Die Kriegsuhr.

Von Freiherr von Schlicht.
in: „Jugend”,
Münchener illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben, Nr. 12 vom 6.März 1901,
in: „Meiers Hose” und
in: „Der nervöse Leutnant”.


Ringsherum um den Herrn Oberst steht auf dem Kasernenhof das Offizierkorps und lauscht mehr oder weniger aufmerksam der weisen Rede des Vorgesetzten.

„Meine Herren,” sagt der Kommandeur, ich habe Sie um mich versammelt, um noch einige Worte wegen der morgigen großen Uebung an Sie zu richten. Zu meinem großen Bedauern kann die Uebung morgen leider nicht —”

„Doch etwa nicht stattfinden?” jubeln die Leutnants in ihrem Innern, „das wäre wundervoll, dann trinken wir heute Mittag ordentlich Sekt, denn man muß die Feste feiern, wie sie fallen.”

„— ganz in der Weise stattfinden, wie ich es beabsichtigte. Aus Gründen, die nicht hierher gehören, wird das Regiment morgen nicht draußen abkochen, sondern wir werden erst essen, wenn wir gegen Abend zurückkommen. Ich will versuchen, mich so einzurichten, daß wir gegen sechs Uhr in der Kaserne sind. Ich denke, es wird weder den Mannschaften noch uns schaden, wenn wir morgen wirklich etwas hungern sollten — todt hungern wird wohl Keiner.”

Das soll ein Witz sein, aber er findet noch weniger als gar keinen Anklang. Eisiges Schweigen folgt diesen Worten, nur der Adjuant versucht, seinem Herrn zu Liebe zu lächeln, er versucht es, aber der Versuch mißlingt.

„Und dann die Hauptsache, meine Herren,” fährt der Herr Oberst fort: „ich habe die morgige Uebung so angelegt, daß ich möglichst viel Offiziersaufgaben auf einmal erledige. Die Meisten von Ihnen werden eine Spezialaufgabe und einen besonderen Auftrag erhalten, der sich dem Rahmen des Ganzen anpaßt. Wie bei einem Uhrwerk wird eins in das andere hineingreifen, und das Ganze wird dann das Ganze bilden.”

„Ebenso wahr, wie tiefsinnig,” denken Einige; der Kommandeur aber fährt fort:

„Meine Herren, das Ganze kann aber nur dann funktioniren, wenn die einzelnen Theile funktioniren, wenn die Räder des Uhrwerks richtig, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort eingreifen. Auf die Sekunde muß Alles klappen, pünktlich auf die Sekunde muß Jeder von Ihnen zu der befohlenen Zeit mit seinen Leuten antreten und darum, meine Herren, müssen unsere Uhren alle ganz genau gleich gehen. Meine Herren, ich gebe jetzt die Kriegsuhr aus.”

Er spricht's und greift in die Tasche, um seine Uhr hervorzuholen — aber die Uhr ist nicht da, er hat sie auf dem Regimentsbureau liegen lassen und der Adjutant wird abgesandt, um sie zu holen.

Einige Minuten können vergehen, ehe der Adjutant zurück ist, — die Zwischenzeit muß irgendwie ausgefüllt werden, und so sagt der Oberst: „Meine Herren, ich bitte Sie, inzwischen Ihre Uhren vorzunehmen.”

Das ist ebenso schnell gethan als gesagt, und Alle stehen nun mit der Uhr in der Hand und sie betrachten ihre Chronometer mit einer Genauigkeit, als hätten sie dieselben noch nie in ihrem Leben gesehen.

Eine Minute verrinnt und dann noch eine.

Da sieht das scharfe Auge des Vorgesetzten einen Leutnant, der keine Uhr in der Hand hat.

„Wo haben Sie denn Ihre Uhr, Herr Leutnant von Meurer?” fragt er den Offizier.

„Zu Hause vergessen, Herr Oberst,” lautete die schnelle Antwort.

„Das ist mir sehr, sehr unangenehm,” tadelt der Kommandeur, „denn gerade Sie haben morgen einen Auftrag, bei dem es fast auf den Bruchtheil einer Sekunde ankommt — gerade Ihrer anerkannt vortrefflichen Uhr wegen gab ich Ihnen den Auftrag. Bitte, vergessen Sie sie morgen nicht — ich würde Ihnen sonst sehr grob werden müssen.”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

„Diese Worte waren überflüssig,” tadelt der Gestrenge, „ich würde Ihnen auch ohne Ihre Zustimmung grob werden.”

Wieder will der Leutnant: „Zu Befehl” sagen, aber im letzten Augenblick schluckt er die beiden Worte hinunter.

Endlich erscheint der Adjutant wieder — selbst wenn sie zu Pferde sind, beeilen sie sich nicht besonders, geschweige denn, wenn sie zu Fuß sind.

„Haben Sie sie gefunden?” fragt der Kommandeur und als der Adjutant die Frage zur Zufriedenheit des Vorgesetzten beantwortet hat, sagt der Herr Oberst mit erhobener Stimme: „Meine Herren, ich gebe jetzt die Kriegsuhr aus.”

Tiefes, erwartungsvolles Schweigen folgt diesen Worten. Jeder ist von der Feierlichkeit des Augenblicks durchdrungen, Alle blicken gespannt auf den Herrn Oberst, als wollten sie schon von seinen Lippen die Worte ablesen, bevor deren Schall an ihr Ohr gedrungen sei.

„Meine Herren, es ist jetzt genau —”

Mit gespitzten Ohren lauschen Alle — auf die Sekunde kommt es ja an, aber so schnell sollen sie nicht befriedigt werden. Der Herr Oberst hat vergessen, sein Pincenez aufzusetzen und es vergeht noch eine geraume Zeit, bis er endlich sagt: „Meine Herren, es ist jetzt ganz genau zwölf Uhr und siebenunddreißig und eine halbe Minute.”

„Das ist nun ganz gewiß nicht wahr,” denken die anderen Herren, „es ist noch nicht einmal einhalb Eins, geschweige denn schon sieben Minuten mehr,” und der Herr Oberstleutnant, der zwar nicht den Papst zum Vetter, wohl aber einen Bruder im Militärkabinet hat, sehr gut angeschrieben ist und wegen seiner glänzenden Vermögenslage — seine Frau ist mehrfache Millioneuse —es nicht nöthig hat, sich eine möglichst hohe Pension zu verdienen, nimmt allen Muth zusammen und sagt: „Verzeihen der Herr Oberst, so spät ist es noch nicht.”

Der Kommandeur sieht seinen Etatsmäßigen an, als wollte er sagen: „Nanu, Was fällt denn Dir ein? Glaubst Du etwa, mir durch Deine verwandtschaftlichen Beziehungen und durch Deinen Reichthum zu imponiren? Pleite machen kann Jeder, auch Du, mein Sohn Brutus und Dein Bruder kann den Abschied bekommen. Und was bist Du denn?(1) Nur ein ganz gewöhnlicher Oberstleutnant, ich aber bin Oberst.”

Und so hoheitsvoll als(2) nur möglich, spricht er die inhaltsreichen Worte: „Meine Herren, wenn ich sage: es ist zwölf Uhr siebenunddreißig und eine halbe Minute, dann ist es auch so viel.”

Und dabei bleibt es. Jeder denkt sich seinen Theil,aber Alle gehorchen, auch der Herr Oberstleutnant, als der Kommandeur nun sagt:

„Ich bitte die Uhren zu stellen, es ist jetzt genau zwölf Uhr und achtunddreißig Minuten.”

Die Zeiger rücken vor und als auch der letzte Herr seine Uhr eingesteckt hat, ermahnt der Herr Oberst den Leutnant von Meurer noch, seine Uhr genau nach der eines Kameraden zu stellen und sagt dann: „Meine Herren, die Kriegsuhr ist ausgegeben.”

Das ist eine Thatsache, an der sich nichts ändern läßt und selbst im allerinnersten Innern erhebt Niemand dagegen Widerspruch.

Nach der Kriegsuhr rückt am nächsten Morgen das Regiment in das Gelände, nicht wie sonst geschlossen nach den Klängen der Regimentsmusik, die die(3) thörichte Menge das Soldatenloos als das schönste auf Erden erscheinen läßt, nein, klackenweise(4) rückt die Truppe ab. Ein Regiment ist eine ganze Menge; zweitausend vierhundert Kommißstiefeln, kann derjenige, der Lust dazu hat, zählen, wenn ein Regiment vorbeimarschiert.

Aber für die kriegerischen Ideen des Herrn Oberst genügt das heute nicht, er hat noch Flaggenbataillone und Flaggenkompagnien markirt und jede Abtheilung marschirt unter ihrem Führer zu der befohlenen Zeit nach dem befohlenen Fleck Erde ab.

Auf einer Anhöhe, von der aus er einen weiten Ueberblick über das Gelände hat und von der aus er in jede Terrainfalte hineinsehen kann, hält der Herr Oberst mit seinem Stabe: dem Herrn Etatsmäßigen, seinem Adjutanten und seinem Ordonanzoffizier, den er für den heutigen Tag zu dieser hohen Stellung befördert hat.

Zu seinen Füßen und zu den Füßen seines Rosses wogt der Kampf.

Zwei Bataillonskommandeure führen ihre Truppen gegeneinander: sie strengen ihren Verstand und den ihrer Adjutanten auf das Aeußerste an, um einen Vortheil über ihren Gegner davon zu tragen. Für die Geschichte Preußens und für den Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts ist es ja ganz gleichgiltig, welche Partei gewinnt, aber dennoch thun sie, als wenn das Vaterland in Gefahr ist(5). Schließlich ist ja jeder Bürger mehr oder weniger ein Theil seines Vaterlandes — und sie selbst sind in Gefahr, denn nach dem Ausfall des heutigen Gefechtes schreibt der Herr Oberst die Conduite und bildet sich sein Urtheil über die geistige und militärische Befähigung der Kämpfer.

Das Urtheil des Herrn Oberst ist maßgebend, denn ein Oberst irrt sich nie.

Der Kommandeur ist mit dem, was er sieht, sehr zufrieden, denn das Meiste findet nicht seinen Beifall und gibt ihm Gelegenheit, später bei der Kritik sein reiches Wissen und seine reichen Erfahrungen im hellsten Licht zu zeigen, denn hell leuchtet am Himmel die Sonne.

„Die Südpartei weicht zurück, sie will sich nach Adorf zurückziehen,” spricht da der Herr Oberst. „Jetzt muß der Hauptmann Einberg mit seinem Flaggenbatailon in das Gefecht eingreifenn und Süd den Rückzug verlegen — ich zermalme ihn, wenn er nicht pünktlich nach der Kriegsuhr zur Stelle ist.”

Hauptmann Einberg hat mehr Glück als Verstand: er wird nicht zermalmt, er ist zur richtigen Zeit zur Stelle.

„Bravo, Bravo,” lobt der Herr Oberst, „wenn ich es nicht vergesse, will ich ihm nachher meine Anerkennung aussprechen.”

Jemanden zu tadeln, vergißt ein Vorgesetzter nie.

„Auf die Minute, nein, man kann wohl sagen: auf die Sekunde,” lobt der Herr Oberst weiter, „die Kriegsuhr muß jetzt elf Uhr achtundvierzig Minuten sein.” Er wendet sich an seinen Adjutanten: „Bitte sehen Sie einmal nach der Uhr.”

Der Adjutant greift in sämmtliche Taschen, sogar in der Cigarrentasche sieht er nach: die Uhr ist nicht da.

„Ich muß sie auf dem Nachttisch haben liegen lassen,” stottert er endlich, „mir ist es ganz unbegreiflich.”

„Mir auch,” donnert der Kommandeur, „ich habe überhaupt in der letzten Zeit den Eindruck gewonnen, als wenn Sie anfingen, vergeßlich zu werden, das verbitte ich mir, verstehen Sie mich?”

Der Adjutant hielt(6) es für unter seiner Würde, auf diesen ungerechten Vorwurf hin etwas zu antworten. Zum Zeichen, daß er aber nicht taub ist und die Worte seines Vorgesetzten gehört hat, legt er die rechte Hand an den Helm.

„Dann muß ich selbst nachsehen,” fährt der Herr Oberst fort.

Er nimmt die Uhr zur Hand, aber seinen Stimme klingt etwas unsicher, als er jetzt sagt: „Das verstehe ich nicht; um elf Uhr achtundvierzig Minuten sollte Hauptmann Einberg zur Stelle sein, er ist da, aber die Uhr ist erst elf Uhr.”

„Verzeihung, Herr Oberst,” sagt da der Etatsmäßige, „es ist elf Uhr achtundvierzig Minuten.”

„Herr Oberstleutnant,” ertönt da die scharfe Stimme des Vorgesetzten, „ich bitte Sie, mir nicht immer zu widersprechen, wenn ich sage, es ist elf Uhr, dann ist es elf Uhr. Bitte merken Sie sich das.”

Und der Herr Oberstleutnant merkt es sich.

Der Kommandeur winkt seinem Adjutanten: „Reiten Sie hin zu dem Herrn Hauptmann von Einberg und fragen Sie ihn, ob er ganz von Gott und von aller Welt verlassen sei — ich lasse ihn um Aufklärung bitten, warum er fast eine Stunde vor der befohlenen Zeit in das Gefecht eingegriffen hat. Sagen Sie ihm von mir, ich werde nachher bei der Kritik Gelegenheit nehmen, ihm meine Ansicht in nicht mißzuverstehender Art und Weise auseinanderzusetzen.”

Der Adjutant rast davon und sein Weg führt ihn an dem Leutnant von Meurer vorbei, der mit seinem Zuge im Hinterhalt liegt, um zur befohlenen Zeit wie Zieten aus dem Busch hervorzustürzen.

„Retten Sie mich vor dem Verderben,” ruft er dem Adjutanten zu, „halten Sie einen Augenblick still, was ist die Uhr, ich habe ganz vergessen, sie zu stellen.”

„Die Kriegsuhr wird jetzt drei Minuten nach elf sein,” lautet die Antwort.

„Das kann nicht stimmen, Herr Leutnant,” sagen die Unteroffiziere, „es ist viel mehr, die Kasernenuhr —”

„Die Kriegsuhr ist maßgebend,” herrscht der Offizier sie an, „das haben wir nun davon, wir sind viel zu früh von der Kaserne abmarschirt, elf Uhr fünfzig sollen wir erst antreten, nun können wir hier noch eine gute halbeStunde im Gras liegen.”

Die Leute sind damit einverstanden und Meurer ist es schließlich auch, er legt sich unter den Schatten hoher Bäume und läßt seine Uhr repetiren. Auf seine Uhr ist er stolz, er hat sie vor einiger Zeit geerbt, sie repetirt Stunden, Viertelstunden und Minuten, das Werk ist hervorragend, sie geht auf die Sekunde — eine Normaluhr kann die Zeit nicht genauer angeben, als seine Uhr es thut.

Der Herr Oberst ruft: Der Adjutant ist zurückgekehrt und hat die Antwort des Herrn Hauptmann überbracht.

„Was? Bockbeinig ist der Herr auch noch?” donnert der Kommandeur. „Anstatt pater peccavi zu sagen und um Entschuldigug zu bitten, spielt er den Beleidigten und thut, als wenn ihm bitter Unrecht geschehen wäre? Was seine Uhr zeigt, ist gleichgiltig — ich muß es von meinen Offizieren verlangen, daß sie eine Uhr haben, auf die sie sich verlassen können. Das gehört eben so gut zur Ausrüstung, wie ein Helm oder ein Paar hohe Stiefeln.” Wieder wendet er sich an seinen Adjutanten. „Bitte, notieren Sie: Fortan haben die Offiziere vierteljährlich nicht nur zu melden, wie es Vorschrift, daß sie im Besitz eines Armeerevolvers und eines vorschriftsmäßigen Koffers sind, sondern auch, daß sie genaugehende Uhren haben. Das wird helfen, denn wissentlich eine dienstlich falsche Meldung zu erstatten, wird wohl Keiner wagen, thut er es dennoch, so mag er sich seine Verabschiedung selbst zuschreiben. Rücksicht nehme ich nicht mehr, eine Lümmelei wie heute übersteigt das Maß dessen, was ich mir in meiner grenzenlosen Geduld bieten lasse. Ich sitze Tage lang und arbeite die Uebung aus und sie scheitert nur daran, daß nicht Alles auf die Minute klappt. Es ist einfach nicht zu glauben, da läßt mir der Hauptmann, den der Teufel holen soll, einfach sagen, es wäre elf Uhr achtundvierzig Minuten gewesen! Woher der Mann nur den Muth nimmt, solche Behauptungen aufzustellen? Soviel ich weiß, hat er keinen Bruder im Generalstab und seine Vermögensverhältnisse sind auch nicht glänzend — nur das Kommißvermögen und fünf Kinder.”

Der Oberstleutnant thut, als wenn er diese Worte gar nicht hört, er denkt nur: „Liebster, wir wollen einmal abwarten, wer es am weitesten von uns Beiden bringt, ob ich mit oder Du ohne Connexionen.”

Der Herr Oberst meditirt weiter: „Der beste Beweis dafür, daß meine Uhr ganz genau geht, ist der, daß Leutnant von Meurer noch nicht auf dem Kampfplatz mit seinem Zuge erschienen ist — hätte der Herr Hauptmann Recht und hätten Sie, mein sehr verehrter Herr Oberstleutnant, Recht” — er betont die letzten Worte niederträchtig ironisch, — „dann müßte der Leutnant schon gleich nach dem Hauptmann erschienen sein und noch ist er nicht da, ich sehe ihn wenigstens nicht, und wenn ich ihn nicht sehe, wird auch wohl Keiner von den anderen Herren ihn sehen.”

Der Stab des Herrn Oberst ist viel zu gut erzogen, um etwas zu sehen, was der Herr Oberst nicht selbst sieht, besonders wenn, wie in diesem Falle, nichts zu sehen ist.

Auf einmal fällt der Kommandeur beinahe vom Gaul — ein Gefechtsbild, das sich erst nach dem Eingreifen des Leutnant von Meurer entwickeln soll, entwickelt sich jetzt schon.

„Da soll der Teufel hineinfahren,” ruft er, nachdem er sich von seinem Schrecken erholt hat und gefolgt von seiner Suite, rast er dem unglücklichen Oberleutnant, der seinen Zorn erregt hat, entgegen.

Staunen ergreift Alle bei dem Zuhören. — Daß der Oberst so grob werden könnte, hat selbst sein Adjutant noch nicht gewußt.

„Verfuscht, verfuscht,” tobt der Kommandeur, „die ganze Uebung ist verfuscht(7), aber ich will es Ihnen gedenken, meine Herren, darauf können Sie sich hoch und heilig verlassen! Nicht die einfachsten Sachen kann man durchführen, wenn man ein solches Offizierkorps hat, wie ich es zu besitzen die Ehre habe.”

Er durchhaut den Knoten, der Oberleutnant wird zurückgeschickt, er soll nachher noch einmal angreifen, wenn Meurr erschienen ist — aber kaum ist der Oberleutnant auf Befehl wieder verschwunden, da taucht ein neuer Kämpfer auf, der nach der Uhr eine halbe Stunde später als Meurer in das Gefecht eingreifen sollte.

Der Oberst faltet die Hände um den Hals seines Pferdes.

„Ich gebe es auf, ich gebe es ganz auf — mit solchen Offizieren kann ich nicht fechten. Hornist, blasen Sie den Offiziersruf.”

Die Offiziere eilen zur Kritik herbei, die Berittenen und die Unberitteen, sie Alle will der Kommandeur um sich haben.

Jetzt sind sie versammelt. Alle, Alle, Alle; und hoch auf richtet sich der Herr Oberst in den Bügeln.

„Die Uhren heraus, meine Herren,” befiehlt er.

Es geschieht — tiefstes Schweigen herrscht. Keiner wagt laut zu athmen, selbst die Uhren wagen nicht laut zu ticken.

„Herr Leutnant von Meurer, wie viel ist Ihre Uhr?”

„Elf Uhr und fünfunddreißig Minuten, Herr Oberst,” lautet die Antwort.

„Meine Herren, ich bitte, keinen Widerspruch,” donnert der Kommandeur, als ein geheimnißvolles Flüstern und Tuscheln durch das Offizierkorps geht, „ob die Uhr richtig oder falsch zeigt, habe ich ganz allein zu bestimmen.”

Er greift in die Tasche und holt seine Uhr hervor. „Meine Herren, die Kriegsuhr ist maßgebend, sie allein, und die Kriegsuhr ist jetzt —

Aber weiter kommt er nicht — mit blödem Lächeln blickt er auf das Zifferblatt, dessen Zeiger genau auf elf Uhr weisen.

Er betrachtet den Stunden-, den Minuten- und den Sekundenzeiger und langsam wird es Tag in seinem Gehirn.

Die Kriegsuhr steht!

„Ich danke Ihnen sehr, meine Herren,” und dann: „Hornist, blasen Sie das Ganze sammeln!” das ist Alles, was der Kommandeur sagen kann, so sehr lähmt ihn der Schrecken.

Ihn(8) quält die Frage: „Ist die Uhr gestern Abend um elf oder heute Morgen um elf stehen geblieben?”

Er denkt nicht daran nachzusehen, ob seine Uhr aufgezogen ist, er zerbricht sich den Kopf darüber, daß Meurers Uhr und seine die einzigen sind, die dieselbe Stunde, wenn auch nicht dieselben Minuten anzeigen.

Er winkt den Offizier zu sich heran und verlangt Aufklärung, aber als er gehört hat, daß Meurer die Zeit von dem vorbeireitenden Adjutanten erfragt hat, wird der Oberst sehr grob und sperrt den Leutnant drei Tage ein.

Der Leutnant aber schwört im Stillen einen Eid, seine Uhr fortan lieber nach dem Mond, als nach der einzig und allein maßgebenden Kriegsuhr stellen zu wollen.


Fußnoten:

(1) In der Buchfassung heißt es hier: „Und was bist du dann?” (zurück)

(2) In der Buchfassung heißt es hier: „wie nur möglich.” (zurück)

(3) In der Buchfassung heißt es hier: „die der törichten Menge.” (zurück)

(4) In der Buchfassung heißt es hier: „kleckerweise.” (zurück)

(5) In der Buchfassung heißt es hier: „in Gefahr wäre.” (zurück)

(6) In der Buchfassung heißt es hier: „Der Adjutant hält.” (zurück)

(7) In der Buchfassung heißt es hier an mehreren Stellen: „Verpfuscht” anstatt „verfuscht”. (zurück)

(8) In der Buchfassung fehlen die nachfolgenden Absätze bis zum Schluß der Erzählung. (zurück)


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