Ein militärisches Jahr.

Von Freiherrn von Schlicht.
in: „Kieler Zeitung” vom 26.8.1897,
in: „General-Anzeiger für Bonn und Umgegend” vom 29. und 30.8.1897,
in: „Neue Hamburger Zeitung” vom 3.9.1897,
in: „Die Kommandeuse” und
in:
„Meiers Hose”.


Auf der Kammer herrscht reges Leben und Treiben, am Vormittag sind die Rekruten eingestellt. Sie sind auf die Kompagnien verteilt worden, haben dann zum ersten Mal beim Kommiß „gefuttert” (gegessen), sind darauf vom Arzt untersucht worden und werden nun auf den Kompagniekammern eingekleidet.

Der Kammerunteroffizier hat sich die Hände schon abgerungen und ringt jetzt die Armstumpfen.

„Vorschriftsmäßig ist die Hauptsache,” donnert er einen Rekruten an, „alles Unvorschrifts­mäßige können wir beim Militär gar nicht gebrauchen. Wo hast du Kerl die unvorschrifts­mäßig großen Füße her? Das sind ja gar keine Füße, das sind ja „Quadratlatschen”. Und das sage ich Dir, mein Junge, die Stiefeln, die ich Dir da soeben gegeben habe, die passen — verstanden? Sonst nehme ich Dir für ein Paar „Langschäftige” Maaß, daß Dir die Hühneraugen übergehen.”

„Was, der Helm ist zu klein? Geliebter, das kommt nur darauf an, wie man sich die „Helmtüte” aufsetzt, das macht man nicht so, sondern so — ich werde Dir mal zeigen, wie man Helme verpaßt,” — und mit dem nöthigen „avec” stülpt er ihm den Helm auf den Kopf, daß der Soldat in die Kniebeuge geht.

„Siehst Du wohl,” ruft der Unteroffizier triumphirend, „ich sagt' es ja, der Helm wäre nicht zu klein; er soll nur bis zu den Augbrauen gehen — dieser geht Dir sogar bis zur Spitze Deines „Riechflakons”. Mein Liebchen, was willst Du noch mehr? Das geht Alles flink bei uns, so lange wie die Damen können wir nicht auf die Toilette verwenden, wann würde ich sonst wohl mit Euch fertig?”

*             *             *

Langsamer Schritt nach Zählen — eins und zwei — eins und zwei — eins und zwei — streckt die Beine — Kopf in die Höh' — Bauch herein — eins und zwei — streckt die Beine — eins und zwei — Kopf in die Höh' — eins und zwei — Bauch herein — eins und zwei — drückt die Knochen durch — eins und zwei — Bauch herein — eins und zwei — Kopf in die Höh' — eins und zwei — streckt die Beine.

Endlich ist der Herr Unteroffizier zufrieden: „Schön ist das ja noch lange nicht, aber wenn man die Augen zumacht und nicht hinsieht, kann man sich der Hoffnung hingeben, daß es vielleicht noch mal was werden wird. Nun wollen wir die Griffe üben: das aber sage ich Euch, daß Ihr mir die „Müllschübben” (Hände) kurz wegnehmt — das muß nur so pfeifen, und die Seeleute müssen glauben, daß ein Sturm im Anzuge ist. Also nun los: Nach Zählen das Gewehr über: Eins — zwei — drei und — vier. Na, Jungens, ehe Ihr das begriffen habt und Alles, was Ihr sonst noch zur Vorstellung braucht, wird noch manches heilige Kanonenrohr auf Eure Schädel niedersausen.”

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„Meier, was ist ein Gewehr?”

Tiefes Schweigen.

Der Unteroffizier stöhnt und klagt: „Na, der Mensch, der in einer schwachen Stunde die Gehirn­repetition (Instruktion) erfunden hat, hätte auch etwas Besseres thun können. Nun, seht Euch mal den Meier, dieses „Rindvieh mit Eichenlaub und Schwertern”, an — der Kerl nimmt jeden Morgen drei Eßnäpfe voll Kaffee und sechs „Heimathslose” (Stullen) zu sich, — aber was ein Gewehr ist, weiß er natürlich nicht.

Eine Schießvorrichtung ist es, das merken Sie sich gefälligst, Herr Meier, oder hatten Sie etwa geglaubt, das Gewehr sei ein Bycicle, auf dem Sie Nachmittags spazieren fallen(1) könnten?”

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„Kompagnie — formiert.”

Der Feldwebel kommandirt's und die Korporalschaften machen eine stramme Kehrwendung, daß die Erdachse sich verbiegt. Einen Augenblick später ist die Kompagnie zu zwei Gliedern der Größe nach rangiert. Die Geraden stehen im ersten Glied, die Krummen im zweiten.

Das Rekrutenexerzieren ist beendet, der „Kompagniebimms” hat begonnen und dauert mehrere Wochen.

Zuerst fahren die Lieutenants mit ihren Zügen ab — aber das sind keine Eisenbahnzüge, ach nein — und ist das erledigt, dann reist der Hauptmann mit seiner ganzen Kompagnie auf dem großen Exerzierplatz herum, daß sie sich Alle nach der theuren Heimath sehnen.

Und wer faul ist und nicht mit „reisen” will, der wird mächtig „gerissen”.

*             *             *

Fünfte Hosen vorzeigen.

Lumpenparade wird abgehalten.

Die „Lumpen” sind so alt und mürbe, daß sie auseinanderfallen, aber das schadet nichts, heil und ganz müssen sie sein, auf Schönheit wird kein Werth gelegt.

„Unteroffizier, schreiben Sie sich den Mann auf — er soll hier einen Flicken einsetzen, beaufsichtigen Sie die Sache, er soll es selbst machen, die „Ochsen” (Oekonomie­handwerker) haben genug zu thun. Und wenn er zu dumm ist, dann zeigen Sie es ihm, wie man einen Flicken einsetzt, und daß er mir die Naht von innen und nicht von außen näht.”

*             *             *

„Musketier Steffens, mit drei Schuß seine Bedingung nicht erfüllt.” Der Lieutenant schüttelt den Kopf: „Traurig, sehr traurig,” aber er weint doch nicht.

„Nun, ich will Ihnen noch drei Patronen nachgeben,” und gleich darauf geht der erste Schuß in die Welt.

„Musketier Steffens, vorbei.”

„Vorbei,” wiederholt der Schreiber.

„Scheeren Sie sich weg!” ruft der Lieutenant dem „Schlumpschützen” zu, „wenn Sie das Gute, das man Ihnen zu Theil werden läßt, nicht zu schätzen wissen, werden Sie nachzielen. Schießunteroffizier, schreiben Sie den Mann auf — er wird Mitglied des Zielklubs.”

*             *             *

„Panzer umhängen, Gesichtsmasken aufsetzen, antreten zum Kontrefechten — marsch — marsch.”

Wenig später stehen sich die Kontrefechter gegenüber. Das Fechten giebt Muth und Gewandtheit, so sagt man wenigstens, aber die beiden Leute, die da augenblicklich mit einander fechten, besitzen keine dieser beiden Tugenden.

Der Unteroffizier kommt aus dem Korrigieren gar nicht heraus. „Meier, so bleiben Sie doch stehen und rennen Sie nicht wie verrückt auf dem Kasernenhof herum, und Sie da, der Hauser, stoßen Sie doch einmal aus und geben Sie hier dem Meier einen Innenstoß gegen sein unverdautes Kommißbrot, daß ihm schlecht wird — stoßen sollen Sie, stoßen — lang ausstoßen — noch länger.”

Aber der Hauser kapiert es nicht, er ist zu dumm.

Der Unteroffizier nimmt das Gewehr zur Hand: „Meier, gehen Sie 'mal zur Seite und lassen Sie mich 'mal da stehen. Der Hauser, nun passen Sie auf — ich werde jetzt „innen” stoßen, Sie parieren. Verstanden?”

„Zu Befehl, Herr Unteroffizier.”

Und eine Sekunde später liegt Hauser auf dem Rücken und strampelt mit den Beinen in der Luft.

Stolz erhebt der Korporal sein Haupt: „Sehen Sie, der Hauser, so müssen Sie stoßen, so und nicht anders.”

„Und nun noch 'mal heran, Ihr beiden krummen Gesellen.”

*             *             *

Der Herr Avantageur steht Posten; die treue Flinte im Arm, sieht er, wie die Vorschrift es befiehlt, „unausgesetzt” nach dem Feind aus und er läßt sich in seiner Wachsamkeit durch die Nähe der Vorgesetzten nicht stören.

Er späht nach dem Feinde, aber er erspäht ihn nicht. Es ist die erste Felddienstübung, die er mitmacht und helle Begeisterung durchströmt die jugendliche Heldenbrust: am liebsten schösse er den Feind todt, aber leider ist das verboten, denn der Feind ist ja nur markirt.

Wo steckt der Feind?

Patrouillen sind ins Vorgelände geschickt, um ihn zu suchen und die Posten sehen sich die Augen aus, aber sie entdecken nichts.

Der Lieutenant, der die Feldwache kommandirt, nähert sich dem Herrn Avantageur:

„Immer noch nichts zu sehen, Fähnrich?”

„Nein, Herr Lieutenant.”

„Mir ganz unverständlich — na, aber wenn sie etwas entdecken, wünsche ich sofort Meldung.”

„Zu Befehl, Herr Lieutenant.”

Wieder steht der Herr Avantageur allein, eine Viertelstunde verrinnt nach der anderen — endlich, endlich sieht er Staubwolken, deutlich erkennt er eine starke, vormarschirende Abtheilung.

„Herr Lieutenant, sie kommen, sie kommen.”

Athemlos kommt der Avantageur bei der Feldwache angelaufen und ein heiliges Donnerwetter von Seiten des Hauptmannes empfängt ihn: „Der Posten meldet nur durch Schießen und wer seinen Posten verläßt, der wird erschossen.”

Armer Fähnrich!

*             *             *

Das Bataillon ist nach den Worten des Reglements „die taktische Einheit”, nach Meinung der Betheiligten ist das Bataillon aber eine ganz verfluchte Geschichte, besonders wenn das Bataillon zu exerziren beginnt und man mitten drin steckt. Da versucht man auch Felddienst zu üben, das heißt, die Beine bei dem Marsch nicht durchzudrücken und den Takt markirt man dadurch, daß man mit der rechten Hand gegen die linke Patronentasche schlägt, aber das sind gefährliche Experimente, denn der Herr Major versteht keinen Spaß und wer dabei abgefaßt wird, wird einfach drei Tage „eingebuchtet”, in den Kasten geworfen. Das ist noch langweiliger als das „Torfpacken” und Torfpacken ist das Einmaleins des Bataillon­exerzirens. „Vordermann — Vordermann — mehr rechts — mehr links — noch mehr — noch mehr — immer noch mehr — noch ein Schritt — Herr Hauptmann, bestrafen Sie den Mann, der hat keine Ahnung, eine Stunde Strafexerzieren mit gepacktem Affen.”

Es giebt wenig Menschen, die noch keinen Affen gehabt haben, ach und solcher Affe ist lange nicht so schlimm wie ein Kommiß–Affe, der zieht auf die Knochen.

Und da Jeder lieber seine Knochen schont als sie sich ziehen läßt und da bei dem Bataillons­exerzieren immer der Affe getragen wird, erfreut sich das Bataillons­exerzieren mit Recht einer großen „Beliebtheit”

*             *             *

„Die Bummelei hat ihren Höhepunkt erreicht, das Regiments­exerzieren hat begonnen,” so schrieb einmal ein Soldat an seinen Vater.

Das Regimentsexerzieren „macht Spaß” — dabei kann man so schön bummeln.

Drei Bataillone exerziren gleichzeitig — ach, schon ein einziges Bataillon macht nach der Meinung des Herrn Oberst alles falsch, geschweige denn drei Bataillone.

„Unsinn, meine Herren, das ist ja Unsinn, die Bataillone Gewehr ab und rühren.”

Vorne wird mächtig klug gesprochen und die Kerls haben Gewehr ab und rühren und freuen sich ihres Daseins.

Und je öfter „gerührt wird”, desto entsetzter ist der Herr Oberst, desto vergnügter der Muschke(2).

So sind auch hier wie überall beim Militär die Ansichten der Vorgesetzten und der Untergeben über ein und dieselbe Sache grundverschieden.

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„Hier, Vodder, is mien Billet. Den Dog(3) bin ick bi Sei inquartiert.”

Der alte Bauer schüttelt den Kopf, so ganz kann er das immer noch nicht begreifen, obgleich der Fourier schon gestern aus Anlaß des Manövers die Quartiere bestellt hat.

Der brave Krieger wirft den Affen an die Wand und geht rekognosziren für den Magen und für das Herz, denn ohne Liebe und ohne reichliche leibliche Nahrung kann der Soldat nicht leben.

„Mein Fräulein, darf ich Sie ein bißchen was helfen?”

Er nimmt der Viehmagd die schweren Eimer ab und ist so galant wie möglich: alles Gute auf erden wird belohnt.

Und am Abend duzen sie sich schon, Arm in Arm gehen sie spazieren und lauschen dem Schlag der Nachtigall.

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Mit Henriette Davidis Kochbuch bewaffnet sitzt der Herr Einjährige am Bivouaksfeuer und kocht sich sein Mittagsmahl, er kostet und kostet, aber das Zeug schmeckt nicht. Er wirft wieder einen Blick in das Kochbuch und gleich darauf ruft er: „Kann mir nicht Jemand einige Lorbeerblätter leihen?” — Die Kerls wollen sich über den „Einjährigen” halb todt lachen — „ach was, Lorbeerblätter” — nach dem Kochbuch wird nicht gearbeitet, rein mit der Erbswurst in das kochende Wasser und(4) herauskommt, wird gegessen: ganz einerlei wie es aussieht und wie es schmeckt.

*             *             *

„An die Gewehre.”

Niemand hört es, die Truppen liegen und schlafen und schnarchen dazu mit einander um die Wette.

„An die Gewehre.”

Schlaftrunken hebt einer den Kopf und sieht sich um: am Himmelszelt leuchten die Sterne, tiefe Nacht, das Bivouakfeuer leuchtet in großen Flammen und trotzdem giebt die „Feuerwache” immer neues Holz in den Ring.

Aber was ist das? —

Es wird geschossen.

„An die Gewehre.”

Alarm wird geschlagen.

Hoch springen die Schläfer, wickeln sich aus dem Stroh heraus, stolpern über die Zeltschnüre, stoßen und schlagen einander, suchen im Dunkeln ihr Gepäck und finden Alles, nur nicht das, was sie suchen.

„Mund halten, wer spricht, fliegt ohne Gnade drei Tage in den Kasten. Wo ist mein Pferd, mein Pferd?”

Der Hauptmann ruft und ruft nach seinem Streitroß, aber vergebens. „Daß Ihr mir wenigtens den Kaffee fertig habt, wenn wir wiederkommen,” ruft er den Burschen zu, dann geht es dem Feind entgegen.

Wiederkommen thun sie ja Alle — aber wann? Das verursacht ihnen gar ernste Gedanken.

*             *             *

Auf dem Kasernenhof stehen die Reservisten, die Achselklappen gerollt, den Reservistenstock in der Rechten, das Reservebild in der Linken. Sie haben ihre zwei Jahre abgerissen, nun geht's heimwärts zu Vater und Mutter und zur Liebsten.

Aus den geöffneten Fenstern der Kaserne schauen die Rekruten auf den Hof hinab, sie möchten gerne mit den Kameraden ziehen, aber die Pflicht hält sie zurück, ein Jahr müssen sie noch „abreißen”, dann hat auch ihre Stunde geschlagen.

Eine Freude wird ihnen aber auch in dieser Stunde — sie hören jetzt auf, Rekruten zu sein, sie sind jetzt „alte Leute”.

Da tönt ein Hoch zu ihnen hinauf — dem Kaiser gilt's, und die „alten Leute” fallen mit ein, und waren sie eben noch traurig, so ist das jetzt vorüber, ein Jahr nur noch, dann ist's vorbei auch für sie, ein Jahr vergeht so schnell beim Kommiß und mag man sagen, was man will, „schön ist es schließlich doch, Soldat zu sein”.


Fußnoten:

(1) In der Buchfassung heißt es: „fahren” (zurück)

(2) In der Buchfassung heißt es: „Muschko” (zurück)

(3) In der Buchfassung heißt es: „Den Dag” (zurück)

(4) In der Buchfassung heißt es: „und was herauskommt” (zurück)


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