Von Freiherr v. Schlicht.
in: „Das Kleine Journal” Nr. 239 vom 30.Aug. 1897,
in: „Abendblatt”, (Chicago Ill.), vom 13.09.1897,
in „Das Manöverpferd” und
in „Vom köstlichen Humor”
Es ist wirklich schade, daß „das Auge” lateinisch „oculus” und nicht „ocula ” heißt, sonst würde ich mit Leichtigkeit beweisen können, daß ich nicht nur ein „schlichter” Feuilletoniste, sondern auch ein großer Dichter bin. Um den Wahrheitsbeweis meiner Behauptung zu erbringen, hätte ich den schönen Vers „oculi, da kommen sie” einfach dahin variirt, daß ich gesagt hätte, „ocula, sie ist da!”
Und verlangend hätten meine Blicke fortan nach dem vorhandenen leeren Platz auf dem Sockel des Schiller–Goethe–Denkmals ausgeschaut, bis ich mich eines Tages da oben als Dritter im Bunde entdeckt hätte.
„Ocula, sie ist da!”
So mich etwa Jemand ergrimmt über diesen falschen Reim auf die Hühneraugen, die ich, mein Schuster sei gepriesen, nicht besitze, treten sollte und mich fragen würde: „Wer ist diese „sie”, von der Sie sprechen” — ein Duzfreund würde in diesem Falle „Du” zu mir sagen — so würde ich mich zunächst in Anbetracht der herrschenden glühenden Hitze mit einem Quadratkilometer Pilsener Bieres stärken und dann, wenn ich dann überhaupt noch sprechen könnte, zur Antwort geben: „Die „sie” ist in diesem Falle kein Fall für Sie; schon Heine singt: „Du irrst dich, ich bin nicht so eine”; ach nein, solche sie ist „sie” nicht, sie ist nämlich gar keine „sie”, sondern — die holde Manöverzeit.
(Bevor der freundliche Leser den obigen Satz liest, bitte ich ihn, bei dem gegenüberwohnenden Krämer (es ist eine Eigenthümlichkeit der Krämer, daß sie stets gegenüberwohnen) sich einen Ariadnefaden zu kaufen, denn sonst findet er nicht hindurch.)
Die Manöverzeit ist da mit ihren Leiden und Freuden, mit den Quartieren in engen, dumpfigen Bauernstuben, in denen sämmtliche Fliegen, die ante und post Christum natum geboren sind, dem todtmüden Lieutenant, der so gerne schlafen will, auf der Nase herumtanzen. Der Manöveradler(1) geht schon jetzt traurig, gesenkten Hauptes einher, denn er weiß, seine Tage sind gezählt, bald liegt er in der Bratpfanne, und wenn er dem hungrigen Magen eines Offiziers vorgesetzt wird, so ist er nicht einmal willkommen. Das Wort „de mortuis nihil nisi bene”; bewahrheitet sich an seiner Leiche nicht.
Auch die Bivouaksnächte rüsten sich, den Truppen angenehme Ueberraschungen zu bereiten, und die Morgensonne freut sich schon im Voraus auf den Anblick der Lieutenants, die, nur mit Filzpantoffeln bekleidet, auf dem Stoppelfeld stehen und sich von ihren Burschen ein Kochgeschirr voll kalten Wassers nach dem anderen über den sterblichen Leichnam gießen lassen, um sich dann, in Ermangelung eines Handtuches, vom Winde, der nicht weht, abtrocknen zu lassen.
Solch Manöver bringt viel Freud und Leid für die Menschen, die daran theilnehmen, aber nicht nur für die Menschen, nein, auch für die Pferde.
In Sonderheit für das Manöverpferd.
Der Herr Premier sitzt nachdenklich unter seines Daches Zinne. Die Manöverbefehle sind ausgegeben worden und das hat ihm die Laune gründlich verdorben, denn im Stillen seines Herzens hatte er immer gehofft, daß in diesem Jahr das Manöver ausfallen würde. Wie er zu dieser thörichten Hoffnung gekommen ist, weiß er selbst nicht, das ist ja aber auch ganz gleichgiltig.
Nun denkt er darüber nach, wie er sich vom Manöver drücken könnte; aber er mag sinnen, so viel er will, er findet keinen „Druckpunkt”, und das ist um so mehr zu verwundern, als er Waffenrevisionsoffizier ist und mit dem „Druckpunkt” ganz genau umzugehen weiß.
Als der Bursche ihm spät am Abend die brennende Petroleumlampe ins Zimmer bringt und den Spirituskocher für den gewohnten Abendpunsch anzündet, kommt mit der Beleuchtung zugleich die Erleuchtung.
Und das ist, wie der Transvaale in Berlin sagt, jrade wat Scheenes.
„Ich werden den Teufel thun,” spricht der Herr Premier zu sich, „und in diesem Jahre nochmals zu Fuß durch einen nicht unbeträchtlichen Theil des schönen deutschen Vaterlandes laufen, ich denke gar nicht daran, mit meinen eigenen Füßen auf den Sturzäckern, die wir passiren müssen, die harten Schollen zu zertreten — das überlasse ich Anderen. In dem Laufen habe ich nicht nur ein Haar gefunden, sondern einen ganzen Haarbüschel, das ist jetzt vorbei — ich werde mich beritten machen.”
Das klingt sehr stolz und zuversichtlich.
Zum Reiten gehört leider Gottes ein Pferd und das ist nebst vielem Anderen das Einzige, was der Herr Premier nicht besitzt.
„Wo bekomme ich nur ein Pferd her?”
Der Herr Premier meditirt weiter: Mit dem „Leihen” ist das solch eigen Ding, nachher passirt dem Gaul etwas, dann ist der Teufel los, dann muß er nicht nur den Leihbetrag bezahlen, sondern das Pferd auch noch weit über Werth — das ist ein zu kostspieliges Vergnügen.
Das Billigste ist, man kauft sich ein Pferd und versucht, es gleich nach dem Manöver mit mehr oder weniger Verlust wieder zu verkaufen.
Der Herr Premier beschließt, sich ein Leibroß zu erstehen.
Aber wovon?
Er greift in die Tasche der Unaussprechlichen (kürzer: Hosentasche genannt), zieht sein Portemonnaie, öffnet es und kehrt es dann um.
Mit lautem „Kling-Kling” fällt der schnöde Mammon auf die Platte seines Rauchtisches und der helle Klang erfreut sein Herz.
Dann fängt er an zu zählen — „zehn — dreißig — fünfunddreißig — fünfundvierzig — fünfzig — siebzig — siebenundsiebzig, siebenundachtzig — ist denn Niemand mehr da, mir war doch so, als ob ich noch mehr hätte — richtig: hier — siebenundachtzig, achtundachtzig, neunundachtzig — neunundachtzig Pfennig.”
Das ist nicht viel, wenn man sich ein Pferd kaufen will. Der Herr Premier sieht das auch ein — er ist überhaupt nicht dumm — und mit einem hörbaren Ruck läßt er das Kinn auf die Brust sinken.
Neue Hoffnungen beleben ihn plötzlich: in drei Tagen ist der Erste, da giebt es Geld, viel Geld. Er hat im vergangenen Monat sehr solide im Kasino gelebt, da muß er was herausbekommen; allerdings geht davon die Miethe ab, aber die kann er auch einen Monat schuldig bleiben, das kommt so genau nicht darauf an. Außerdem erhält er am Ersten seine Zulage — na, und wenn er das Alles zusammenrechnet, kommen doch hundertfünfzig Mark zusammen. Fünfzig Mark kann er sich noch borgen, hundert Mark muß sein alter Herr ihm extra geben, dann hat er dreihundert Mark und neunundachtzig Pfennig.
Das ist viel Geld, dafür kann man schon ein schönes Pferd haben.
Am nächsten Morgen bittet der Herr Premier seine Vorgesetzten um Erlaubniß, sich beritten machen zu dürfen, und als ihm dies erlaubt worden war — Galoppins kann man doch immer gebrauchen — geht er, nachdem ihm sein Gehalt und seine Zulage ausgezahlt worden sind, zum Pferdehändler und setzt diesem seine Wünsche auseinander.
Der Pferdemann hört andächtig zu; leider hat er kein derartiges Pferd im Stall, aber er kann sofort eins besorgen, sofort, innerhalb weniger Tage — er weiß ein herrliches Pferd, Goldfuchs, früheres Husarenpferd, tadellos geritten.
„Das wäre so was für mich,” sagt der Herr Premier, „und was kostet der Schinder?”
„Bitte sehr, Herr Baron, es ist absolut kein Schinder, es ist ein hochansehnliches, herrschaftliches Pferd und wenn der Herr Baron es nicht nehmen wollen, nimmt es ein Anderer. Das Pferd werde ich jeden Tag mit Kußhand los.”
„Kostenpunkt?”
„Vierhundert Mark.”
„Das ist ja geradezu unerhört — vierhundert Mark für ein Pferd —”
„Ja, einen Viererzug können der Herr Baron doch nicht für das Geld verlangen?”
Das sieht er auch ein, aber vierhundert „Meter”, das ist ja beinahe ein halber Kilometer voller Geld, so viel Mamon giebt es ja gar nicht!
„Dreihundertfünfzig,” bietet der Herr Premier.
Und nun geht das Feilschen los, das damit endet, daß der Herr Premier das Pferd unter der Garantie, daß es vollständig gesund und fehlerfrei ist, für dreihundertfünfundsiebzig Mark ersteht.
Vierundzwanzig Stunden später wird das Pferd gebracht.
Als der Herr Premier zum ersten Mal sein Manöverpferd stehen sieht, fragt er den Reitknecht, der den Goldfuch hergeritten hat: „Lebt das Thier überhaupt?”
„Aber, Herr Baron!”
„Na, das ist schließlich ja auch die Hauptsache, dann lassen Sie den Gaul hier nur gleich stehen, wir wollen ihm ordentlich zu fressen geben.”
Ein Scheffel Hafer verschwindet mit der Geschwindigkeit eines durchgehenden Blitzzuges in dem hungrigen Pferdemagen und der glückliche Besitzer steht mit seinem Burschen daneben und freut sich, wie schön es dem Schinder schmeckt.
Am Abend sitzt der Herr Premier in der Kneipe und erzählt stolz von seinem Pferdekauf.
Sein Kredit wächst: für so reich, sich ein eigenes Pferd anschaffen zu können, hatte man ihn denn doch nicht gehalten.
„Reiten Sie das Pferd morgen bei der Uebung?” wird er gefragt, aber er verneint: „Der Gaul muß im Manöver noch genug laufen, warum ihn unnütz abhetzen.”
Diese Aeußerung bekundet tiefen Scharfsinn und großes Pferdeverständniß.
Der Herr Premier läuft jeden Tag bis zum Manöver und sein Roß steht im Stall und frißt sich ein Loch in den Bauch — so gehört sich das auch für ein richtiges Manöverpferd.
Aber auch die Stunde, in der es wirken soll, schlägt. Der Tag des Ausrückens ins Manöver ist gekommen: in aller Herrgottsfrühe wird es schon in der Stadt lebendig, die Wagen, die die Koffer der Herren Offiziere abholen, fahren schon Morgens um drei Uhr ab, wenn noch kein Mensch an das Aufstehen denkt, und wenig später blasen die Hörner den ewig müden Soldatenbeinen das schöne Lied vor: „Habt Ihr noch nicht lang genug ge—schla—a—fen?”
Die Antwort darauf wartet der Hornist als kluger Mann nicht ab.
Auch das Manöverpferd hört das Signal mit Grausen, und den behaglichen Stall wehmütigen Blickes betrachtend, zitirt es seinen Schiller: „So kann ich hier nicht länger hausen.”
Eine Thräne der Wehmut wischt es sich noch mit seinem linken Hinterfuß aus dem rechten Auge und erhebt sich dann schwerfällig von seiner Lagerstatt.
Nun kommt der Herr Bursche, schüttet ihm das Futter ein und legt ihm gleichzeitig Decke und Sattel auf — der Bengel hat die Zeit verschlafen. Immer fester und fester werden die Gurte um die jungfräuliche Taille gezogen, dem armen Goldfuchs vergeht beinahe die Puste, dann wird ihm das Kopfzeug aufgemacht — die Reise kann losgehen.
Gestiefelt und gespornt, in der Hand eine Reitpeitsche, erscheint der Herr Premier.
Dem Manöverpferd ahnt nichts Gutes und Gnade bittend sinkt es in die Knie, als sein Herr sich in den Sattel schwingt und ihm gleichzeitig die Sporen giebt, damit es sich wieder aufrichtet.
„Na, die Sache kann genußreich werden,” denkt der Gaul, „o wär ich weiter und wieder erst zu Haus, ich glaube, er macht mir doch den Garaus.”
Mit klingendem Spiel rücken die Truppen aus der Garnison; schweifwedelnd geht das Manöverpferd hinten an der Queue des Regiments.
Nun wird „abgeschlagen” und die Marschformation hergestellt.
Da naht sich dem Herrn Premier ein Kamerad. „Gestatten Sie, daß ich meinen Helm einen Augenblick an Ihrem Kleiderständer aufhänge, er drückt mich so!” und ehe der Reiter es verhindern kann, hängt der Helm an den hervorstehenden Hüftknochen des herrschaftlichen Rosses.
Schallendes Gelächter der Soldaten und der Offiziersoldaten belohnt diesen schwachen Versuch, einen Witz zu machen, und das Manöverpferd ist von diesem Augenblick unten durch, mitsammt seinem Reiter wird es verlacht und verspottet, wo immer es sich sehen läßt.
Das ist das Schicksal aller Manöverpferde.
Am nächsten Morgen beginnt der Herr Premier seine Thätigkeit als Galoppin und reitet von Einem zum Anderen, um die Befehle zu überbringen.
„Na,” ruft ihm Einer zu, „wenn Sie Ihrem Gaul ein neues Kopfgestell und einen neuen Sattel gekauft haben, hätten Sie ihm auch zwei neue Vorderbeine kaufen können, so theuer sind die Dinger doch nicht.”
Mit stolzer Würde ertragen Roß und Reiter die hämischen Bemerkungen; zärtlich streicht der Herr Premier mit den Zügeln über den Hals seines Pferdes — hoppla, es hätte nicht viel gefehlt, so hätten die Beiden gelegen.
„Kannst Du nicht aufpassen, Du alter Schinder,” ruft der Lieutenant und giebt seinem Gaul die Sporen.
„Betrachte Dich als von mir mit allen vier Füßen vor den Bauch getreten,” entgegnet das Manöverpferd, natürlich nur in Gedanken, „kannst Du nicht besser aufpassen und die Zügel etwas kürzer nehmen?”
Spät am Nachmittag kommt man ins Quartier, stolz schwingt sich der Galoppin aus dem Sattel und läßt das Pferd in den Stall führen.
Eine Stunde später erscheint der Bursche, der inzwischen den Goldfuchs gewartet hat.
„Herr Lieutenant, der Gaul lahmt.”
„So'n niederträchtiges Luder,” flucht der Lieutenant — er bedient sich des häßlichen Ausdruckes, weil er sicher ist, daß ihn Niemand hört.
„So'n Satan, das thut er nur aus lauter Faulheit, was machen wir denn nur? Kann ich ihn morgen reiten?”
„Quien sabe,” würde der Knappe wahrscheinlich antworten, wenn ihm diese Redensart bekannt wäre, so sagt er: „Zu Befehl! Herr Lieutenant!”
Aber als der Herr Lieutenant am nächsten Morgen in den Stall kommt, steht das Manöverpferd auf den Hinterbeinen und streckt dem Eintretenden die Vorderbeine entgegen, gleichsam wie ein kleines Kind, das sich die Finger verbrannt hat und sie der herbeieilenden Mutter entgegenhält.
„Da ist nichts zu wollen,” stöhnt der Lieutenant, „da muß ich heute zu Fuß laufen,” und ingrimmig reißt er sich die Sporen herunter.
In der Thür dreht er sich noch einmal um und erhebt drohend seine Faust gegen sein Leibroß: „Eins will ich Dir zum Abschied aber noch sagen: wenn Du morgen früh nicht wieder gesund bist, kommst Du in die Wurst — erbarmungslos — und danach richte Dich gefälligst ein.”
Fluchend, stöhnend, schimpfend zieht der Rennstallbesitzer nun zu Fuß durch das Gelände. und wo immer er sich sehen läßt, überall tönt ihm dieselbe Frage entgegen: „Wo haben Sie denn Ihr Pferd?”
„Ich schone es.”
„Sehr verständig, sehr verständig, solch edles Roß will mit Vorsicht behandelt werden, aber sonst geht's Ihrem Kleiderständer doch gut? Wenn er übrigens ganz entzwei ist, habe ich zu Hause auf dem Boden auch noch einen alten stehen, den stelle ich Ihnen gern zur Verfügung.”
Am nächsten Morgen ist das Manöverpferd wieder so weit hergestellt, daß es geritten werden kann; die Aussicht, sonst in die Wurst zu wandern, hat es schnell wieder gesund gemacht.
Als das Wallroß — diesen Beinamen verdankt das Manöverpferd dem Umstand, daß es nicht zu bewegen ist, über einen Wall zu springen oder zu klettern — die ersten Kilometer im Galopp zurückgelegt hat, denkt es plötzlich an den heimathlichen Stall und an die schöne Streu. Er will einmal ausprobiren, wo es sich besser schläft, hier auf dem weichen Boden oder daheim auf dem Stroh, und so legt es sich denn einfach hin und streckt alle Viere von sich.
Im letzten Augenblick ist es dem Reiter gelungen, die Füße aus den Bügeln zu bekommen und abzuspringen — nun steht er und betrachtet sich sein Pferdlein, das sich vergnügt im Grase herumwälzt.
„Du bist ja eine angenehme Bekanntschaft,” flucht er, „na warte, mein Turteltäubchen, das will ich Dir gedenken.”
Mit Hilfe der Spielleute des Bataillons gelingt es ihm endlich, das Roß auf die Beine zu bringen und wieder in den Sattel zu kommen.
Nun will er es strafen und arbeitet wild auf dem Schinder hin und her.
Aber als er sich Abends die Sache überlegt, kommt er zu der Ueberzeugung, daß er sich selbst gestraft hat, denn der Gaul ist geknickt und lahmt zum Ueberfluß auch noch.
Und dabei hat das Manöverpferd fast vierhundert Mark gelostet, das ist für jedes Bein beinahe hundert Mark, das ist doch eine Masse Geld, dafür kann man doch was Gutes verlangen!
Verlangen kann man bekanntlich Viel, um nicht zu sagen Alles, aber ob man es bekommt, das ist eine andere Sache.
Ich kannte ein Manöverpferd, von dem sein Reiter verlangte, daß es über einen Graben springen sollte. Der Gaul streikte — und nicht mit Unrecht, denn der Reiter wog fast zwei Zentner und der Graben war ganz schmal und gar nicht tief. Der Reiter wollte hinüber, der Gaul aber nicht. Jeder wollte seinen Willen durchsetzen, der eine mit Sporen und Peitsche, der andere mit Bockbeinigkeit.
Als sie sich gar nicht einigen konnten, fing dem alten Gaul an, die Sache langweilig zu werden: „Wer weiß, wie lange ich noch lebe,” sprach er zu sich selber, „meine Tage sind vielleicht gezählt und da soll ich den Rest meines Daseins vor diesem elenden Wassergraben, in dem nicht einmal, obgleich er bei Köln ist, Eau de Cologne fließt, vertrauern? Daran denke ich ja gar nicht — ja, ja, mein Junge, halte Dich nur fest, Dein Wille soll Dir werden.”
Dann bockte das Manöverpferd, das eigentlich gar kein Pferd, sondern eine Kreuzung von einer Brennnessel und einem verrückt gewordenen Maikäfer war, vorne und hinten, machte einen krummen Puckel — und einen Augenblick später hatten sie beide ihren Willen, das Pferd stand diesseits, der Reiter lag jenseits des Grabens und hatte sich zum Ueberfluß jene Körperstelle arg gestoßen, ohne die es selbst dem gewandtesten Menschen nicht möglich ist, zu sitzen. Nur Circusreiter pflegen, wenn sie auf dem Pferde sitzen, zu stehen, und da der Lieutenant weiter keine Beziehung zum Circus hatte, als daß er sehr gerne mit hübschen Circusdamen im Chambre séparée soupirte, nützte ihm sein Manöverpferd fortan nichts mehr.
Und darüber freute sich Niemand mehr als das Manöverpferd, denn solch sechszehnjähriges, mit allen nur denkbaren körperlichen Gebrechen behaftetes Fohlen wandelt im Manöver nicht auf Rosen, und wer sich und sein Manöverpferd lieb hat, der läßt sich nicht von diesem edlen Roß tragen, sondern nimmt es auf den Puckel und trägt es selbst. Dann bleibt das Pferd, wenn es nicht an den Folgen der umgekehrten Weltordnung stirbt, gesund und kommt auch dahin, wohin es soll.
Und mehr kann man von einem Manöverpferd auch nicht verlangen.
(1) Zu dieser Bezeichnung „Manöveradler” siehe auch die Plaudereien „Der Manöveradler”, „Aus dem Manövertagebuch eines Lieutenants.” und „Manöverplauderei” mit den entsprechenden Fußnoten. (zurück)