(Eigenbericht des „Kleinen Journals”).
in: „Das Kleine Journal”, Nr. 175 vom 28.Juni 1898
Nicht nur nach Rom führen viele Wege und im zehnten Jahr nach der Erfindung von Wasmuth's Hühneraugenringen in der Uhr stehen dem Reisenden, der die Kieler Sprotten an Ort und Stelle essen will, die verschiedensten Verkehrsmittel zur Verfügung. Ich wählte mir, um hierher zu gelangen, das einfachste Vehikel – ich schwang mich stolz wie Alexander auf meine aufgepumpte Luft und sauste auf meinem Bucephalus von dannen. Von Norden kommend, machte ich in dem lieblichen Badeort Borby den ersten Halt. Wohl eine Stunde saß ich auf der Veranda des Kurhauses und ließ meine Blicke auf dem reizenden Hafenbild ruhen. Blendend weiß leuchtete die Yacht „Iduna” im hellen Sonnenschein – unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit vertraute mir der Kellner an, daß Ihre Majestät die Kaiserin bald an Bord kommen würde, um nach Kiel zu fahren. Ich überlegte, ob ich die Ankunft der hohen Frau abwarten sollte, aber das in der Luft liegende Gewitter trieb mich zum Aufbruch. Nachdem ich den Durst meines Rosses mit Öl, den meinigen aber mit Selter und Cognac gestill hatte, fuhr ich wieder von dannen. In dem reizenden Dorfe Gettorp begegnete ich einem Jägersmann, der so wohlgenährt aussah, daß ich bei seinem Anblick wieder Hunger und Durst verspürte. Höflich bat ich ihn, mir den Weg nach dem Krug zu nennen, er antwortete nicht. Ich bat zum zweiten Mal um Auskunft: wieder ohne eine Antwort zu erhalten. „Herzlichen Dank für Ihre große Liebenswürdigkeit,” rief ich ihm freundlich zu und dachte: „Strafe muß sein.” „Ich sehe, daß Sie auf die Jagd gehen,” fuhr ich fort, „ich wünsche Ihnen viel Glück.” Von den ingrimmigsten Flüchen verfolgt, sauste ich weiter und befand mich auf der Hochbrücke von Levensau in dem Augenblick, als die stolze „Hohenzollern”, durch den Kanal kommend, von zwei Torpedobooten begleitet, die Brücke passirte. Als ich bald darauf die ersten Häuser von Kiel erreichte, gaben die Geschütze donnernd den Salut.
Dem bekannten Garten von Folker gegenüber hat die „Hohenzollern”, an deren Bord beide Majestäten Wohnung genommen haben, Anker geworfen und zu beiden Seiten liegen unzählige Kriegsschiffe. Es ist Befehl, daß während der Woche der Dienst für die Offiziere und Mannschaften möglichst ruhen soll, damit sie Alle an den Festen theilnehmen können; so sind alle Schiffe, die in der Nähe waren, in den Hafen eingelaufen. Ich nenne nur den neuen Aviso „Hela”, das Artillerieschulschiff „Mars”, die Minenschulschiffe „Otter” und „Rhein”, den Aviso „Blitz”, die „Brandenburg”, „Wörth” etc. Zwischen den großen Schlachtschiffen liegen die unzähligen Yachten, die aus aller Herren Länder zur Theilnahme an den Rennen eingetroffen sind, sogar eine französische Yacht liegt hier, allerdings ist sie von einem Deutschen gechartert. Es is ein buntes, lebhaftes Bild, das sich beständig den Augen der zahlreichen Zuschauer bietet, Ruderboote, kleine Segler, Dampfpinassen, die kleinen Gigs der Kriegsschiffe fahren in einemfort hin und her und endloser Jubel erschallt, wenn in der Dampfpinasse der „Hohenzollern” der Kaiser oder die Kaiserin erkannt werden. Der Kaiser fährt mit Vorliee in einer Ruder-Gig, die er selbst steuert, ohne jede Begleitung nimmt er in dem Boote Platz und er wird, da er stets die einfache Tracht des Yachtklubs trägt, oft von den Fremden gar ncht erkannt. Wer Mitglied des kaiserlichen Yachtklubs ist, trägt in diesen Tagen natürlich auch den Yacht-Anzug, so sah ich den Generaloberst Graf Waldersee, Geheimrath Esmarch und Alfred Krupp in diesem einfachen und doch so kleidsamen Kostüm. Zahllose Fremde sind hier eingetroffen, die Hotels sind überfüllt und glücklich, dreimal glücklich ist der Mann zu preisen, der so wundervoll aufgehoben ist, wie ich es in dem Pensionat der Frau Nanny Friedrichs in der Schulstraße bin. Dort sitze ich jetzt auch am Schreibtisch und blicke zuweilen ängstlich nach dem Himmel, der gar kein freundliches Gesicht macht, ach, und bei der Kieler Woche braucht man gut Wetter, da darf es nicht regnen.
Mit der Binnen-Regatta des kaiserlichen Yachtklub nahmen am Freitag die Rennen ihren Anfang. Es wehte ein scharfer Wind, für viele der kleinen Yachten fast ein zu scharfer, aber was half's? Wie sagt doch Hermann Heiberg so schön und wahr:
„Es weht der Wind aus Süd-Süd-West, |
Der Schauplatz des Rennens, an dem sich drei dänische und zweiundzwanzig deutsche Yachten betheiligten, war zwischen Bellevue und Friedrichsort einerseits, zwischen Holtenau und Kitzeberg andererseits. Die Majestäten wohnten mit Begleitung und Gefolge dem Rennen auf der „Iduna” bis zum Schluß bei und die große Zahl der Zuschauer an Bord der Begleitdampfer beweist am besten, welches große Interesse man hier an den Rennen nimmt. Bei dem Rennen der siebenten Klasse (zwei und weniger Segeleinheiten) kämpften Nickelmann und Rautendelein einen harten Kampf mit einander und ich hörte, wie Nickelmann sagte: „Gieb Dich zufrieden, Rautendelein, Du wirst doch nur die Zweite.”
Rautendelein: „Ich?”
Und Nickelmann behielt Recht: mit einem lauten Brekekex ging er endlich als Erster durch das Ziel.
Am Sonnabend Vormittag fand die Regatta des norddeutschen Vereins statt und am Nachmittag um 6 Uhr nahm der Blumenkorso seinen Anfang. Mehr als 150 mit Guirlanden, Fahnen, Flaggen und frischen Blumen geschmückte Boote tummelten sich in buntem Durcheinander. Man müßte mit Makart'schen Farben schreiben können, um auch nur annähernd ein Bild des entzückenden Anblicks zu geben. Zwischen kleinen Grönländern, die von den Seekadetten in Torpedoboote en miniature verwandelt waren, fuhren stolz zwei alte Wikinger Schiffe, deren Bemannung mit Fellen umhüllt war. In echten Canoes saßen imitirte Neger, auf ihrer Palaver-Trommel Höllenmusik machend. Reizend war ein ganz mit Kornblumen geschmücktes Boot, ein anderes glich völlig einem schwimmenden rothen Mohnstrauß, wieder ein anderes war ganz mit Feldblumen geschmückt. Ein Schiff, das ganz mit Schilf umwunden war und das in grüne Gaze gehüllte Nymphen barg, erregte eben solchen Beifall wie ein Boot, dessen Takelage kunstgerecht und sachgemäß aus Guirlanden und Blumen hergestellt war. Nachdem die Boote einmal in langer Linie die „Hohenzollern” passirt hatten, umringten alle Schiffe in malerischem Durcheinander die stolze Kaiseryacht, auf deren Verdeck beide Majestäten, die Prinzessin Heinrich sowie die kaiserlichen Kinder standen. Es begann eine förmliche Blumenschlacht, unermüdlich warfen der Kaiser und die Kaiserin Blumen in die Boote, selbst die kleine Prinzessin betheiligte sich an dem Werfen und Jeder wollte natürlich einen „Kaiserstrauß” erhaschen. Mit scharfem Blick musterte der Kaiser die zahllosen Boote, ganz besonderes Gefallen schien er an der von zwei Seekadetten kunstvoll hergestellten Nachahmung der „Hohenzollern” zu finden. Um 7 Uhr brach plötzlich ein Platzregen los und die Kriegsschiffe signalisirten das Ende des Blumenkorsos. Wenige Minuten später aber leuchtete schon wieder die Sonne und abermals drängten alle Boote nach der „Hohenzollern”. Brausende Hurrahs erschollen immer wieder von Neuem zu dem Kaiserpaar empor, das nicht müde wurde, Sträuße zu werfen. Dann endlich dachte man an den Heimweg; galt es doch, sich zu dem am Abend stattfindenden Ballfest umzukleiden. Um 8½ Uhr begannen sich die unteren großen Räume des in der Düsternbrooker Allee herrlich gelegenen Marine-Akademie zu füllen und wohl mehr als hundert Paare schwangen sich im Kreise, als die Musik den ersten Walzer intonirte. Der Kaiser zwar blieb dem Feste fern, das ganz den Charakter einer zwanglosen Vereinigung trug, dagegen beehrte die Prinzessin Henriette den Ball mit ihrer Gegenwart und hatte für Jeden, der ihr vorgestellt wurde, freundliche Worte. Aus dem Munde der Prinzessin erfuhr ich erst, daß Mittags bei dem Korso ein Boot kenterte, doch sind die Insassen alle gerettet wurde. Um 9½ Uhr begann der Sturm auf die Buffets, man hatte auf eine so zahlreich Betheiligung nicht gerechnet und so war der Platz und das Service etwas knapp. Mit einem anderen Herrn zusammen hatte ich nur eine Gabel, der Eine sah zu, während der Andere aß, dann lösten wir uns in dieser Beschäftigung ab. Nach einer Stunde lockte die ewig schöne blaue Donau zum Tischwalzer, dann machte ich mich auf und sagte schweren Herzens dem Feste Adieu. Ein total betrunkener Droschkenkutscher brachte mich glücklich nach Haus – jetzt ist es nach Mitternacht und in wenigen Stunden geht der Zug, der diese Zeilen nach Berlin bringen soll. Ich selbst bleibe hier, um weiter zu feiern – das wie und wo erzähle ich das nächste Mal.
Freiherr v.Schlicht
[verfasst am Sonntag, 26.6.1898, kurz nach Mitternacht. D.Hrsgb.]
II.
in: „Das Kleine Journal”, Nr. 179 vom 2.Juli 1898
Wenn diese Zeilen im Druck erscheinen, ist die Kieler Woche in des Wortes richtigster Bedeutung vorübergesegelt, man kommt hier aus dem Segeln gar nicht heraus, man liegt den ganzen Tag auf dem Wasser und weiß kaum mehr, wie Land aussieht. Am Sonnabend segelte ich Nachts um drei Uhr zu Bett, fünf Stunden später segelte ich schon wieder in die See, um der Regatta des Yachtklubs beizuwohnen. Es wehte ein scharfer Nordost und so durchschnitten die Yachten mit unheimlicher Geschwindigkeit das Wasser, allen voran der „Meteor”, der sich den Kaiserpreis holte. Stürmischer Jubel begrüßte den Kaiser, als er mit seiner Yacht als Erster durch das Ziel ging. Der Anblick der tiefblauen See, belebt von mehr als fünfzig Yachten mit hellen, meist schneeweißen Segeln war ein ungemein malerischer. Natürlich fehlte es nicht an Begleitdampfern, ich erwähne unter diesen die „Puritan”, die Alfred Krupp sich für die Kieler Woche gechartert hat – einem on dit zufolge für den Preis von zwanzigtausend Mark. Zu den Fürsten dieser Welt, die sich hier aufhalten, ist nun auch noch der Fürst von Monaco mit seiner Yacht „Alice” gekommen.
Am Sonntag Abend lief S.M.S. „Seeadler” nach vieljähriger Abwesenheit, von Sansibar kommend, wieder in den Kieler Hafen ein. Um Schiff und Bemannung zu inspiziren, begab sich der Kaiser am Montag an Bord des „Seeadler” und wohnte auf diesem Schiff der Regatta des Norddeutschen Regatta-Vereins bei. Am Nachmittag hatte S.M.S. „Weißenburg” Einladung zu Thee und Tanz ergehen lassen. Wohl an 200 Personen wurden in kleinen Dampfpinassen an Bord des stolzen Schlachtschiffes befördert, das mit Fahnen und Flaggen wunderhübsch ausgeschmückt war, und bald darauf begann der erste Walzer. Mit dem Tanzen auf dem Kriegsschiff ist es ein eigen Ding, namentlich das Vorderdeck denkt nicht im Entferntesten daran, eben und glatt wie ein Tisch zu sein. Selbst wenn man nur Kamillenthee getrunken hat, verspürt man in seinen Beinen einen Rechtsdrill; statt in der Mitte des Verdecks zu bleiben, tanzt man beständig unmittelbar an dem eisernen Gitter, und nur diesem Gitter ist es zu verdanken, daß ich heute nicht mitsammt meinem durch die unglaublich hohen Kieler Marktpreise in geradezu erschreckender Weise geleerten Portemonnaie im Kieler Hafen liege. Ich habe es in diesen Tagen schon mehrfach lebhaft bedauert, nicht Herr Wippchen aus Bernau zu sein – der hat ein Talent, um Vorschuß zu bitten, das geradezu nachahmenswerth ist. Bis Abends um 8 Uhr tanzten wir einen Walzer nach dem anderen! Nein, einen Walzer vor dem anderen, und fuhren dann zur Vineta-Brücke zurück. Als wir durch den Garten der Marine-Akademie gingen, erfuhren wir, daß der Kaiser auf dem Lawn-Tennis-Platz sei. Leise schlichen wir hinzu, um den hohen Herrn, der ungemein frisch und gesund aussieht, beim Spiel zu beobachten. Der Kaiser liebt es nicht, wenn er beständig von den Fremden angestarrt wird, und verdenken kann es ihm schließlich Niemand. Die Neugier und Harmlosigkeit der Besucher kennt manchmal keine Grenzen. Eine reizende Geschichte passirte neulich auf einem Kriegsschiff, dessen Besuch gestattet war. Als die Offiziere in der Messe bei Tisch sitzen, öffnet sich die Thür und neugierige Zuschauer stecken ihre Köpfe hinein und sehen zu, wie die Herren essen. Die Offiziere ärgern sich natürlich, sind aber zu liebenswürdig, um den Leuten ein „Apage, Satanas!” zuzurufen. Da ertönt plötzlich eine echte Kieler Kinderstimme: „Oha, oha, Mutter, sieh man blos, sie essen ordentlich mit Messer und Gabel!”
Bei scharfem Wind fand am Dienstag die Seeregatta zwischen Kiel und Eckernförde und am nächsten Tage bei strömendem Regen das Handicap zwischen Eckernförde und Kiel statt. Wohl an fünfzig Yachten nehmen an dem Rennen Theil und der Start war wieder ungemein interessant, wenngleich es der „Iduna” nicht gelang, glücklich vom Start abzukommen. Der „Meteor” erregte wieder durch seine fabelhafte Geschwindigkeit bei den Fachleuten allgemeine Bewunderung, trotzdem wird das Boot zum Herbst umgebaut werden, da ihm in der englischen Yacht „Rainbow” (Herr C.L. Orr-Ewing, Glasgow) ein gefährlicher Konkurrent erstanden ist. Dem Engländer gelang es auch, als Erster die Tour Kiel-Eckernförde zurückzulegen und den „Meteor” zu schlagen, während die Yacht des Kaisers in dem Rennen der Klasse Ia (Yachten über siebzig Segeleinheiten) als Sieger hervorging. Bei dem Handicap Eckernförde-Kiel errang die „Iduna” den Preis von Krupp, der in einem schweren silbernen Pokal besteht. Ihre Majestät soll über den werthvollen Preis große Freude geäußert haben und sich überhaupt an Bord ihrer Yacht, mit der sie während der Nordlandsreise des Kaisers Ausflüge zu machen gedenkt, äußerst wohl fühlen. Die Yacht, die bekanntlich für den ungefähren Preis von einer halben Million in England gekauft ist, ist in geradezu hervorragender Weise zum Bewohnen eingerichtet, während es auf dem „Meteor” an passenden Wohnräumen, die ein Übernachten des Kaisers an Bord gestatten würden, absolut fehlt. Wer da glaubt, daß es sehr einfach sei, in Erfahrung zu bringen, wer bei den Regatten gewonnen hat, der irrt sich ebenso wie Jener, der da glaubt, daß ein Zahngeschwür zu den Annehmlichkeiten dieses Lebens gehört. 24 Stunden lief ich, zuletzt auf der Nasenspitze, da die Beine mich nicht mehr tragen wollten, in der Stadt herum, um das Nähere über den Verlauf des Rennens zu erfahren – in Kiel verwies man mich nach Eckernförde, dort nach hier. Als am Mittwoch Abend auch die dunkel brennenden Gaslaternen noch kein Licht in diese dunkle Angelegenheit gebracht hatten, schmückte ich mich zu dem in der Marine-Akademie stattfindenden Essen, an dem auch der Kaiser theilnahm, und machte mich auf und davon. Selten sah ich eine schöner geschmückte Tafel. Es ist ein alter Brauch, daß jedes aus der Ferne heimkehrende Schiff dem Kasino ein Silberstück mitbringt, und zu diesen Schätzen, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben, gesellt sich der Silbervorrat der zeitweise außer Dienst gestellten Schiffe. Aus dem Marine-Kasino, das für große Feste nicht den genügenden Raum hat, wird bei feierlichen Gelegenheiten der ganze Silberschatz in die Marine-Akademie befördert. Ich war gestern Mittag im Offizierkasino, als das Silber abgeholt wurde, und bewunderte die Prunkstücke in nächster Nähe. Als ich den Kasinowirth bat, mir die Geschichte der einzelnen Silbersachen zu erklären, bedauerte er, keine Zeit zu haben und auf meine Frage „pourquoi pas?” erfuhr ich, daß er zehntausend für Kiautschou bestimmte Flaschen Rothwein und Sekt einpacken müsse – also auch dort scheint es an dem nöthigen Durst nicht zu fehlen. Gezecht wird hier überhaupt gewaltig, vom gestrigen Abend in der Akademie bis zum frühen Morgen. Als ich heut Morgen erwachte, nahm ich mir vor, entsetzlich solide zu sein, aber kaum hatte ich den Dampfer betreten, der die interne Regatta der Kriegsschiffs-Barkassen, der Dinghies und der Kriegsschiffskutter begleiten sollte, als mir auch schon ein Sektpfropfen an die Nase flog. Natürlich ließ ich mir das nicht gefallen, sondern schoß wieder, und so ging es den ganzen Vormittag, während mehr als siebzig Boote, die sich an dem Rennen betheiligten, den Hafen belebten. Um 2 Uhr landeten wir an der Vineta-Brücke und dann ging es in Folker's Garten, um von dort aus dem Wettrudern der Seekadetten und Schiffsjungen zuzusehen. Die Kaiserin, die die Preise zu vertheilen pflegte, sah von Bord der „Hohenzollern”, die als Ziel diente, dem Rennen zu, während der Kaiser, seine Gig selbst steuernd, dem Fürsten von Monaco an Bord der „Alice” einen Besuch abstattete.
Noch so Vieles könnte und müßte ich erwähnen, aber der mir zur Verfügung stehende Raum ist knapper bemessen als das engste Tricot. Eins aber will ich doch noch erwähnen, daß mit dem gestrigen Tage auch die Lawn-Tennis-Spiele um den Kaiserpreis ihr Ende gefunden haben. Von den Damen siegte die jugendliche Tochter des Admirals Koester, die bereits im vorigen Jahr ebenfalls den Kaiserpreis errungen hatte und ihn infolge dessen freiwillig an Fräulein Reicher abtrat, während von den Herren Unterlieutnant z.S. Werterkapp Sieger ward.
So brachte die Kieler Woche multum et multa – Viel und Vielerlei – und lange noch werden die frohen Tage, die durchweg vom Wetter begünstigt waren, den Theilnehmern in schönster Erinnerung bleiben.
Freiherr von Schlicht.
von Bernhard v. Brandenburg (d.i.: Eva Gräfin von Baudissin)
in: „Berliner Tageblatt” vom 30.Juni 1898
Kiel, 29. Juli.
Die ereignißreiche Zeit der „Kieler Woche” die für den Sportsfreund jedes Jahr neue Ueberraschungen bringt und auch dem unbetheiligt Zuschauenden verräth, daß die Regatten in der lieblichen Kieler Bucht immer mehr ein internationales Gepräge annehmen, wird unter sanft, aber stetig strömendem Regen und abgeflautem Wind zu Grabe getragen. Man bedauert die Armen, die heute noch an dem Handicap von Eckernförde theilnehmen, stellt es in Frage, ob man morgen noch dem Race der Marinekutter und dem Wettrudern der Seekadetten und Schiffsjungen beiwohnen wird, und beginnt langsam, die umherliegenden Toilettesachen zusammenzusuchen und die großen Wäscherechnungen zu bezahlen. Denn wenigstens einmal täglich ist man bis auf die Haut durchnäßt worden, und nur der Sonntag brachte hellleuchtendes Hohenzollern–Wetter und dem „Meteor” den Wanderpreis, was mit allseitiger Befriedigung aufgenommen wurde. Die gelegentlichen Regengüsse konnten im Uebrigen der fröhlichen Stimmung nichts anhaben. Der Blumenkorso am Sonnabend erhielt, nachdem der erste Schreck überwunden war, und man sich zu der Ueberzeugung durchgekämpft hatte, daß „verloren — verloren sei”, einen besonders übermüthigen Charakter, der die pudelnassen alten Germanen in den Wikingerschiffen, die Nymphen und Italienerinnen, Tiroler und Chinesen, Neger und Darstellerinnen zarter Feldblumen zu immer neuem Kampfe anspornte und die geradezu entzückend ausgeschmückten Boote immer wieder Bord an Bord trieb mit dem anfeuernden Ruf: „Klar zum Entern — an Backbord!” Der Kaiser unter dem schützenden Sonnensegel, die Kaiserin sogar auf der Fallreepsbrücke warfen im strömendsten Regen unermüdlich die schönsten Sträuße in die verlangend emporgehaltenen Hände und setzten sich aufopferungsvoll den dankend zurückfliegenden Bouquets aus. Aus weißer, mit heller Seide ausgeschlagener Kapuze sahen die blauen Augen der kleinen Viktoria Luise ernsthaft in die Unruhe zu ihren Füßen, und mit allerliebster Grandezza schleuderte sie nach bewußten Zielen ihre Rosen und Nelken. Auch die Prinzen widmeten sich voll Eifer der lustigen Schlacht. Der dem Korso folgende Ball in der Marineakademie bekam ein bedeutend feierlicheres und eleganteres Gepräge durch den den meisten Damen gewiß nicht unangenehmen Umstand, die Toiletten wechseln zu müssen; es waren, entgegen dem sonstigen Gebrauch, nur wenig Promenadenkleider zu sehen, und dafür eine wahre Musterausstellung der zartesten Mousseline und Seidengewänder veranstaltet. „Weiß” war, wie für die ganze „Wochen”, auch hier die Devise; die schlichten tailor-made-Kostüme eignen sich besonders für das stundenlange Ausharren auf den vom Yachtklub und der Marine gecharterten Dampfern, von denen aus man den Regatten zuschaut: außer dem exzellenten kalten Buffet giebt es stets als Gratisbeilage ein paar Rußflecke oder einen Oelstreifen beim gelegentlichen Passiren der Maschine.
Gelten die Morgenstunden ausschließlich dem Sport und den wichtigen Fragen, ob die graziöse „Senta” des Herrn Büsing aus Hamburg über den „Kommodore” siegen, oder ob die elegante „Rainbow” als erste der Kreuzeryachten durchs Ziel gehen wird, so ist der Nachmittag ganz den geselligen Zusammenkünften geweiht. Fast jedes große Schiff giebt ein Fest, zu dem die Offiziere der anderen schwimmenden Festungen mit ihren Damen geladen werden; und sei es ein Frühstück mit Tanz wie auf der „Wörth”, ein Nachmittagsthee mit Tanz auf der „Weißenburg” oder wie gestern sogar ein Ausflug von der „Brandenburg” aus nach Bülk, wo man unter den herrlichen alten Buchen lagerte und später auf den glatten, todten Blättern verschwundener Sommermonde eine stilgerechte Quadrille tanzte — getanzt wird immer, zu jeder Tageszeit und überall, unter straffgespanntem Sonnensegel, unter den bunten Flaggen und schweren Guirlanden. Selbst in den allerheiligsten Räumen der Maschinenkessel und Mannschaftskojen sieht man in lächelnde, blitzende Augen, in glückliche Mienen und sorglose Züge. Für eine ganze Woche denkt Jeder nur daran, sich zu amüsiren und die Tage möglichst angenehm zu verbringen. Es ist die Ferienzeit der Marine, so weit es geht, werden die Schiffe nach Kiel beordert, den Leuten der Dienst erleichtert und auch die Offiziere möglichst wenig beschäftigt. Nur der Arme, der Wache hat, kann einzig mit sehnsuchtsvollen Augen an dem Tanz auf Achterdeck theilnehmen, die Pfeife kommt nicht aus seiner Hand, und auf seinen schrillen Pfiff drängt sich durch die Tanzenden das Wachkommando, um vor einem an oder von Bord gehenden Admiral zu präsentiren. Unten am Fallreep schaukeln sich flinke Pinassen und saubere Boote. Sie vermitteln den Verkehr mit dem Festlande und tragen auch hohe Perösnlichkeiten hin und her, die an Bord der „Hohenzollern” befohlen wurden, oder die den Besuch des Fürsten von Monaco auf der „Alice” oder des Geheimraths Krupp auf dem „Puritan” erwiedern. Ueberall begegnet man dem scharfen, feinen Gesicht der Exzellenz Esmarch und dem gütigen Lächeln seiner Gemahlin, der Prinzeß Henriette, von der man sich erzählt, daß sie die Gabe habe, alle ihr Vorgestellten wiederzuerkennen. Auch der Oberpräsident v. Köller mit seiner schönen, liebenswürdigen Gemahlin nimmt an Bord des Regierungsdampfers „Sperber” an den Regatten regen Antheil.
Gegen Abend, wenn die Feste auf den Schiffen beendet sind, giebt sich die Gesellschaft in stillschweigender Uebereinkunft ein Stelldichein an den Lawntennis–Plätzen unterhalb der Marineakademie. Man drängt sich hinter den Netzen zusammen, um den Kaiser im leichten Flanellanzug, die roth und weiße Mütze auf dem Kopf, spielen zu sehen oder wie eben jetzt dem Kampf um den Kaiserpreis beizuwohnen. Wie im vorigen Jahr, so ging auch in diesem die jugendliche Tochter Admiral Kösters als Siegerin hervor. Unter den Zuschauern stand lebhaft plaudernd Prinzeß Irene, begleitet vom Prinzen Waldemar, ebenso der Erbgroßherzog von Oldenburg, der mit seiner „Lensahn” eingetroffen ist, an der Seite seiner jungen Tochter, die die berühmten Märchenaugen ihrer Mutter geerbt hat. Lustige Worte fliegen hin und her, flüchtige Bekanntschaften werden erneuert, frische Verabredungen getroffen. Offiziere aller Waffen stehen neben den chik gekleideten Herren des Yachtklubs und nehmen gern eine Einladung der dänischen und englischen Yachtbesitzer an, deren elegante, schwimmende Häuser an den Bojen verankert liegen. „Hat Rainbow wirklich den „Meteor” geschlagen?” ist die Tagesfrage, die erst morgen nach sorgfältiger Prüfung aller Bedingungen durch die Schiedsrichter entschieden werden kann. Die Rivalin der „Rainbow”, die „Merrythaught” des Mr. Quentin, hat diesmal wirklich den im Vorjahre im letzten Augenblick verlorenen Pokal für das Rennen von Dover nach Helgoland bekommen, und der glückliche Sieger giebt manch opulentes Frühstück an Bord seiner luxuriös ausgestatteten Yacht, auf der selbst die Fingernäpfe aus indischer Silberarbeit hergestellt sind. Der gewonnene Pokal kann übrigens fünfundzwanzig Flaschen Sekt fassen und ist gestern von dem glücklichen Besitzer in Eckernförde zum ersten Mal für alle Theilnehmer der Regatta gefüllt worden.
Da findet sich für Jeden eine größere oder kleinere Freude, und wer im Unmuth über irgend einen glücklicheren Rivalen schon vor der Startlinie umkehrt und voll Zorn in den schützenden Hafen zurückgekehrt ist, wird durch harmlose Vergnügungen für die mehr oder minder schmerzliche Niederlage entschädigt — auf die Kosten der verlorenen Mühe und Zeit kommt Jeder! Und der besondere Reiz, der für jeden Menschen darin liegt, die Großen und Höchsten dieser Welt aus nächster Nähe betarchten zu dürfen, vielleicht gar ihnen vorgestellt zu werden, erhöht nicht zum Wenigsten die Festesstimmung. Das Band, das sich aus Verehrung und Sympathie, aus gemeinsamen Freuden und getheilten Interessen webt, zieht sich in diesen Tagen fast greifbar vom Vorgesetzten zum Untergebenen, von alten Bekannten zu ganz Fremden, und den heiteren Unterschlag durchwirken feine farbige Fäden, die plötzlich weit aus einander liegnde Schiffe verketten und schon zu ganz schweren Havarien geführt haben.
Hier aber legt der diskrete Seemann seinen „Kieker” beiseite und überläßt alles Wind und Wellen. Im nächsten Jahr hat mancher alte Segler wahrscheinlich einen tüchtigen hübschen Steuermann bekommen, und mit neuem Lebensmuth und doppelter Zuversicht geht es durch den Start: „Segel auf!”
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© Karlheinz Everts