Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Zu dumm!” und
in: „Der Gefechtsesel”
Leutnant von Dewitz befand sich in einer mehr als schlechten Stimmung, und das nicht ohne Grund, ihm war der Weihnachtsurlaub abgeschlagen worden. „Aus dienstlichen Gründen abgelehnt,” lautete die kurze Notiz, mit der er sein Urlaubsgesuch zurückerhalten hatte, aus „dienstlichen Gründen,” er lachte bitter auf, denn er kannte die nur zu genau, die bestanden lediglich darin, daß der Oberst ihn ebensowenig riechen konnte, wie er ihn. Diese leidenschaftliche Liebe beruhte auf vollständiger Gegenseitigkeit. Zuerst war das anders gewesen, vor einem Jahr hatte Dewitz sich noch sehr gut bei seinem Kommandeur gestanden, und wenn er auch keineswegs der Inbegriff eines pflichtgetreuen, diensteifrigen Offiziers war, so hatte der Oberst dennoch oft beide Augen zugedrückt, weil er ihn als Menschen ebenso gern zu haben schien wie alle anderen Kameraden.
Aber das war mit einemmal anders geworden, ganz plötzlich, über Nacht. Leutnant von Dewitz erinnerte sich dessen noch ganz genau, es war am Tag nach jenem Ball gewesen, auf dem er der schönen Gerda, der schlanken, dunkeläugigen Tochter seines Kommandeurs, noch mehr als sonst den Hof gemacht, als er fast den ganzen Abend mit ihr getanzt, sie in jeder Weise ausgezeichnet und aus ihrem ganzen Benehmen heraus bemerkt zu haben glaubte, daß sie auch an ihm großen Gefallen fand.
Und an jenem nächsten Morgen war sein Oberst ihm zum erstenmal grob geworden, brrrr! Er schüttelte sich noch, wenn er nur daran dachte, und doch war die ganze Veranlassung so harmlos gewesen, er hatte es übersehen, daß einer seiner Leute drei Knöpfe des Waffenrockes offen hatte. Selbstverständlich war das nur die äußere Veranlassung gewesen, die wahre Ursache lag tiefer, darüber täuschte Leutnant von Dewitz sich nicht. Woher nahm er, der ärmste Leutnant des ganzen Regiments, auch den Mut, der einzigen Tochter, noch dazu dem einzigen Kind seines für einen Infanteristen ungewöhnlich reichen Kommandeurs den Hof zu machen und ihr derartig die Cour zu schneiden? Gewiß, er sah es selbst ein: das war ein Wahnsinn, und wenn man ihm ruhig zugeredet hätte, würde er sicher auch Vernunft angenommen haben. Aber als der Oberst ihn derartig anfuhr, da sagte er sich: nun gerade nicht, ärgerst du mich, dann ärgere ich dich wieder. Und dieses gegenseitige Anärgern hatten beide gründlich besorgt. Dewitz ließ keine Gelegenheit vorübergehen, die schöne Gerda in auffallendster Weise auszuzeichnen, und der Oberst benutzte die geringste Veranlassung, die sich ihm bot, um seinem Leutnant so grob zu werden, wie er nur irgend konnte. Und er konnte sogar noch gröber werden.
Ich gebe nicht nach! hatte sich Dewitz täglich gesagt. Ganz abgesehen davon, daß ich bis über beide Ohren in seine Tochter verliebt bin, obgleich ich ganz genau weiß, daß sie nie die Meine werden kann. Aber selbst, wenn ich sie nicht so rasend lieb hätte, würde ich ihr doch auf Teufelsholen den Hof machen, schon, um dich zu ärgern. Wir wollen doch mal sehen, wer das am längsten aushält.
Und zähneknirschend mußte Leutnant von Dewitz sich jetzt eingestehen, daß der Oberst vorläufig noch nicht daran dachte, nachzugeben, das bewies besser als alles andere die abschlägige Antwort auf sein Urlaubsgesuch.
Solch Weihnachtsfest habe ich mir immer schon gewünscht, schalt er vor sich hin, gewiß, ein Weihnachtsabend im Kasino ist ja auch ganz nett, besonders für diejenigen, die keine Angehörigen mehr haben. Aber so lange man noch Mutter und Geschwister besitzt, gehört man Weihnachten zu diesen, und daß der Oberst das nicht einsehen will oder daß er es vielleicht doch einsieht und mir trotzdem das Vergüngen raubt, nach Hause fahren zu können, das ist eine Gemeinheit, für die es überhaupt keine Wort egibt. Und in diesem Sinne schrieb Leutnant von Dewitz auch an seine Mutter, und wenn der Herr Oberst diesen Brief hätte lesen können, dann wäre der Herr Leutnant wegen Achtungsverletzung, Beleidigung eines Vorgesetzten und auf Grund anderer Paragraphen des Militär–Strafgesetzbuches kriegsgerichtlich zum mindesten erschossen worden.
Als er seinem Herzen Luft gemacht hatte, war ihm sehr viel wohler, und die stille Hoffnung, daß sich ihm vielleicht irgendwie einmal Gelegenheit bieten würde, sich an seinem Kommandeur zu rächen, söhnte ihn nach und nach ganz mit seinem Geschick aus. Rache ist süß, und er wollte sich rächen. Über das Wie war er sich zwar noch nicht einig, aber mit der Zeit würde auch da Rat kommen.
So kam der Weihnachtsabend heran. Die Feier in den Mannschaftsstuben war beendet, und die wenigen Offiziere, die zurückgeblieben waren, hatten sich im Kasino versammelt. Aber trotz der großen, hellbrennenden Tannenbäume, trotz der vielen Geschenke, trotz der großen Bowle kam keine Weihnachtsstimmung auf, die Herren wurden immer stiller und stiller und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
„Wenn's nicht so blödsinnig früh wäre, müßte man eigentlich mit samt seinem Stumpfsinn zu Bett gehen,” meinte Leutnant Dewitz, „aber wer kann abends um acht Uhr schon schlafen? Ich nicht.”
Da trat eine Ordonnanz in den Saal: „Der Herr Oberst haben soeben geschickt, Herr Leutnant von Dewitz möchte sofort zu dem Herrn Oberst kommen.”
„Ich denke ja gar nicht daran,” meinte der, als die Ordonnanz wieder draußen war. „Schön ist dieser Weihnachtsabend ja sowieso nicht, aber glaubt der Mann, ich ließen ihn mir noch mehr verderben? Meint er, ich hätte auch nur die leiseste Neigung, mir auch heute von ihm Grobheiten sagen zu lassen? Ausgerechnet am Weihnachtsabend? Der Mann tut mir leid, wenn er mich für so töricht hält. Wenn der Oberst heute abend etwas von mir will, kann er zu mir kommen, ich komme nicht.”
Aber schließlich ging er doch. Die Kameraden redeten ihm zu, doch Vernunft anzunehmen, und endlich sah er es auch selbst ein, daß es mehr als leichtsinnig wäre, einem direkten Befehl des Vorgesetzten Ungehorsam entgegenzusetzen. So machte er sich denn auf den Weg. Es war bitter kalt, der Schnee lag fußhoch, und immer noch fielen die Flocken zur Erde nieder. „Ein angenehmes Wetter,” schalt er vor sich hin, während er sich seinen Weg bahnte, und seine Laune wurde nicht besser, als er überall durch die Fenster die hellbrennenden Tannenbäume sah, als er überall das Jauchzen der Kinder und das Lachen der Erwachsenen zu hören glaubte.
„Na warte, mein sehr verehrter Herr Oberst — für diesen Spaziergang sollst du mir noch extra büßen,” dachte Leutnant von Dewitz, als er endlich an der Wohnung des Vorgesetzten klingelte.
Der Bursche hatte ihn anscheinend schon erwartet und seine Instruktion schon im voraus erhalten, denn gleich nachdem der Leutnant abgelegt hatte, öffnete er eine Tür und ließ den Besucher eintreten. Verwundert sah der sich um: unter dem hellbrennenden Tannenbaum waren die Tische mit den Geschenken ausgebaut, aber sonst war das Zimmer leer. Schon glaubte er, der Bursche hätte ihn falsch geführt, als sich eine Tür öffnete und Gerda hereintart: „Papa läßt bitten, ihn einen Augenblick zu entschuldigen, er wird gleich kommen.” Sie hatte ihm die Hand gereicht und es kam ihm vor, als sähe sie ihn mit ihren großen, dunklen, sinnberückend schönen Augen noch freundlicher an als sonst. Und er wußte nicht, wie es kam, er stand ihr ganz verlegen gegenüber und wußte nicht, was er sagen sollte. Und als er nun seinerseits den Blick hob, da sah er, wie sie die Augen senkte und wie eine leise Röte ihr in die Wangen stieg. Unwilkürlich trat er einen Schritt näher und seine Hand faßte ihre Rechte, die sie ihm willenlos überließ.
„Gerda,” sagte er mit leiser Stimme, und als er sah, wie ein leises Zittern und Beben ihre schlanke Gestalt durchlief, da nahm er sie, seiner selbst nicht mehr Herr, in die Arme und drückte einen leidenschaftlichen Kuß auf ihren Mund. Und zwei weiche Arme schlangen sich um seinen Hals.
„Gerda — ist es denn wahr, kann es denn wahr sein? Hast du mich lieb? So lieb, wie ich dich?”
Und als sie ihm unter Lachen und Tränen zunickte, da zog er sie voller Seligkeit an seine Brust.
Da öffnete sich die Tür und der Kommandeur trat ins Zimmer.
„Um Gotteswillen, der Herr Oberst!” Das war alles, was Dewitz im Augenblick zu denken und zu sagen vermochte. Erschrocken ließ er die Geliebte los und trat dann dem Vorgesetzten entgegen. Der schlägt dich jetzt tot, oder, wenn er dich nicht tot schlägt, wirft er dich zum Haus hinaus, und wenn er dich nicht zum Haus hinauswirft, dann wirft er dich wenigstens aus dem Regiment hinaus, und in Treuenbrietzen oder in einer sonstigen Weltstadt wirst du dich eines Tages wiederfinden. Aber plötzlich durchfuhr ihn ein anderer Gedanke und der stimmte ihn mit einemmal ganz froh und glücklich. Ich habe mich gerächt, sagte er sich, ich habe an dem Kommandeur eine Rache genommen, wie er sie sich schrecklicher ncht denken kann. Daß er mich als Schwiegersohn annehmen muß, das überwindet er sein Leben lang nicht. Und so sagte er denn mit einer Stimme, der man deutlich eine große Schadenfreude anhörte: „Herr Oberst, ich melde ganz gehorsamst, daß ich mich soeben mit Ihrem(1) Fräulein Tochter verlobt habe.”
Und da geschah etwas ganz Unerwaretes: anstatt tot umzufallen oder wenigstens einen Tobsuchtsanfall zu bekommen, lachte der Kommandeur glücklich auf. „Na ja also, dann ist ja alles in schönster Ordnung.” Und als er das erstaunte Gesicht des jungen Leutnants sah, fuhr er fort: „Dewitz, wissen Sie denn wirklich nicht, warum ich Sie nach Ihrer Meinung so niederträchtig behandelt habe? Doch nur, weil ich wußte, daß Gerda Sie liebte, und weil ich wünschte, daß Sie mein Schwiegersohn werden sollten. Von dem aber verlange ich mehr, als daß er nur ein allgemein beliebter Kamerad ist, der muß auch ein allgemein anerkannt tüchtiger Offizier sein. Und das sind Sie zwar noch nicht ganz, aber Sie sind auf dem besten Wege es zu werden.”
„Ach so — deswegen,” meinte Dewitz ganz mechanisch. Er begriff das alles noch nicht so recht.
„Und wissen Sie auch, warum ich Ihnen den Weihnachtsurlaub abschlug?”
Gerda warf sich an die Brust ihres Vaters: „Bitte, Papa, verrat' es nicht.”
„Ach was,” meinte der lustig, „einmal erfährt er es ja doch.”
„Jawohl, einmal erfahre ich es ja doch,” wiederholte Drewitz wie im Traum.
„Da hörst du es ja, Gerda,” sagte der Vater lachend. „Also: ich schlug Ihnen den Urlaub nur ab, weil Gerda sich zum heutigen Weihnachten von mir nur eine Kleinigkeit wünschte, und die waren Sie. Und als guter Vater konnte ich Sie da doch nicht auf Reisen schicken, da mußte ich doch wenigstens versuchen, mein Kind glücklich zu machen. Wie ist es, sind Sie mir noch böse, daß Sie heute Abend nicht zu Hause sind?”
Für einen Augenblick tauhte das Bild der Seinen vor ihm auf: er sah die Mutter und die Geschwister unter dem brennenden Tannenbaum vereint und er glaubte in ihren Mienen die Betrübnis zu lesen, darüber, daß er ihnen heute fehlte. Aber er würde ihnen gleich jetzt die Freudenbotschaft senden, daß er sich mit der Tochter seines Kommandeurs verlobt habe und er wußte, welche Freude dann auch bei ihnen herrschen würde.
Und als sein Blick nun Gerda traf, deren dunkle Augen ängstlich fragend an seinem Antlitz hingen, da sagte er: „Wenn es mir auch schwer wird, Herr Oberst — dieses Mal will ich es Ihnen verzeihen.”
Und deutlich klang aus seinen Worte die grenzenlose Freude heraus, dieses Mal keinen Urlaub erhalten zu haben.
(1) In der Fassung von „Der Gefechtsesel” heißt es hier: „mit Ihrer Fräulein Tochter” (Zurück)