Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Lustige Blätter”, 1904, Nr. 48, (ca. 27.11.1904),
in: „Teplitz-Schönauer Anzeiger” vom 25.Febr. 1905,
in: Radioprogramm Sender Dortmund am 14.11.1926,
in: Radioprogramm Sender Königsberg am 13.2.1928,
in: „Der Dichterleutnant”,
in: „In Kriegs- und Friedenzeiten”,
in: „Meiers Hose”,
in: „Garten unterm Regenbogen”,
in: „Meine Kabarettgeschichten” und
in: „Freut euch des Lebens”
Seine Hoheit Prinz Leopold August wollte heute zum ersten Male das ihm bereits vor mehreren Jahren verliehene Infanterieregiment von Dingsda besichtigen(1). Schon zu wiederholten Malen hatte der hohe Herr dem Regiment seinen Besuch zugesagt, aber jedesmal, im letzten Augenblick, wegen anderweitiger Abhaltung abtelegraphiren lassen. Über diese anderweitigen Abhaltungen hatte man sich beim Regiment vergebens den Kopf zerbrochen und es, soweit man sich überhaupt eine Kritik erlauben durfte, für etwas sonderbar gehalten, daß es für den hohen Herrn überhaupt etwas auf der Welt gäbe, das für ihn wichtiger wäre, als sein neues Regiment kennen zu lernen. Seine Hoheit hätte selbst nicht genau angeben können, warum er den Besuch immer verschob, wenigstens hatte er nicht den Mut, es sich selbst und Anderen einzugestehen. Der wahre Grund seines Nichterscheinens bestand darin, daß Seine Hoheit, der heute fünfzig Jahre alt war, für das Militär, obgleich er selbst der Armee als General à la suite angehörte, nicht das leiseste Interesse hatte. Zwei Jahre lang war auch er in seiner Jugend Offizier gewesen, dann hat er sich in das Privatleben zurückgezogen, um ganz seinen Neigungen, der Malerei, der Musik und Literatur zu leben. In Uniform zeigte er sich nur dann, wenn er absolut mußte, und der Gedanke, sich für den Besuch seines neuen Regiments eine neue Uniform machen zu lassen und in diesem unbequemen Kleidungsstück einherstolzieren zu müssen, war es eigentlich in erster Linie gewesen, daß er bisher noch nicht gekommen war. Heute aber kam er wirklich, er befand sich auf der Durchreise nach einem Badeort, er mußte die Garnison passiren, und er sah selbst ein, daß es mehr als unhöflich gewesen wäre, nicht wenigstens einige Stunden im Kreise des Offizierkorps zu verweilen. So hatte das Hofmarschallamt das offizielle Eintreffen Seiner Hoheit gemeldet, und gleichzeitig den Regimentskommandeur um nähere Angaben gebeten, in welcher Art und Weise dieser dem hohen Chef das Regiment vorstellen wolle. Wenn ein Zivilist dem andern vorgestellt wird, dann macht er eine Verbeugung, wenn aber Soldaten einem Höheren vorgestellt werden, dann machen sie einen Parademarsch. Das war so, das ist so, und es wird auch wohl so bleiben. So hatte der Herr Oberst denn vorgeschlagen, er wolle Seiner Hoheit sein Regiment auf dem großen Exerzierplatz, der weit außerhalb der Stadt lag, in einer Paradeaufstellung und im Parademarsch vorführen. Aber Seine Hoheit geruhte gnädigst abzuwinken. Der hohe Herr dachte gar nicht daran, sich zu Pferd zu setzen und die Parade abzunehmen. Er scheute die körperliche Anstrengung, vor allen Dingen aber die Kritik, die er dann abhalten mußte. Er verstand von militärischen Dingen noch weniger als gar nichts, und als hoher Chef mußte er doch wenigstens einige dienstliche Sachkenntnis verraten. Und nur kommen, um hinterher zu sagen, daß ihm das Regiment in jeder Hinsicht ausgezeichnet gefallen habe, wollte er auch nicht. So einigte man sich denn dahin, daß das Regiment in Ordonnanzanzug auf dem Kasernenhof stehen sollte. Seine Hoheit wollte dann die Front abschreiten, ein Hoch auf seine Person entgegennehmen, mit einem Hoch auf das weitere Wohlergehen des Regiments antworten, und dann hinterher im Offizierskasino ein einfaches Frühstück einnehmen.
Das Programm war also genau festgesetzt, und die Sache konnte ihren Anfang nehmen. (1z)Für morgens um zehn Uhr hatte Seine Hoheit sein Eintreffen gemeldet, und schon seit einer halben Stunde stand die Truppe auf dem Kasernenhof(2) und wartete auf den großen Augenblick, da der Posten vor Gewehr mit der ganzen Kraft seiner Lunge sein „Heraus” rufen würde, um dadurch anzukünden, daß Seine Hoheit nahe. In der Mitte des Kasernenhofes stand der Oberst mit seinem Adjutanten und dem Etatsmäßigen und sah nervös und unruhig alle Augenblicke nach der Uhr, während die Hauptleute, unterstützt von ihren Leutnants, zum tausendsten Mal den Anzug ihrer Leute musterten.
Es war drei Minuten von zehn Uhr, als in der zweiten Kompagnie plötzlich eine große Unruhe entstand. Man sah den Herrn Hauptmann lebhaft gestikulieren, und man hörte, wie er laut auf die Offiziere und Unteroffiziere einredete.
„Ich bitte mir Ruhe aus,” rief der Oberst mit Donnerstimme, „Seine Hoheit kann jeden Augenblick kommen, was gibt es denn überhaupt?” Und, gefolgt von seiner Suite, begab er sich zur Königlich(3) Zweiten, um den Grund des Lärms zu erfahren.
„Was gibt es denn?” fragte er den Hauptmann, als sein Scharfblick nicht sofort errieth, was hier vorlag.
Der Hauptmann zitterte am ganzen Leib, der Angstschweiß perlte ihm von der Stirn herunter, und mit der Stimme eines Sterbenden sagte er: „Der Musketier Meier verliert seine Hose, Herr Oberst.”
Wenn ein Blitz dem Oberst vor die Füße gefahren wäre, so hätte der keine größere Wirkung hervorrufen können als diese Meldung. Für einen Augenblick taumelte der Kommandeur zurück, dann aber stürzte er vorwärts: „Wo ist der Meier? Ich bringe den Menschen um.”
Gleich darauf stand der Gewaltige vor dem unglücklichen Meier, und mit Schrecken mußte er sehen, daß der Hauptmann nur zu wahr gesprochen hatte. Meiers Hosen, die der Vorschrift gemäß mit dem oberen Rand des Stiefelabsatzes abschneiden sollten, schleppten auf der Erde, der Taillenbund sah etwas unter dem Waffenrock hervor, und es war ein wahres Wunder, daß ihm das Beinkleid noch nicht ganz heruntergerutscht war.
Der Oberst faßte sich mit beiden Händen an den Kopf: „Herr Hauptmann, ich frage Sie, wie ist so etwas möglich?”
(4)Der blickte wie geistesabwesend vor sich hin, er stand vor einem Räthsel, das er ebenfalls nicht begriff, und seine Blicke suchten den Zugführer, der für den Anzug seiner Mannschaften verantwortlich war. Und auch dem lähmte der Schreck alle Glieder, auch er stand vor etwas Ungeheurem, dessen Folgen er voraussah, dessen Ursache aber auch er nicht zu ergründen vermochte, und seine Augen suchten verzweifelt Meiers Korporalschaftsführer. Der hatte ja die Sachen an die Leute vertheilt, der war dabei gewesen, wie die Leute sich anzogen, der mußte ja wissen, wie das Unglück hatte entstehen können. Aber auch der Unteroffizier hatte vor Angst die Sprache verloren, und auch er stand vor etwas Unfaßlichem. Er sah es voraus, daß „der ganze Vorgesetzte” über ihn herfallen und ihn zur Rechenschaft ziehen würde, im Geiste hörte er schon, wie sein Hauptmann ihm die Kapitulation kündigte, und er sah sich zum mindesten wegen mangelnder Beaufsichtigung der Untergebenen mit sieben Tagen Mittelarrest bestraft. Bevor er aber seine Strafe antrat, wollte er wissen, welchem unglückseligen Zufall er sie verdanke, und so suchten seine Augen denn flehend den Musketier Meier, gleichsam als bäten sie ihn um Aufklärung.
Und der einzige, der Auskunft hätte geben können, war Meier selbst; aber man ließ ihn nicht zu Worte kommen. Der Oberst fluchte wie toll auf den Hauptmann, der Hauptmann auf den Leutnant, der Leutnant auf den Unteroffizier, der Unteroffizier auf Meier, alle schoben sich gegenseitig die Schuld zu, und zuletzt redeten alle zusammen gleichzeitig auf den armen Meier ein. Der stand da, wie ein zum Tode Verurteilter, jeder Blutstropfen war aus seinem Gesicht gewichen, und seine Glieder wollten vor Angst zittern. Aber mit der ganzen Kraft seiner Energie verbot Meier ihnen das, denn er sagte sich: „Sobald du zitterst, rutscht dir die Hose auf die Stiefelhacken, und das darf nie und nimmer geschehen,” und doch war auch er an dem ganzen Unglück unschuldig. Im letzten Augenblick hatte er seine Hosen empfangen und sie der Vorschrift gemäß mit den Hosenträgern befestigt, aber die Knöpfe mußten mehr als lose gewesen sein, denn bereits in der Stube hatte er den ersten Knopf verloren, auf dem Korridor den zweiten, auf der Treppe den dritten; als er sich bückte, um ihn aufzuheben, waren der vierte und fünfte losgegangen, und den sechsten hatte er verloren, als er auf Befehl seines Hauptmannes sich stolz aufrichtete.
„Was nun?” stöhnte der Oberst, „der Mann kann unmöglich hier bleiben, wir müssen ihn fortschicken.”
Im ersten Augenblick waren alle über diesen geistreichen Einfall des Herrn Oberst sehr erfreut und atmeten erleichtert auf. Aber so einfach die Rettung auch erschien, so war sie doch nicht auszuführen. Wenn Meier ging, mußte der Hintermann auch gehen, denn sonst hatte man eine blinde Rotte, und wenn aus dem vordersten Zug zwei Leute verschwanden, mußten aus den hinteren Zügen ebenfall zwei Leute fortgeschickt werden, und dann wäre die Kompagnie sechs Köpfe schwächer gewesen, als sie nach dem Rapport sein durfte, und das ging nie und nimmer.
Eine Rettung gab es, man hätte Meier nur ins zweite Glied zu stellen brauchen, aber in der Aufregung, in der sich alle befanden, kam niemand auf diesen Ausweg. Da ertönte vor dem Portal der Ruf des Postens; seine Hoheit nahte, und alle eilten an ihre Plätze. Nur einer blieb noch für eine Sekunde zurück, das war der Hauptmann der Königlichen Zweiten. Mit zornfunkelnden Augen sah er den Unglücklichen an, und mit heiserer Stimme rief er: „Meier, das sage ich Ihnen, wenn Sie Ihre Hosen verlieren, ermorde ich Sie.”
Der arme Meier schwitzte Blut, er sah den sicheren Tod vor Augen, denn deutlich merkte er, wie das Beinkleid immer tiefer und tiefer sank, und er wußte, nur noch wenige Sekunde, dann liegt die Hose auf der Erde.
Da nahte ihm die Rettung von einer Seite, auf die er am wenigsten gehofft hatte. Wie ein Wilder stürzte plötzlich Meiers Unteroffizier nach vorn und zog an Meiers Beinkleid die Hosenschnalle derartig stramm zu, daß diesem beinahe der Athem ausging.
„Herr Unteroffizier, das halte ich nicht aus,” stöhnte Meier, aber der zog immer fester und fester, bis es schließlich nichts mehr zu ziehen gab. Dann sprang der Unteroffizier rasch auf seinen Platz zurück; mochte dem braven Meier auch ruhig der Athem ausgehen, für den Augenblick war wenigstens geholfen. Einen schönen Sitz hatte die Hose allerdings auch jetzt noch nicht bekommen, sie saß ihm immer noch beinahe in den Kniekehlen, aber sie konnte jetzt wenigstens nicht mehr ganz herunterfallen.
Da erschien auch schon der hohe Chef des Regiments auf dem Kasernenhof und schritt, gefolgt von seinem persönlichen Adjutanten und dem Herrn Oberst die Front entlang. Er hatte für das, was er zu sehen bekam, ebensowenig Interesse wie Verständnis, so sah er denn auch gar nicht danach hin, ob die Leute in guter, strammer Haltung dastanden; sondern den Blick halb zu Boden gesenkt, ging er einher, als interessierten ihn nur die gut ausgerichteten Fußspitzen.
Der Oberst sah es mit Schrecken: „Wenn Hoheit nicht aus irgendeinem Grunde plötzlich den Kopf in die Höhe nimmt, dann muß er ja Meiers Hosen sehen,” dachte er, und da Hoheit den Kopf nicht hoch nahm, so versuchte er das Unglück dadurch abzuwenden, daß er sich an die linke Seite des hohen Chefs begab und diesen dadurch etwas von der Truppe abzudrängen versuchte. Aber dieser rettende Gedanke kam dem Kommandeur zu spät, denn gerade jetzt war Seine Hoheit bei Meier angekommen und blieb verwundert vor demselben stehen. Mit prüfenden Augen musterte er ihn immer und immer wieder, es war ganz klar, irgend etwas fiel dem hohen Herrn an dem Anzug des Musketiers auf, aber er schien sich nicht im klaren darüber zu sein, was er an dem Anzug auszusetzen habe. Plötzlich aber schien ihm die Sache doch klar zu werden, ganz sicher war er seiner Sache allerdings noch nicht. Blamieren wollte und durfte er sich aber auch nicht, und so wandte er sich denn halblaut an seinen persönlichen Adjutanten: „Lieber Major, sagen Sie mal, verliert denn der Mann nicht seine Hosen?”
„Totsicher!” wollte der zur Antwort geben, da traf ihn ein flehender Blick des Regimentskommandeurs, und in diesem Blick stand geschrieben: „Du hast die Macht in Händen, verrathe und blamiere mich nicht. Der hohe Herr hat ja, wie aus seiner Frage hervorgeht, noch weniger Ahnung vom Militär, als ich ihm zugemuthet habe. Wenn du ihm vorredest, die Hose säße ganz vorschriftsmäßig, dann glaubt er's auch.”
Der Adjutant hatte in seiner langen Praxis gelernt, in den Blicken zu lesen, und so nickte er denn dem Herrn Oberst beruhigend zu: „Nur keine Angst, die Sache machen wir schon,” und so antwortete er denn auf die Frage seines Herrn: „Nach meiner Meinung nicht, Hoheit. Soweit ich, als Militär, das zu beurteilen vermag, ist die Hose zwar etwas weit, aber sonst sitzt sie ganz vorschriftsmäßig.” Und frech, wie Adjutanten zu sein pflegen, setzte er hinzu: „Finden Sie nicht auch, Herr Oberst?”
Dem blieb beinahe das Wort in der Kehle stecken, aber trotzdem sagte er, wenn auch nur mit größter Anstrengung: „Auch ich kann an dem Hosensitz nichts Besonderes finden,” und in Gemeinschaft mit dem Adjutanten suchte er den Chef weiterzuführen.
Aber der wich und wankte nicht, immer noch ruhten seine Augen auf Meiers Hosen, endlich sagte er: „Meine Herren! Ich will Ihnen gerne zugestehen, daß Sie sonst einen größeren militärischen Scharfblick haben als ich, da ich mich fast gar nicht um die Ausbildung unseres Heeres bekümmere, aber trotzdem muß ich dabei bleiben, ich glaube, die Hose rutscht.”
Noch einmal versuchten die beiden, Seiner Hoheit diesen Gedanken auszureden, da geschah etwas Unerwartetes.
Während der ganzen Zeit, von dem Augenblick an, da Seine Hoheit den Kasernenhof betrat, bis zu dieser Sekunde, hatte Meier dagestanden wie aus Marmor gehauen. Er wagte kaum zu athmen, und er konnte auch gar nicht tief Athem holen, denn die viel zu fest angezogene Hosenschnalle drückte mit aller Gewalt gegen seinen Magen, verursachte ihm die größten körperlichen Schmerzen und hinderte ihn daran, frische Luft in die Lungen zu bekommen. Aber der normal gebaute Mensch vermag es nicht, eine Minute nach der anderen die Luft anzuhalten, Meier wurde ganz blau im Gesicht, seine Augen traten hervor, und er fühlte, daß er dem Umfallen nahe war.
Und Seine Hoheit stand immer noch vor ihm und dachte anscheinend gar nicht daran, in den nächsten Tagen weiterzugehen.
„Und wenn mein Hauptmann mich nachher wirklich umbringt, ich kann's nicht ändern,” stöhnte Meier im stillen. Dann holte er tief Athem, so tief, wie ein Mensch, der lange Zeit unter der Erde geweilt hat und plötzlich wieder an die Luft kommt. Und in demselben Augenblick gab es einen lauten Knack. Die allzu stramm angezogene Hosenschnalle war gerissen und langsam, aber sicher fielen Meiers Hosen immer tiefer und tiefer, bis sie plötzlich auf der Erde lagen.
Jähes Entsetzen packte alle, die es sahen. Nur einer bekam keinen Schrecken, das war Seine Hoheit. Der blickte lächelnd auf den armen Meier, der jetzt in Unterhosen vor ihm stand. Dann wandte er sich an seine Begleitung, und voller Stolz sagte er: „Sehen Sie wohl, meine Herren, dieses Mal habe ich doch recht behalten.” —
Fassung aus dem Band „Meine Kabarettgeschichten”
(Dieselbe Fassung findet sich auch in dem Band „Freut euch des Lebens”.)
Seine Hoheit wollte heute zum ersten Male das ihm bereits vor mehreren Jahren verliehene Infanterieregiment von Dingsda besichtigen und hatte für morgens um zehn Uhr sein Eintreffen gemeldet. Schon seit einer halben Stunde stand die Truppe auf dem Kasernenhof zum Empfang bereit.
Es war drei Minuten von zehn Uhr, als in der zweiten Kompagnie plötzlich eine große Unruhe entstand. Man sah den Herrn Hauptmann lebhaft gestikulieren, und man hörte, wie er laut auf die Offiziere und Unteroffiziere einredete.
„Ich bitte mir Ruhe aus,” rief der Oberst mit Donnerstimme, „Seine Hoheit kann jeden Augenblick kommen, was gibt es denn nur überhaupt?”
Und gefolgt von seiner Suite begab er sich zur königlichen Zweiten, um den Grund des Lärms zu erfahren.
„Was gibt es denn nur?” fragte er den Hauptmann, als sein Scharfblick nicht sofort erriet, was hier vorlag.
Der Hauptmann zitterte am ganzen Leib, der Angstschweiß perlte ihm von der Stirn herunter, und mit der Stimme eines Sterbenden sagte er: „Der Musketier Meier verliert seine Hose, Herr Oberst.”
Wenn ein Blitz dem Oberst vor die Füße gefahren wäre, so hätte der keine größere Wirkung hervorrufen können als diese Meldung. Für einen Augenblick taumelte der Kommandeur rückwärts, dann aber stürzte er nach vorn: „Wo ist der Meier? Ich bringe den Menschen um.”
Gleich darauf stand der Gewaltige vor dem unglücklichen Meier, und mit Schrecken mußte er sehen, daß der Hauptmann nur zu wahr gesprochen hatte. Meiers Hosen, die der Vorschrift gemäß mit dem oberen Rand des Stiefelabsatzes abschneiden sollten, schleppten auf der Erde, der Taillenbund sah weit unter dem Waffenrock hervor, und es war ein wahres Wunder, daß ihm das Beinkleid noch nicht ganz heruntergerutscht war.
Der Oberst faßte sich mit beiden Händen an den Kopf: „Herr Hauptmann, ich frage Sie, wie ist so etwas möglich?”
Der einzige, der darauf Auskunft hätte geben können, war Meier selbst, aber man ließ ihn nicht zu Worte kommen. Der Oberst fluchte wie toll auf den Major, der Major auf den Hauptmann, der Hauptmann auf den Leutnant, der Leutnant auf den Unteroffizier und schließlich sprachen alle gleichzeitig auf den armen Meier ein. Der stand da, wie ein zum Tode Verurteilter und seine Glieder wollten vor Angst zittern, aber mit der ganzen Kraft seiner Energie verbat Meier ihnen das, weil er sich sagte: Sobald du zitterst, rutscht dir die Hose auf die Stiefelhacken, und das darf nie und nimmer geschehen.
Und doch war auch er an dem ganzen Unglück unschuldig. Im letzten Augenblick hatte er seine Hosen empfangen und sie der Vorschrift gemäß an den Hosenträgern befestigen wollen, aber die Knöpfe mußten mehr als lose gewesen sein, denn schon in der Stube hatte er die beiden ersten verloren, auf dem Korridor den dritten und vierten, auf der Treppe den fünften und den sechsten und letzten vorhin auf dem Kasernenhof, als er sich auf Befehl seines Hauptmanns stolz und stramm aufrichtete.
„Was nun?” stöhnte der Oberst, „der Mann kann unmöglich hier bleiben, wir müssen ihn sofort wegschicken.”
Alle atmeten bei diesem klugen Einfall des Kommandeurs erleichtert auf, doch noch bevor man den hätte ausführen können, meldete der Ruf des Postens die Ankunft Seiner Hoheit. Alle eilten auf ihre Plätze, nur einer blieb noch einen Augenblick vor dem Musketier Meier stehen, das war der Hauptmann der königlichen Zweiten, und mit zornfunkelnden Augen rief er seinem Musketier zu: „Meier, das sage ich Ihnen, wenn Sie Ihre Hosen verlieren, ermorde ich Sie.”
Der arme Meier schwitzte Blut, er sah den sicheren Tod vor Augen, denn deutlich fühlte er, wie die Hose immer weiter rutschte, und er wußte, nur noch einen Augenblick, dann liegt sie unten auf der Erde.
Da nahte ihm Rettung von einer Seite, auf die er am wenigsten gehofft hatte. Wie ein Wahnsinniger sprang plötzlich Meiers Unteroffizier auf ihn zu und zog die Hosenschnalle immer strammer und strammer, bis es schließlich nichts mehr zu ziehen gab. Einen schönen Sitz hatte die Hose immer noch nicht bekommen, die saß ihm immer noch beinahe in den Kniekehlen, aber sie konnte jetzt wenigstens nicht mehr ganz herunterrutschen.
„Herr Unteroffizier, das halte ich nicht aus,” stöhnte Meier, aber es war vergebens. Der Unteroffizier war schon wieder auf seinen Platz zurückgesprungen und gleich darauf betrat Seine Hoheit den Kasernenhof.
Der hohe Herr hatte für das militärische Schauspiel, das sich seinen Augen bot, weder das leiseste Interesse noch Verständnis. So sah er denn auch gar nicht danach hin, ob die Leute in untadelhafter Paradeaufstellung standen, sondern den Blick zu Boden gesenkt, schritt er die Front ab, als interessierten ihn nur die gut ausgerichteten Fußspitzen der Mannschaften.
Doch mit einemmal blieb Seine Hoheit vor dem Musketier Meier stehen. Es war ganz klar, irgend etwas fiel dem hohen Herrn an dem Anzug des Musketiers auf, aber er war sich so schnell nicht klar darüber, was das wäre. Blamieren aber wollte und durfte er sich natürlich nicht, und so wandte er sich denn an seinen Adjutanten und fragte den mit halblauter Stimme: „Sagen Sie mal, mein lieber Herr Major, verliert denn der Mann nicht seine Hose?”
Totensicher, wollte der zur Antwort geben, da traf ihn ein flehender Blick des Kommandeurs und in dem stand geschrieben: Du hast die Macht in Händen, bitte, verrate mich nicht.
Und der Adjutant gab den Blick zurück und in seinen Augen stand geschrieben: Nur keine Angst, wenn es weiter nichts ist, die Sache machen wir schon. Und so antwortete er denn auf die Frage Seiner Hoheit: „„Nach meiner Meinung nicht, Hoheit, die Hose ist zwar etwas weit, aber sonst sitzt sie ganz vorschriftsmäßig,” und in Gemeinschaft mit dem Kommandeur versuchte er Seine Hoheit fortzubringen.
Doch der hohe Herr wich und wankte nicht. Immer noch ruhten seine Augen auf Meiers Hosen, dann meinte er: „Meine Herren, ich will Ihnen gerne zugeben, daß ich von militärischen Dingen nichts verstehe, da ich mich prinzipiell nicht um die Ausbildung des Heeres kümmere, aber trotzdem, meine Herren, ich glaube, die Hose rutscht.”
Noch einmal versuchten die beiden, Seiner Hoheit diesen Gedanken auszureden und ihn zum Weitergehen zu bewegen, aber da geschah etwas Unerwartetes. Während der ganzen Zeit hatte der Musketier Meier dagestanden wie aus Marmor gehauen. Er wagte kaum zu atmen und er konnte es auch nicht, denn die viel zu fest angezogene Hose drückte gegen seinen Leib und verhinderte ihn, frische Luft in die Lungen zu nehmen. Aber der normal gebaute Mensch vermag es nicht, eine Minute nach der anderen die Luft anzuhalten. Meier wurde grün und blau und gelb im Gesicht, und er fühlte, daß er dem Umfallen nahe war.
Und wenn mein Hauptmann mich nachher wirklich umbringt, ich kann nicht anders, stöhnte Meier im stillen. Dann holte er tief Atem, so tief, wie ein Mensch, der tagelang verschüttet gewesen ist und endlich wieder das helle Tageslicht wiedersieht. Und in demselben Augenblick gab es einen lauten vernhemlichen Knacks. Meiers viel zu stramm angezogene Hosenschnalle war gerissen und langsam aber sicher fielen Meiers Hosen immer tiefer und tiefer, bis sie endlich ganz unten auf der Erde lagen.
Alle, die es sahen, bekamen vor Entsetzen einen maßlosen Schrecken. Nur nicht Seine Hoheit. Der blickte lächelnd auf den armen Meier, der jetzt unter präsentiertem Gewehr im Waffenrock, darunter mit dem kurzen Hemd und mit nackten Beinen vor ihm stand. Dann wandte er sich an seine Begleitung und voller Stolz über seinen militärischen Scharfsinn sagte er: „Sehen Sie wohl, meine Herren, diesmal habe ich aber recht behalten. Die Hose rutscht nicht nur — ich glaube sogar, sie ist gerutscht.”
Fassung aus dem Band „In Kriegs- und Friedenszeiten”
In vereinfachter deutscher Stenographie (System Stolze-Schrey)
(1) In der Fassung von „Garten unterm Regenbogen” fehlt der Textabschnitt von Fußnote (1) bis Fußnote (1z). (Zurück)
(2) In der Fassung von „Garten unterm Regenbogen” fehlt der Rest dieses Absatzes. Statt dessen heißt es dort: „zum Empfang Seiner Hoheit bereit.” (Zurück)
(3) In der Fassung von „Garten unterm Regenbogen” heißt es hier „Königlichen” (Zurück)
(4) In der Fassung von „Garten unterm Regenbogen” fehlt der Text dieses Absatzes und das erste Wort des folgenden Absatzes. (Zurück)