Freiherr von Schlicht
im Kasseler Kabarett
Weinhaus Winzerstuben
im November 1924


Kassel-1
Kasseler Post vom 1. - 3.11 1924

„Kasseler Post” vom 4. November 1924:

Winzerstuben. November-Spielplan. Donnerwetter, Donnerwetter! Ist das noch Kassel? . . . . Wahrhaftig, diese Frage schein berechtigt unter dem Eindruck der Darbietungen, mit denen Bäckers Kleinkunstbühne in diesem Monat aufwartet. Es ist tatsächlich schwer, einen Anfang zu machen mit den schwachen Andeutungen, auf die sich ein Zeitungsbericht beschränken muß. Denn fast jede Nummer ist ein Glanzpunkt und besonderen Referates wert. In erster Linie muß natürlich Wolf Graf von Baudissin genannt werden, der als Freiherr von Schlicht ungezählten Lesern als Verfasser von Militär- und anderen Humoresken bekannt ist und hier, für seine Person weit entfernt von allem Kabarettis­tischen und überhaupt Vortrags­kunst­mäßigen, einige Proben seines reichen Schaffens bietet, Proben, die wohl gerade wegen der unprätentiösen Art ihrer Vermittlung das anspruchsvollste wie das anspruchsloseste Publikum zu befriedigen wissen. So ist das Auftreten des „Freiherrn von Schlicht” in den „Winzerstuben” eine Sensation literarischer Prägung, wie sie Kassel in dieser Form wohl noch nicht erlebt hat. . . . .


„Casseler Tageblatt und Anzeiger” vom 3. November 1924:

Ein Glanzprogramm der Winzerstuben. Diesen Novemberspielplan des rührigen Kabaretts in der Wilhelmstraße muß man sich ansehen, er übertrifft alle seine Vorgänger. Schon um des einen Ansagers willen, dessen „werter Name” Erich Guttstadt ist. Einen solchen koddrigen Berliner Sprechmechanismus, solchen schlagfertigen Humor und soviel verblüffende Vortragskunst unter der Maske parodistisch-mimischer Darbietungen hat Cassel kaum je gesehen. Winzerstuben-Cassel.jpg Schon wenn er als Waldorf-Astoria-Zigarettenboy die Bühne betritt, hat er die Lacher auf seiner Seite und läßt sie den ganzen Abend nicht mehr locker.

Noch zwei Größen bietet das Programm. Da ist Freiherr von Schlicht, eigentlich Wolf Graf von Baudissin, dessen Militärhumoresken, Schwänke und Novellen einst zu den beliebtesten Gaben des deutschen Büchertisches gehörten. Er trägt schlicht, wie sein Name, aber mit warmem Herzen allerlei kleine Liebenswürdigkeiten über die Frauen und die hübsche Geschichte von der gerutschten Hose des Musketiers Meyer vor.

Ein glänzender Lautenspieler und parodistischer Humorist ist der Wiener Heinz Buda, der mit seinen Vorträgen gleichfalls einen durchschlagenden Erfolg erzielte. Das Tanzgebiet wird von Hanni Hanita und Sonja Sokolowa vertreten, von denen die erstere ungleich mehr Phantasie und Technik aufweist, als die etwas gezwungen wirkende Dame mit dem russischen Namen. Die stimmliche Vortragskünstlerin Lu Dersa reicht nicht an die anderen Nummern dieses vorzüglichen Spielplans heran. Fritz Heidenreich begleitet wieder sehr geschickt am Flügel. —

Unten aber in der Diele spielt die beste Tanzkapelle, die nach dem eintägigen Schachmeister-Gastspiel Cassel je gehabt hat. Rio Günther und Heinz Goebel, die in Baden-Baden zum Tanzturnier aufspielten, wissen, wie moderne Musik gemacht wird. Es wird nicht lange dauern, bis sich der Ruf dieser mit Banjo, Saxophon, Hawaii-Flöte und einem glänzenden Geiger arbeitenden Jazzband hier verbreitet hat und dann werden vielleicht Leute in der Diele tanzen, die man sonst dort nicht antrifft.

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„Casseler Tageblatt vom 23.11.1924
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„Casseler Tageblatt vom 27.11.1924

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