am Mittwoch, 21. März 1900 im Schriftsteller- und Journalisten-Verein zu Kiel
„Kieler Zeitung” vom 20. - 22.3.1900
„Kieler Zeitung” vom 20.3.1900:
Freiherr von Schlicht, der am Mittwoch Abend hierselbst eine Vorlesung aus seinen Werken halten wird, hat am 12.März in der Literarischen Gesellschaft zu Dresden einen ähnlichen Vortrag mit großem Erfolge gehalten. Der „Dresdener Anzeiger” schrieb darüber, die Humoresken des Freiherrn von Schlicht seien Perlen des köstlichsten Humors, mit witzigen Pointen endend und in die lustigste Stimmung versetzend. Das Haus war überfüllt, es wurde viel gelacht und der Beifall blieb nicht aus. Ueber den Beginn seiner Schriftstellerthätigkeit auf dem Gebiet der Militärhumoresken erzählt unser Landsmann Graf Baudissin, der sich bekanntlich unter dem Pseudonym Freiherr von Schlicht verbirgt, in launiger Weise: „Eines Tages fühlte ich mich veranlaßt, die deutsche Literatur dadurch zu bereichern, daß ich den Versuch machte, ein neues militärisches Genre zu schaffen. Ich schrieb den „Zugführer”, der im „Kleinen Journal” Aufnahme fand und, wie ich aus sicherster Quelle weiß, sogar unserem Kaiser Vergnügen bereitete. — Als zweites derartiges Feuilleton schrieb ich die „Kompagnie-Vorstellung”. Sie wurde gedruckt, und eines Sonntags Mittag komme ich in das Kasino; mir gegenüber sitzt ein Hauptmann, und auf einmal sagt er zu mir: „Hören Sie 'mal, Baudissin, mir ist da eine Geschichte „Die Kompagnie-Vorstellung” zugeschickt worden, die müssen Sie lesen. ich habe meine sämmtlichen Schreiber angestellt und lasse das Ding abschreiben, um es an Freunde und gute Bekannte schicken zu können!” — Mir ahnte nichts Gutes; aber um jeden Verdacht der Thäterschaft von mir abzulenken, (denn daß ich mit der Tinte sündigte, ahnte man, wenn man auch keine Beweise dafür hatte), sagte ich: „Nicht wahr, das ist die Geschichte, in der sich ein Hauptmann das Genick bricht?” (In Wirklichkeit besteht die ganze Pointe darin, daß er sich dieses Genick nicht bricht.) — Mein dummes Gesicht fand Glauben, man hielt mich für unschuldig; die Geschichte wurde aus der Kompagnie-Schreibstube herbeigeholt und mir zum Vorlesen vertrauensvoll in die Hand gedrückt. — Mit welchen Gefühlen ich meine eigene Sache, die mir unter Umständen den militärischen Kragen hätte kosten können, vor las, kann sich Jeder denken. — Nur ein einziger Kamerad kam hinterher zu mir und sagte: „An Deinem Lesen habe ich gemerkt, daß Du selbst der Verfasser bist; wenn Du mich nicht wenigstens auf 3 Flaschen Sekt einladest, verrathe ich das Geheimniß.” Er war edel genug, jahrelang den Mund zu halten, bis die Sache endlich durch einen Kameraden, der in Berlin auf Urlaub gewesen war, bekannt wurde. Die Annahme, daß Freiherr von Schlicht infolge seiner Skizze als Soldat hätte gehen müssen, ist eine völlig irrige. Man war verständig genug, ihm nicht die geringsten Schwierigkeiten in den Weg zu legen, da er Beweise dafür hatte, daß unser Kaiser alle seine Sachen las. — Auch am sächsischen Königshofe, in dessen Residenz Graf Baudissin lebt, ist er ein vielgelesener Autor, und die dortige Hofbuchhandlung hat den direkten Befehl, sämmtliche von ihm erscheinende Bücher sowohl dem König von Sachsen als auch dem Prinzen Friedrich August und dem Prinzen Georg vorzulegen. Der König von Sachsen hat seinen hunoristischen Roman „Die feindlichen Waffen” von ihm persönlich angenommen, und auch der Herzog Ernst Günther hat ihm in einem längeren Schreiben für das Buch, das er ihm überreichen durfte, gedankt. Die humoristischen Skizzen, welche Graf Baudissin seiner Zeit im „Kleinen Journal” veröffentlichte, und von denen er einige in Kiel vorlesen wird, haben übrigens in Berlin thatsächlich Aufsehen erregt. „Ich zog schließlich,” so erzählt der beliebte Autor, „den bunten Rock aus, weil er des Rekruten-Exerzierens müde war und einsah, daß weder seine Zeit, noch seine Kräfte ihm den Luxus erlaubten, gleichzeitig zweien Herren zu dienen.”
„Kieler Zeitung” vom 21.3.1900:
Freiherr von Schlicht
Mit dem Bilde unseres Landsmannes Graf Wolf von Baudissin (Freiherr von Schlicht), der bekanntlich heute Abend im Saal der „Hoffnung” aus seinen Werken vortragen wird, bringen wir heute eine von dem Autor seiner Zeit in der Wochenschrift „Von Haus zu Haus” veröffentlichte drollige Selbstbiographie, in welcher der damals noch in Schleswig wohnhafte Humorist schreibt:
Am 30.Januar 1867 wurde ich in der Stadt Schleswig geboren. Mein Vater war der als Schriftsteller bekannte Graf Adalbert Baudissin, der in den 48er Jahren auch politisch in Schleswig-Holstein eine große Rolle spielte, meine Mutter, eine geborene d'el Strother, entstammt einer alten englischen Familie. Nach dem Tode meines Vaters, der im Jahre 1871 starb, mag es für meine Mutter nicht leicht gewesen sein, ihre sechs Kinder, drei Jungen und drei Mädchen, immer im Zaum zu halten; übertrieben artig waren wir nicht, und noch sehe ich ihr trauriges Gesicht vor mir, als sie sich eines Tages entschließen mußte, mich nach Altona auf das Gymnasium zu geben, weil die Lehrer in Schleswig nichts mehr mit mir anfangen konnten. In Altona blieb ich auf dem Gymnasium, bis ich im Jahre 1887 als Avantageur in die Armee eintrat. Ich wollte Offizier werden und begann in Freiburg im Breisgau meine militärische Laufbahn. Aber nicht lange hielt ich es im Süden aus, es zog mich zurück nach meiner schönen norddeutschen Heimath, und ich war glücklich, als ich meine Versetzung in das Infanterie-Regiment 76, von dem damals zwei Bataillone in Hamburg und eins in Lübeck standen, durchgesetzt hatte. Sieben köstliche Jahre meines Lebens habe ich in den beiden schönen Hansestädten zugebracht, aber wie schön das Leben ist, erfuhr ich erst, als ich in Lübeck im Jahre 1891 meine Jugendliebe, die Tochter des verstorbenen Physikus Dr. Türk und dessen Gattin, der bekannten Schriftstellerin E. Eschricht, geheirathet hatte. Sieben Jahre habe ich um meine Frau geworben, und sieben Jahre sind wir jetzt schon verheirathet. Gleich mir ist auch meine Frau schriftstellerisch thätig, und die von ihr unter dem Namen Gräfin Baudissin und Bernhard von Brandenburg veröffentlichten Romane haben großen Beifall gefunden.
Am 12. November 1891, Nachmittags 5 Uhr (Zeit und Stunde sind historisch, wenngleich es weder im Brockhaus noch im großen Meyer steht) tunkte ich selbst zum ersten Male die Feder in das Tintenfaß, um eine kleine plattdeutsche Humoreske zu schreiben, die in Lübeck bald darauf gegen das glänzende Honorar von 0,0000 Mark abgedruckt wurde. Der Erfolg ließ mich nicht schlafen, und als ich bald darauf von derselben Zeitung für eine Weihnachtsgeschichte ein Honorar von zwei Reichsmark erhielt, war es bei mir beschlossene Sache, daß ich die Feder nicht wieder aus der Hand legen würde. Wer zählt die Geschichten, die Novellen und Humoresken, die im Laufe der sieben Jahre entstanden und in die Welt gewandert sind? Wer kennt meine fünfzehn Bücher, die bisher erschienen sind, und wer besitzt sie? Du nicht, geliebter Leser, antworte ich mit Herr Wippchen aus Bernau. Gott, wie war ich stolz, als mein erstes Buch erschien, meine Frau und ich feierten das Ereigniß durch eine Flasche Sekt, und ich glaube, wir waren die Einzigen, die sich über das Erscheinen des Buches freuten. Der Graf Günther Rosenhagen, unter welchem Pseudonym ich damals schrieb, war noch zu unbekannt, als daß man die Buchläden meinetwegen gestürmt hätte, und recht bekannt ist der Rosenhagen nie geworden, da die Rücksicht auf meine Stellung als Offizier mich veranlaßte, meinen nom de guerre zu wechseln. Eines Morgens erwachte ich und fand mich berühmt? Ach nein, aber ich hatte ein neues Pseudonym gefunden, und an demselben Tage ging eine Arbeit des „Freiherrn von Schlicht” in die Welt hinaus. Wie ich auf den Namen gekommen bin, weiß ich selbst nicht, genug, er war da, er ist noch da und wird hoffentlich auch noch lange da bleiben. Bekannt bin ich — soweit dies bei einem jungen Schriftsteller möglich ist — seitdem ich in einer großen Berliner Tageszeitung [„Das kleine Journal” — D.Hrsgb.] fast in jeder Montagsnummer eine humoristische militärische Plauderei veröffentlichte. Das Genre der Arbeiten war neu und erregte Aufsehen, so kam die Fortsetzung meiner schriftstellerischen Thätigkeit von selbst. Unter dem Titel „Aus der Schule geplaudert” sind diese humoristischen Artikel im Verlage von Freund und Jeckel (Karl Freund) in Berlin erschienen und haben mir viele freundliche Kritiken, viele liebenswürdige Briefe selbst von mir ganz fremden Lesern gebracht. Ebenfalls bei Karl Freund ließ ich einen Band „Humoresken” und in diesem Jahre eine größere ernste Erzählung „Die Walküren des Regiments” erscheinen. Im Verlag von Max Simson erschien ein Band kleiner Humoresken „Meine kleine Frau und ich”, der namentlich in der Damenwelt großen Beifall zu finden scheint. Auch mit Theaterstücken habe ich mein Glück versucht. Ein Schwank „Tante Jette”, den ich mit einem Berliner Herrn zusammenarbeitete, hat es im Berliner Theater sogar auf siebzehn Vorstellungen gebracht. So schreibe ich multum et multa, Viel und Vielerlei; was literarisch noch einmal aus mir wird, muß die Zukunft lehren.
Niemand kann zween Herren dienen, Offizier und gleichzeitig Schriftsteller sein, läßt sich schwer oder gar nicht vereinbaren. So habe ich mich ganz in das Tintenfaß gestürzt und in meiner lieben Vaterstadt Schleswig wieder mein Heim aufgeschlagen. Hier lebt es sich so ruhig und so schon. Wenn ich an meinem Schreibtisch sitze, blicke ich zur Linken hinüber über die Stadt, über die Schlei, hin zu dem berühmten Königshügel und weiter in die Hüttener Berge; zur Rechten sehe ich einen herrlichen Buchenwald, der sich, soweit das Auge reicht, erstreckt. Hier hat man Ruhe und Muße zur Arbeit, wird es mir aber einmal zu still hier, dann packe ich den Koffer und fahre hinaus in die Welt, von der ich schon einen großen Theil sah. In diesem Sommer war ich mit dem bekannten Polarfahrer Bade hoch oben in Spitzbergen und im ewigen Eis — gäbe es eine Postverbindung nach dort, so würde ich in Spitzbergen mir ein Haus bauen, nirgends ist es so schön wie dort.
Ohne Postboten kann ja aber kein Schriftsteller leben, ganz besonders nicht ohne den Geldpostboten, so bleibe ich im Lande und nähre mich redlich.
Weiter wüßte ich nun aber wirklich nichts mehr über mich zu sagen, höchstens noch, daß ich zum Entsetzen meiner Frau den ganzen Tag rauche und ohne die Zigarre im Munde keinen vernünftigen Gedanken fassen kann.
Sollten diese Zeilen etwas thöricht geworden sein, so bin ich schuldlos daran — mein Zigarrenhändler hat mich nämlich im Stich gelassen, und ich habe keine einzige Zigarre im Haus. Ich glaube, dies ist die erste Arbeit meines Lebens, bei der ich nicht rauchte.
Stets Ihr sehr ergebener
Wolf Graf von Baudissin
(Freiherr v. Schlicht).
„Kieler Zeitung” vom 22.3.1900:
Freiherr von Schlicht-Abend. Der Schriftsteller- und Journalisten-Verein in Kiel, der es sich seit Jahren zur dankenswerthen Aufgabe gemacht hat, seine Mitglieder sowie die Freunde der lebenden Literatur in unserer Stadt auch perösnlich mit den Autoren unserer schleswig-holsteinischen Heimath bekannt zu machen, hatte diesmal den unter dem Schriftsteller-Namen Freiherr von Schlicht bekannten und allgemein beliebten Grafen Wolf von Baudissin, zur Zeit in Dresden wohnhaft, zu einem Vorlesungsabend eingeladen, der am Mittwoch im gut besetzten Saale der „Hoffnung” vor einer erlesenen Zuhörerschaft stattfand. Unter den Anwesenden befanden sich Ihre Durchlaucht Prinzessin Henriette zu Schleswig-Holstein und Se. Excellenz der Wirkliche Geheimrath v. Esmarch; auch höhere Offiziere der Marine und der Armee hatten es sich nicht nehmen lassen, ihrem ehemaligen Kameraden zuzuhören, der in seinen Schriften mit lachendem, nie verletzendem Humor nachweist, daß auch im bunten Rock Menschen stecken mit echt menschlichen Vorzügen und ebenso selbstverständlich menschlichen kleinen Gebrechen. Graf Baudissin, der den Vorzug besitzt, mit wohlklingendem, verständlichen Organ stets schlicht und natürlich lesen zu wollen, amüsirte die Anwesenden zunächst durch die allerliebste Humoreske „Pekko-Thee”, in welcher er eine jener konventionellen Garnison-Abendgesellschaften schildert, zu der jeder verheirathete Offizier ein Mal im Winter die Kameraden „gehabt” haben muß. Die Mittheilungen aus dem Tagebuch eines Leutnants, eine harmlose Satire auf die Manöver-Kritik, fesselte natürlich in erster Linie Diejemigen, welche selber Soldat gewesen sind und in dem Gesagten mehr oder weniger Selbsterlebtes bestätigt finden; wie denn überhaupt Freiherr von Schlicht in seinen Humoresken den ehemaligen Soldaten nicht eigentlich Neues erzählt, wohl aber als Schriftsteller das Zugeständniß für sich in Anspruch nehmen darf, bisher offiziell Verschwiegenes in origineller Form dargestellt zu haben. Ueberaus amüsant war auch der Vortrag der kleinen Skizze „Der Adjutantenritt”, welche den besten Beweis lieferte, daß Freiherr von Schlicht vortrefflich zu pointiren und seine Pointen beim Vorlesen geschickt zur Geltung zu bringen weiß. Aus dem vielgelesenen Buche „Mein kleine Frau und ich” brachte der launige Autor die drollige Erzählung „Das Hochzeitsgeschenk”, während zwei heitere Episoden aus dem Militärleben das Programm ergänzten, das von der Versammlung Stück für Stück mit lebhaftem Beifall aufgenommen wurde. Nach Schluß der Vorlesung unterhielten sich Prinzessin Henriette und Geheimrath von Esmarch noch längere Zeit mit dem Autor und sprachen ihm ihren Dank und die volle Anerkennung für alles Gehörte aus.
Die Fremdenliste in der „Kieler Zeitung” vom 22.3.1900 meldet im Holst's Hotel als Gast: Graf Baudissin, Schleswig.