Nur keine Landbrauerei.

Humoreske von Freiherr v. Schlicht
in: „Die Bloomfield Germania” vom 23.4.1914


Zweitausend Hektoliter Malzversud, was ist das gar im Jahr? Dazu die Lasten und Abgaben immer mehr, die Dienstboten immer aufsässiger, die Wirte immer knotiger. Und bei aller Plag und allem Verdruß dem Publikum doch nichts recht machen können, dem . . .! Nein, eine Landbrauerei wenn ich haben müßte, — lieber schon gleich weiß Gott was und weiß Gott wo. Der Zieglerbräu von Wallching könnte ein Lied singen davon.

An einem Sonntag im September war's und gegen den Abend zu. Der Schneidergütler von Wallching, der Matthias Gstöttner, saß auf dem Dachfirst seines Hauses, den einen Fuß herüber, den andern drüben, als wenn sein Häusel eine Geiß und er selber ein wirklicher Schneider wär', der heut noch fortreiten muß auf die Stöhr. Vor dem Hause aber standen seine Frau und ihre acht Kinder und riefen abwechslungsweise zum Hausdach hinauf: „Hiesl, was hast denn wieder!” — „Geh, Vater, steig aba!” „Schau, was müssen si' denn d' Leut denka!” — „Vater, kimmst nöt?” und was dergleichen gütliche Zureden mehr. Eine davon mußte indes den Schneidergütler gleichwohl aufgebracht haben; denn auf einmal hob er eine Dachplatte ab und schleuderte sie — patsch! — mitten unter seine Familie, die kreischend auseinanderstob. Und wie der Tiger, wenn er einmal Menschenblut gekostet hat, immer reißender wird, so der Gstöttner Hiesl mit den Dachziegeln. Patsch, patsch, patsch! ging's dahin, und als die Ziegel um ihn herum rarer wurden, rückte er einfach im Reitsitz vor und und fuhr in seinem Vernichtungswerk an einer anderen Stelle fort. „Narrischer Teufli, narrischer! schrie sein Weib hinauf — patsch! krachte es von oben dazwischen; „alle mitanand bringst uns no' ins Elend!” — patsch! — „mit deine Räusch'! — patsch! Hätt' i nur di nia g'sehgn! Nur grad di wann i nia gesehgn hätt'!” Und sie verfluchte die Stunde, da der Gstöttner Hiesl ihr bräutlich genaht, und die Kinder heulten und die Nachbarn guckten aus Tür und Fenster und der Schneidergütler fuhr fort, sein Dach abzudecken. Da lief das Weib fortins Dorf hinein, zum Feuerwehr­kommandanten, der ihr unlängst seine Unterstützung angetragen hatte, wenn den Mann wieder einmal sein Rappel anpacke, und gleich darauf tönte das Alarmsignal die Straße hinauf: Tre-tre-tre, da-tree, da-tree. Aus den Wirtshäusern rannten sie, das Feuerhaus rissen sie auf und die Spritz heraus, den Schlauchwagen dazu, und fort ging's an das obere Ende des Dorfes, vor das Schneidergütl. Die Spritze nagelneu, System Maybach-Perigord, bei keinem Brand noch — leider! — in Aktion getreten, die letzte Feuerwehrübung ohnehin ausgefallen, wegen dem Kommandanten seiner Fußgicht, der Bezirksamtmann wie der Teufel auf Schneid und Training aus, — Gstöttner Hiesl, du freu dich!

Er war gerade bei der dritten Ziegelreihe, von oben gerechnet, da traf ihn der erste Guß mitten auf das grünsamtene Gilet. Von da weg aber bis zum Gesicht ist es für einen, der den Spritzenschlauch wie der Wagnermeister Baldauf zu handhaben weiß, nimmer weit, und wer erst den halben Wallchinger Bach in der Visage drin hat, der hält ein trockenes Versteck für das Vordringlichste und steht gerne von allen Nebensächlichkeiten ab. So auch der Schneidergütler vom Dachabdecken. Während er sich aber zur Dachlucke hineinzwängte, bot sich dem Wagner Baldauf noch eine Gelegenheit, wie sie in hundert Jahren nicht zweimal vorkommt, den Gstöttner Hiesl hinten hinaufzuleuchten mit einem vollen Strahl der sieghaften Technik unserer Zeit. Unter Händeklatschen, Bravorufen, schallendem Gelächter und Spottreden verschwand der Schneidergütler. Tre-tee, tre-tee! ertönte das Signal, und die Spritze stoppte.

In der nun eintretenden Pause wollte der Kommandant etwas näher am Haus d'ran eine Bereitschaftsstellung beziehen lassen, und wie er gerade die entsprechenden Befehle erteilte, kam aus jener Luke hinaus ein Dachziegel geflogen und traf ihn auf der linken Kopfseite, und wer da etwa meint: „wozu eine Landfeuerwehr einen Helm und der Kommandant einen Roßhaarbusch?”, der soll nur nach Wallching gehen und nchfragen. Von jedem Kind kann er es dort hören, daß der Kommandant nur seinem Helm und seinem Busch das Leben verdankt. Tief genug war ja die Wunde auch so noch, und geblutet hat er — sein Adjutant sagte: wie eine Sau.

Damit hatte die improvisierte Uebung ihr Ende erreicht. Die Feuerwehr protzte auf, und der Schneidergütler ab, legte sich nieder und schlief seinen Türken aus. Als er ihn weg hatte, deckte er sein Häusel wieder zu, Ziegel an Ziegel, rackerte drei Wochen lang von früh bis spät wie ein Vieh und behauptete, daß an dem ganzen Durcheinander nichts anderes schuld gewesen sei als dem Zieglerbräu sein Bier, sein mentisch starkes Bier, das einen schon mit der dritten Maß hirndamisch mache. Und sein Weib sagte das gleiche und sagte aus eigenem noch einen Schwall von Injurien gegen den Zieglerbräu hinzu. Aber nicht genug: bis nach drei Wochen der Gstöttner Hiesl wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Schöffengericht stand, da stellte sogar der Feuerwehrkommandant seine Verwundung als lächerlich leicht, dem Zieglerbräu sein Bier dagegen als unsinng schwer hin, und die übrigen Zeugen beschränkten sich überhaupt von vornherein in ihren Aussagen auf das Zieglerbier, indem sie von den Vorgängen am Schneidergütl entweder nichts oder doch nur belanglose Details wahrgenommen haben wollten. Ja, als trotz alledem das Gericht den Matthias Gstöttner auf acht Tage versenkte und dem Zieglerbräu gar nichts geschah, da machte sich das verletzte Rechtsgefühl von Wallching in heftigen Ausfällen gegen den Oberamtsrichter und den Bierbrauer Luft, die alle zwei nicht wüßten, was es um ein zu starkes Bier sei. „Wart,” dachte sich der Zieglerbräu, „da kann ich helfen!” und sott von der Stunde an sein Bier wie eine Zwetschgenbrüh' ein.

In diese zeit fiel der Wallchinger Veteranenball, und keine drei Leut' hätten mehr Platz gehabt beim Zieglerbräu. Im Saal nicht und in den vier Zimmern, auf den Gängen nicht und nicht im Stiegenhaus. Zuerst wurde die „Uebergane von Sedan” aufgeführt, und der Ziegler-Bräumeister war der Kaiser Napoleon und der Bader Klirr der König Wilhelm. Hierauf wurde getanzt. Dabei trat der Kaiser Napoleon den Gstöttner Hiesl so schmerzhaft auf den Fuß, daß er sich eine derbe Zurechtweisung mit ungemein spöttischer Anspielung auf seine Unfähigkeit bei Sedan und seine Biersiederei in Wallching zuzog. Doch tanzte der Monarch, der ja, wie keinem Geschichtskundigen unbekannt, die Ritterlichkeit selber war, die Tour zu Ende, führte seine Tänzerin an ihren Platz unter der Heubodenstütze und kaufte sich den Schneidergütler. Er traf ihn im großen Saal in der Nähe des Ofens im Gespräch mit dem Norddeutschen-Bundes-Kanzler Grafen Bismarck. Seine Worte an ihn liefen auf eine ernste Verwarnung hinaus, zwischen der französischen Kriegskunst und der Wallchinger Bierproduktion nichtswürdige Vergleiche zu ziehen, und wenn sie auch nichts von der gefälligen Leichtigkeit des pariser Idioms verrieten, so bestritt doch der Kaiser der Franzosen später, vor dem schöffengericht auf das entschiedenste, sie mit der Anrede „Du hundshäutener Fretter” eingeleitet zu haben. Sei dem wie immer, sicher ist, daß der Gstöttner Hiesl auf den Vorhalt hin wie ein Truthahn aufbimmte und dem unglücklichen Monarchen den schimpf entgegenschleuderte: „Ja, no awal sag i's: A G'süf machst! Als wanns d'grad zwegn der Farb Kapuzinerkutten drin aussiadest, und sunst aber schon rein gar nix!”

„Hiasl, sei stad!” suchte jetzt Graf Bismarck als ehrlicher Makler zu vermitteln, „dein Rausch kriagst ja du allerweil'!”

Die Spannung war aber bereits zu groß. Ein Lächeln, möglicherweise sogar zu Unrecht als Hohn gedeutet, und der Kaiser der Franzosen flog an den großen gußeisernen Ofen hin und der Ofen erzitterte, schwankte, fiel und begrub unter sich Napoleon III., den Grafen Bismarck und den Gstöttner Hiesl, die beiden ersteren mit ihren sämtlichen Orden. „Wennt's 'n nöt bald wegbringts,” äußerte, auch in dieser Situation seinen Scharfblick bekundend, der Bundeskanzler mit schwacher Stimme zur Umgebung, „nachher derdruckt er uns no alle drei.” Doch schon gelang den gemeinsamen Bemühungen das Kraftstück, und die drei erhoben sich, der Gstöttner Hiesl freilich nur, um vom General Moltke im Verein mit einigen Zivilisten hinausgeworfen zu werden. Wutschnaubend kam er heim.

Die Schlafkammertür war, wie sein Weib ihm für den nächsten Rausch angedroht, von innen verriegelt. Er stieß sie ein. Und weil er seinerseits dem Weib, wenn es die Drohung wahr mache, auch gleich die Strafe dafür zugeschworen hatte, so riß er jetzt die schneidersgütlerin aus dem Bett, packte sie und trug sie, soviel sie auch zeterte und schrie, auf den Hof hinaus und jenem kleinen Bretterhäuschen zu, das so niedlich, hier wie anderwärts, als ob das Märchen darin wohne, und doch so voller Realitäten des Lebens ist. Und riß die Tür des Häuschens auf, stieß sein Weib hinein, schlug die Tür zu und schob den Riegel vor. „So,” sagte er aufatmend, „ein Mann, ein Wort,” kehrte in die Schlafkammer zurück, legte sich nieder und entschlief.

Die Schneidergütlerin aber tobte und rüttelte an Tür und Dach, stemmte sich gegen Norden, stemmte sich gegen Süden, gegen Ost und West an die Wand, und das Häuschen bebte, krachte in den Fugen und barst. Dann erüllten ihre langgezogenen Hilferufe die Nacht. Aber niemand kümmerte sich darum, alles war abgehärtet gegen Hilferufe aus dem Schneidergütl, und Franziska Gstöttner kann über diesen Abschnitt ihres Lebens schreiben: „Aus eigener Kraft!” Denn erst als sie nach geraumer Zeit an Tür und Fenster der Nachbarin pochte, immer lauter und lauter, und um Gottes Christi willen um Aufnahme flehte, weil sie sonst erfrieren müsse in der reifkalten Novembernacht, erfrieren von ihren acht unmündigen Kindern weg, da erst stieß sie auf ein klein wenig mürrische Nächstenliebe. „Jess'-Mariand-Joseph!” erschrak die Nachbarin. „im Hemad!” Und die Schneidergütlerin erhielt Einlaß und Quartier.

Wieder rackerte der Schneidergütler wie ein Vieh, wieder schob er die ganze Schuld auf das Zieglerbier, das so niederträchtig leicht sei, daß einer schon vor Wut einen Ofen einschmeißen und auch sonst vielleicht noch in seinem gerechten Zorn das und jenes verüben könne. Und wiederum eignete sich sein Weib diese Darstellung mit den gehässigsten Seitenhieben auf den Zieglerbräu an, ja, sie behauptete jetzt schlankweg, biersieden und stehlen wäre eins. Und als vier Wochen darauf der Schneidergütler abermals wegen Körperverletzung vor Gericht stand, da schilderte sogar der Graf Bismarck die ganze Affäre als nicht der Rede wert mit Ausnahme des Zieglerbieres, das allerdings so himmelschreiend dünn sei, daß man ruhig sagen könne: ein Saug'süf. Einzig und allein der Bräumeister — aber kein Wunder, sagten die Leute — trat für den Plempel ein. Im übrigen obwohl schließlich der Gstöttner Hiesl wieder seine acht Tage droben hatte, schien es auch diesmal wieder, als sei nicht der Schneidergütler, sondern der Zieglerbräu auf der Anklagebank und käme dieses Mal wohl kaum mehr mit der Freiheit davon.

Glaubt ihr mir's jetzt, wenn ich sage: lieber schon weiß Gott wo und weiß Gott was —nur keine Landbrauerei!

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