Von Graf Günther Rosenhagen.
in: „Für Alle Welt” Heft 1898/20 vom 15.4.1898
Nachdem die Rekruten am Einstellungstage sich auf dem Kasernenhof eingefunden haben, werden sie den Kompagnien übergeben und der Kompagniechef ertheilt dem Feldwebel den Befehl:
„Ueberwachen Sie das Einkleiden der Leute.”
Das hört sich so einfach an und doch — welche Unsumme von Arbeit ist nicht nöthig, um auch äußerlich aus einem gewöhnlichen Civilisten einen preußischen Soldaten zu machen.
In langem Zuge geht es die vielen Treppen in die Höhe, doch eilen wir voraus und sehen uns, bevor bei dem Verpassen Alles über den Haufen geworfen wird, einmal an, was Alles fein säuberlich geordnet auf einer Kompagniekammer liegt.
Man unterscheidet zunächst Bekleidungsstücke und Ausrüstungsstücke; von den ersteren giebt es vierzehn, von den letzteren fünfundzwanzig verschiedene Sorten.
Die Bekleidungsstücke wiederum werden eingetheilt in große und kleine Bekleidungsstücke, zu den ersteren gehören: die Mützen, die Waffenröcke, die Drillichröcke und -Jacken, die Tuchhosen, die weißleinenen Hosen, die Unterhosen, die Halsbinden, Mäntel, Lederhandschuhe (nur für die Unteroffiziere), Tuchhandschuhe und Litefken.
Die kleineren Bekleidungsstücke umfassen die lang- und kurzschäftigen Stiefel, die Schnürschuhe und die Hemden; außerdem noch zweihundert Kalbssohlen und siebzehntausendvierhundert Sohlennägel, von denen im Durchschnitt auf jeder Stiefelsohle fünfzig sitzen müssen.
Zu den Ausrüstungsstücken gehören: die Helme, die Tornister mit den Tornisterbeuteln und Tragegerüsten, die Leibriemen mit den Koppelschlössern, Mantelriemen, Brotbeutel, Feldflaschen, Säbeltroddeln, Portepees (nur für die Feldwebel), die vorderen und hinteren Patronentaschen, die Fettbüchsen, die Kochgeschirre nebst Riemen, Reis-, Salz- und Kaffeebeutel, Kaffeedosen, Kaffeemühlen und die Zelte. Ferner die Leibbinden, Sold- und Gesangbücher, Helmkappen, Trillerpfeifen, Gewehrriemen, Mützen- und Helmkokarden.
An Signalinstrumenten besitzt jede Kompagnie: Sechs Trommeln, ebenso viele Trommelstöcke und Riemen, Stocktaschen und Stockscheeren. Sechs weiße Kniefelle, Pfeifen, Futterale, sechs Signalhörner und sechs Signalhornriemen.
Alle Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke sind in mehreren Garnituren vorhanden, von denen jede, der heutigen Kopfstärke einer Kompagnie entsprechend, hundertachtundvierzig Stück umfaßt. Von den Sachen, die am meisten getragen und abgenutzt werden, wie die Röcke und Hosen, müssen immer die meisten Garnituren, nämlich fünf, vorhanden sein. Es besitzt also somit jede Kompagnie allein siebenhundertvierzig Tuchröcke und dazu ebenso viele Beinkleider.
Die erste Garnitur lagert für den Kriegsfall, die zweite für Kaiserparaden und besonders festliche Gelegenheiten, die dritte für den Kirchgang und für Vorstellungen. Der vierte Anzug ist der Ausgehanzug, und der fünfte wird während des Dienstes getragen, sofern nicht im Sommer oder bei kleinem Dienst in der Kaserne der Drillichanzug angelegt wird.
Alle zwei Jahre werden die Garnituren heruntergestempelt, die erste in die zweite, die zweite in die dritte u. s. w. Die schlechteste, fünfte Garnitur wird dann ganz ausrangirt und nur noch als Flickmaterial verwendet, und eine ganz neue „erste” auf Kammer gelegt. Es hat somit jeder einzelne Anzug eine Tragzeit von zehn Jahren. Einzelne Bekleidungsstücke müssen spgar noch länger vorhalten: die Mäntel, die bekanntlich nur etwas nützen, wenn sie gerollt sind. Sie werden nur alle zwanzig Jahre erneuert, man findet aber hin und wieder auch noch ehrwürdige ergraute Häupter, die bereits 70/71 mitgemacht haben.
Alle diese oben angeführten Sachen liegen auf der Kompagniekammer, einem verhältnißmäßig nur kleinen Raum, in tadelloser Ordnung auf den Borden und Stiegen. Ueber das Ganze herrscht der Kammerunteroffizier oder der Capitain d'armes, wie er sich mit Vorliebe zu nennen pflegt, der zu seiner Unterstützung gewöhnlich einen Kammergefreiten hat. Aeußerlich sind Beide daran erkenntlich, daß sie stets tadellos angezogen sind.
Sehen wir nun einmal zu, wie das Einkleiden der Leute vor sich geht.
Das Erste ist das Verpassen der Stücke. Diese sind in den Korpsbekleidungsämtern oder auf den Regimentshandwerkstätten angefertigt und in jeder Größe vorräthig. Der Rekrut nennt nun sein Längenmaß, vielleicht 1 m 70 cm. Er erhält nun einen Rock, der einem „vorschriftsmäßig” gewachsenen Mann von 1 m 70 cm paßt. Zeigt sich nun, daß der Rock viel zu weit oder viel zu eng ist, so erhält er einen anderen, der um eine Nummer größer oder kleiner ist. Sind nur geringe Veränderungen nöthig, Verlängerung der Aermel, Erweiterung des Kragens und dergl., so ist es Sache der gelernten berufsmäßigen Kompagnieschneider, diese auszuführen.
Dann geht es an das Anprobiren der Hosen. Dies geschieht in der Weise, daß der Mann mit je einer Hand die Hose unten bei den Beinen ergreift und nun die Arme zur Seite streckt. Gleicht die Spannung der Arme der Spannung der Hose, dann paßt das Beinkleid, wenn nicht, wird weiter anprobirt.
Mützen und Helme sind ebenfalls in jeder Weise vorhanden, aber dennoch sind häufig Neuanfertigungen nöthig und die unvorschriftsmäßigen Köpfe bilden den Schrecken aller Kammerunteroffiziere.
Das Schrecklichste der Schrecken aber sind die Füße der Rekruten. Das Anprobiren der Stiefel erfolgt mit der denkbar größten Sorgfalt und Genauigkeit, denn nur wenn der Infanterist gut sitzendes Schuhzeug besitzt, kann er die an ihn gestellten hohen Anforderungen im Marschiren erfüllen. Stiefel hängen daher in allen Größen und Dimensionen in vierhundertvierundvierzig Exemplaren hoch oben an der Decke. Verzweiflungsvoll holt der Kammerunteroffizier ein Paar Stiefel nach dem anderen herunter: aber sie sind zu klein, viel zu klein.
Man muß selbst einmal einer solchen Anprobe beigewohnt haben, um zu wissen, mit welchen unglaublichen „Quanten”, wie der terminus technicus lautet, die Leute manchmal behaftet sind, und die Redensart von den Ruderbooten ist zuweilen wirklich keine Hyperbel.
Auch das Verpassen der Halsbinden ist mit großen Schwierigkeiten verbunden, sitzt sie richtig, dann soll sie Strohhalmbreite über den Kragen hervorragen, aber ein richtiger Bindensitz wird nach Aussage der Vorgesetzten nur in den seltensten Fällen erreicht, entweder sitzt sie dem Mann wie gewöhnlich um den Bauch, oder er hat sie sich um die Ohren gebunden. Die Unteroffiziere wissen das schon und lösen bei besonderen Gelegenheiten die Frage dadurch, daß sie die Halsbinde an den Rockkragen festnähen lassen.
Haben die Leute nun die Sachen auf der Kammer empfangen, so geht es daran, dieselben, soweit es nöthig, innerhalb der Korporalschaften auszutauschen und auszugleichen, was dem Einen nicht paßt, paßt vielleicht dem Anderen. Im Laufe der nächsten Woche werden dann die anderen Garnituren ausgegeben und so lange Sachen-Appells abgehalten und so lange von den Schneidern herumgeändert, bis auch das schärfte Auge des strengsten Vorgesetzten keinen Tadel mehr findet.
Sobald jeder Mann dann im Besitz ihm genau passender und tadellos sitzender Sachen ist, muß er in jedes ihm für die nächsten zwei Jahre gehörende Stück seinen auf Leinewand gedruckten Namen einnähen. Dann werden die Sachen wieder korporalschaftsweise auf Kammer abgegeben; sollen also für irgend eine Gelegenheit besondere Garnituren ausgegeben werden, so ist dies das Werk weniger Minuten.
Der Kammerunteroffizier, der für alle seiner Obhut anvertrauten Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke verantwortlich ist, führt, um Ordnung halten und jeder Zeit genau angeben zu können, wo sich jedes Stück befindet, ein großes und ein kleines Kammerbuch. In dem ersteren sind alle diejenigen Sachen verzeichnet, die sich dauernd auf Kammer oder dauernd in dem Besitz der Mannschaften befinden, während in das letztere nur eingetragen wird, was auf kürzere Zeit ausgegeben wird. Er befleißigt sich hierbei natürlich der denkbar größten Ordnung, muß er doch etwaigen Falles das Fehlende aus seiner eigenen Tasche ersetzen, aber wie leicht kann ihm dennoch einmal irgend ein Stück fehlen! Da kommt im letzten Augenblick, gerade vor Thoresschluß, athemlos ein Soldat die Treppen hinaufgestürmt und bittet den Unteroffizier, ob er ihm nicht eine gute Säbeltroddel leihen will. Er möchte so gerne heute Abend mit seiner Braut ausgehen und dabei in tadellosem Anzug erscheinen. Sein Wunsch wird erfüllt. „Aber morgen früh wiedergeben.” „Zu Befehl, Herr Unteroffizier.”
Er vergißt, das ausgeliehene Gut in sein Buch einzutragen und denkt erst wieder daran, als er bei einer zufälligen Zählung merkt, daß er statt zweihundertsechsundneunzig nur zweihundertfünfundneunzig Säbeltroddeln hat. Wo ist die zweihundertsechsundneunzigste? Vergebens durchblättert er sein Buch. Da fällt ihm die kleine Scene wieder ein, er läßt sich den Sünder rufen und spricht mit ihm ein gar ernstes, verschwiegenes Wort. Traurig schleicht der Soldat die Treppen wieder hinunter, er weiß, nie und nimmer bekommt er wieder etwas geliehen! Alle Leute, die etwas auf ihr Aeußeres geben, und das thun fast Alle in unserer Armee, fürchten den Kammerunteroffizier und hüten sich vor seinem Zorne.
Es ist der Stolz jeder Hausfrau, ihre Kinder in reinlichen, sauberen Kleidern zu sehen und sie freut sich, wenn die Mühe, die sie sich mit ihnen gab, von Freunden und Bekannten anerkannt wird; es ist aber auch der Stolz eines jeden Kompagniechefs und jeden Kammerunteroffiziers, ihre hundertachtundvierzig Kinder in tadelloser Uniform zu sehen. Wenn wieder einmal das Militär in klingendem Spiel vorüberzieht, sieh es Dir einmal auf den Anzug hin an. Frauenaugen sehen ja scharf in dergleichen Dingen, aber ich glaube kaum, daß sie etwas zu tadeln finden werden.