Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Egerer Zeitung” vom 21.7.1906,
in: „Ihre Durchlaucht der Regimentschef” und
in: „Seine Hoheit”
Erstens spricht der Soldat nur, wenn er gefragt wird, und wenn er gefrat wird, sagt er nur: „Zu Befehl!”
Dies Wort ist so alt, wie die Armee selbst, und wie mit dem Sprechen, so ist es auch mit dem Lachen. Erstens lacht der Soldat überhaupt nicht, und wenn er lacht, dann lacht er nicht zu Befehl, sondern auf Befehl.
Dem Soldaten ist meist sehr wenig lächerlich zu Mut.(1)
Meistens sogar noch weniger.
Es ist die Zeit des Kompagnieexerzierens. Vierzehn Tage hat der Hauptmann noch Zeit, dann erscheinen vom Major bis hinauf zu dem kommandierenden General sämtliche Vorgesetzte, um dem armen Hauptmann auf den hohlen Zahn zu fühlen. Er weiß, daß man ihm diesen hohlen Zahn herausziehen wird, und das kostet ihm(2) sein Leben. Es wird auch bei ihm heißen, wie so oft: die Operation verlief glänzend, leider starb der Patient aber an innerer Verblutung. Die Vorgesetzten werden einander freudestrahlend den hohlen Zahn zeigen, den sie ihm herausgerissen, er selber aber wird auf der militärischen Totenbahre liegen.
Der Hauptmann sieht seinen Tod voraus, er weiß sogar ganz genau die Stunde, in der sein Sterbeglöcklein erklingen wird, aber trotzdem will er nicht sterben, nicht nur aus Sorge ums tägliche Brot, sondern auch aus Liebe zu seinem Beruf. Vielleicht kann er doch noch selbst in sein Geschick eingreifen, vielleicht haben die Vorgesetzten doch noch einmal Mitleid mit ihm, wenn sie sehen, welche Mühe er sich gab, um bei der Besichtigung gut abzuschneiden. So zieht er denn jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe mit seiner Kompagnie auf den Exerzierplatz und die Leute, die da wissen, um was es sich für ihren Hauptmann handelt, helfen ihm, sie machen ihre Sache so gut, wie sie nur können, und geben sich die größte Mühe.
Täglich ist die Kompagnie auf dem Exerzierplatz und täglich ist der Herr Oberst auch da. Er reitet nur spazieren, er kümmert sich um den Dienst gar nicht, in Wirklichkeit aber hört er jedes Wort, jedes Kommando, und er sieht jede Bewegung.
Und eine Stunde später erscheint denn auch der Herr General. Auch der kommt nur, um seinen Gaul zu bewegen, um ihn 'mal müde zu galoppieren, sonst kümmert er sich gar(3) nichts, er erlaubt nicht einmal, daß man ihm meldet, er will vor der Besichtigung nichts sehen und nichts hören, und trotzdem sieht und hört er natürlich alles.
Wenig später reiten der Herr General und der Herr Oberst neben einander, und es ist natürlich nur ein Zufall, daß sie ihre Volten und ihre anderen Kunststücke nur auf jenem Teil des Exerzierplatzes betreiben, auf dem die Kompagnie gerade steht.
Der General(4) und der Herr Oberst unterhalten sich sehr lebhaft mit einander, und von Zeit zu Zeit ertönt ihr helles Lachen. Aber dieses Lachen ist nur äußerlich, in Wirklichkeit sprechen sie über ganz ernste Dinge, und sie lachen nur, um in dem Hauptmann den Glauben zu erwecken, sie unterhielten sich über irgendwelche lustigen Dinge und hätten für ihn und seine Leute nicht das geringste Interesse.
Aber der Hauptmann kennt dieses Lachen, und es macht ihn nervös. Er fängt an, unruhig zu werden, und das überträgt sich auch auf seine Untergebenen Es klappt nichts mehr, der Tritt geht zum Teufel, die Richtung ist miserabel, von Vordermann ist keine Spur.
Und der Herr General und der Herr Oberst lachen immer heller. Je fröhlicher sie lachen, desto mehr muß der Hauptmann nach ihrer Meinung zur Überzeugung kommen, daß sie von der Riesenschweinerei, die in der Kolonne herrscht, nichts merken, daß sie absolut nichts sehen.
Sie lachen weiter und weiter und es ist natürlich nur ein Zufall, daß beide ihr Pferd gerade in dem Augenblick anhalten, als sich ein Zug bei dem Aufmarsch verläuft und das Chaos vorübergehend unentwirrbar ist.
Und es ist natürlich auch nur ein Zufall, daß sie der Kompagnie nicht den Rücken zukehren(5).
Und ein Zufall ist es natürlich auch, daß gerade in diesem Augenblick die lustige Geschichte, die einer von den beiden anscheinend erzählte, zu Ende ist, und daß jetzt beide nicht mehr lachen.
Aber plötzlich lachen beide doch wieder hell auf, und der Hauptmann weiß: dieses Mal lachen sie über die Unordnung in seiner Kompagnie, sie geben sich auch gar nicht die geringste Mühe, das irgendwie zu verbergen.
„Furchtbar komisch,” meint der Herr General.
„Furchtbar komisch,” meint der Herr Oberst.
Und da ruft der General auch schon: „Sagen Sie 'mal, Herr Hauptmann, es ist ja natürlich nur ein unglücklicher Zufall, daß die Kompagnie so kunterbunt dasteht, aber finden Sie nicht selbst, daß es wirklich komisch aussieht?”
Der General lacht, der Oberst lacht — und der Hauptmann lacht mit.
Am liebsten würde er weinen, aber das geht nicht. Es glaubt ihm ja zwar kein Mensch, aber trotzdem muß er jetzt wenigstens so tun, als ob er das herrschende Chaos keineswegs tragisch nähme(6), er darf den Verdacht gar nicht aufkommen lassen, als ob diese Unordnung nach seiner Meinung irgendwelchen Einfluß auf seine spätere Karriere haben kann. So stimmt er denn blutenden Herzens in die Heiterkeit mit ein, und als jetzt bei dem Drängen der Kompagnie, die sich von selbst wieder rangieren will, ein Mann aus dem Glied herausgedrückt wird und der Länge nach in den Sand fällt, da lacht er sogar laut auf.
Er hat es gut gemeint, er hat damit zeigen wollen, „seht nur, wie wenig ich mir so 'was zu Herzen nehme, denn ich kenne meine Leute und weiß ganz genau, daß sie gut ausgebildet sind, daß sie es mit jeder anderen Kompagnie aufnehmen. Da brauche ich so etwas nicht tragisch zu nehmen.”
Er lacht laut auf, aber dieses Lachen findet nicht den Beifall der Vorgesetzten, es kam zu früh, er hätte abwarten müssen, ob die Höheren auch lachten. Erst wenn diese ihrer Heiterkeit Ausdruck gaben, dann erst durfte auch er es tun.
Und der General und der Oberst stimmen in dieses Lachen nicht mit ein, sie finden es weder komisch, daß der Mann hinfiel, noch die Art und Weise, in der er sich in den Sand legte, und seine Nase tief in den weichen Boden vergrub. Sie finden es auch nicht komisch, daß der Mann jetzt wie ein Neger aussieht und beständig Sand spuckt. Nur eins finden Sie komisch, daß der Hauptmann das komisch findet.
Sie werfen ihm einen tadelnden Blick zu: sie verstehen ihn nicht mehr. Früher waren sie davon überzeugt, daß der Hauptmann es mit dem Dienst wenigstens ernst nahm, und das mußte dafür entschädigen, daß er keine besondere Leuchte der Wissenschaft war. Aber wenn er jetzt lachen kann, jetzt, wo sie, die Höheren, beinahe starr sind, nein, das geht nicht.
Und der Hauptmann lacht immer noch. Er weiß, wenn er jetzt aufhört, dann zeigt er damit, daß er nicht hätte lachen dürfen, das aber darf er nicht. So lacht er weiter und weiter, bis die Vorgesetzten endlich kopfschüttelnd von dannen reiten. Sie reiten nach Hause, ihre Pferde sind plötzlich müde und wollen nach dem Stall.
Der Hauptmann bleibt allein mit seinen Leuten auf dem Exerzierplatz zurück. Sein Lachen ist verstummt. Er läßt die Gewehre zusammensetzen und forttreten. Was hat es für einen Zweck, daß er sich noch weiter abrackert? Seine Todesstunde hat geschlagen, wie so viele vor und nach ihm wird auch er jetzt an dem „Lachen” sterben.
Denn der Untergebene soll noch erst geboren werden, der da weiß, wann er als Soldat lachen soll. Soll er lachen, dann kann er meistens nicht, kann er, dann soll er nicht. Und wenn er nicht kann, was er soll, und nicht soll, was er kann, dann macht er es falsch.
Und an falscher Stelle zu lachen, hat schon oft mehr geschadet, als an falscher Stelle ernst zu bleiben, denn wenn der Vorgesetzte es mit Recht übelnimmt, daß jemand ernst bleibt, wenn er einen Scherz macht, so nimmt er es erst recht übel, wenn der andere über eine Sache lacht, die er selbst nicht komisch findet.
Und das mit vollem Recht, denn das Ernstbleiben des Untergebenen beweist, daß dieser den Scherz des Vorgesetzten nicht begreift. Da also ist der Untergebene der Dümmere, wie es sich auch so gehört. Das Lachen eines Untergebenen aber, in das der Vorgesetzte nicht mit einstimmt, beweist, daß der Vorgesetzte die Situation nicht versteht — mithin er der Dümmere ist.
Und das läßt sich kein Vorgesetzter von einem Untergebenen, weder direkt noch indirekt sagen.
(1) In der Fassung von „Seine Hoheit” heißt es hier: „zumute”. (Zurück)
(2) In der Fassung von „Seine Hoheit” heißt es hier: „kostet ihn”. (Zurück)
(3) In der Fassung von „Seine Hoheit” heißt es hier: „um gar nichts”. (Zurück)
(4) In der Fassung von „Seine Hoheit” heißt es hier: „Der Herr General”. (Zurück)
(5) In der Fassung von „Seine Hoheit” heißt es hier: „Rücken kehren”. (Zurück)
(6) In der Fassung von „Seine Hoheit” heißt es hier: „nehme”. (Zurück)