubt er, daß ich meine Lunge für 2 Mk. 50 Pf. Gehalt pro Tag gestohlen habe?”

Gedaken gehören nicht zum allgemeinen Zollverein.

„Die Unteroffiziere zum Herrn Hauptmann.”

Ein Brüllen war's, kein Rufen mehr zu nennen.

Sie eilen herbei, so schnell sie laufen können.

Der Lieutenant legt die Hand an die Mütze.

„Ich melde ganz gehorsamst die Unteroffiziere zur Stelle.”

Seinerseits legt auch der Häuptling, wenn auch nicht die ganze Hand, so doch wenigstens einen Finger an den Mützenschirm.

„Ich danke sehr. Bitte kommen die Unteroffiziere etwas näher heran, die Leute brauchen nicht zu hören, was wir miteinander besprechen.”

Das Wort „miteinander” läßt den humoristisch veranlagten Lieutenant unmerklich lächeln, er weiß, was das Wort bedeutet: einer spricht, die anderen hören zu, bis der eine ausgesprochen hat, was zuweilen lange, manchmal sehr lange, dann und wann ewig dauert!

„Also, was ich sagen wollte,” beginnt der Häuptling, „bitte, kommen die Unteroffiziere noch näher heran, und auch Sie, Herr Lieutenant, bitte ich für Ihre Person näher heranzutreten, damit Ihnen keines meiner Worte entgeht!”

„Wär' das Unglück wirklich so groß?” denkt der Lieutenant, dann aber tritt er näher heran, ganz nahe, so daß der Hauptmann einen Schritt zurücktreten muß.

„Also, was ich sagen wollte, mit dem Marsch, wie Sie ihn den Leuten beibringen, kann ich mich ganz und gar nicht einverstanden erklären.”

Er schweigt und sieht sich im Kreise um, die Unteroffiziere haben rote Köpfe bekommen, der Herr Lieutenant macht ein anscheinend sehr verwundertes Gesicht.

Der Sprecher ist mit dem Eindruck, den seine einleitenden Worte hervorgerufen haben, wohl zufrieden, und umständlich setzt er seinen Untergebenen auseinander, wie er wünsche, daß der Marsch gelehrt würde und nach welchen Prinzipien er die Ausbildung geregelt zu wissen wünsche.

Es ist eine lange, inhaltsschwere Rede, die da vom Stapel gelassen wird.

Endlich, endlich ist sie zu Ende.

Wieder blickt der Häuptling sich im Kreise um.

„Ich bin doch verstanden worden?”

Die Unteroffiziere schlagen statt jeder Antwort die Hacken zusammen, der Lieutenant legt die Rechte an die Mütze und spricht: „Zu Befehl.”

„Na, dann danke ich sehr.”

Die Unteroffiziere machen eine stramme Linksum-Kehrt-Wendung, während der Lieutenant ohne Kehrt-Wendung sich auf seinen alten Platz begiebt.

Der Häuptling, im Bewußtsein, für heute genug „regiert” zu haben, entfernt sich vom Kasernenhof. Kein Kompagniechef sagt zu seinem Lieutenant: „Adieu, ich gehe nun nach Haus.” Um Gotteswillen, nur das nicht. Der Lieutenant muß stets in der Furcht des Herrn leben; er darf nie wissen: kommt der Alte, oder kommt er nicht? Ist er schon nach Haus gegangen, oder kriecht er noch irgendwo in der Kaserne herum?

Die Häuptlinge sind ja auch einmal jung gewesen, und wenn sie es auch natürlich nie selbst gethan haben, so wissen sie doch von anderen Kameraden, daß es zuweilen vorkommen soll, daß die Rekrutenoffiziere, wenn sie ganz sicher zu sein glauben, „Kasino bilden”, das heißt, sich zu einem frisch-fröhlichen Gespräch in der Mitte des Kasernenhofes vereinen.

Sie haben das, wie gesagt, natürlich nie gethan, aber es wäre doch immerhin möglich, daß ihre Lieutenants nicht solche Idealmenschen wären, wie sie es selbst gewesen sind und darum: Gardez silence!

Der Dienst nimmt seinen Fortgang, der langsame Schritt wird weiter geübt.

Da nähert sich ein Unteroffizier dem Lieutenant.

„Nun, was giebt's?” fragt dieser.

„Herr Lieutenant, ich melde ganz gehorsamst — verrückt waren meine Kerls immer schon, aber nun sind sie total blödsinnig. Wie sollen wir nun marschieren, so wie der Herr Lieutenant oder wie der Herr Hauptmann das angeordnet haben?”

„Natürlich wie ich es befohlen habe, ich werde heute mittag nochmals mit dem Herrn Hauptmann sprechen; was der Hauptmann gesagt hat, war ja nichts wie Mist!” — —

Die Kompagnie ist zum Kompagnie-Exerzieren ausgerückt.

Der Häuptling, hoch zu Roß, hält vor der Mitte seiner in Linie zu zwei Gliedern stehenden Truppe und instruiert. Da meldet ein Mann: „Der Herr Major kommt.”

„Um Gotteswillen, das fehlt auch gerade noch,” denkt der Häuptling, dann aber giebt er seinem Gaul die Sporen und reitet dem Vorgesetzten entgegen: „Melde ganz gehorsamst die erste Kompagnie zum Exerzieren: Züge zu fünfzehn Rotten.”

„Danke sehr, lassen Sie sich, bitte, durch meine Anwesenheit gar nicht stören, ich reite hier nur spazieren.”

Das thut der Herr Major denn auch, aber er bleibt stets in so unmittelbarer Nähe der Truppe, daß er jedes Wort des Kompagniechefs hört.

„Also was heißt: ,Vordermann nehmen', Meier?”

„Vodermann nehmen heißt, sich so aufstellen, daß ich von meinem Vorermann weiter nix nich sehen thue, als das Genick.”

„Gut,” belobt der Häuptling.

Da aber kommt der „nur spazierenreitende” Herr Major.

„Ich möchte nicht in die Ausbildung Ihrer Kompagnie hineinsprechen, Herr Hauptmann, aber ich möchte mir doch die Frage erlauben: Halten Sie diese Definition des Vordermannnehmens für praktisch?”

„Natürlich,” denkt der Hauptmann, „sonst hätte ich diese doch nicht gegeben, außerdem wird es in der ganzen Armee so erklärt, warum soll ich da eine Ausnahme bilden?” Laut aber sagt er: „Zu Befehl, Herr Major.”

„Da bin ich aber denn doch anderer Ansicht, Herr Hauptmann — wie gesagt, ich betone nochmals, daß ich mich nicht in die Ausbildung Ihrer Kompagnie hineinmischen will, aber ich glaube, es giebt eine noch bessere Erklärung: ,Ich habe dann Vordermann, wenn der Abstand meiner rechten Schulter nach der linken Schulter des halbrechts vor mir stehenden Mannes ebenso groß ist, wie der Abstand von meiner linken Schulter nach der rechten Schulter des halblinks vor mir stehenden Mannes'. Ich halte diese Erklärung für deutlicher — glauben Sie nicht auch, Herr Hauptmann?”

„Zu Befehl — Herr Major.”

Und der Herr Major, der plötzlich findet, daß er für heute genug „spazieren geritten” ist, wendet das Pferd und jagt in gestrecktem Galopp dem heimatlichen Frühstückstisch entgegen.

Der Häuptling sieht ihn frohen Herzens davonreiten, und als der Vorgesetzte außer Hörweite ist, spricht er mit dem Brustton der tiefsten Ueberzeugung nur das eine, aber inhaltsschwere Wort: „Mist.” — —

Glühend heiß scheint die Sonne hernieder auf den Exerzierplatz, auf dem das Bataillon im tiefen Sande exerziert, bei jedem Schritt eine hohe, dichte, undurchdringliche Staubwolke aufwirbelnd. Die Mannschaften und die Lieutenants zu Fuß schimpfen im stillen gewaltig über den gräßlichen Staub, den berittenen Hauptleuten ist er gleichgiltig, dem Herrn Major ist er sehr willkommen, denn er entzieht das Bataillon dem Blick des gestrengen Herrn Oberst, der nun schon seit einer Stunde dem Exerzieren zusieht und immer noch keine Anstalten macht, nach Haus zu reiten.

Zum zweitenmal macht der Herr Major nun schon das Schulexerzieren, nicht weil es beim erstenmal schlecht gegangen war, sondern weil er ausprobieren wollte, ob es beim zweitenmal ebenso vorzüglich klappen würde, wie beim erstenmal. Sogar der Tritt war trotz des tiefen Sandes ganz ausgezeichnet zu hören gewesen. Der Herr Major hatte sich nicht genug darüber wundern können und sich vergebens gefragt, wie ist das nur möglich? — Und der Kniff ist doch so einfach: die Kerls schlagen während des Marschierens einfach im Takt mit der rechten Hand auf die rechte Patronentasche, das hört sich genau so an, als wenn die Beine den Erdboden stampfen! Sehen darf das natürlich kein Mensch, sonst ist der Teufel los, aber es sieht ja auch keiner.

Und der Herr Oberst macht immer noch nicht, daß er fortkommt! Er unterhält sich mit seinem Etatsmäßigen, der sich zu ihm gesellt hat, so angelegentlich, als wenn es auf der ganzen Welt keinen schöneren, schattigeren Platz gäbe. Der Herr Major sieht es mit Grausen, er muß in den sauren Apfel beißen und er geht zum Gefechtsexerzieren über. Das ist deshalb für ihn unangenehm, weil die Sache nur dann klappen kann, wenn er mit seinen Häuptlingen „eingespielt” ist, wie der terminus technicus lautet.

Er entwickelt sein Bataillon nach der rechten Flanke in mehreren Treffen, und was er gefürchtet hat, tritt ein: es wird ein buntes Durcheinander!

Der Herr Major läßt halten und durch seinen Adjutanten die „vier Wenzel”, alias seine vier Hauptleute, zu sich entbieten. Endlich sind sie da, und als der Herr Major seine Rede beginnen will, ist plötzlich der Herr Oberst auch da! Das ist unangenehm, aber läßt sich nicht ändern.

Er wendet sich zunächst an den Vorgesetzten: „Der Herr Oberst gestatten?”

„Bitte sehr,” erwidert dieser sehr leutselig, und der Herr Major beginnt seine Rede: „Ich hatte mir die Sache eigentlich anders gedacht, meine Herren,” und in beredten Worten schildert er, was er an Stelle der vier Hauptleute auf das von ihm gegebene Kommando gethan haben würde.

Als er geendet, wendet er sich wieder an seinen Vorgesetzten und legt zum Zeichen, daß er mit dem, was er sagen wollte, fertig sei, die Hand an den Helm.

„Ich bin sehr einverstanden, Herr Major, mit dem, was Sie gesagt haben, aber ich stelle der Erwägung anheim, ob es nicht vielleicht doch in diesem Falle praktischer gewesen wäre, die Sache folgendermaßen zu machen.”

Und nun entwickelt er seine Ansicht und sagt, was er an Stelle eines jeden der vier Hauptleute auf das von dem Herrn Major gegebene Kommando gethan haben würde.

„Wie gesagt, Herr Major, das ist nur meine ganz subjektive Auffassung,” und zu seinem Etatsmäßigen gewendet, fügt er hinzu: „Nun, Herr Oberstlieutenant, bleiben wir noch ein Weilchen, oder reiten wir heim? Ich glaube, es wird Zeit!”

Und da der Etatsmäßige den Glauben seiner Vorgesetzten teilt, sind sie bald von der Bildfläche verschwunden.

Der Herr Major wendet sich aber voll Ingrimm zu einem Adjutanten und fragt: „Haben Sie schon jemals solchen Mist gehört? Ich nicht.” —

Es giebt ein militärisches Gedicht, das in humoristischer Form die einzelnen militärischen Chargen besingt. Jeder Vers endet mit dem Refrain:

„Doch auch dieser wird bald klein,
Denn ein Höh'rer stellt sich ein.”

Jeder Höhere fühlt sich als Vorgesetzter verpflichtet, das, was der Untergebene thut, zu kritisieren; davon, daß er es besser kann, ist er fest überzeugt, muß es auch sein, wenn er nicht ein Amt bekleiden will, zu dem ihm nach seiner eigenen Meinung die nötigen Knenntnisse fehlen. Aber so wie der Vorgesetzte seinen Untergebenen, so kritisiert dieser auch seinen Vorgesetzten, und nie ist er mit dem einverstanden, was dieser sagt. Es müßte denn schon sein, daß er gelobt würde.

Bei einer Kritik im Manöver ereignete es sich einmal, daß ein Batteriechef namentlich aufgerufen und ihm eine lange Rede gehalten wurde, bei der der Hauptmann absolut nicht zuhörte.

„Nun, was sagen Sie selbst zu der Rede Sr. Excellenz?” fragte man ihn hinterher.

„Mist, wie immer,” lautete die Antwort.

„Aber er hat Sie doch riesig gelobt?”

„So? Das ändert nichts. — Mist war es doch, er hätte mich noch viel mehr loben müssen!”

Sprach's und ging stolz von dannen.

Diese wanhrhaftige Geschichte lehrt, daß aus Prinzip, nicht aus Ueberzeugung geschimpft wird. Wäre wirklich alles „Mist”, was die Vorgesetzten sagten und thäten, dann sähe es traurig mit uns aus.

Und wenn auch manchmal bei den Untergebenen eine sogenannte „Mist-Stimmung” herrscht, eine Miß-Stimmung, die dem Dienst schaden könnte, wird nie daraus.


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© Karlheinz Everts