Der Kompagniefritze.

Von Freiherrn von Schlicht.
in: Der höfliche Meldereiter.


Der Musketier Meier war ein Allerweltskerl, er konnte alles und noch viel mehr, er konnte nähen, stricken, flicken, er half in der Schneider­handwerks­stätte und in der Schusterbude, und wenn er in die Küche kommandiert war, schmeckten der Gulasch und die dicken Erbsen nochmal so gut, als wenn ein anderer mit dem fast zwei Meter langen Kochlöffel in dem großen Kessel herumgerührt hätte. Meier konnte alles, wenn irgend etwas in der Kompagnie zu machen war — Meier wußte für alles Rat, er war das Mädchen für alles und so bekam er seinen Beinamen „Der Kompagniefritze”.

Kein Mensch ist vollkommen und der Musketier Meier war es auch nicht, seinen großen Vorzügen stand ein großer Fehler gegenüber: er war alles, nur kein Soldat. Die Aushebungs­kommission mußte sehr gut gefrühstückt haben, als sie Herrn Meier für dienstbrauchbar erklärte, er war krumm und schief, gerade an ihm war eigentlich gar nichts. Er bildete das Entsetzen seines Rekruten­unter­offiziers und als er ausgebildet war, den Schrecken seines Hauptmanns. Natürlich wurde Meier ins zweite Glied zu den Krummen und Lahmen gesteckt, aber auch da fiel er stets unangenehm auf und so wurde er denn stets außerhalb der Front verwendet, besonders wenn höhere Vorgesetzte kamen, zuweilen wurde er dann sogar beurlaubt und sein Hauptmann drückte ihm dann noch Reisegeld in die Hand, nur damit er spurlos von der Erdoberfläche verschwinde. Und Meier verschwand dann auch, aber blutenden Herzens und tränenden Auges, denn er war ehrgeizig und wollte nicht nur als Kompagniefritze, sondern auch als Soldat Lorbeeren ernten.

Da geschah es, daß Se. Königliche Hoheit, der Armeeinspekteur, sich telegraphisch zur Besichtigung des ihm unterstellten Regiments anmeldete. Als Meiers Hauptmann dies erfuhr, war sein erster Gedanke „Meier”, der muß wieder fortgeschafft werden, denn der hohe Herr will alles besichtigen, die Kasernements, die Kammern, die Küche, alles, was es gab und Meier durfte ihm nirgends begegnen, der Mensch sah als Soldat zu verboten aus. Aber als Meier „in Anbetracht seiner guten Führung trotz der bevorstehenden Ankunft Seiner Königlichen Hoheit zum besonderen Beweis der Anerkennung und Zufriedenheit seiner Vorgesetzten” wieder auf Urlaub gehen sollte, streikte er und zwar energisch: er wollte nicht nur immer Kompagniefritze, sondern auch einmal Soldat sein.

Und dabei blieb er, trotz allen gütlichen Zuspruchs. Für einen Augenblick dachte der Hauptmann daran, ihn wegen Ungehorsams vierundzwanzig Stunden einzusperren, aber das ging doch nicht, denn wenn Seine Königliche Hoheit die Arrestzellen revidierte und erfuhr, weshalb Meier saß, dann gab es ein Unglück.

Meier blieb, sich selbst zur Freude, anderen zum Leide. Gottlob war er verständig genug, einzusehen, daß er den Parademarsch der ganzen Kompagnie totensicher umschmeißen würde. So verzichtete er eben freiwillig auf seine Mitwirkung in der Front unter der Bedingung, daß er einen anderen ehrenvollen und wichtigen Posten erhielte. Und dafür wußte der Feldwebel Rat. Meier wurde zum markierten Feind kommandiert, aber er bekam einen besonders ehrenvollen Auftrag, er sollte nicht einfach mit einer gelben Flagge auf der Schulter durch die Welt spazieren und Artillerie markieren, nein, er war zu großen Dingen ausersehen. Die Kanonenschläge wurden ihm anvertraut. Und nicht ohne Grund. Kanonenschläge funktionieren nämlich im Gelände eigentlich niemals, aber Meier würde die Sache schon machen, geschickt wie er war, würde er das nasse und zum größten Teil verdorbene Pulver schon in Brand bekommen und wenn dann die durch Flaggen markierte Artillerie in Pulverdampf gehüllt war, dann würde Seine Königliche Hoheit fragen: „Wer bedient denn die Kanonenschläge? Die funktionieren heute ja tadellos.” Und der Herr Oberst würde dann antworten: „Das ist der tüchtige Musketier Meier, der Kompagniefritze, wie ihn seine Kameraden nennen.”  „So, so,” würde Se. Königliche Hoheit dann sagen, „den Mann wollen wir uns doch für alle Fälle notieren, man kann doch nie wissen.” Dann würde Se. Königliche Hoheit sein Notizbuch hervorholen, den Namen „Meier” hineinschreiben und zu seinem Adjutanten sagen: „Erinnern Sie mich doch an meinem Geburtstag oder noch besser, kurz vor dem Ordensfest an diesen tüchtigen Soldaten.”

So sprach der Feldwebel wohl eine halbe Stunde auf den Kompagniefritzen ein und schließlich glaubte Meier alles, was er hörte. Er sah sogar im Geiste Se. Königliche Hoheit vor sich, wie er sich die Bleifeder anspitzte, die Spitze dann anfeuchtete und Meier in sein Notizbuch schrieb. Und auch an den Orden glaubte er schließlich felsenfest — warum sollte nicht auch einmal ein Meier einen Orden bekommen?

So sah kein Mensch dem bevorstehenden hohen Besuch mit größerer Erregung entgegen als der Kompagniefritze, und als eines Mittags fast die ganze Kaserne umfiel, weil ein Telegramm gemeldet hatte, daß Seine Königliche Hoheit in aller Herrgottsfrühe eintreffen würde, da war es um seine Ruhe geschehen, seine sonst so geschickten Hände versagten vollständig, er konnte nichts arbeiten und als am Abend das Signal geblasen wurde: „Ihr Füsiliere geht zu Bett, der Hauptmann hat's befohlen,” da kroch er zitternd und fiebernd vor Erregung in die Falle und ruhelos wühlte er ein Loch nach dem andern in seinen Strosack. Aber schließlich schlief er doch ein, um erst wieder wach zu werden, als der Unteroffizier vom Dienst, der das Aufstehen der Mannschaften revidierte, ihn ziemlich unsanft rüttelte und schüttelte. Dann aber sprang er schnell auf und wenig später stand er mit dem übrigen markierten Feind auf dem Kasernenhof zum Abmarsch bereit. Die schönsten Leute des Regiments waren es nicht, die da unter dem Befehl eines alten Sergeanten angetreten waren, aber Meier paßte sehr gut zu der Gesellschaft, er war gewissermaßen der König unter ihnen — der Krümmste der Krummen.

„Na, ihr krummgebogenen Mondsicheln; habt ihr alles; was ihr braucht? Hat ein jeder seine Flagge? Meier, haben Sie Ihre Kanonenschläge? Ja? Dann kann die Reise losgehen. Tut mir den Gefallen und fallt mir nicht unterwegs um. Eine besondere Auszeichnung ist es für mich nicht, mit euch durch die Welt zu ziehen. Soldaten seid ihr ja allerdings auch, aber fragt mich nur nicht, was für welche. Nur gut, daß Se. Königliche Hoheit euch nicht sieht, der würde sonst einen schönen Begriff von unserem Regiment bekommen. ,Pfui Teufel, Königliche Hoheit,' würde er sagen, oder wenigstens ,Pfui Teufel'; also nun los. Stillgestanden — Bataillon marsch!” und der markierte Feind zog dem ihm angegebenen Platz, auf dem er nähere Befehle erwarten sollte, entgegen. Bis aber die weiteren Befehle eintrafen, verging Stunde um Stunde, denn Se. Königliche Hoheit ließ sich das Regiment in allen Gangarten der hohen Schule vorführen, dann kam das Gefechts­exerzieren und es war schon beinahe Mittag, als Se. Königliche Hoheit endlich die General- und Spezialidee für das Gefecht ausgab. Ein Adjutant jagte davon, um dem markierten Feind genaue Order zu überbringen, wo und wie er sich aufstellen sollte, und als er zurückkam, marschierte das Regiment erst einige Kilometer zurück, um auch den nötigen Anmarsch zu haben, und trat dann mit Sicherheits­maßregeln den Vormarsch an.

Der Führer der Spitze, ein blutjunger Leutnant, wußte, daß von seinem Verhalten, wenn auch nicht das Seelenheil der ganzen Welt, so doch wenigstens die Schlußkritik zum großen Teil abhing und so verrichtete er denn Wunder der Parterre­gymnastik; alle hundert Schritt warf er sich auf den Bauch, spähte mit seinem Glas nach dem Feind aus, sprang dann empor, lief, so schnell er konnte, mit seinen Leuten etwa füfnzig Meter vor und lag dann wieder auf dem Bauch. Nun hatte er die feindliche Infanterie entdeckt, auf allen Vieren kroch ein Mann der Spitze zurück, um zu melden, Verstärkungen wurden vorgeschickt, die ersten Platzpatronen verschossen, das Gefecht kam in Fluß.

Auf einer eigens nicht zu diesem Zweck von der Natur erschaffenen Anhöhe hielt Se. Königliche Hoheit und betrachtete nur mit teilweiser Befriedigung das militärische Schauspiel zu seinen Füßen.

„Die Sache funktioniert wie gewöhnlich einmal nicht,” nahm der hohe Herr jetzt das Wort, „das Regiment geht mit einer Sorglosigkeit zum Angriff vor, die ich nachher ernsthaft rügen werde. Der Oberst weiß doch, daß der Gegner über Artillerie verfügt, wenn in diese dichten Kolonnen jetzt einige Granaten einschlagen, ist das halbe Regiment zum Teufel. Der markierte Feind aber schläft natürlich auch wieder; er müßte schon lange die gelben Artillerieflaggen gezeigt haben.”

„Die sind schon da, Königliche Hoheit,” erlaubte sich ein Adjutant zu bemerken, „allerdings stehen sie sehr verdeckt.”

Der hohe Herr nahm sein Glas zur Hand: „Ach ja, richtig — jetzt sehe ich — aber warum schießen die Leute denn nicht, ich habe doch ganz klar und deutlich angeordnet, daß eine hinreichende Anzahl von Kanonenschlägen mitzunehmen sei. Warum schießen die Leute nun nicht?”

Seine Königliche Hoheit sah sich fragend um und die Adjutanten sahen sich fragend an, aber Antwort wußte keiner.

Unterdes irrte der Kompagniefritze mit seinen Kanonenschlägen ziel- und planlos in der Welt umher. Während der langen Zeit, die der markierte Feind auf weitere Befehle wartete, hatte er sich etwas abseits von den Kameraden im Walde schlafen gelegt, und als er erwachte, war er allein auf weiter Flur: er hatte das Kommando zum Antreten überhört. Mit entsetzten Augen sah er sich um: wo waren die anderen? Waren sie nach Osten, Norden, Süden oder Westen marschiert? Er hatte keine Ahnung, aber er machte sich auf den Weg, um sie zu suchen. Bald lief er geradeaus, bald nach rechts, bald nach links; aber da er sich jedesmal einbildete, auf dem falschen Wege zu sein, machte er immer schon wieder nach wenigen Minuten Kehrt und fand sich immer auf dem Platze, von dem er ausgegangen war, wieder ein. Was nun? Was nun? Der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn — er war mit seinen Kanonenschlägen doch gewissermaßen die Hauptperson, das hatte ihm der Feldwebel klar auseinandergesetzt — er dachte an Se. Königliche Hoheit, an dessen Notizbuch und an den Orden — er hatte sich heute auszeichnen wollen; sollte er sich aber nun blamieren? Das durfte nimmermehr geschehen. Und mit einemmal durchzuckte ihn ein genialer Gedanke: „Schießen muß ich unter allen Umständen.”

Und dem Entschluß ließ er die Tat folgen: ein Kanonenschuß nach dem anderen hallte über das Gelände.

„Melden Sie sofort dem Herrn Oberst: überraschend ist anscheinend sehr starke feindliche Artillerie an der Ostlinie des Waldes aufgetaucht.”

Der Herr Major, der mit seinem Bataillon durch den Wald vorgehen sollte, sprach's und der Adjutant sauste von dannen. Aber er war der einzige nicht, der diese wichtige Meldung überbrachte, die anderen Adjutanten waren schon da und von allen Seiten eilten Radfahrer und Patrouillen herbei. Und der Herr Oberst hatte die heftige Kanonade schon selbst gehört und wurde nun jedem grob, der ihm die große Neuigkeit erzählen wollte. Jetzt wandte er sich an seinen Adjutanten: „Wenn ich nur wüßte, wie da plötzlich Artillerie hinkommt— ich sehe auch jetzt noch keine gelben Flaggen, aber das ist ja einerlei, die Kerls schießen ja wie verrückt, ein Glück im Unglück ist es wenigstens, daß die Kanonenschläge funktionieren. Mit dem Auftreten der Artillerie dort im Walde habe ich nicht gerechnet, sonst hätte ich das Regiment ganz anders zum Angriff angesetzt, das läßt sich aber jetzt nicht mehr ändern: überbringen Sie dem ersten Bataillon den Befehl, die Artillerie niederzukämpfen und wenn irgend möglich, die Geschütze zu nehmen.”

Gleich darauf eröffnete das Bataillon gegen den Kompagniefritzen, der für seine Person völlig unsichtbar war, ein mörderisches Feuer, aber je lebhafter die Kompagnien schossen, um so lebhafter antworteten die Geschütze — aber nach einer Viertelstunde verstummten sie plötzlich: Meier hatte seinen letzten Kanonenschlag versendet und keinen weiteren mehr zu vergeben.

Da ertönten drüben die Kommandos: „Auf — zum Sturm Gewehr rechts — Tambour schlagen — marsch, marsch — Hurra” und wie die wilde Jagd stürmte das Bataillon los — allen voran die berittenen Offiziere, den Säbel in der Rechten.

Aber anstatt der gelben Flaggen, die die Geschütze markieren und die erobert werden sollten, fanden sie alle nur den Musketier Meier.

„Wohin sind die Flaggen abmarschiert?” fragte der Major, aber bevor er Antwort erhielt, ertönte das Signal zur Kritik. Alle Offiziere suchten Seine Königliche Hoheit auf — nach einer kleinen Viertelstunde aber erschien ein Adjutant: „Wo ist der Meier mit den Kanonenschlägen?”

„Hier, Herr Leutnant.”

„Kommen Sie mit — Seine Königliche Hoheit will Sie sprechen.”

Also doch! Meier hatte gehofft, seine Sache gut gemacht zu haben, jetzt hatte er die Gewißheit. Triumphierend sah er sich im Kreis um und sich so stolz aufrichtend, wie es ihm bei seiner unglücklichen Figur möglich war, schritt er hocherhobenen Hauptes neben dem Adjutanten weiter.

Wenig später stand er dem hohen Herrn gegenüber und mußte dem alles erzählen.

„Nun sagen Sie mir nur, Meier,” fragte der Prinz schließlich, „wie sind Sie nur auf den Gedanken gekommen, da ganz allein Artilleriefeuer abzugeben, Sie müssen sich doch irgend etwas dabei gedacht haben?”

„Zu Befehl, Königliche Hoheit,” gab Meier prompt zur Antwort. „Ich habe mir gedacht, man muß sich zu helfen wissen und zu helfen habe ich mir noch immer gewußt, deshalb bin ich ja auch der Kompagniefritze.”

Seine Königliche Hoheit lachte laut auf; ein so unmilitärischer Soldat war ihm noch nie begegnet, und dieses Lachen rettete Meier vor dem Arrest.

„Es ist gut, Sie können wieder eintreten.”

Und stolz über die lobenden Worte „es ist gut” ging Meier wieder von dannen, — auf den Orden aber wartet er immer noch, wie er felsenfest glaubt, lediglich deshalb, weil Se. Königliche Hoheit vergaß, sich seinen Namen in das Notizbuch zu schreiben.


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