Von Freiherr von Schlicht.
in: „Hagener Zeitung” vom 3.9.1897,
in: „Kieler Zeitung” vom 5.9.1897,
in: „Neue Hamburger Zeitung” vom 12.9.1897 und
in: „Excellenz kommt”.
Lieber Freund!
Deine Bitte, Dir mit wendender Post ein Lebenszeichen zu geben, kommt mir offen und ehrlich gestanden, sehr ungelegen, denn wie Du vielleicht weißt, bin ich zu einer kurzen Uebung eingezogen und habe den bequemen weißen Kragen (Halsweite 48) mit dem unbequemen rothen Kragen vertauscht. Um mich herum herrscht reges militärisches Leben und Treiben, denn, um es gleich zu sagen, wir liegen im Barackenlager und das ist, wie der Berliner sagt, gerade was Schönes. Wie solche Baracke aussieht? Du ahnst es nicht. Keine Tapete an den Wänden, kein Teppich auf dem Fußboden, keine Decke auf dem Tisch, es giebt hier überhaupt nur Sachen, die es nicht giebt. Einen Luxusgegenstand beherbergt mein Zimmer aber doch! Das ist eine Dachpfanne, die hinter meinem Bett steht, um dem die Wand heruntertriefenden Regen den Weg zu zeigen, auf dem er sich wieder dahin begeben kann, woher er kommt — ins Freie, denn von der Dachpfanne führt ein Loch in der Mauer in das große Loch der Natur.
Das Kommando: „Stillgestanden — Augen links” schallt zu mir herüber und ich höre den Feldwebel melden: „Die Kompagnie ist zum Appell angetreten.” Glücklich die Leute, die ihren Anzug schon in Ordnung haben, auch ich wäre glücklich, wenn Alle so weit wären, denn seit mehr als zwei Stunden wird unmittelbar vor meinem Fenster Zeug geklopft und die Soldateska betreibt dies Geschäft gründlicher, als ein elegantes städtisches Zimmermädchen, die mit einem dünnen Rohr das Kleidungsstück in der Linken, das Rohr in der Rechten, des Geliebten gedenkend, träumerisch dasteht und auf Verlangen jedem Fragenden zur Antwort giebt: „Ich klopfe Zeug.”
Auf dem wohl eine Quadratmeile großen Exerzierplatz, der sich unmittelbar an das Lager anschließt, üben die Spielleute und die Regimentsmusiken unermüdlich und mit einer Ausdauer, die einer besseren Sache würdig wäre. Sie thun es auch nur der Noth gehorchend, denn morgen ist der große Tag der Brigadevorstellung, da kommen die Excellenzen um zu loben, was zu loben und um zu tadeln, was zu tadeln ist.
So suche ich bei dem Lärm, der mich umgiebt und nach den Klängen des Parademarsches in der Regimentskolonne bei dem Schein der untergehenden Sonne seit einer halben Stunde vergebens nach einem stillen Fleck Erde, auf dem sitzend, ich meine Epistel an Dich beginnen könnte, aber da ich nichts finde, wird es auch mit diesem Schreiben nichts werden.
Ruhe herrscht augenblicklich nur im Offizierskasino, aber es ist die Ruhe vor dem Sturm. Noch eine halbe Stunde, dann wird „Offiziersruf” geblasen, das heißt in diesem Falle: „Kommt Kinder, das Mittagessen ist fertig.” Eilfertig kommen sie dann in hellen Schaaren herbei, um sich an Speise und Trank zu ergötzen und gar mancher Tropfen wird vertilgt und gar manches Mal währet das Essen, das eigentlich nur aus dem Trinken besteht, seine zwölf Stunden. Am nächsten Morgen steckt man den Brummschädel dann nur in das Waschgeschirr von Fayence und thut dann wieder seinen Dienst. Kommt man zurück, so hat man natürlich einen gewaltigen Brand, der gelöscht werden muß, da wird weiter getrunken. Schilt uns deswegen nicht, aber es herrscht hier die wahre Ueberschwemmung an Vergnügungsmangel. In früheren Jahren gab es hier eine weibliche Sängergesellschaft, die es verstand, durch ihren Sirenengesang eines Abends einen alten General heranzulocken. Das war traurig, denn als der General von dannen zog, sprach er: „Um anständig zu sein, ist die Sache zu unanständig und um unanständig zu sein, ist die Sache zu anständig.” Ergo — fort mit der Gesellschaft. Und seit der Stunde fehlt die holde Weiblichkeit hier ganz — nur hinter dem Buffet thront eine Jungfrau, die, wie böse Buben behaupten, früher die Amme von Noahs Kindern gewesen sein soll. Ist dies wirklich wahr, so hat sie sich auf jeden Fall gut konservirt, denn älter als neunzig Jahr hätte ich sie nicht taxirt.
So sieht's hier aus und da wirst Du es begreiflich finden, daß wir uns auf das eigentliche Manöver freuen. Schön ist es ja auch nicht, aber wer weise, wählt Wolle, und dann von zwei Uebeln das kleinere.
Ich saß neulich Abend beim Bier neben einem alten Stabsoffizier und sprach mit ihm von den bevorstehenden Tagen. Da sagte der Herr zu mir: „Es ist zu komisch, ich habe nun schon dreißig Manöver mitgemacht, aber in jedem Jahre ist es anders. Nur Eines bleibt immer dasselbe, man kann machen was man will, falsch ist es immer.” Recht hat er, und daß er Recht hat, liegt an der Lokaltaktik. Jeder greift den Feind anders an, der Eine so, der Andere so, aber recht macht der Angreifende es Keinem, weder den Vorgesetzten noch den Untergebenen. Bist Du einmal sprungweise gegen einen Feind vorgegangen, der Dir auf tausend Meter gegenüberliegt? Es wäre Dir sonst entschieden sehr bekömmlich, denn wenn man bei dreißig Grad Hitze einen Kilometer im Marsch-Marsch durch hohes Haidekraut gelaufen ist, unterwegs fast zwanzig Mal hinfiel und endlich mit dem letzten Rest seiner Lunge wie ein verrückt gewordener Sioux-Indianer mit lauten Hurrah brüllend sich auf die edlen Flaggen, die den Feind markiren, geworfen hat — wenn alle diese „Wenns” sich erfüllt haben, ist man wenigstens hundert Pfund dünner geworden und man kann seinen Rock getrost in der Taille — vorausgesetzt natürlich, daß man eine hat — fünf Zentimeter enger machen lassen. Allerdings muß man den Schneider dann anhalten, daß er die Reparatur schnell ausführt, damit man nicht in Versuchung kommt, nackt zum Dienst gehen zu müssen, denn das Gepäck, das man mitnehmen kann, ist auf ein Minimum beschränkt. Man nimmt nur das Allernothwendigste mit, einige hohe Vorgesetzte außerdem noch das „Sterbehemd”. Kennst Du nicht die reizende Geschichte? Zwei Brüder sind die Helden derselben. Der Eine bekam an demselben Tage als General den Abschied, an dem der Andere zum General befördert wurde. Sie verabredeten eine Zusammenkunft in einem Weinrestaurant. Der „a.D.” kommt zuerst, bestellt sich einen Mosel und wartet. Endlich öffnet sich die Thür und der neu ernannte General erscheint in voller Gala-Uniform. Da klemmt der Verabschiedete sein Monokle ein, sieht den Bruder prüfend an und sagt dann:„Na, Hujo, auch schon im Sterbehemde?”
So Mancher trägt das Sterbehemd ohne es zu ahnen. An einem Manövertage saß einmal ein General mit seinen Offizieren und guten Freunden beim Sekt. Der Wein floß in Strömen und der Herr General bezahlte Alles, Alles, Alles. Er feierte den ganzen Tag als Generalmajor — er erwartete stündlich seine Beförderung zur „Excellenz”, er war seiner Sache ganz sicher — ein guter Freund aus Berlin hatte ihm geschrieben, er werde mit tödtlicher Sicherheit Generallieutenant werden. Dessen freute sich der Herr Generalmajor natürlich ganz gewaltig und als dann der Postbote erschien, um ihm ein Telegramm einzuhändigen, zitterte er vor freudiger Erregung. „Meine Herren,” sprach er, „hier dieses Blatt Papier, das ich noch unentfaltet in Händen habe, bringt mir die Nchricht meiner Beförderung.”
Allgemeines Glückwünschen und Händeschütteln — aber als der Herr General das Telegramm las, wurde sein Gesicht länger und länger, obgleich die Nachricht sehr kurz und bündig war, denn sie lautete einfach: „Abschied.”
So etwas ist natürlich peinlich, aber läßt sich, wie so vieles Andere auf Erden, nicht ändern.
Die Herren Lieutenants kennen kein Sterbehemd, die durchziehen im Manöver als „Hurrah-Kanaillen” die Welt, da kann man keine Dummheiten machen, und wenn auch, wegen Dummheit hat ein Lieutenant noch nie seinen Abschied bekommen — den erhält er nur, wenn er außer Dienst Dummheiten macht. Na, und das hat er ja nicht nöthig.
Vom Hauptmann an aber kennt man das Sterbehemd und wenn die theure Gattin den Koffer für ihren Mann packt, sitzt dieser nachdenklich auf einem Stuhl dabei und notirt sich, was Alles eingepackt wird, damit ihm nichts abhanden kommt.
„Haben wir nun Alles?” fragt sie, „oder brauchst Du noch etwas? Vielleicht noch ein Hemd?”
Ihm schaudert's bei diesem Wort, solch Hemd ist oft ein scheußliches Kleidungsstück, man verwandelt sich im Manöver oft sehr schnell vom Soldaten in einen Zivilisten, während die militärischen Metamorphosen sonst sehr langsam vor sich gehen. Ein Zauberkünstler versprach einmal, einen blutjungen Lieutenant vor den Augen der Zuschauer in einen Hauptmann zu verwandeln.
Darob große Aufregung und Spannung.
Der junge Lieutenant setzte sich auf einen Stuhl und der Künstler deckte ein Tuch über ihn.
Feierliche Pause, während der der Zauberer seinen Hokuspokus machte.
„So,” sagte er endlich, „so, meine Herrschaften, wenn Sie nun die große Güte haben wollten, nach achtzehn Jahren wieder zu kommen, wird der Lieutenant sich inzwischen in einen Hauptmann verwandelt haben.”
Der Lieutenant avancirt ohne alles Verdienst und Würdigkeit — ihm bringt das Manöver keine Vor- oder Nachtheile, deshalb ist er auch der Einzige, dem der ganze Rummel „schnubbe” ist. Ihn interessiren nur die Quartiere, die seiner harren, — die Sektquartiere sind ihm natürlich die liebsten, und hätte er allein darüber zu entscheiden, so bliebe er dort liegen, bis das ganze Manöver vorüber ist. Aber leider wird kein Mensch so wenig um seine Meinung gefragt, wie der Soldat — ganz einerlei ob Muschko oder Offiziersoldat. Ein Soldat darf gar keine Meinung haben, erst recht nicht denken — Soldaten, die denken, sind überhaupt keine Soldaten.
Während ich dies schreibe, ist ein Gewitter herangezogen. Helle Blitze zucken durch das Zimmer und prasselnd fällt der Regen zur Erde. Da freue ich mich doch, daß ich in einer Baracke liege und nicht im Biwak. Nur Städter und junge Hunde unter zehn Jahren finden ein Biwak poetisch — der Mensch, der das Biwak erfand, müßte nachträglich todtgeschossen werden. Es giebt nichts Schrecklicheres, weder in Europa, Asien, Afrika, Amerika noch Australien. Amüsant ist nur „das Schnarscherzelt” — da liegen alle Diejenigen, die durch ihr Schnarchen den Schlaf der Uebrigen stören, und Töne dringen aus dem leinenen Gemach, Töne, die es unbegreiflich erscheinen lassen, daß junge Bäume, die in der Nähe stehen, noch den Muth haben, stehen zu bleiben. Ich würde an ihrer Stelle einfach „ausjehen”und mich wo anders niederlassen.
Ist Dein Wissensdrang nun befreidigt? Weißt Du nun, wie es mir geht, was ich treibe und was mir noch bevorsteht? Wenn Du bei Deinen Spaziergängen jetzt einmal bei einem Sturzacker, einem Stoppelfeld oder sonst einem besonders schönen Gelände-Abschnitt vorbei kommst, so gedenke unserer, denn wie neulich einmal ein pessimistisch veranlagter Kamerad sagte: „Die Natur ist überhaupt nur geschaffen worden, damit der Soldat in ihr manöveriren und sich die Lunge aus dem Hals laufen kann.”
Ganz so schlimm ist es nun nicht, schlimm aber ist es manchmal.
Das einzig Gute am Manöver ist der Urlaub, den man gleich hinterher nimmt, ebenso wie bei jeder Felddienstübung das Frühstück im Offizierskasino das Beste ist: dann sind auch die größten Krakehler wieder gerne Soldat.
Nun aber denke ich ist es genug für heute, wenn Du anderer Ansicht bist, bin ich sehr traurig und bitte Dich, das, was Du noch sonst gern wissen möchtest, selbst hinzuzuschreiben, dann erfährst Du wenigstens Alles, was Dich interessirt.
Und damit: Schluß.
Dein Julius.