Humoreske von Freiherrn von Schlicht.
in: „Arena” Monatshefte für modernes Leben, 1, II (1906/07), S. 739-742,
in: „Achtes Jahrbuch der Kölner Blumenspiele 1906”, S. 139,V
in: Programm der „Funk-Stunde Berlin” vom 31.1.1925, 08:30 abends „Heiterer Abend”
in: Radioprogramm Sender Hannover am 8.11.1926,
in: Zu dumm und andere Militärhumoresken,
in: Das lustige Salzer-Buch
Heitere Lektüre- und Vortragsstücke
gesammelt und herausgegeben von
Marcell Salzer, Band 1,
in:
Zu Schutz und Trutz
(Fassung „Schlicht”) |
(Fassung „Salzer”) |
Sergeant Krause stöhnte schwer auf und sah voller Verzweiflung auf den Rekruten, der wie ein Bild des Elends und des Jammers vor ihm stand. „Wenn Sie wenigstens zum Überfluß nicht auch noch Meier hießen!” Was für einen Stier das rote Tuch, das ist für jeden Unteroffizier das Wort Meier, denn das ist das verkörperte Gegenteil der berühmten Ariadne, die in Frankfurt auf einem Panther spazieren reitet und die Schönheit und Anmut verkörpert, während ein Meier immer die personifizierte Häßlichkeit und Ungeschicklichkeit ist. „Aber selbst wenn ich Ihnen den Meier verzeihen kann, eins verzeihe ich Ihnen nie, daß Sie mit solchen Füßen geboren sind. Meier, warum mußten Sie überhaupt geboren werden? Und wenn Sie nun schon einmal nach Gottes unerforschlichem Ratschluß das Licht der Welt erblicken mußten, warum konnten Sie dann nicht ohne Füße erscheinen?” |
Sergeant Krause stöhnte schwer auf und sah voller Verzweiflung auf den Rekruten, der wie ein Bild des Elends und des Jammers vor ihm stand. „Wenn Sie wenigstens zum Überfluß nicht auch noch Meier hießen! |
Sergeant Krause schwieg und warf einen entsetzten Blick auf Meiers Füße, die waren sowohl in der Länge wie in der Breite von einer Ausdehnung, wie sie vorher wohl noch nie ein menschliches Auge erblickt hatte. So gern es Sergeant Krause auch getan hätte, schon um dadurch einen neuen Beweis seiner großen geistigen Befähigung zu erbringen, er fand keinen Ausdruck und keinen auch nur einigermaßen passenden Vergleich für diese Füße, die das Entsetzen aller Vorgesetzten bildeten, schon deshalb, weil man für sie keine passenden Stiefel finden konnte. Und daß für einen Soldaten ein Kleidungsstück, welcher Art es auch immer sei, besonders nach Maß angefertigt wird, das gibt es nicht, und hat es auch noch nie gegeben, so lange die preußische Armee besteht, denn der Ruhm des Heeres ist nicht zum letzten Teil darauf begründet, daß in vieler Hinsicht beim Militär seit undenklichen Zeiten alles über denselben Leisten geht. So mußten denn passende Stiefel gefunden werden: „Suchen Sie so lange, bis Sie welche finden,” befahl der Hauptmann dem Kammerunteroffizier, und er suchte und suchte, aber alles war vergebens. Auch auf der Bataillons- und auf der Regimentskammer, in denen viele hundert Paar Stiefel hingen, war nichts passendes zu finden; die da lang genug waren, waren zu schmal, und umgekehrt. Da, in der höchsten Not, als sich schon der Herr Oberst in die Angelegenheit gemischt und sehr energisch den Wunsch geäußert hatte, Meier, der immer noch in seinen Zivilstiefeln herumlief, endlich in ein paar passenden Kommißstiefeln zu sehen, da erinnerte sich plötzlich ein alter Feldwebel, daß er vor vielen Jahren als ganz junger Unteroffizier bei einer Landwehrübung einmal einen ähnlichen Mann gehabt hätte, der ein paar ähnliche Füße besessen hätte, wie Meier. Für den hätte man sich damals von einem andern Regiment ein paar passende Stiefel besorgt und die müßten, wenn er sich nicht sehr irrte, noch irgendwo sein. Und er irrte sich nicht, denn wenn schon in der Natur nichts vergeht, sondern wenn auch schon da alles zu einem andern oder zu einem neuen Leben wiedererwacht, so geht beim militärischen Fiskus, infolge der dort herrschenden Sparsamkeit, erst recht nichts unter. |
Meiers Füße waren sowohl in der Länge wie in der Breite von einer Ausdehnung, wie sie vorher wohl noch nie ein menschliches Auge erblickt hatte. |
So fand man denn auch endlich die Stiefel in der Landwehrkammer. Schöner waren sie im Laufe der letzten zehn Jahre gerade auch nicht geworden, aber darauf kam es ja auch nicht an, die Hauptsache war, daß sie da waren. Und da waren sie. Darüber freuten sich alle, vom Sergeanten Krause hinauf bis zu dem Herrn Oberst, dem auf dem Instanzenwege von diesem wichtigen Fund Meldung erstattet wurde, nur einer freute sich nicht, obgleich gerade der sich am meisten hätte freuen müssen, das war der Rekrut Meier. Schon als er die Stiefel in die Hand nahm, fühlte er, daß das Leder im Laufe der Zeit hart geworden war, wie Eisen, aber das nicht allein, sie hattten auch jegliche Fasson verloren, sie waren ganz in sich zusammengeschrumpft und die Spitzen, wenn bei den breiten Stiefeln überhaupt von Spitzen die Rede sein konnte, ragten in die Höhe wie die geschmückten Spitzen der orientalischen Schuhe. Und als Meier die Stiefel zum ersten Male anzog, da hätte er sie am liebsten gleich wieder ausgezogen und für alle Zeiten mit einem kräftigen Fluch in die entfernteste Ecke des Weltalls geschleudert, denn er konnte die Schmerzen kaum ertragen. Aber die Vorgesetzten, die die Länge und Breite von Meiers Füßen und Meiers Stiefeln ausmaßen und miteinander verglichen, konstatierten: sie passen, — und folglich paßten sie. |
So fand man denn auch endlich die Stiefel in der Landwehrkammer. Schöner waren sie im Laufe der letzten zehn Jahre auch gerade nicht geworden, aber darauf kam es ja auch nicht an, die Hauptsache war, daß sie da waren. Und da waren sie. Und darüber freuten sich alle, vom Sergeanten Krause hinauf bis zu dem Herrn Oberst, dem auf dem Instanzenwege von diesem wichtigen Fund Meldung erstattet wurde. Nur einer freute sich nicht, obgleich gerade der sich am meisten hätte freuen müssen, das war der Rekrut Meier. Schon als er die Stiefel in die Hand nahm, fühlte er, daß das Leder im Laufe der Zeit hart geworden war, wie Eisen. Aber das nicht allein, sie hattten auch jegliche Fasson verloren, sie waren ganz in sich zusammengeschrumpft und die Spitzen, wenn bei den breiten Stiefeln überhaupt von Spitzen die Rede sein konnte, ragten in die Höhe wie die geschmückten Spitzen der orientalischen Schuhe. Und als Meier die Stiefel zum ersten Male anzog, da hätte er sie am liebsten gleich wieder ausgezogen und |
„Nur ordentlich einfetten, Meier, dann sollen Sie mal sehen, dann wird das Leder weich und geschmeidig und schmiegt sich um Ihre Füße, wie ein Glacéhandschuh um die Hand einer schönen Frau,” ermahnte Sergeant Krause. Und Meier fettete. Er fettete den ganzen Tag und selbst in der Nacht stand er heimlich auf und fettete weiter, aber das Leder gab nicht nach. „Es wird schon werden, Meier, es ist sogar schon entschieden besser geworden,” tröstete Sergeant Krause den armen Rekruten gegen seine Überzeugung, „obgleich ich damit nicht gerade behaupten will, daß ich nicht schon zuweilen an dem Fuße einer schönen jungen Dame einen eleganteren Lackstiefel gesehen habe. Aber Sie sind ja erstens keine junge Dame und zweitens sind die Stiefel auch nicht von Lack, was außerdem für die Füße sehr ungesund sein soll. Aber für Ihre Füße sind die Stiefel nicht schlecht, und sie werden auch besser werden.” Und Krause behielt wenigstens teilweise recht, denn als das Leder für ungefähr fünf Mark Stiefelfett getrunken hatte, gab es etwas nach, aber eins blieb unerbittlich, das waren die Stiefelspitzen, die ragten nach wie vor in die Höhe, und doch sollte Meier gerade die bei dem Marsch herunterdrücken. Und er drückte und drückte, er drückte mit der Kraft der Verzweiflung, er biß sich dabei auf die Zähne und fühlte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Er brach sich fast die Zehen ab, aber die Spitzen blieben, wo sie waren, sie zeigten zum Himmel anstatt zur Erde. Sergeant Krause rang sich in seiner Verzweiflung die Hände wund, der Leutnant wußte schon gar nicht mehr, was er sagen sollte, der Hauptmann verwünschte Meier mit samt seinen Stiefeln, und der Major mußte sich eingestehen, daß selbst seine Weisheit hier am Ende angelangt sei. |
„Nur ordentlich einfetten, Meier, |
Da, eines Tages, als wieder alle Vorgesetzten dem Marsch des armen Meier zusahen und ihn abwechselnd und gleichzeitig unter Bitten, Versprechen und Drohungen zu bewegen versuchten, nun endlich die Fußspitzen herunterzudrücken, erschien der Herr Oberst auf dem Kasernenhof. Eine Zeitlang sah er zu, wie die Andern sich vergeblich bemühten, ihr Ziel zu erreichen, dann hielt er den Augenblick für gekommen, selbst handelnd einzugreifen. Nun wollte er den Andern einmal zeigen, wie man bei den Untergebenen selbst die schwierigsten Sachen erreichen kann, wenn man es nur versteht, in richtiger Weise die richtigen Anleitungen zu geben. So trat er denn auf Meier zu. Zuerst redete er ihm ernsthaft ins Gewissen, dann gab er ihm sehr weise Lehren und dann ließ er Meier vorbeimarschieren. Aber auch seine Bemühungen hatten keinen Erfolg gehabt, die Stiefelspitzen zeigten nach oben. |
Da, eines Tages, |
Er wollte zornig werden, aber er mußte den Andern ein Beispiel geben, wie man sich zu beherrschen versteht, so fing er denn mit seinen Lehren noch einmal von vorne an und dann noch einmal und dann noch einmal. |
Er wollte zornig werden, aber er mußte den Andern ein Beispiel geben, wie man sich zu beherrschen versteht, so fing er denn mit seinen Lehren noch einmal von vorne an und dann noch einmal und dann noch einmal. |
Dann aber riß dem Herrn Oberst die Geduld, nicht etwa weil er an dem guten Willen des Meier zweifelte, sondern weil er sich sagte, Meier muß die Fußspitzen jetzt herunterdrücken, wenn du nicht Einbuße an deiner Würde und deinem Ansehen erleiden willst. So trat er denn mit zornfunkelnden Augen auf den Rekruten zu: „Meier, zum Donnerwetter, wollen Sie nun die verdammten Fußspitzen herunterdrücken oder nicht?” Und gleichzeitig hob er seine eigenen Fußspitzen, stellte diese auf die sogenannten Spitzen von Meiers Stiefeln und trat auf dieselben mit der ganzen Wucht seiner hundertneunzig Pfund schweren Persönlichkeit: „Herunter mit den Dingern, verstanden!” |
Dann aber riß dem Herrn Oberst die Geduld. |
Da geschah etwas ganz Unerwartetes, was allen bisher als unmöglich erschienen war, trat ein, die Stiefelspitzen gaben nach, der Oberst trat sie einfach zur Erde, aber während Meiers Stiefelspitzen sich senkten, hoben sich naturgemäß gleichzeitig auch Meiers Absätze, langsam aber sicher fiel Meier vorne über und plötzlich ruhte er an der Brust des Herrn Oberst. |
Da geschah etwas ganz Unerwartetes. |
„Zurück!” donnerte der, aber es hätte dieser Mahnung nicht erst bedurft. Meier taumelte ganz von selbst hinten über, immer noch ruhten die Füße des Kommandeurs auf den seinen und da gab es plötzlich ein Knacken, als ob man ein Stück alten Holzes durchbrach: Meiers Stiefelspitzen waren abgebrochen. |
„Zurück!” Entsetzt riß Meier seinen Oberkörper hinten über, die Füße des Kommandeurs stemmten sich immer noch eisern auf seinen. — Da! — Kracks — Knacks — Kracks! Ein Geräusch, wie vom Krachen alten Holzes, und auf der Erde lagen: rechts ein Oberst — links ein Rekrut — und in der Mitte zwei abgebrochene preußische Stiefelspitzen. — |
Am nächsten Tag wanderte Meier in's Lazarett, um auf den Gesundheitszustand seiner Füsse hin untersucht zu werden, und vier Wochen später wurde er als dienstuntauglich entlassen, weil der Schuster erklärt hatte, zu reparieren wären die Stiefel nicht mehr und weil es dem Ansehen der Armee geschadet hätte, wenn Meier fortan ein Paar Stiefel getragen hätte, die eigentlich gar keine Stiefel, sondern Sandalen waren. [Dieser letzte Absatz ist nur in der Fassung des Jahrbuchs der Kölner Blumenspiele zu finden. D.Hrsgb.] Wolf Graf von Baudissin erhielt für diese Humoreske den „ausserordentlichen Preis der Frau Else Emanuel-Glas, Köln”. |
Die Fassung dieser Erzählung, die in „Zu Schutz und Trutz” zu finden ist, enthält die Anmerkung: „Aus ,Zu dumm', Verlag von Albert Langen, München.” Diese Anmerkung ist insofern nicht richtig, als der Text dieser Fassung genau identisch ist mit der Fassung aus dem „Lustigen Salzer-Buch”, mit allen Kürzungen und Textänderungen! [D.Hrsgb.] |