Albert Langens Verlagskatakog

1894–1904

Albert Langen
Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904


Selbstbiographien der Autoren
und
Karikaturen von Olaf Gulbransson


Auf Seite 127 bis 129:

Freiherr von Schlicht
(Wolf Graf von Baudissin)

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Am 30. Januar 1867 wurde ich in Schleswig geboren, und meine heute noch in Lübeck wohnende alte Mutter behauptet, sie hätte weder in ihrer eigenen noch in einer fremden Familie jemals ein Kind gesehen, das im Schreien eine solche Ausdauer besessen hätte wie ich. Nach allem, was man mir aus meiner Jugend erzählt, muß ich ein furchtbarer Balg gewesen sein, maßlos heftig, der mit geballten Fäusten gegen alles losging, was ihm nicht behagte. Und mein Trotz wurde dadurch nicht gebrochen, daß mein Vater, der bekannte Schriftsteller Adalbert Baudissin, schon im Jahre 1871 starb und ich nun ganz unter der liebevollen Erziehung meiner guten Mutter stand als eines von sieben Kindern.

Die schönen Spieljahre gingen vorüber, und als ich eines Morgens erwachte, mußte ich zum ersten Male zur Schule gehen. Den Schrecken vergesse ich mein Lebtag nicht! Ich war kein schlechterer Schüler als viele andere, aber trotzdem blieb ich schon in Quarta zum ersten, aber leider nicht zum letzten Male in meinem Leben sitzen. Und warum ich sitzen blieb? Mein Klassenlehrer, der zugleich auch in der Mädchenschule Unterricht gab, fand in der Manteltasche meiner jüngsten Schwester einen Liebesbrief von meiner zarten Hand, der leider nicht an meine Schwester, sondern an eine ihrer Schulfreundinnen gerichtet war. Damals wollte ich für das kleine Mädchen sterben, während ich dies schreibe, zerbreche ich mir vergebens den Kopf, wie sie hieß. So sind wir Männer!

Dieser Liebesbrief, übrigens auch nicht der letzte meines Lebens, war eine Jugenddummheit, aber sie kostete mich ein Jahr meines Lebens, denn die Schulzeit ist für mich selbst in der Erinnerung der Schrecken aller Schrecken. Lediglich um dem Schulzwang sobald als möglich zu entfliehen, entschloß ich mich, Offizier zu werden, und zog als Unterprimaner den Fähnrichsrock an.

Ich sehe mich noch am 16. Mai 1887 zum erstenmal in Freiburg im Breisgau auf dem Kasernenhof im bunten Rock langsamen Schritt üben; schön war es nicht, weder für mich, noch für meine Vorgesetzten. Mit Gottes Hülfe brachte ich es im Laufe der Zeit bis zum Oberleutnant und bis zum Halbinvaliden mit 675,84 Mark jährlicher Pension. Mit diesen Glücksgütern gesegnet, zog ich mich wieder in das Zivilleben zurück, um mich fortan ganz der Beschäftigung zu widmen, die mir seit meiner Verheiratung mit meiner ebenso klugen wie schönen Frau Eva, geb. Türk, aus Lübeck, die jetzt ebenfalls eine sehr bekannte Schriftstellerin ist, die Butter auf das Brot geliefert hat.

Ich lebte ganz der Schriftstellerei, denn schon als Leutnant war ich der Freiherr von Schlicht geworden, ohne daß meine Kameraden es ahnten, wer der Schuldige sei, der da es wagte, sich öffentlich, wenn auch in humoristischer Weise, über die heiligsten Einrichtungen der Armee zu äußern. Mein verstorbener Schwager(*) brachte mich zuerst auf den Gedanken, den Abschied zu nehmen. Wir wollten ein Jahr zusammen reisen, und ich sollte Land und Leute kennen lernen. Ich reichte Urlaub ein, aber drei Tage, bevor die Weltreise losgehen sollte, starb mein Schwager an einem Herzschlag, und ich saß da mit meinem Urlaub und wußte nicht, was tun. Drei Wochen lang lag ich zum Entsetzen meiner Frau jeden Tag bis um zwölf Uhr im Bett, weil ich absolut nicht wußte, was ich mit meiner freien Zeit anfangen sollte. Dann setzte ich mich eines Tages hin und fing ernstlich an zu arbeiten, und dieser edlen Beschäftigung huldige ich heute noch. Ich bin sehr viel auf Reisen, ich kenne mehr als die halbe Welt, aber wenn ich zu Hause bin, gibt es für mich nur eines: Arbeit. –

So sind im Laufe der Zeit viele Bücher entstanden, und viele werden noch entstehen, denn ich bin mit Aufträgen überhäuft und selbst eine tägliche Arbeitszeit von sieben Stunden genügt nicht, um allen Anforderungen gerecht zu werden. So habe ich auch augenblicklich wieder den sehnlichsten Wunsch, von meinem Schreibtisch einmal fortzukommen, aber wenn ich auf Reisen bin, zieht es mich mit unwiderstehlicher Gewalt doch immer wieder nach Haus, und ich bin erst wirklich glücklich, wenn ich den ersten Bogen Manuskript wieder vor mir sehe: Mir selbst zu Liebe, dir, geliebter Leser, – wie die Marlitt so schön zu sagen pflegte – hoffentlich nicht zum Leide, so geht mein Leben dahin in Arbeit und in Reisen, aber der Schreier, der ich in meiner Jugend war, bin ich geblieben, ich war es auch als Leutnant, ich krakehlte immer gegen meine Vorgesetzten an, ich war das, was man einen schwierigen Untergebenen nennt, und ein Krakehler, wenn auch ein sehr zahmer, bin ich nach Ansicht vieler Leute, denen ich natürlich nicht zustimme, auch in meinen Schriften.

Ich habe oft versucht, mich zu ändern, aber ich kann es nicht, der Schlicht bleibt immer der Schlicht, und er wird es auch wohl bleiben, bis ich eines Tages für immer die Feder aus der Hand legen muß. Und mein Nachfolger wird dann wohl mein jetzt zehnjähriger Junge werden, denn als ich ihn neulich einmal wieder, wie schon so oft, fragte: „Junge, willst du denn später wirklich kein Schriftsteller werden?" da rang sich ein schwerer Seufzer aus seiner Brust, er schlang seine Arme um meinen Hals und sagte: „Pappen, wenn es denn unbedingt sein muß – – dann ja!"


Fußnote:
(*) Rudolf Hertzog, Großkaufmann, † Berlin, 10.Jan. 1898 [D.Hrsgb.]



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© Karlheinz Everts