Mignon.

Erzählung von Frhrn v. Schlicht.

in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 28.Dezember 1898


Onkel Paul, wie der Rittergutsbesitzer Aßberg kurzweg von seinen Verwandten genannt zu werden pflegte, trug sich in seinem tiefinnersten Innern mit Heiratsgedanken, er war des Alleinseins müde. Früher lachte er Jeden aus, der ihn fragte, ob er denn garnicht ans Heiraten dächte, aber jetzt war es etwas anderes, die Jugendjahre waren überwunden, Onkel Paul zählte bereits fünfzig Jahre und von Tag zu Tag, je älter er wurde, desto mehr sehnte er sich nach einer Hausfrau. Er wußte es ganz genau, zum ersten Mal war ihm der Gedanke an eine Heirat am letzten 24. October Abends 8 Uhr 15 Minuten gekommen — da lag er mit einem entsetzlichen Schnupfenfieber zu Bett und hätte für sein Leben gern ein recht warmes Glas Grog gehabt, er hatte geklingelt und geklingelt, aber Niemand war gekommen. Da hatte plötzlich eine innere Stimme zu ihm gesprochen: „Siehst Du, Dir geschieht ganz recht, warum hast Du nicht geheiratet?”

Ja, warum hatte er nicht geheiratet? Das wußte er selbst nicht; er hatte gedacht, „Das bleibt Dir ja immer noch,” so hatte er es verschoben von einem Tag zum andern.

Nun aber wollte er Ernst machen. Er wollte heiraten. Der lange Winter stand vor der Thür, ihm graute plötzlich vor den Abenden, an denen er ganz allein zu Haus saß, er empfand plötzlich eine unüberwindliche Abneigung gegen die Besuche auf den Nachbar­gütern und in der Kreisstadt, bei denen viel gespielt und noch mehr getrunken wurde. Spät in der Nacht oder erst früh am Morgen kam er von diesen Fahrten zurück, und dann war es am nächsten Tage so ungemüthlich zu Haus, nein, Das sollte nun anders werden.

Was seine Verwandten wohl sagen würden, wenn er in den heiligen Stand der Ehe getreten wäre? Sie mußten mit der Thatsache der Verlobung, noch besser mit der der Heirat überrascht werden, denn sonst würden sie Alles thun, was sie könnten, um ihm seinen Plan auszureden und ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er es ihnen schuldig sei, Junggeselle zu bleiben. Da war zunächst der leichtsinnige Neffe Fritz, der in Potsdam bei der Garde­artillerie stand, niemals mit seiner Zulage auskam und mit absoluter Sicherheit darauf rechnete, einst Onkel Paul's Universalerbe zu werden; da war seine Nichte Bertha, die einen armen Lieutenant geheiratet hatte und jährlich von Onkel Paul einen bedeutenden Zuschuß erhielt, da war — ach, er zählte sie Alle, die an einen Erbonkel Ansprüche machen, nur darum, weil er unverheiratet ist und keine Kinder hat. Kinder kosten Geld, Verwandte aber kosten häufig noch mehr. Onkel Paul war ein viel zu guter Onkel, um sich nicht fest vorzunehmen, auch in Zukunft seinen Verwandten von seinem Ueberfluß abzugeben — er war in der glücklichen Lage, über große Reichthümer zu gebieten — aber etwas anders würde doch manches werden, wenn er erst eine Frau hätte und für diese und seine Erben sorgen müßte.

Zu heiraten war Onkel Paul fest entschlossen, es fragte sich nur noch wann. Er ließ sämmtliche Damen im Geiste Revue passiren, aber es war nicht eine einzige darunter, die voll und ganz seinen Beifall fand, nicht eine einzige, an der er nicht irgend etwas auszusetzen gehabt hätte. Er kannte die Damen auf den Gütern in einem Umkreis von vielen Meilen durch den jahrelangen Verkehr zu genau, um nicht auch über ihre kleinen Schwächen und Fehler, die jedem, auch dem besten Menschen anhaften, orientirt zu sein und so kam es, daß Onkel Paul sich nicht entshließen konnte, auch nur von einer Einzigen zu sagen, die möchtest du zu Frau haben.

Aber je mehr Onkel Paul überlegte, prüfte und nachsann, desto größer wurde in ihm der Wunsch, endlich eine für ihn passende Frau zu finden.

Da geschah es, daß Onkel Paul eines Nachmittags in seiner Zeitung folgende Annonce las:

Correspondenz.
Anregenden Briefverkehr mit einem älteren Herrn
der besseren Gesellschafts­kreise wünscht
Mignon.
Briefe befödert die Expedition dieser Zeitung.

Zuerst glitten seine Augen achtlos über diese Zeilen hin, dann aber las er sie nochmals mit Nachdruck und mit Ueberlegung.

„Mignon! Welch hübscher, poetischer Name — er hatte garnicht gewußt, daß es auch jetzt noch Mignons gebe, er hatte den Namen einmal in einer Oper gehört, aber er war bald hinausgegangen, weil er für Musik zu wenig Verständniß hatte: sie machte ihn regelmäßig entsetzlich hungrig und durstig und war Schuld daran, daß er dann zu viel aß und in der Folge an Magen­indispositionen litt.

Mignon! Wie hübsch Das klang — da mußte man ja, auch wenn man das Lied garnicht kannte, an die Goethe'schen Verse denken: „Kennst Du das Land, wo die Citronen blüh'n.”

Onkel Paul kannte es nicht — trotz seines Reichthums war er auf seinen Reisen nie weiter als nach Berlin gekommen, dort endeten alle seine Reisen, auch wenn er ursprünglich die Absicht hatte, weiter zu fahren. Aber aus Berlin kam er nie heraus, da amüsirte er sich stets viel zu schön.

Mignon! Ob sie wohl hübsch war, ob ihr Aeußeres wohl ihrem Namen entsprach? Er glaubte sie vor sich zu sehen: mittelgroß, schlank, mit schwarzem Haar und dunklen Augen, von südländischem Temperament.

Immer und immer wieder las Onkel Paul die Annonce, war es Zufall, daß er, gerade er, sie gelesen hatte — sollte sich ihm die Möglichkeit erschließen, durch einen Briefwechsel mit Mignon die Frau zu finden, die er suchte? Seine Ehe würde nicht die erste sein, die durch die Zeitung geschlossen würde — auch sein Freund, der Kreisphysicus, hatte seine Frau in Folge einer Annonce kennen gelernt, und man konnte weit reisen, ehe man eine glücklichere Ehe fand. Die Beiden paßten zu einander, als wenn sie von Erschaffung der Welt an für einander bestimmt gewesen wären.

Mignon! Er kam über den Namen nicht hinweg, der gefiel ihm, der barg Liebreiz und Anmuth.

Drei Tage lang ging Onkel Paul träumend und sinnend umher, der Name verließ ihn nicht, er dachte nichts Anderes, und eines Morgens stand es bei ihm fest, daß er mit Mignon in Briefwechsel treten wollte — vorläufig wollte auch er nur unter seinem Vornamen schreiben, den er, um ganz sicher zu gehen, daß man nicht auf ihn verfiele, auch noch ändern konnte. War man sich näher getreten, so war es immer noch Zeit, sich zu erkennen zu geben.

So setzte Onkel Paul sich denn hin und schrieb folgende Zeilen: „Mein sehr verehrtes, gnädiges Fräulein! Mit Bezug auf Ihre Annonce in Nr. 166 unserer Zeitung bin ich als älterer Herr (ich zähle Fünfzig), der der ersten Gesellschafts­classe angehört, gerne erbötig, mit Ihnen in einen anregenden Briefwechsel zu treten, und würde mich aufrichtig freuen, bald von Ihnen zu hören. Genehmigen Sie bis dahin die Versicherung Ihrer vorzüglichsten Hochachtung. Ihr sehr ergebener Karl . . . . .’

Am Nachmittag desselben Tages hatte Onkel Paul in der Stadt zu thun, so nahm er den Brief selbst mit, um ihn zu besorgen, er wagte nicht, das Schreiben dem Postboten mitzugeben, der hätte es auf allen Nachbargütern erzählt, daß er, Onkel Paul, Briefe schreibe, die von der Zeitungs­expedition abgeholt würden.

„Gütige Antwort an „Karl” befördert die Expedition,” hatte er seinem Brief noch hinzugefügt und in einem zweiten Brief an die Expedition hatte er gebeten, ihm alle an „Karl” adressirten Sendungen zukommen zu lassen.

„Ob sie wohl antworten wird?” dachte Onkel Paul beständig im Laufe der nächsten Tage, und er konnte seinen Unmuth und seinen Unwillen kaum zurückhalten, wenn der Postbote ihm Tag für Tag weiter nichts als die Zeitung brachte.

Endlich aber kam eines Mittags die Antwort:

„Sehr geehrter Herr,” lautete das Schreiben, „ich bin entzückt, in Ihnen eine gleichgesinnte Seele gefunden zu haben, die gleich mir sich nach einem anregenden Briefwechsel sehnt. Haben Sie die Güte, mir so bald wie möglich zu schreiben, meiner umgehenden Antwort können Sie versichert sein.   Ihre sehr ergebene   Mignon.”

Onkel Paul war von diesem Schreiben sehr enttäuscht, nicht über die Kürze desselben, sondern darüber, daß er mit dem anregenden Briefwechsel den Anfang machen sollte. Das war viel leichter gesagt als gethan — er kannte Mignon ja gar nicht, er wußte nicht, wofür sie Interesse hatte, wie sollte er so mit ihr correspondiren, daß sie angeregt würde? Das war ja, bei Licht besehen, eine niederträchtige Geschichte, er hatte geglaubt, sie würde ihm zuerst schreiben, er hätte ihr dann geantwortet, und so wäre der Briefwechsel eben weitergegangen, bis sie von einander gewußt hätten, wes Geistes Kind sie wären. Ein großer Held der Feder war er nie gewesen, er schrieb nicht mehr, als unumgänglich nothwendig war.

„Was schreib ich ihr nur?” sprach Onkel Paul zu sich selbst, „schreiben muß ich ihr, erstens erfordert Das der Anstand, und zweitens möchte ich diese Mignon doch auch gar zu gerne kennen lernen. Ich werde mir die Antwort überlegen und heute Abend mich an die Arbeit machen.”

Onkel Paul war ein leidenschaftlicher Raucher, und so stellte er denn am Abend zunächst drei gestopfte Pfeifen neben sich, ehe er zur Beantwortung des Briefes schritt.

„Beim Rauchen wird mir schon etwas einfallen,” dachte er, und er rauchte und rauchte, aber das Briefpapier vor ihm blieb leer.

Der dritten Pfeife war längst die fünfte gefolgt, als Onkel Paul wohl zum neunhundertsten Male die Feder eintauchte.

„Mein sehr werthes, gnädiges Fräulein!”

Gott sei Dank, der Anfang war ja gemacht. wieder wanderte die Feder von Neuem in die Tinte, dann schrieb Onkel Paul weiter:

„Sie haben mir durch Ihren Brief eine große Freude bereitet, und ich bin entzückt,in Ihnen eine gleichgesinnte Seele gefunden zu haben, die sich gleich mir nach einem anregenden Briefwechsel sehnt. Haben Sie die Güte, mir sobald wie möglich zu schreiben, meiner umgehenden Antwort können Sie versichert sein.   Ihr sehr ergebener   Karl.”

„Hoffentlich merkt sie es nicht, daß ich ihren Brief vollständig abgeschrieben habe,” stöhnte Onkel Paul, „hol mich der Teufel, ich weiß nicht, was sie unter einem anregenden Briefwechsel versteht, — mich hat bisher noch kein Brief angeregt, sondern höchstens aufgeregt. Na, sie selbst wird ja wissen, was sie will, sie muß den Anfang machen, ich kann ihr nicht helfen. Sobald ich den nächsten Brief habe, schlage ich ihr ein Rendezvous vor — mündlich macht sich dann Alles viel besser.”

„Theurer, gleichgesinnter Freund,” lautete Mignons Antwort, die Onkel Paul fünf Tage später in Händen hatte, „ich sehe ein, daß ich die Themata anschlagen muß, um die sich unser Briefwechsel drehen soll, damit wir einander nahe, hoffentlich ganz nahe treten.”

„Ein verständiges Mädel,” dachte Onkel Paul, „die geht gleich aufs Ganze, die macht nicht erst viele Redensarten, die sagt gleich, was sie will.”

„Ich müßte kein deutsches Mädchen, nicht ein Kind unserer Zeit sein,” las Onkel Paul weiter, „wenn mich nicht in erster Linie die Frauenfrage beschäftigen sollte, ich beschäftige mich eingehend mit der Gleichberechtigung der Frau, mit dem Wahlrecht und dem Recht, jeden Beruf, welcher es auch immer sei, für uns zu erwerben. Betrachten Sie nur die sociale Stellung, die wir heute inne haben — ist sie nicht erniedrigend für uns, erniedrigend auch für die Männer, die in Folge der ihnen innewohnenden Arroganz uns zu ihren Sklavinnen herabwürdigen. Was ist denn die moderne Frau anders als die Vorsteherin der Küche, die Amme ihrer Kinder, die erste Reinmachefrau des Hauses? Unmöglich kann Das immer so bleiben — eine Jede von uns muß an ihrer Stelle dafür kämpfen, daß es anders wird, und die Männer müssen uns bei dem Kampf um unser Recht helfen, dann wird nicht nur uns, sondern auch ihnen geholfen. Dann bekommen die Männer Frauen, die ihnen geistig gleichstehen, zu denen sie nicht hinabblicken, sondern zu denen sie hinaufschauen.”

„Das sind so meine Gedanken, die noch unreif und unklar in meinem Kopf durcheinander schwirren — aber ich bemühe mich, zu klarer Erkenntniß zu gelangen und ich bahnte diesen Briefwechsel an, um auch die Ansicht eines klugen, gebildeten, älteren Herrn über diesen Punct zu hören, um eben auch aus seinem Urtheil, aus seiner Auffassung zu lernen. Wollen Sie mir helfen, daß ich mich zu völliger, geistiger Klarheit durchringe? Ein Gedanken­austausch nützt oft mehr als alles Lesen, ach, und ich lese so viel, daß mir oft ganz schwindelig ist.”

„Glauben Sie nicht, daß ich eine alte, verschrobene Jungfer, ein Blaustrumpf oder dergleichen bin. Ich stehe mitten im Leben, und ich füge Ihnen mein Bild bei, damit Sie sehen können, wie der äußere Mensch aussieht, an den Sie Ihren Brief, auf den ich sehr gespannt bin, richten werde.” —

„Wie kann man so jung, so hübsch und doch so verrückt sein,” lautete das Urtheil Onkel Pauls, als er den Brief unmuthig bei Seite geworfen hatte und nun immer und immer wieder Mignons Bild ansah. Ein scharf geschnittenes, feines, kluges Gesicht, mit großen dunklen Augen und dichtem, auf der Stirn ein wenig gelocktem dunklen Haar blickte ihn an, und bewundernd ruhten seine Blicke auf der mittelgroßen, schlanken und dabei doch vollen Gestalt.

Gerade so hatte er sich Mignon gedacht, und ehe er sie oder ihr Bild gesehen, hatte er sich in sie verliebt.

Unmuth und Zorn ergriff ihn, daß er sich so getäuscht hatte, daß Mignon nicht, wie er geglaubt, ein verständiges, sondern ein verschrobenes Mädchen war. Freilich, daß sie einen ganz kleinen Gehirnklapps besaß, hätte er sich ja eigentlich denken können, wie wäre sie sonst auf den seltsamen Gedanken gekommen, einen „anregenden” Briefwechsel mit einem ihr ganz fremden Herrn zu wünschen? Zu dem Aerger über Mignon gesellte sich der Aerger über sich selbst, daß er mit seinen fünfzig Jahre auf eine Annonce hereingefallen war, sich mit Mignon eingelassen hatte.

Aber hübsch war das Mädel, Das mußte ihr der Neid lassen, hübsch und elegant! Ihr Bild ließ ihm keine Ruhe — ja, er ertappte sich sogar dabei, daß er das Bild an seine Lippen führte, um einen Kuß darauf zu drücken.

„Ist ja Unsinn,” knurrte er vor sich hin, „wie komme ich dazu, mich überhaupt mit Der noch aufzuhalten — die paßt nicht für mich, Das werde ich ihr auseinandersetzen und damit soll die Geschichte ihr Ende haben.”

„Mein sehr verehrtes, gnädiges Fräulein,” schrieb er ihr, „von Allem, was Sie mir schrieben, verstehe ich kein Wort. Von der Frauenfrage interessirt mich nur die Thatsache, daß meine Hofgängerinnen und meine sonstigen Mägde mit ihrem Lohn zufrieden sind und bei mir weniger schimpfen als auf den anderen Gütern. Ich bin nämlich Gutsbesitzer und habe für nichts Anderes Interesse als für meine Wirthschaft — ob die Frauen Wahlrecht ausüben oder nicht, ist mir ganz gleichgültig, die Hauptsache ist, daß die Wahlen so ausfallen, daß sie dem Vaterlande zum Segen gereichen. Ob die Frauen Jura oder Medicin studiren, läßt mich kalt — wenn ich krank bin, schicke ich zu meinem Kreisphysicus und wenn ich einmal einen Proceß verlieren will — gewonnen habe ich noch nie — gehe ich zu meinem alten Rechtsanwalt, der nun schon seit vielen Jahren meine juristischen Interessen vertritt.”

„Ich bin Junggeselle, mein gnädiges Fräulein, allerdings einer, der sich nach einer Frau sehnt, das aber muß ich sagen: Lieber gar keine Frau als eine solche, wie Sie sie schildern. Sie haben, wie Sie schreiben, schon so viele Bücher gelesen, daß Ihnen oft ganz schwindelig ist — lesen Sie weniger, mein Fräulein, und lesen Sie andere Sachen, z.B. Fritz Reuter oder einen guten landwirthschaftlichen Kalender, aus dem kann man auch sehr viel lernen. Mit Dem, was Sie über die Stellung der Frau als Gattin schreiben, mögen Sie Recht haben, davon weiß ich Nichts — ich weiß nur, daß meine Mutter nie glücklicher war, als wenn sie die Amme ihrer Kinder war, daß sie stolz darauf war, die erste Reinmachefrau ihres Hauses zu sein, und daß ihr größtes Glück darin bestand, ihrem Manne, meinem Vater, den sie über Alles liebte, zu dienen — oder, wie Sie sagen, seine Sklavin zu sein.”

„Die beste und edelste Frau, die ich bisher in meinem Leben kennen lernte, war meine Mutter, und wenn ich mir eine Frau erwähle, nehme ich nur eine, die ihr in allen häuslichen Tugenden gleicht. Wer Jemanden glücklich macht, ist selbst glücklich, und darum ist die Hauptsache für die Frau, daß sie Jemanden findet, den sie liebt und der sie wieder liebt. Heiraten müssen die Mädels und keine Philosophie und Gott weiß was treiben. Das ist meine Ansicht von der Sache, von der ich, wie ich offen gestehe, absolut Nichts verstehe.”

„So hat es keinen Zweck, daß wir einen „anregenden” Briefwechsel mit einander unterhalten — aber wissen möcht' ich eins: Wie kommen Sie in Ihren jungen Jahren zu derartigen Gedanken? Wie kann man so hübsch sein, so lustig in die Welt blicken und sich mit der Lösung socialer Fragen beschäftigen, anstatt dies schöne Leben fröhlich zu genießen? Sie thun mir leid, ich möchte wohl, ich könnte Sie zu mir einmal hinausnehmen aufs Land, da würden sich Ihre thörichten Gedanken schon verlieren, und in der Natur würden Sie wieder natürlich werden.”

„Sie können mich ruhig unhöflich oder grob nennen, daraus mache ich mir Nichts, denn ich meine es wirklich gut mit Ihnen, Ihr Bild hat es mir angethan, und ich würde zu Ihnen kommen und Ihre persönliche Bekanntschaft suchen, wenn Sie nicht so verrückte Ansichten hätten —”

„Herr Gott, nun bin ich schon wieder grob geworden, aber ich kann wirklich Nichts dafür, ich ärgere mich zu sehr über Sie.”

„So, mein gnädiges Fräulein, nun will ich schließen. Ich glaube, solchen langen Brief wie diesen habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht geschrieben, doch einmal, als der Levi, der verfluchte Pferdejude, mir zwei Pferde angeschmiert hatte, von denen das eine Szet und das andere das schönste Ueberbein der Welt hatte. Eigentlich war es ja meine eigene Schuld, daß ich die Gäule unbesehen kaufte und seinen Versicherungen glaubte, daß es zwei solche Pferde in ganz Europa nicht wieder gäbe. Für meine Besuche war Levi natürlich nicht zu Hause — da schrieb ich ihm einen Brief, der war noch länger als dieser und noch gröber. Aber genutzt hat er, Das kann ich Sie versichern, nach achtundvierzig Stunden holte Levi die Schindmähren wieder ab und brachte mir dafür ein Paar Jucker, die sich sehen lassen können.”

„Ich weiß nicht, was mit mir ist — je länger ich Ihr Bild, das vor mir steht, ansehe, desto fröhlicher werde ich, und eine innere Stimme sagt mir: Die ist garnicht so, wie sie sich in ihrem Briefe gibt, Die ist lieb und gut, fröhlich und ausgelassen wie nur Eine. Vielleicht hat ihr kleines Herz einmal irgend eine Enttäuschung erfahren und nun denkt sie, daß das Leben ihr Nichts mehr bringen kann, und aus Verwzeiflung über irgend eine unglückliche Liebe, die keinem Menschen erspart bleibt, wirft sie sich der Wissenschaft in die Arme, weil sie vielleicht einsam und allein auf der Welt steht und Niemanden hat, der sie tröstend in die Arme nimmt, ihr Muth zuspricht, ihre Sorgen verscheucht und sie glücklich macht!”

„Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Vermuthung Recht habe — wenn Dem aber so ist, so darf ich dann vielleicht Derjenige sein, der Sie der Welt, und dem Leben, sowie der Jugend zurückgibt? Ich denke dabei in erster Linie an Sie selbst, dann erst an mich — ich wäre glücklich, wenn wir einander näher treten würden.”

„Ich lege Ihnen mein Bild bei — ja, jung, schlank und flott wie ein Gardeofficier sehe ich nicht aus, aber auf das Aeußere kommt es ja nicht allein an. Die Hauptsache ist ja doch der Kern, den wir in unserer Schale bergen, na und ob der für Sie gut genug ist, Das müssen Sie selbst beurtheilen, wenn wir uns kennen gelernt haben.”

„Meinen Namen und meine Adresse theile ich Ihnen mit, zum Zeichen, daß ich Ihnen voll und ganz vertraue, und nun lassen Sie mich Ihre Antwort wissen.”

Acht Tage, die Onkel Paul fast wie eine Ewigkeit vorkamen, verstrichen, bevor er die sehnsüchtig erwartete Antwort erhielt. „Kommen Sie,” lauteten die wenigen Worte, die Mignon schrieb, „ich bin lange mit mir zu Rathe gegangen, was ich Ihnen antworten sollte — mündlich, glaube ich, macht sich Alles am besten, und wenn wir uns überhaupt verstehen werden, ist Dies nur bei persönlicher Bekanntschaft möglich.”

Noch an demselben Abend reiste Onkel Paul ab, selbst die Dienerschaft erfuhr nicht den Zweck und das Ziel der Reise — selbst der Kammerdiener, der seinen Herrn sonst überall hin begleitete, mußte zurückbleiben.

Mißvergnügten Antlitzes sah er seinen Gebieter von dannen fahren, aber das Gesicht des treuen und ehrlichen Menschen leuchtete wie eitel Sonnenschein, als er wenige Tage später einen Brief seines Herrn erhalten hatte und nun der um ihn versammelten Dienerschaft freudestrahlend die Nachricht mittheilte: „Wir haben uns verlobt.”


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