Das Liebesmahl.

Ein Bild aus dem Casinoleben unserer Officiere.
Von Graf Günther Rosenhagen.
in: „Unser Hausfreund. Sonntagsblatt des Hannoverschen Courier, Nr. 119 vom 12. März 1893,
in: „Windausche Zeitung” vom 17.Okt. 1903 und
in: Militaria.
(Nicht identisch mit der Erzählung „Das Liebesmahl” aus „Der höfliche Meldereiter” und „Das Kasernengespenst”.)


„Meine Herren, ich überlasse es vollständig Ihnen, ob wir auch in diesem Jahre den Ehren- und Schlachtentag des Regiments in althergebrachter Weise durch ein groß;es Liebesmahl feiern, oder ob wir uns auf ein einfaches, gemeinsames Mittagessen beschränken wollen. Ich weiß, Sie haben im letzten Monat große Gehaltsabzüge gehabt, drei unserer Cameraden haben geheirathet, zu den Geschenken dafür kommen die Unkosten für das vorjährige Jubiläum, auch die Theaterbillets sind wieder theuerer geworden, also was thun? Wer dafür ist, daß wir trotzdem das Fest wie immer begehen, der hebe den rechten Arm hoch.” — So spricht der Regiments­commandeur bei der Versammlung zu seinen Officieren.

Alle strecken den Arm in die Höhe, im Hintergrunde erheben Einige sogar beide, damit auf jeden Fall Stimmenmehrheit erfolge; nur ein Einziger bohrt krampfhaft die Hände in die Paletottasche. er möchte so gern mitmachen, aber neulich hat ihm sein Onkel, wie stets zum unwiderruflich letzten Mal, seine Schulden bezahlt, er hat sich fest vorgenommen, sich zu bessern und zu beweisen, daß er solid sein könne. Seit acht Tagen wartet er schon sehnlich auf eine Gelegenheit, den Cameraden die Umwandlung, die in seinem Innern vorgegangen ist, zu zeigen, jetzt ist sie gekommen, aber lachend wird er überstimmt. Ja, es wird den Menschen manchmal recht schwer gemacht, die guten Vorsätze auszuführen.

„Also abgemacht, meine Herren, welche Stunde wollen wir festsetzen? Um fünf Uhr? Lieber um sechs? Gut, ganz wie Sie wollen. Gäste sind natürlich von Herzen willkommen, je mehr, desto erfreulicher für uns.”

Eine allgemeine Verbeugung, dann ist die Unterredung beendet und Jeder geht mit sich zu Rathe, wen er von den Vielen, denen gegenüber er Verpflichtungen hat, einladen soll.

Der Abend ist herangekommen. Eine Viertelstunde vor der festgesetzten Zeit fangen die Räume des Casinos an, sich zu füllen. Officiere jeglicher Waffengattungen, Herren der Linie und der Reserve, Civilisten, Herren der Regierung und des Gelehrtenstandes bewegen sich in lautem Durcheinander. Aber man sieht erwartungsvoll nach der Thür: Seine Excellenz, der commandirende Herr General hat sein Kommen zugesagt, und bevor Seine Excellenz nicht da ist, darf natürlich nicht abgelegt werden, d. h. Säbel und Mütze nicht in die Ecke gestellt werden. Vor dem Casino hält ein Wagen. „Aha, jetzt,” aber nein, es ist nur der „Oberstlieutenant” Brauer, ein Großkaufmann, der fast nur mit dem Officiercorps verkehrt und diesem Umstande seine militärische Anrede zu verdanken hat; Soldat ist er nie gewesen. Vor zwei Jahren war er noch Hauptmann zweiter Klasse, jetzt ist er bald zum Obersten dran, und jedes Avancement feiert er durch ein solennes Diner, zu dem er seine „Regimentscameraden” einladet.

Aber jetzt! Die hohe, stattliche Gestalt des Commandirenden ist im Saal erschienen, er begrüßt die älteren Herren und entledigt sich sodann seines Säbels. Jeder eilt, so schnell er kann, in die Garderobe, und gleich darauf ertönen die Klänge der Regimentsmusik aus dem Speisesaal, den die Herren Arm in Arm betreten und der von Hunderten von Kerzen erhellt ist. An der einen Wand hängen die lebensgroßen Bilder unserer drei Kaiser, ein Geschenk der Stadt, gleich links neben der Thür das Schlachtenbild, das den Kampf und das Gefecht, welches heute gefeiert werden soll, darstellt. An der gegenüberstehenden Wand befindet sich ein großes eichengeschnitztes Büffet mit einer herrlichen Marmorplatte und schöner Malerei. Die letzte Wand endlich zieren französische Waffen und Musikinstrumente, die das Regiment im Kriege erobert.

Die große Tafel ist in Hufeisenform gedeckt, köstlicher Blumenschmuck prangt in den großen Tafelaufsätzen, und was immer das Casino an werthvollen Geschenken besitzt, ist aufgestellt, um das Auge zu erfreuen. Es ist wie in jeglicher Familie. Wie dort die Hausfrau ds Beste heraussucht, wenn die Gäste kommen, so thut es hier die Casino-Commission.

Endlich sitzen Alle an der Tafel. Der Tischdirector hat bei jedem Gedeck eine Karte hingelegt; nach seiner Meinung ist es für Jeden nur eine Kleinigkeit, seinen Platz zu finden, aber es kommen doch immer wieder Verschiebungen vor. Der hat sich mit Dem verabredet, Dieser mit Jenem, und es dauert geraume Zeit, bis alle Wünsche erfüllt sind.

Gleich nach der Suppe erhebt sich der Commandirende und bringt in kurzer, zu Herzen gehender Rede das Hoch auf Se. Majestät aus. Stehend wird die Nationalhymne angehört, und wenn der letzte Ton verklungen ist, setzt Jeder sein Glas an die Lippen und leert es bis auf den Grund.

Bald darauf erhebt sich der Regimentscommandeur; er dankt den zahlreichen Gästen für ihr Erscheinen, weist auf die Bedeutung des Tages hin, zeigt auf das Schlachtenbild, das besser und schöner, als alle Worte es vermögen, uns die Thaten der gefallenen Helden vor Augen führt, und bittet die Gläser zu leeren: „Den Gefallenen zur Erinnerung, den Lebenden zur Nacheiferung!” Nur wenige der Tapferen, die an dem Gefecht theilgenommen, sind noch im Regiment, aber von Nah und Fern sind sie herbeigeeilt, und wer am Kommen verhindert ist, der schickt telegraphisch seinen Gruß und die Versicherung treuen Gedenkens.

Und immer fröhlicher wird die Stimmung, immer lauter und lebhafter die Unterhaltung, immer zahlreicher werden die Scherzworte, die von Tisch zu Tisch fliegen.

Noch einmal ergreift der Commandeur das Wort. Er weist darauf hin, daß dieser Tag der Freude auch nicht frei sei von allem Schmerz. Zwei Kameraden weilen zum letzten Mal in dem ihnen liebgewordenen Kreise; des Kaisers und Königs Wille hat sie zu einem andern Truppentheil versetzt. Der Soldat hat keinen festen Wohnsitz hier auf Erden, er ist bald hier, bald dort, aber wo er auch immer hinkommt! Eins ist überall dasselbe und macht, daß er sich bald auch an dem neuen Ort wohlfühlt — die Kameradschaft. — Den Scheidenden wird das übliche Abschieds­geschenk überreicht, ein silberner Sectbecher mit der Mahnung: „Bist Du fröhlich, so leer' ihn einmal, bist Du traurig, so leer' ihn zweimal, bist Du krank, so leer' ihn dreimal.”

Das Liebesmahl nähert sich seinem Ende, man merkt es auch an der Tafelmusik, die zuerst Wagner spielte und jetzt, wo das Verständniß für ihn doch schon etwas nachgelassen hat, nur noch Märsche und Tänze ertönen läßt.

Aber noch einmal, zum letzten Mal, wird an das Glas geschlagen, und von allen Seiten kommt der Ruf: „Achtung, aufpassen!”

Der Regimentsadjutant verläßt seinen Platz und tritt vor seinen Commandeur. In seiner Rechten hält er einen großen silbernen Becher, auf der Außenseite geziert mit einem eisernen Kreuz und einer Inschrift, die sich auf den Ehrentag des Regiments bezieht. Nur einmal, an dem Jahrestag der Schlacht, wird er hervorgeholt und bis oben mit perlendem Champagner gefüllt, und der Adjutant muß ihn leeren bis auf den Grund, ohne abzusetzen und ohne zu „bluten”.

Heute ist man besonders neugierig. Der Adjutant soll zum ersten Mal seine Kunst beweisen, Aller Augen sind auf ihn gerichtet. Es ist nicht leicht, eine ganze Flasche Sect auf einmal auszutrinken; noch einmal holt er tief Athem und schaut hinein in die gurgelnde Tiefe. Dann setzt er an und thut einen langen, langen, bedächtigen Zug, feierliche Stille herrscht ringsherum, keiner wagt sich zu rühren: da hat er auch schon abgesetzt und den Pokal umgekehrt — nur ein einsamer Tropfen fließt heraus, „ein letzter Tropfen edlen Blutes”.

Nun werden die Cigarren herumgereicht und gleich darauf ist die Tafel aufgehoben. Man geht in die Nebenzimmer, während ein Heer von Ordonnanzen die Tische abdeckt und den Saal zum Tanzen ausräumt. Kaum ist dies geschehen, als die Musik auch schon einen Walzer spielt und gleich darauf hat sich Alles umfaßt. Da tanzt der gestrenge Regiments­commandeur mit dem Lieutenant, den er am Morgen dienstlich gerissen, und beweist damit, daß für ihn die Angelegenheit damit erledigt ist; dort tanzt der Fähnrich mit einem alten Officier, da kennt man keine Rangordnung, bei dem Liebesmahl sind sich Alle gleich.

Aber es gilt auch noch Pflichten der Höflichkeit und Hochachtung zu erfüllen, und dazu gehört „das Heben”. Zunächst kommt der frühere Regiments­commandeur an die Reihe. Er sitzt mit einigen anderen Herren im Nebenzimmer auf dem Sopha; wie seiner habhaft werden?

„Herr General, eine Ordonnanz wartet draußen.”

„Auf mich?”

Erstaunt hat er sich erhoben und der Thür genähert. Da packen ihn auch schon zwanzig kräftige Fäuste, heben ihn hoch hinauf auf die Schultern und tragen ihn unter den Klängen eines flotten Marsches durch den Saal. Je mehr Ehren dem Betreffenden erwiesen werden sollen, desto länger wird er herumgetragen.

Nun sind Sie alle gehoben worden, jetzt kommt die letzte Nummer des Programms: „der Parademarsch vor den scheidenden Cameraden”. Die Regimenstmusik, die bis dahin oben auf der Galerie gespielt hat, rückt in den Saal und nimmt darin Aufstellung. Hinter ihr treten die Officiere in Sectionscolonne an, der älteste Lieutenant steigt auf die Schultern eines Jüngeren und kennzeichnet so den Commandeur, ihm zur Seite reitet der Adjutant; dann kommt das Commando: „Bataillon — marsch!” Die Musik spielt den „Parademarsch in der Regimentskolonne”, und mit „Augen rechts” marschiren die Officiere an ihren scheidenden Freunden vorbei. Es ist die letzte militärische Huldigung, die sie ihnen bringen können. Jetzt erschallt der Ruf: „Zur Kritik”, und man eilt herbei, um den Dank für die erwiesene Ehrenbezeugung entgegenzunehmen.

Ordonnanzen bringen die vorhin bei Seite geräumten Tische wieder herein, und man vereinigt sich bei dem echten Münchener. Eine Stunde verrinnt nach der anden, aber seßhaft, wie die alten Germanen, halten sie aus auf dem Platz, den sie eingenommen haben, bis auch der Durstigste keinen Durst mehr verspürt und einen Blick auf die Uhr lehrt, daß man sich beeilen muß, wenn man noch ein wenig vor Beginn des Dienstes schlafen will . . .

Mit mehr oder weniger verstörten Zügen begrüßen sich die Officiere einige Stunden später bei dem Rekrutenexercieren; sie fragen sich nicht, wie es bekommen ist, auch nicht, wie sie sich unterhalten haben, ein Jeder sieht es dem Andern an, daß er seine Schuldigkeit gethan hat:

„Den Gefallenen zur Erinnerung, den Lebenden zur Nacheiferung.”


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