Die Preisrätsellöserei.

Humoristische Plauderei von Frhr. v. Schlicht, Weimar.
in: Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland, Weimar, vom 20. Juli 1924

Es gab in meinem reichen, buntbewegten Leben einmal eine Zeit, ich der ich, wie man so sagt, nichts Schöneres kannte, als immer Rätsel zu raten. Wo ich nur immer in den Zeitungen und Journalen ein solches fand, stürzte ich darüber her und ich war stolz wie ein spanischer Grande, wenn ich dann wenig später in den Blättern unter der Überschrift „Richtige Lösungen sandten ein” auch meinen Namen fand. Bis ich dann eines Tages von meiner Rätsellösemanier durch ein hübsches Mädel kuriert wurde, das mir erklärte: „Deine Sorgen möchte ich haben, und wenn Du keine größeren hast als die, was bei Deinen Rätseln herauskommt, dann beweise mir endlich mal durch die Tat, daß Du mich wirklich lieb hast und schenke mir die lange Pelzjacke, die ich mir schon seit einiger Ewigkeit sehnlichst wünsche.” Das Mädel bekam die Pelzjacke, und ich gewöhnte mir das Rätselraten ab, weil ich fortan genug damit zu tun hatte, darüber nachzudenken, wie ich die Jacke bezahlen sollte.

Und nun ist auf meine alten Tage das Rätselraten doch wieder über mich gekommen, denn man kann ja heute keine Morgen-, Mittag- und Abendzeitung in die Hand nehmen, ohne daß unsere Pupillenaugen und unsere Augenpupillen über ein großes Preisrätsel stolpern. Die Rätsel als solche sind ja allerdings so leicht, daß man schon noch mehr als ganz hervorragend dumm veranlagt sein muß, um länger als eine Zehntelsekunde zu gebrauchen, bis man die Lösung gefunden hat. Weit schwieriger aber ist die Frage, was man von all den Gewinnen, die da winken, gewinnen möchte, was man an Stelle dessen, was man haben möchte, im besten oder schlimmsten Falle gewinnen wird (falls man überhaupt etwas bekommt) und wie man seinen eventuellen Gewinn am besten und am schnellsten in Rentenmark verwandelt, denn das alte Wort „Geld ist das, was man immer braucht, aber nie hat”, paßt auf unsere Rentenmark ja leider erst recht. Die hat heutzutage kein Mensch, noch mehr als früher pflegt jeder angeborgt zu werden, und wenn man heute in einer Stadt als Fremder einen Einheimischen nach dem Weg fragen will und ihn mit den Worten anspricht: „Können Sie mir vielleicht —”, dann läßt er den Fremden gar nicht erst aussprechen, sondern unterbricht ihn mit der Bemerkung: „Das tut mir sehr leid, aber ich habe tatsächlich leider nichts.”

Das einzige Mittel, heutzutage zu Geld oder zu Geldeswert zu gelangen, ist die Beteiligung an einem der zahllosen Preisrätsel und der Zufall fügte es, daß ich in den langen Monaten, die ich letzthin wieder auf Reisen war, mit verschiedenen sogenannten glücklichen Gewinnern zusammentraf. Eine mir bekannte junge, bildhübsche und unglaublich geschmeidige Tänzerin beteiligte sich an einem solchen Preisrätsel, weil als dritter Preis ein Motorrad winkte und weil ein solches schon lange ihr sehnlichster Wunsch war. Sie wollte das Rad gewinnen und sie war so fest davon überzeugt, es zu gewinnen, daß sie sich von ihrem Freund für den Motorradsport ein todschickes, nein, ein noch viel tötenschickeres Sportkostüm schenken ließ. Und die Götter erhörten auch ihr Flehen, sie bekam einen Preis, und nicht nur den dritten Hauptgewinn, sondern sogar den ersten. Aber der war kein Motorrad, sondern ein lebender Mastochse im Wert von etlichen tausend Mark. Eines Morgens stand das festlich geschmückte Tier, da das Preisrätsel von einer Firma am Ort erlassen war, vor ihrer Haustür und ich glaube, noch nie ist ein zweibeiniger Ochse so verwünscht, verflucht und beweint worden, wie dieser vierbeinige. Und die Tränen flossen dem hübschen Mädel um so reichlicher, je mehr ich ihm riet, sich in dem Sportdreß auf den Ochsen zu setzen und auf dem statt auf dem Motorrad jeden Tag einen weiten Ausflug in die hübsche Umgebung zu machen. Dann aber versiegten die Tränen doch endlich, denn das Tier war ja viel bar Geld wert, für das sie sich ein schönes Rad kaufen konnte, aber als sie es verkaufen wollte, da war der fette Mastochse gar nicht fett und auch gar kein Mast-, sondern nur ein ganz gewöhnlicher Ochse und der Preis, den man ihr bot, hatte so wenig Ähnlichkeit mit dem angeblichen Wert des Tieres, daß die kleine Tänzerin sich nicht entschließen konnte, ihn dafür fortzugeben, sondern daß sie ihn, als der Erste und damit der Programmwechsel herankam, wenn auch nicht gerade als Handgepäck, mit in ihr neues Engagement nahm, in der Hoffnung, ihn in der anderen Stadt besser verkaufen zu können. Ob ihr das gelungen ist, entzieht sich meiner Kenntnis.

Und ich lernte eine alte, unendlich liebenswürdige feine Dame, hoch in den Siebzigern, kennen, die einst sehr viel bessere Tage gesehen hatte, die sich nun durch das Leben hungerte, die alles entbehrte ohne zu klagen, die nur darunter litt, daß sie sich nicht mehr wie früher, mit ihrer gewohnten schönen teuren Seife waschen konnte. Aber in einem Preisausschreiben, an dem sie sich nur deshalb beteiligte, winkten als Gewinn 25 Stück ihrer früheren Lieblingsseife, 25 Stück, und sie konnte sich nicht einmal mehr eins kaufen. Tag und Nacht sandte sie ihre Gebete zum Himmel, daß ihr bei der Verlosung der Preise diese 25 Stück Seife zufallen möchten, die, alt und sparsam, wie sie selbst war, bis an ihr Lebensende und noch etliche Jahre darüber hinaus gereicht hätten. Aber die Götter schienen der Ansicht zu sein, daß es für sie ein Luxus wäre, wenn ihr Wunsch in Erfüllung ginge und daß es für sie gesünder sei, Sport zu treiben, damit sie noch länger auf Erden lebe und damit sie noch länger hungere, denn statt der erflehten Seife erhielt sie den vierten Hauptgewinn in Gestalt eines Ruderbootes. Wie der Ochse eines Tages vor der Haustür der kleinen Tänzerin stand, so lag dieses Ruderboot, von außerhalb als Frachtgut angekommen, eines Mittags vor der Haustür der alten Frau, es blieb da auch liegen, bis der Spediteur es endlich, natürlich gegen Bezahlung, auf Lager nahm, und händeringend lief die alte Dame in der ganzen Stadt herum und flehte jeden Menschen, der ihr nur begegnete, händeringend an, ihr ihr Ruderboot abzukaufen, so daß diejenigen, die von ihrem Gewinn nichts wußten, sie für total verrückt und übergeschnappt hielten. Bis sie dann schließlich doch eine mitleidige Seele fand, die ihr das Boot für ein Spottgeld als Brennholz abnahm.

Was kann man heutzutage nicht alles gewinnen? Sogar eine Villa fix und fertig zum Beziehen, aber was nützt mir die, wenn ich nicht das Geld habe, um sie einzurichten? Einen Bechsteinflügel, den todsicher jemand gewinnt, der ein Klavier für die schrecklichste Erfindung seit der Erschaffung der Welt hält. Einen Büstenhalter, der mit aller Wahrscheinlichkeit an eine Jungfrau fällt, die so wenig Busen hat, daß sie, wenn sie sich des Morgens wäscht, selbst nicht weiß, ob sie ein Junge oder ein Mädel ist. Und tausend andere schöne, nützliche und praktische Sachen.

Der einzige, der bei dem Preisrätsel das gewinnt, was er gewinnen und haben möchte, nämlich Geld, ist der, der das Preisrätsel ausschreibt. Und da auch ich gern Geld, viel Geld verdienen möchte, schreibe auch ich hier ein Preisrätsel aus.

Das Rätsel lautet: Wer hat die obige Plauderei geschrieben?

An der Lösung kann sich jedermann beteiligen, der an die Redaktion der Allg. Thür. Landesztg. Deutschland für die leere Brieftasche des Verfassers den Betrag von 10 Rentenmark einsendet. Höhere Beträge werden nicht zurückgeschickt.

An Preisen setze ich aus: Erster Hauptgewinn: ein zehnmaliger unentgeltlicher Spaziergang von unbegrenzter Dauer durch den Park von Weimar. Zweiter Hauptgewinn: ein ebensolcher Spaziergang durch den Park von Belvedere. Drittens: ein ebensolcher durch den Park von Tiefurt. Vierter bis tausendster Gewinn: ein unentgeltlicher Bummel durch die Schillerstraße mit freier Besichtigung des Schillerhauses von außen.

Tausendster bis hunderttausendster Gewinn: ein ebensolcher Bummel durch die Frauentorstraße mit freier Besichtigung des Goethehauses von außen.

Die obigen Preise kommen bestimmt zur Verteilung und sind bis auf weiteres in den Schaufenstern der Firma Lachs u. Schinkowitz ausgestellt.

Sollte mehr als eine richtige Lösung unter Beifügung der oben erwähnten 10 Rentenmark für den Verfasser bei der Redaktion eingehen (es kommt angesichts der ausgesetzten kostspieligen Preise viel mehr auf die Einsendung der 10 Mk. als auf die richtige Lösung an), so entscheidet über die Verteilung der Gewinne das Los, gezogen in Frack und weißer Binde von dem bekannten Notar und Rechtsanwalt Klein-Hermann.

So, und nun wünsche ich namentlich mir einen guten Erfolg dieses Preisrätselausschreibens und vertröste alle, die dabei leer ausgehen und keinen Preis erwischen sollte, auf eins der vielen anderen Preisrätsel, bei dem sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch nichts gewinnen.


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© Karlheinz Everts