Die Krümperfahrt.

Humoreske von Freiherr v. Schlicht.
in: „Deutsche Lesehalle”, Sonntags-Beilage zum Berliner Tageblatt, Nr. 37 vom 13.Sep. 1896 und
in: „Zurück — marsch, marsch!”.


„Wie schön, daß ich Sie treffe,” sagte der Referendar Kammler zu mir, als ich in der Thür unseres Stammlokals mit ihm zusammentraf, „ich war gerade im Begriff, zu Ihnen zu gehen. Meine Frau und ich wollten Ihre Frau Gemahlin und Sie bitten, sich am Sonntag Nachmittag an einem gemeinsamen Ausflug zu betheiligen, wir haben uns einen Kremser bestellt, und wir würden uns sehr freuen, wenn auch Sie uns die Ehre Ihrer Gesellschaft schenken möchten.”

„Sie sind wirklich sehr, sehr liebenswürdig!” gab ich zur Antwort, ihm die Hand reichend.

„So dürfen wir auf Ihre Gegenwart rechnen?” fragte er.

„Zürnen Sie uns nicht,” erwiederte ich, „wenn ich Inen einen Korb gebe; aber es ist mir leider bei dem besten Willen nicht möglich, Ihre so freundliche Einladung anzunehmen — wir — wir sind schon versagt.”

„Ach, das bedauere ich aber unendlich,” gab er zurück, „wäre es Ihnen nicht möglich, de Einladung rückgängig zu machen? Wir hatten mit aller Bestimmtheit auf Sie und Ihre Frau Gemahlin gerechnet.”

Das klang so offen und ehrlich, daß ich merkte, der gute Kerl sei über meine Absage wirklich traurig.

„Seien Sie mir nicht böse,” antwortete ich, „ich kann die an mich ergangene Einladung schon deshalb nicht rückgängig machen, weil ich gar keine Einladung erhalten habe, — ja wohl, sehen Sie mich nur verwundert an, ich habe mir erlaubt, Sie anzulügen.”

„Also Sie wollen einfach nicht!” erwiederte er, anscheinend sehr verstimmt.

„Wollen, lieber Freund, von nicht wollen ist gar keine Rede, das heißt, wenn ich wollte, könnte ich schon, und ich könnte schon, wenn ich wollte, — wissen Sie was, Liebster, leisten Sie mir bei einem Glase Pilsener Bier Gesellschaft, und ich erzähle Ihnen das Warum, Wieso und Weshalb!”

So geschah es, und nachdem wir die schönste aller Blumen gepflückt hatten, sprach ich:

Es mögen wohl zehn Jahre her sein, als ich in meiner Eigenschaft als Landwehroffizier zu meiner letzten Uebung eingezogen war. Als Soldat unterscheidet man ja ein dienstliches und ein außerdienstliches Leben, und ich kann wohl sagen, daß mir beides sehr gut gefiel, unsere Vorgesetzten waren liebenswürdige Leute, und die Kameradschaft wurde in einer Art und Weise gepflegt, wie man es nur selten wieder finden mag. In der nur kleinen Stadt lag außer der Infanterie auch noch ein Dragoner­regiment in Garnison, und die Offizierkorps beider Waffengattungen verkehrten auf das Freundschaftlichste mit einander. Eine ganz besondere Annehmlichkeit bot das freundschaftliche Zusammenleben mit der Kavallerie auch noch insofern, als wir zu größeren Uebungen stets Pferde gestellt bekamen und auch die Erlaubniß hatten, die Krümperwagen zu benutzen. Was ein Krümperwagen ist, werden Sie hoffentlich wissen; es sind Kremser, vier bis sechs Personen fassend, die vom Staat unterhalten werden und im Kriege zur Beförderung des Offiziergepäckes dienen. Diese Krümperwagen werden im Sommer täglich benutzt, um Ausflüge zu unternehmen, sie sind lächerlich billig, und die Fahrer haben von der Gangart „Schritt” nie etwas gehört.

Aber nicht nur im Kameradenkreisen gestaltete sich mir das Leben angenehm, ich hatte am Ort Verwandte, von früheren Jahren her außerdem noch einen großen Bekanntenkreis, so daß ich es die acht Wochen hindurch wohl aushalten konnte.

Eines Abends hatte ich mich zu meinen Verwandten begeben, um mit ihnen im schönen Garten Schleuderkegel zu spielen, als ich an den weiblichen Mitgliedern der Familie eine gewisse Aufregung und Unruhe zu bemerken glaubte.

„Kinder, was habt Ihr denn nur?” fragte ich, „wenn Ihr mich heute Abend los sein wollt, dann sagt es offen und ehrlich, das ist für beide Theile das Angenehmste.”

„Aber, Vetter, wie magst Du nur so etwas denken!” klang es zurück. „Aber, wenn Du es denn absolut wissen willst, wir haben eine große Bitte an Dich.”

„Die im Voraus gewährt ist!” fügte ich hinzu.

„Wirklich?” jubelten die drei bildschönen Kusinen auf, und sechs schlanke Arme umhalsten mich, — ich war damals schon verheirathet und brauchte mich also nicht zu geniren, jeder der drei Grazien — ich bitte, das wörtlich zu nehmen, — einen herzhaften Kuß zu geben.

„So, und nun, Kinder, sagt mir, um was es sich handelt,” bat ich.

„Siehst Du, Vetter,” nahm Annita, die jüngste der drei Schwestern das Wort, „weißt Du, ich genire mich eigentlich, es Dir zu sagen, ich möchte nicht gern unbescheiden erscheinen, weil Du uns sowieso schon viel zu sehr verziehst —”

„Diese Einleitung läßt Großes erwarten,” sprach ich, „aber nur heraus mit dem, was Ihr auf dem Herzen habt, also was ist es?”

„Ach, Vetter, wir möchten so schrecklich gern einmal mit Dir im Krümperwagen spazieren fahren.”

„Wenn es weiter nichts ist,” lachte ich auf, „dann kann Euch gleich geholfen werden. Ich habe mir sowieso meinen Burschen hierher bestellt, der kann sofort hingehen, um einen Wagen zu bestellen, und in einer Viertelstunde kann die Reise losgehen.”

Aber diese Bereitwilligkeit war entschieden nicht nach dem Wunsch meiner schönen Kusinen.

„Nun, paßt Euch das nicht?” fragte ich, als sie immer noch schwiegen.

„Weißt Du, Vetter,” lautete die Antwort, „das, was Du soeben sagtest, ist ja furchtbar nett von Dir, aber wir hatten uns die Sache eigentlich anders gedacht, — aber Du darfst nicht böse werden!”

Und nun kam der Schlachtenplan, den sie entworfen; ihn mir aus einander zu setzen, ergriff Elsa, die zweitälteste Tochter des Hauses das Wort:

„Wie du weißt, lieber Vetter, erwarte ich morgen den Besuch einer Freundin aus Berlin, die einige Tage hier zu bleiben gedenkt; irgend etwas müssen wir doch zu ihrem Amüsement unternehmen, und da es hier Konzert und Theater nur alle Jubeljahre einmal giebt, so ist eine Spazierfahrt das Einzige, was bleibt. Allerdings hätten wir uns ja auch Droschken bestellen können, aber es ist doch viel lustiger, wenn wir alle in einem Krümperwagen sitzen.”

„Da hast Du Recht, Liebste!” pflichtete ich ihr bei, „und wann ist es im hohen Rath der Götter beschlossen, daß die Reise vor sich gehen soll?”.

„Wenn es Dir Paßt, übermorgen Nachmittag gegen vier Uhr — wenigstens hatten wir uns das so gedacht.”.

„Schön — einverstanden, ich will gleich hingehen und den Wagen bestellen.”.

Ich verabschiedete mich, ließ den Eltern, die in einer Gesellschaft waren, meine schönsten Grüße überbringen und bestellte den Wagen.

„Ich glaube, der Wagen ist schon von einem anderen Herrn bestellt,” sagte der Wachtmeister zu mir, „ich werde dem Herrn Lieutenant morgen noch Bescheid schicken.”

Am nächsten Morgen traf ich meinen jugendlichen Neffen auf der Straße.

„Nun, wie geht's zu Hause?” fragte ich.

„Danke, sehr gut,” lautete die Antwort, „sie freuen sich alle riesig auf die morgige Krümperfahrt; Onkel Ernst will auch noch mitfahren.”

„Wie nett von ihm!” sagte ich — Onkel Ernst war der einzige mir nicht Sympathische meiner Verwandtschaft, — „übrigens grüße die Deinen schön von mir und sage ihnen, so ganz wäre es mit der morgigen Ausfahrt noch nicht, ich wüßte nicht genau, ob ich einen Wagen bekommen könnte.”

Als ich Mittags aus dem Kassino nach Hause kam, fand ich einen Brief meiner lieben Kusine Clotilde, der Mutter der Kinder, vor:

„Otto erzählte mir soeben,” so etwa lauteten die Zeilen, „daß Du für die morgige Spazierfahrt den Wagen noch nicht” — die Worte „noch nicht” waren wenigsten sechsmal unterstrichen — „bestellt hast. Es ist mir dies sehr unangenehm, wir haben infolge der unseren Kindern gemachten Zusage noch einige junge Leute eingeladen und bereits deren bejahende Antwort erhalten. Bitte, nimm Dich der Sache etwas an!”

Ich glaube, ich habe, während ich das Billet las, geflucht; dann aber setzte ich die Mütze wieder auf und ging zu dem nur wenige Minuten von mir entfernt wohnenden Vetter. Mit etwas pikirten Mienen wurde ich von den Damen begrüßt:

„Nun, bekommen wir morgen den Wagen?” wurde ich gefragt.

„Bestellt ist der Wagen,” entgegnete ich, „aber ob wir ihn bekommen — c'est autre chose — wie der Deutsche sagt.”

„Aber warum bekommen wir ihn denn nicht?”

„Wahrscheinlich, weil er schon anderweitig besetzt ist,” erwiederte ich. „Aber seid ohne Sorge, jedes Kavallerieregiment hat fünf Schwadronen und jede wenigstens einen Wagen — ist es bei der einen Schwadron nichts, so ist es bei der anderen.”

„Aber da hättest Du Dich schon darum kümmern müssen!”

„Na, nun seid aber friedlich!” bat ich, „man muß doch erst bestimmt wissen, woran man ist, — übrigens möchte ich Euch noch darauf aufmerksam machen, daß ein Krümperwagen kein Etagenhaus ist, in dem vierzig Familien mit ihren Kindern Platz finden. Wie viele Personen sind wir denn nun eigentlich morgen?”

„Ach, wir sind nur ein paar,” erwiederte meine Kusine Clotilde, „also ich und Eduard, — das war das Oberhaupt der Familie, sind zwei, drei Töchter sind fünf, Fräulein Herms, unser lieber Besuch, sechs, Du sieben, und drei Assessoren, die wir noch gebeten haben, sind zehn.”

„Und ich will auch mit, Mama!” klang es aus der anderen Ecke des Zimmers weinerlich zurück, „das hast Du mir versprochen, und Papa hat mir gesagt, ich dürfte Fritz Behnken mitnehmen!”

„Dann wären wir also ein volles Dutzend — also fünf Personen zu viel, mehr als sieben faßt der Wagen nicht.”

„Aber Onkel Ernst, Tante Ines und Karl” — das war der Sprößling des Ehepaares, „wollen doch auch noch mit!” bemerkte da Annita, „was machen wir denn nur?”

„Aber warum sagt Ihr das nicht eher, warum fragt Ihr mich nicht, bevor Ihr so viele Menschen auffordert!”

„Na, wir werden doch wohl noch auffordern können, wen wir wollen!” klang es gereizt zurück. „Wir sind doch die Wirthe, wir bezahlen doch den Wagen und das Abendbrod!”

„Zwei Lösungen sind nur möglich,” erwiederte ich nach kurzem Besinnen — ich befand mich in der Stimmung, Jemanden durchzuhauen, „entweder Ihr müßt die Hälfte Eurer Gäste wieder ausladen —”

„Aber ich bitte Dich, das geht doch nicht, was sollen denn die von uns denken, — das ist einfach unmöglich, — nein, nein, das geht auf keinen Fall!” so schwirrte es um mich herum.

„Nun denn nicht,” versetzte ich, „dann bleibt also nur der zweite Ausweg.”

„Und der wäre?”

„Ihr bleibt selbst zu Hause — wenigstens ihr Kinder.”

Da kam ich aber schön an; wie sie dazu kommen sollten, für andere, ihnen mehr oder weniger gleichgiltige Leute auf ein Vergnügen zu verzichten, auf das sie sich schon so lange gefreut hätten — nein, auf keinen Fall, das fehlte gerade noch!

„Aber können wir denn nicht zwei Wagen bekommen, Vetter?” fragte da Elsa.

„Gieb mir 'nen Kuß,” erwiederte ich, „Du bist weiser als weiß. Natürlich nehmen wir zwei Wagen — die Sache wird dadurch allerdings noch mal so theuer, aber Ihr seid ja die Wirthe.”

Schon wollte ich fortgehen, um die Wagenfrage endgiltig zu regeln, als neue Bedenken in mir aufstiegen.

„Seid nicht böse,” bat ich, „aber die Sache hat noch einen kleinen Haken!”

„Vetter, Du bist aber auch furchtbar schwerfällig!” schalt man mich, „es macht fast den Anschein, als ob es Dir leid thäte, Deine Zusage für die Fahrt gegeben zu haben; wenn wir das geahnt hätten —”

„Aber nun redet doch keinen Unsinn,” flehte ich, „dadurch kommen wir ja nie zum Ziel. Also um es kurz zu sagen: es giebt eine Bestimmung, der zufolge Civilpersonen nur dann in einem Krümperwagen fahren dürfen, wenn sie sich in Begleitung eines Offiziers befinden.”

„Aber Du fährst doch mit uns?” fragte man mich verwundert.

„Gewiß,” gab ich zur Antwort, „in dem einen Wagen fahre ich mit, für den zweiten haben wir aber keinen Offizier — theilen kann ich mich leider nicht.”

„Aber das ist ja schrecklich!” stöhnte man.

„Was ist schrecklich? Daß ich mich nicht theilen kann?” fragte ich.

„Ach was, laß doch Deinen Unsinn!” lautete die Antwort; „ich denke, die Sache ist ernst genug, da müssen wir ja noch einen Offizier einladen, aber wen?”

Und nun entspann sich eine Debatte, wie sie selbst im Reichstag bei der Kolonialpolitik nicht erregter geführt werden kann; die drei Schwestern sollten bestimmen, welcher Lieutenant aufgefordert werden sollte, aber derjenige, der der ersten willkommen war, war der zweiten unsympathisch; die dritte schlug einen Herrn vor, den die beiden anderen nicht ausstehen konnten; der von der zweiten Ersehnte war in den Augen der ersten und dritten gräßlich, und es währte wohl eine Stunde, während der kleine boshafte Bemerkungen und Thränen reichlich flossen, bis man sich über die Person des Einzuladenden geeinigt hatte.

Ich selbst ging hin, um den Kameraden aufzufordern, und nach einer Stunde brachte ich den Verwandten den Bescheid zurück: „Die Wagen kommen bestimmt, und Lieutenant Blechwitz kommt auch, wenigstens hofft er bestimmt, daß er kommen kann; er hat morgen Nachmittag Dienst, er will aber versuchen, sich freizumachen; wie gesagt, er hofft bestimmt, kommen zu können.”

„Und wenn er nicht kommt, was dann?”

„Dann ist das ein Beweis dafür, daß er nicht kann.”

„Und was dann, wenn er nicht kann?”

„Nun, dann kommt er eben nicht.”

„Aber wir wollen doch gerade wissen, was dann, wenn er nicht kann und nicht kommt?” riefen die Damen, über meine harmlosen Bemerkungen ganz außer sich.

„Dann ist die Sache faul,” gab ich zurück, „dann muß die Partie entweder unterbleiben, oder wir müssen, sobald wir definitiven Bescheid haben, daß er nicht kommt, einen anderen Kameraden bitten.”

„Aber wen denn?” klagten die Damen.

„Ja, Kinder, darüber müßt Ihr Euch allein einig werden — ich muß jetzt fort — Ihr könnt Euch die Sache ja in Ruhe überlegen — Ihr habt ja noch die ganze Nacht vor Euch, und Ihr schickt mir dann morgen früh Bescheid — das Weitere muß sich historisch entwickeln.”

Und es entwickelte sich — der Himmel hatte ein Einsehen.

Die friedliche Entwicklung begann damit, daß ich am Morgen von den Kusinen einen Brief erhielt, in dem für Blechwitz drei Ersatzmänner namhaft gemacht wurden, sollte ich in die Lage kommen, einen derselben aufzufordern, so würde ich gebeten, strenge nach der angeführte Reihenfolge zu gehen.

Als zweites folgte eine dienstliche Meldung: der eine Krümperwagen könne nicht kommen, da derselbe von dem Regiment requirirt worden sei, — dagegen war ich machtlos, ich wollte mich todtschießen, aber die Götter hatten es anders mit mir im Sinn, ich fand noch einen anderen Wagen.

Als ich Nachmittags das Haus meiner Verwandten, vor dem die beiden Krümperwagen hielten, betrat, befand ich mich in dem Zustand körperlicher und geistiger Auflösung; aber die Kusinen freuten sich ja so riesig auf die Partie — da mußte ich gute Miene zum bösen Spiel machen.

„Nun, sind wir alle beisammen?” fragte ich, als ich das Eßzimmer betrat, in dem den Gästen Thee und Backwerk servirt wurde.

„Kommt Blechwitz?” lautete die Begrüßungsfrage.

„Ich weiß nicht,” erwiederte ich, „ich habe ihn heute nicht gesehen —, wenn er Euch nicht abgeschrieben hat, wird er wohl kommen.”

Allmälig füllten sich die weiten Hallen, und nach einer Viertelstunde fragte ich zum zweiten Mal: „Sind wir nun beisammen?”

„Kommt Blechwitz denn nicht?” lautete die ängstliche Gegenfrage.

„Ich weiß nicht,” gab ich zurück, „wenn er Euch nicht abgeschrieben hat, wird er wohl kommen.”

„Und wenn er nun nicht kommt?”

„Das müssen wir doch erst abwarten.”

„Wie lange noch? Wir warten doch schon eine Viertelstunde!”

Ich hatte in meinem Gehirn ein Gefühl, als wenn ein Ameisenhaufen dort sich im Radfahren übe.

„Kommt Blechwitz denn gar nicht?” fragte mich da Annita.

„Hat er abgesagt?” rief ich zornig.

„Natürlich hat er nicht abgesagt — er hat ja aber auch gar nicht zugesagt!”

Wenn wir nun nicht fortführen, würde ich verrückt, das fühlte ich.

„Einsteigen, meine Herrschaften!” rief ich, „wir können die Pferde nicht länger stehen lassen.”

„Aber Blechwitz fehlt ja noch!”

„Nein,” rief ich, „er ist schon da, d. h.(1) er kommt!” Und wirklich sehe ich ihn von Weitem ankommen.

Wir gingen die Treppe hinunter und nahmen nach dem von meinem lieben Vetter ausgearbeiteten „Fahrplan” unsere Plätze ein.

„Aber wo bleibt denn nur Blechwitz?”

„Da kommt er — nein, er ist soeben in den Friseurladen gegangen. Einen Augenblick müssen wir uns noch gedulden.”

Aber dieser Augenblick währte eine Ewigkeit.

Endlich, endlich kam er, und selbst ein Geldpostbote, der einem Verhungernden ungezählte Millionen überbringt, kann mit keinem größeren Jubel empfangen werden, als in diesem Augenblick Blechwitz.

„Ich bin untröstlich, meine gnädige Frau,” sprach er, der Herrin des Hauses oder, richtiger gesagt, der Herrin des Wagens die Hand küssend, aber sie unterbrach ihn —

„Bitte sehr, Herr Lieutenant — nun nehmen Sie aber, bitte, Platz!”

„Meine gnädige Frau, ich bin wirklich untröstlich — aber es ist mir bei dem besten Willen nicht möglich, Ihrer so liebenswürdigen Einladung zu folgen, soeben erhalte ich Nachricht, daß ich heute Nachmittag zum Dienst muß —, ich bin nicht dispensirt — ich komme nur, Ihnen persönlich mein Bedauern auszusprechen.”

„Und um dies zu sagen, lassen Sie sich noch erst rasiren und frisiren und uns hier eine halbe Stunde warten? Nehmen Sie mir das nicht übel, das nenne ich klassisch!” rief ich — ich hätte ihn erwürgen können.

„Was nun?” klagten die Damen.

Da gab mir der Himmel einen Gedanken ein.

„Ich mache folgenden Vorschlag. Die Herrschaften steigen wieder aus und kehren zur Theetasse zurück. ich selbst fahre mit einem Krümperwagen los — der andere wartet hier so lange — und versuche, einen dienstfreien Kameraden aufzutreiben.”

Das fand Beifall, und im Galopp jagte ich durch die Straßen der Stadt.

„Wohin?” fragte der Dragoner.

„Ins Kasino,” sagte ich, und dort angekommen, schrieb ich einen Zettel an meinen Vetter, daß alle Versuche, einen Kameraden zur Mitfahrt zu bewegen, vergeblich gewesen seien, die Fahrt müsse also zu meinem größten Leidwesen unterbleiben. Durch eine Ordonnanz ließ ich den Brief bestellen und schärfte ihm besonders ein, nicht auf Antwort zu warten.

Am nächsten Morgen erhielt ich von meiner Kusine einen Brief, den ich vorsichtshalber gar nicht erst öffnete. Blechwitz schickte mir seinen Sekundanten und wollte sich mit mir schlagen — und über den Empfang im Hause meiner Verwandten, als ich dieselben nach einigen Tagen wieder aufzusuchen wagte, will ich gar nicht sprechen — mir thut es noch in den Ohren weh, wenn ich daran denken.

Das war der gemeinsame Ausflug — die Krümperfahrt — auf die sich alle so riesig gefreut hatten —, verstehen Sie nun, warum ich mir geschworen habe, nie wieder in meinem Leben mich an einem gemeinsamen Ausflug zu betheiligen?”

Und der Freund drückte mir theilnehmend die Hand und sagte: „Sie sollen nicht wortbrüchig werden — Sie sind entschuldigt — mir aber möge der Himmel gnädig sein!”


Fußnote:

(1) In der Buchfassung heißt es hier statt: „d. h.” : „das heißt”. (zurück)


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