Der freiherrliche Kabarettier.

Besuch bei Freiherrn v. Schlicht.

in: „Neues Wiener Journal” vom 1.März 1908


Im Kabarett wird jetzt Freiherr v. Schlicht, der bekannte Humorist und Romancier, durch mehrere Abende als Vorleser gesellschaftlicher Satiren und Humoresken auftreten. Man schätzt hier seine Romane und Schwänke, kennt die „Erstklassigen Menschen”, die „Offiziersehen” u. a. , in welchen dieser Schriftsteller tiefwurzelnden Vorurteilen der in Deutschland herrschenden Klassen entgegentrat. Er kam so in einen Konflikt mit den Zensurbehörden und hatte die Klasse gegen sich, der er als Adeliger und gewesener Offizier selbst angehört und gegen deren Niedergang er sich wendete. Das war ein heftiger Kampf gegen gangbare Anschauungen, und Graf Baudissin (dies sein wirklicher Name) kämpfte ihn ohne Scheu vor Konsequenzen wie eben ein mutiger Offizier aus. Daß er mit schweren Waffen dareinschlug und mit bitterem Ernst anstatt mit harmlosem Humor vorging, das wurde ihm übelgenommen. Sein Roman „Erstklassige Menschen”, eine Satire auf die Bevorzugung und Ueberschätzung des Militärstandes, verfiel in Deutschland der Konfiskation, trotzdem der Autor jede persönliche Anspielung in seiner Darstellung vermieden hatte.

Wir treffen ihn in einer Vormittagstunde im Hotel Tegethoff, wo er Samstag früh einkehrte. Er hat vom Adeligen die Liebenswürdigkeit des Wesens. Er nennt sich Schlicht und gibt sich als ein schlichter bürgerlicher Mann, der im Leben und in der Arbeit wurzelt. Ein guter Plauderer, mit Anklängen bald an sächsischen, bald an norddeutschen Dialekt, berührt er in einem Gespräch voll Rückhaltlosigkeit Dinge, die seine Lebens- und Herzenssachen sind. Wie er uns gegenüber­steht, hat er nur noch wenig von militärischer Strammheit und gibt sich mit seinem ganzen Wesen wie ein Mann, der gesellschaftliche Abgrenzungen nicht mehr kennt.

Unser Gespräch kommt schon in seinen Anfängen auf sein Verhältnis zum Militärstande.

„Ich bin noch jetzt ein Offizier durch und durch und ich begreife nicht, wie man annehmen konnte, daß ich von feindseligen Tendenzen gegen den deutschen Militärstand erfüllt bin. Das wäre eine Sache contre coeur. Ich wandte mich nur gegen einzelne Dinge und Erscheinungen, gegen die maßlose Ueberschätzung dieses Standes, gegen die anerzogene Unselbständigkeit der militärischen Vorgesetzten, die immer von Höheren desavouiert werden. Es gibt Komödien im Militärstande, das leugne ich nicht. Welche kleinen und kleinlichen Ursachen und Anschauungen wirken hier bei den Karrieren mit, entscheiden über das Wohl und Wehe des Offiziers. Oft ist es nur die Abstammung oder nur die gute Figur, die den Ausschlag gibt. Persönliche Tüchtigkeit ist eine Sache, die gar nicht oder erst in zweiter Reihe in Betracht kommt. Worauf sind die massenhaften militärischen Verabschiedungen in Deutschland zurückzuführen. Man hat vielleicht eine schlechte Frontfigur bei irgend einer besonderen Gelegenheit abgegeben und man wird dann rasch ausgeschaltet. Ich mache andererseits für viele Dinge das deutsche Militär gar nicht verantwortlich. Man verhätschelt und bevorzugt in deutschen bürgerlichen Kreisen das Militär allzusehr und so wird der kleinste Leutnant zum Größenwahn allmählich erzogen. Gar nicht wohlhabende Eltern erziehen ihre Söhne im Hinblick auf die zukünftige militärische und Heiratskarriere, und wenn das Glück sich nicht einstellt, dann kommen die Schulden, kommen sonstige Entartungen im Spiel und in der ganzen Lebensweise. Dann sind da die Schäden des Duellzwanges. Ich kann Ihnen da eine drollige Geschichte erzählen. Ein junger Leutnant trat vom Militär aus und sah sich genötigt, sich um eine Stelle in einem Bankhause umzusehen. Die Stelle wird eingeräumt unter der Bedigung, daß der Leutnant seine häßliche Schrift durch Unterweisung eines Kalligraphen verschönert. Der Leutnant fühlt sich von diesem berechtigten Verlangen des Bankdirektors verletzt und forderte ihn zum Duell auf.

Man verlangte, nachdem meine „Erstklassige Menschen” erschienen sind, von mir Wahrheitsbeweise. Wie soll ich diese geben? Ich kann auf hundert Fälle hinweisen, kann Personen nennen, aber die wird man eben als schlimme Ausnahmen bezeichnen und als nichts mehr. Alle meine Sachen und Schilderungen entstammen Selbsterlebnissen und ich wundere mich über die Vorwürfe einzelner Kritiker, daß meine Darstellungen nicht der Wirklichkeit entsprechen.”

„Haben Sie Ihre militärischen Satiren schon während Ihrer Dienstzeit veröffentlicht?”

„Ja, aber unter einem anderen Pseudonym als das, dessen ich mich jetzt bediene. Ich nehme für mich das kleine Verdienst in Anspruch, die militärische Satire geschaffen zu haben. Weil meine Erzählungen schlicht und wahrheitsgetreu waren, nannte ich mich auch als Schriftsteller Schlicht.”

„Wie kamen Sie ins Kabarett?”

„Zuerst durch Wolzogen und dann fand sich vielfache Gelegenheit. Ich bin kein Vortragskünstler und trete nur als Schriftsteller auf, der damit wirken will, was eben in seinen Sachen an literarischen Qualitäten da ist.”

„Sie kommen nach Wien in die „Hölle” nicht als Fremder. Wir sahen hier einzelne Ihrer Stücke, kennen Ihre Erzählungen.”

„Ich kenne Wien leider nur sehr flüchtig und weilte da zum erstenmal vor etwa fünf Jahren gelegentlich der Premiere von „Im bunten Rock”. Da steckte ich mit meinem Freund v. Schönthan tief in der Arbeit. Was ich zu sehen bekam, war die schöne Krieau. Einmal geriet ich, von einer jungen Dame geleitet, auf den Kahlenberg mitten in glühender Sommerhitze. Das sind so meine kleinen Erlebnisse in Wien, und jetzt freue ich mich, hier noch so viel Schönes sehen zu können, dien Theater, die Museen. Ich will eine Weile in dieser schönen Stadt bleiben, und hoffe auch, hier ein wenig arbeiten zu können. Ich bin gerade bei der Vollendung eines neuen Lustspiels angelangt. Ein Schwank von mir und Walter Turczinsky „Seine Hoheit” wird jetzt an den deutschen Bühnen gespielt. Es ist ein Stück mit satirischen Spitzen. Vielleicht geschieht es, daß Sie es auch in Wien zu sehen bekommen. Im Moment handelt es sich mir darum, daß ich bei den Wienern einiges Interesse für meine bescheidenen Gaben finde. Allzuviel darf man jedoch von mir nicht verlangen.”


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© Karlheinz Everts