Wie Leutnant Müller Urlaub bekam.

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Kaisermanöver”


Leutnant Müller führte im Regiment den Beinamen „der Urlaubsmüller”. Man kannte es gar nicht anders, als daß er immer beurlaubt war, und wenn er doch einmal auf dem Kasernenhof auftauchte oder vorübergehend im Kasino erschien, dann war er entweder gerade vom Urlaub zurückgekommen, oder er stand gerade im Begriff, auf Urlaub zu gehen. Selbst die ältesten Hauptleute, die beim Militär die mit Recht so beliebten ältesten Leute ersetzen, konnten sich nicht erinnern, jemals von einem Leutnant gehört zu haben, der so andauernd beurlaubt war, wie Leutnant Müller.

Leutnant Müller war fortwährend beurlaubt, und da er infolgedessen nur sehr selten Dienst tat, und da sich ihm dadurch kaum jemals Gelegenheit bot, dienstlich eine Dummheit zu begehen, erfreute sich bei den Vorgesetzten großer Beliebtheit und stand in dem Ruf, ein sehr tüchtiger und befähigter Offizier zu sein.

Da geschah es, daß das Regiment plötzlich einen neuen Kommandeur erhielt, der über alles, was Urlaub hieß, ganz wesentlich anders dachte, als sein Vorgänger. Das hörte man schon in den ersten Tagen aus dem Munde des neuen Obersten heraus, und voller Schrecken kam Leutnant Müller zu der Erkenntnis, daß kein Wort des seligen Schiller so wahr sei, wie der Ausspruch: „Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende.”

Aber die sollten und durften für ihn nicht vorbei sein, jetzt weniger denn je, denn deshalb hatte er vor kurzem bei dem letzten Rennen in Karlshorst doch nicht die Bekanntschaft der wirklich sündhaft schönen Blondine gemacht, um diese schon jetzt für immer wieder abbrechen zu sollen. Gewiß, allzulange dürfen solche Bekanntschaften auch nicht dauern, aber noch war er verliebt, und wenn diese Verliebtheit einmal zu Ende war, würde er sich schon wieder in eine andere verlieben, denn er war jung, kaum sechsundzwanzig Jahre. Das ganze schöne Leben lag noch vor ihm, das wollte er, wenigstens vorläufig noch, in vollen Zügen genießen. dazu aber gehörte in erster Linie, daß er nach wie vor Urlaub bekam. Und um den nicht nur jetzt, sondern auch stets in Zukunft zu erhalten, hieß es schlau sein, wie die Schlange im Paradies. Und eins stand von Anfang an für ihn fest, wollte der Kommandeur ihn irgendwie hineinlegen, dann legte er ihn erst recht hinein.

Und mit der ausgesprochenen Absicht, dem Leutnant Müller für die nächsten drei Jahre jeden Urlaubsgedanken zu nehmen, berief der Herr Oberst eines Mittags eine Offiziers­versammlung und hielt dort eine sehr schöne Rede über alles, was Urlaub hieß. Er ließ von Anfang an keine Zweifel darüber aufkommen, wie die Rede enden würde, und so las er denn während des Sprechens aufmerksam in den Mienen seiner Offiziere, aber am aufmerksamsten in denen des Leutnant Müller. Der mochte ahnen, was ihm bevorstand, denn jedesmal, wenn der Oberst nur das Wort „Urlaub” nannte machte er ein ganz entsetztes Gesicht, als wenn er sagen wollte: „Um Gottes willen, er denkt doch nicht etwa daran, mir den für die Zukunft abzuknöpfen?”

„Warte es nur ab,” dachte der Oberst, „es kommt noch ganz anders, und wenn du jetzt schon ein derartiges Gesicht aufsteckst, dann bin ich nur neugierig, wie du nachher aussehen wirst. Darauf freue ich mich jetzt schon.”

Und so schloß er denn seine Rede mit den Worten: „Solange ich die Ehre habe, das Regiment zu führen, gebe ich nur dann Urlaub, wenn es unbedingt sein muß, auch da nur in den allerseltensten Fällen, und auch dann nur an solche Herren Offiziere, die in den letzten Jahren wenig oder gar nicht fort waren, während auf der anderen Seite diejenigen Herren, die sich bisher eigentlich fortwährend auf Urlaub befanden, wenigstens in den nächsten drei Jahren nicht darauf rechnen können, auch nur einen Tag beurlaubt zu werden.” Und mit erhobener Stimme wiederholte er noch einmal: „Nicht einen einzigen Tag.”

„Wenn Leutnant Müller jetzt vor Entsetzen einen Herzschlag bekommt und sofort tot umfällt, sollte es mich eigentlich nicht wundern,” sagte sich der Kommandeur im stillen, aber als er dann seinen Untergebenen daraufhin ansah, dachte der nicht daran, umzufallen. Im Gegenteil, der stand da, als sei ihm ein grenzenloses Glück widerfahren. Sein Gesicht strahlte wie eitel Sonnenschein, seine Augen leuchteten förmlich vor Verzückung, um seinen Mund spielte ein glückseliges Lächeln, und schmunzelnd rieb er sich die Hände.

„Nanu,” sagte sich der Oberst, „das kann doch unmöglich mit rechten Dingen zugehen?” Und so fragte er denn jetzt: „Herr Leutnant Müller, Sie haben mich doch verstanden, Sie hörten doch, was ich sagte, daß es speziell für Sie in den nächsten drei Jahren keinen Urlaub mehr gibt.”

„Zu Befehl, Herr Oberst,” lautete die Antwort, und das hörte sich beinahe so an, als wenn Leutnant Müller vor lauter Freude Hurra gerufen hätte.

Der Oberst war wütend. Er hatte sich so darauf gefreut, seinem Leutnant die Laune gründlich zu verderben, und statt dessen verdarb der sie ihm. Warum hatte er da erst die ganze Rede gehalten, wenn sie vollständig ihren Zweck verfehlte, wenn sie den Leutnant Müller nicht nur nicht zu Boden schmetterte, sondern den geradezu in freudige Ekstase versetzte? Und warum hatte er dem Leutnant Müller jeglichen Urlaub abgeknipst, wenn der sich darüber freute, keinen Urlaub mehr zu erhalten? Und warum war er denn früher so viel auf Urlaub gefahren, wenn ihm das Reisen gar keinen Spaß machte?

Das alles mußte der Oberst wissen, das ließ ihm keine Ruhe, und so nahm er sich denn seinen Adjutanten vor, als er die übrigen Offiziere entlassen hatte: „Hören Sie mal, Bennwitz, ich habe einen delikaten Auftrag für Sie. Heute nachmittag im Kasino werden Sie sich den Leutnant Müller unter irgend einem Vorwande auf verschiedene Flaschen Sekt einladen, selbstverständlich auf meine Kosten. Sie haben sicher auch das Gesicht bemrkt, mit dem Müller meine Rede aufnahm. Ich will wissen, warum er das tat. Mir selbst würde er nicht die Wahrheit eingestehen, Sie müssen ihn darüber aushorchen und mir dann genauen Bericht erstatten. Selbstverständlich betrachte ich das, was Sie mir zu erzählen haben, als streng vertraulich und werde gegen den Leutnant Müller niemals davon Gebrauch machen.”

So lud sich denn der Regimentsadjutant den Urlaubsmüller auf Kosten des Herrn Oberst am Nachmittag im Kasino auf verschiedene Flaschen Sekt ein, um auf diplomatischem Wege in Erfahrung zu bringen, was der Herr Oberst zu wissen wünschte. Allzuviel war das ja gerade nicht, aber selbst dieses wenige behielt Müller für sich, und so konnte der Adjutant dem Herrn Oberst als einziges positives Ergebnis der langen Sitzung eigentlich nur berichten, daß er schwer Kopfweh habe, und daß es Leutnant Müller wahrscheinlich auch nicht viel besser ginge.

„Wenn Sie weiter nichts zu erzählen haben,” brauste der Oberst auf, „dann hätten wir uns die gestrige Kneiperei ersparen können.”

Der Oberst war wirklich ärgerlich, er hatte sich so darauf gefreut, hinter die geheimsten Gedanken seines Untergebenen zu kommen, er hatte sich das sogar bar Geld kosten lassen, und nun sollte das alles umsonst gewesen sein? Das wollte ihm absolut nicht in den Sinn, und so meinte er denn jetzt: „Wenn Leutnant Müller, um sich nicht zu verraten, mit seinen Äußerungen ja auch sehr vorsichtig gewesen sei mag, etwas wird er doch wohl gesagt haben, und sicher hat er doch auch auf mich geschimpft?”

„Sogar sehr, Herr Oberst,” pflichtete ihm der Adjutant bei.

Der Kommandeur machte ein freudestrahlendes Gesicht: „Sehen Sie wohl, Bennwitz, da kommt seine wahre Natur zum Durchbruch. Sein Schimpfen war weiter nichts, als sein Ärger darüber, daß er fortan keinen Urlaub mehr erhält.”

Aber der Adjutant widersprach: „Doch nicht, Herr Oberst, Müller erklärte mir: in bezug auf die Urlaubs­verweigerung wäre der Herr Oberst der idealste Vorgesetzte, den er sich denken könne, aber sonst . . . .”

Mitten im Satze hielt der Adjutant inne und warf dem Kommandeur einen Blick zu, der da bat: „Verlange nicht von mir, daß ich weiter rede.”

Aber der Oberst war neugierig geworden. Wollte er überhaupt aus seinem Untergebenen klug werden, dann mußte er auch alles wissen, was der gesagt hatte, und so meinte er denn jetzt: „Sprechen Sie nur ruhig weiter, so schlimm wird es wohl schon nicht gewesen sein, was Müller äußerte.”

&bdquo,Hast du 'ne Ahnung,” dachte der Adjutant im stillen, dann fuhr er fort: „Wie der Herr Oberst befehlen. Und da möchte ich zunächst nochmals wiederholen, daß Leutnant Müller sagte, in bezug auf dieUrlaubs­verweigerung wäre der Herr Oberst das Ideal eines Vorgesetzten, aber sonst .  . nein, ich weiß doch nicht, Herr Oberst, ob ich alles sagen kann, und erst recht nicht, wie ich es sagen soll . . . Leutnant Müller meinte: im übrigen sei ihm ein solches hm—hm—hm—hm von Regiments­kommandeur denn doch nicht vorgekommen.”

„Hm, hm,” machte der Herr Oberst jetzt, als der Adjutant schwieg und sich die Stirn trocknete. Dem war heiß geworden bei diesem Geständnis und dem Herrn Oberst auch. Allzu angenehm war es ihm nicht, was er da zu hören bekam, denn ein Lob bedeutete dieses verfache Hm nicht, ganz gewiß nicht. Also eine Beleidigung oder ein Schimpfwort, noch dazu ein viersilbiges, wie konnte das heißen? Er ging im Geiste das ganze Repertoire durch, mit dem er früher seine Vorgesetzten belegt hatte, wenn er als junger Leutnant auf diese schlecht zu sprechen gewesen war. Mit A, Affe, fing es an, mit Z, Zulukaffer, hörte es auf, aber das Wort war männlich, Müller aber hatte es als Neutrum gebraucht, denn der hatte erklärt, ein solches — von einem Regiments­kommandeur sei ihm denn doch noch nicht vorgekommen.

Und dieses Neutrum enthielt vier Silben, während das Wort Rindsvieh — —

Der Oberst ballte unwillkürlich die Fäuste. Sollte Leutnant Müller es gewagt haben, in einem solchen Ausdruck über ihn, den Herrn Oberst, zu sprechen, noch dazu, während er Sekt trank, den der Herr Oberst bezahlte?

Bis dem Kommandeur dann klar wurde, daß der Untergebene ja noch ein viel stärkeres Wort gebraucht haben mußte. Ein viersilbiges! Und da er selbst einmal Leutnant gewesen war und auf seine Vorgesetzten geschimpft hatte, wußte er plötzlich auch, wie das Wort hieß: Riesenrindsvieh!

Gleich darauf schlug der Oberst mit der Faust derartig auf den Tisch, daß der Adjutant vor Schrecken beinahe vom Stuhl fiel, dann aber brauste er auf: „Das hat Leutnant Müller gesagt? Er hat es gewagt, in solchen Ausdrücken . . . . . . das ist unerhört, dafür gibt es überhaupt keine Entschuldigung, nicht einmal die sinnloser Trunkenheit, denn nicht wahr, Leutnant Müller war doch sinnlos betrunken, als er diese Äußerung machte?”

Dem Adjutanten wurde es schwer, die Wahrheit zu sagen, aber es mußte sein, und so meinte er denn: „Leutnant Müller war in dem Augenblick noch vollständig nüchtern.”

Auch das noch!

Wie ein gereizter Tiger ging der Herr Oberst mit großen Schritten im Bureau auf und ab. Wie kam sein Leutnant dazu, ein solches Urteil über ihn zu fällen? Der Herr Oberst fühlte sich in seiner Würde und Eitelkeit verletzt. Gewiß, wie seine Untergebenen über ihn dachten, war ihm so gleichgültig wie nur irgend möglich, aber er durfte es nur nicht wissen, wie die über ihn dachten. Am liebsten hätte er Leutnant Müller sofort in Arrest geschickt, aber das durfte er nicht. Er selbst hatte ihn aushorchen lassen, hatte außerdem dem Adjutanten erklärt, er würde das, was er zu hören bekäme, niemals gegen Leutnant Müller verraten und ausnützen. Er hatte in der Hinsicht sein Wort verpfändet, nun mußte er auch tun, als wenn er tatsächlich nichts wüßte.

Aber wenn er nun daran dachte, daß er dem Leutnant ganz ruhig gegenübertreten solle, nein, das konnte er denn doch nicht. Er war doch auch nur ein Mensch, in dessen Adern Blut floß. Heute durfte er dem auf keinen Fall gegenübertreten, und morgen — — — war Feld­dienst­übung im Regiment. Hinterher mußte er, der Herr Oberst, eine Kritik abhalten, und wenn er dann den Müller im Kreise der Offiziere dastehen sah und sich bei dessen Anblick fortwährend sagen mußte: „Der denkt nun sicher wieder im stillen: ein solches Riesenrindsvieh von einem Oberst ist mir denn doch noch nicht vorgekommen — —” nein, das konnte er nicht, da mußte er ja dem Leutnant aus irgend einem Grunde saugrob werden, und das durfte er nicht einmal.

Warum war er aber auch nur so neugierig gewesen, alles wissen zu wollen, was Müller über ihn gesagt hatte?

Der Schuldige war er selbst. Er ganz allein, aber trotzdem oder gerade deshalb sagte er plötzlich: „Ich habe es mir eben überlegt, Bennwitz, dieser Müller ist gar nicht so dumm, wie andere Leute zuweilen aussehen. Wenn er Ihnen erklärte, ich wäre in bezug auf den Urlaub das Ideal eines Vorgesetzten, aber sonst nicht, dann ist das ein Köder, den er mir hinwarf, und auf den ich anbeißen soll. Aber da irrt er sich sehr, so schlau wie der bin ich noch alle Tage, und ich werde ihm beweisen, daß ich ihn durchschaue. Sobald er seinen Urlaub in der Tasche hat, wird es mit seiner Gleichgültigkeit vorüber sein, dann wird er seine wahre Natur verraten, sich vor Freuden nicht zu lassen wissen. Aber das nicht allein. Wenn er den Urlaub erst hat, wird er auch seine Behauptung, ich wäre ein vierfaches hm — hm — hm — hm — zurücknehmen, dann wird er erklären, ich wäre in jeder Hinsicht das Ideal eines Vorgesetzten. Dann wird er über mich ganz anders urteilen als gestern, und das muß er auch, denn solange er so über mich denkt, wie jetzt, kann ich den Menschen nicht sehen. Er muß anders über mich urteilen, und je eher er das tut, umso besser für ihn und für mich. Und darum und deshalb wird Müller heute einen achttägigen Urlaub nach Berlin erhalten. Sie, lieber Bennwitz, müssen ihm einreden, er hätte Sie gestern in seiner Bezechtheit darum gebeten, ihm bei mir einen Urlaub auszuwirken, und ich hätte diesen Urlaub auch bewilligt, weil ich mich den von ihm angeführten Gründen nicht zu verschließen vermöchte. Wie Sie ihm das beibringen, ist Ihre Sache, auf jeden Fall haften Sie mir dafür, daß Müller sich bereit erklärt, auf Urlaub zu fahren, und wenn er angeblich kein Geld hat, soll er sich mit meiner Einwilligung bei dem Zahlmeister einen Vorschuß geben lassen. Es wäre mir lieb, wenn Sie ihn jetzt gleich in seiner Wohnung aufsuchten und alles mit ihm besprächen. Er wohnt ja nur weinige Minuten entfernt, so daß Sie schnell wieder zurück sein können. Und dann noch eins, und zwar die Hauptsache. Versuchen Sie unter allen Umständen in Erfahrung zu bringen, mit welchem Zug Leutnant Müller abfährt, aber ergründen Sie das so diplomatisch, wie nur möglich, damit er nicht etwa auf den Gedanken kommt, ich interessiere mich dafür, welchen Zug er benutzen will, wie das tatsächlich der Fall ist.”

Gleich darauf machte sich der Adjutant auf den Weg, aber Leutnant Müller, der noch schlauer war, als der Oberst vermutete, und gestern seine Trunkenheit nur markiert hatte, um völlige Redefreiheit zu genießen, dachte gar nicht daran, ein freudestrahlendes Gesicht zu machen, als der Adjutant ihm die Botschaft des Herr Oberst überbrachte, sondern er wurde im Gegenteil fuchsteufelswild: „Was reden Sie da, Bennwitz? Ich hätte Sie gestern gebeten, Urlaub für mich auszuwirken? Ich denke ja gar nicht daran. Das haben Sie sich in Ihrer Bezechtheit lediglich eingebildet. Und was soll ich denn in Berlin? Bummeln? Du großer Gott, das Geschäft kenne ich zur Genüge, und außerdem habe ich kein Geld.”

„Aber warum haben Sie mich denn da erst gebeten, Urlaub für Sie auszuwirken?” fragte der Adjutant. „Ob Sie sich dessen noch entsinnen oder nicht, das ist ganz gleichgültig, darum gebeten haben Sie mich auf alle Fälle.”

Leutnant Müller sah den Adjutanten so verschmitzt an, daß der Mühe hatte, sich nicht zu verraten, dann meinte er endlich: „Schön, Bennwitz, wenn Sie das denn mit aller Bestimmtheit behaupten, muß ich natürlich annehmen, daß ich mich irre, und demgemäß auch reisen. Aber ich stelle dabei meine Bedingungen. Zunächst erhalte ich aus dem Offiziers­unterstützungs­fonds ein bares Darlehen von dreihundert Mark auf Nimmerwiedersehen. Und ferner erhalte ich in Zukunft, so oft ich darum bitte, jederzeit Urlaub. Gebt Ihr mir den nicht, dann beschwere ich mich, und dann, lieber Bennwitz, müssen Sie beschwören, daß ich dieses Mal nur deshalb Urlaub erhielt, weil ich Sie gestern Abend um Ihre Vermittlung bat.” Und als er das entsetzte Gesicht des Adjutanten bemerkte, fuhr er fort: „Na, weinen Sie nur nicht, Bennwitz, heute brauchen Sie den Meineid ja noch nicht zu leisten, denn daß ich Sie tatsächlich nicht um Urlaub bat, wissen Sie genau so gut wie ich. Melden Sie das bitte dem Herrn Oberst, und sagen Sie ihm auch, ich führe morgen früh mit dem D-Zug sieben Uhr zwanzig, aber er brauche sich meinetwegen nicht erst auf die Bahn zu bemühen, denn, wenn er glaubt, daß ich morgen bei der Abreise ein quietschvergnügtes Gesicht mache, damit er mir im letzten Augenblick zurufen kann: „Graf Isolani, Ihr seid erkannt, Ihr habt Euch eben verraten, nun sehe ich, daß Ihr Euch doch über den Urlaub freut, und deshalb entziehe ich Euch jetzt denselben wieder und bitte Euch, nicht nach Berlin zu fahren, sondern auf den Kasernenhof zu gehen und dort Dienst abzuhalten, nein, lieber Bennwitz, so dumm bin ich denn doch nicht, und so schlau wie der Oberst bin ich noch alle Tage, und wenn der etwa glaubt, ich hielte mein gestriges Urteil über ihn nicht mehr aufrecht, lediglich, weil er mir Urlaub gegeben hat, dann sagen Sie ihm bitte, er irre sich in dem Punkte ganz gewaltig, und nun lassen Sie ihn nicht länger warten, er wird ohnehin schon ungeduldig sein.”

Das war auch tatsächlich der Fall, und als der Herr Oberst dann den Verlauf der Unterhaltung erfahren hatte, fluchte und tobte er wie wild. So etwas von Unverfrorenheit, wie dieser Leutnant Müller, war ihm denn doch noch nicht vorgekommen.

Aber die bodenloseste Unverschämtheit bestand doch darin, daß er, der Leutnant Müller, ihn, den Oberst, wirklich durchschaut und ihm damit nicht nur die Möglichkeit genommen hatte, ihm morgen auf dem Bahnhof noch im letzten Moment den nur zum Schein erteilten Urlaub wieder abzuknöpfen, sondern daß der ihn trotz des erteilten Urlaubs nach wie vor für ein Riesenrindsvieh hielt!


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