Issie

Humoristisch-satirische Plauderei von Freiherr von Schlicht
in: „Die süssen kleinen Mädchen — Wenn sie küssen!”
Fassung (A) 1920, Fassung (B) 1926.


Frau Issie, mit ihrem richtigen Vornamen Isabella, aber von ihrem Mann vor einiger Zeit in einer wenigstens von seiner Seite sehr stürmischen Liebesnacht zu ihrem Verdruß anscheinend für alle Zeiten auf den Kosenamen Issie umgetauft, eine große, schlanke, sehr hübsche und elegante Brünette, in einem bezaubernden bastseidenen Jackenkleid und mit einem dunkelroten Rosenmärchenhut auf dem dichten üppigen Haar, steht zum Ausgehen bereit vor ihrem großen Ankleidespiegel und lächelt sich an, mit jenem leisen, glücklichen Lächeln, das alle ihre Freunde und Freundinnen schon lange an ihr kennen und das nun einmal zu ihr gehört, nicht etwa, als ob das eine einstudierte Pose wäre, weil ihr dieses Lächeln ausgezeichnet steht, sondern weil Frau Issie wirklich alle Ursache hat, vom frühen Morgen bis zum späten Abend glücklich zu sein. Und viele ihrer Freundinnen, die sie um ihren auffallend hübschen, großen, eleganten Mann bewundern, der zu ihrer äußeren Erscheinung paßt, als wären sie beide von der Natur für einander(1) geschaffen, viele ihrer Freundinnen glauben, daß in der Nacht erst recht das Glück für sie beginnt, und Frau Issie läßt sie in dem Glauben, schon weil sie auch deshalb beneidet wird. Warum soll man den anderen die Wahrheit sagen und warum anderen eine Enttäuschung bereiten, wenn die bei dem, was sie glauben, glücklich sind?

Und Frau Issie ist es erst recht(2) und sie ist nun doch schon sechs Jahre verheiratet, nein, länger als sechs, beinahe sechs und ein viertel Jahr(3) und sie liebt ihren Mann, ihren Magnus, noch genau so viel oder noch genau so wenig wie an jenem Tage, da sie seinen Antrag annahm und da sie seinen Verlobungskuß erwiderte. Obgeich es dchon beinahe sieben, nein, erst sechs und ein viertel Jahr her ist, weiß sie es auch heute noch ganz genau. Als sie ihn damals küßte, dachte sie im stille: wenn ich mich gerade mit dir verlobe, geschieht es, weil ich noch keinem anderen Herrn begegnet bin, dem der Frack so tadellos steht,(4) wie dir(5) und weil es bei deinem eigenen großen Vermögen ganz ausgeschlossen ist, daß du mich in erster Linie oder gar nur meiner reichen Mitgift wegen nimmst. Auf dieser vernünftigen Basis war sie die Ehe mit ihm eingegangen(6) und sie war auch dabei ganz glücklich geworden, nur eins störte sie zuweilen,(7) daß er tatsächlich außerordentlich verliebt in sie ist,(8) sie findet das auf die Dauer ermüdend und langweilig. Na, es ist ja für sie nur ein Glück, daß sie auch den anderen Herren gefällt, daß auch diese ihr den Hof machen, und das wird auch heute sicher wieder der unglaublich freche Baron Althaus tun, wenn sie ihm zufällig auf der Promenade begegnen sollte. Natürlich nur zufällig, obgleich sie ganz genau weiß, daß er, der auf der ganzen Welt sonst nichts zu tun hat, als sich gut anzuziehen, mit tödlicher Sicherheit auf der Promenade sein wird. Und sie, Frau Issie, will ihm begegnen. Deshalb hat sie auch im letzten Augenblick den Befehl, ihr die beiden Schimmel vor den leichten Wagen zu spannen, wieder rückgängig gemacht,(9) und sich entschlossen, zu Fuß zu gehen, obgleich sie es sonst sehr liebt, das Schimmelgespann, das wie der Blitz dahersaust, selbst durch die Straßen zu lenken und sich auch deswegen beneiden zu lassen, nicht, weil es ihr auch in der Hinsicht besser geht als zahllosen anderen, sondern lediglich weil sie sich freut, wenn auch andere ihr nachfühlen, wie glücklich sie ist. Und das ist sie, von vielen anderen Gründen abgesehen, schon deshalb, weil sie sehr hübsch ist, obgleich sie natürlich nicht so dumm ist, um eitel zu sein. Aber wo ist auf der anderen Seite die klügste aller Frauen, die so klug ist, daß es ihr ganz gleichgültig wäre, wie sie aussieht? Und Frau Issie ist wirklich sehr hübsch. Sie hat nicht nur eine auffallend schöne Figur, sondern auch ein bezauberndes Gesicht mit ganz großen tiefschwarzen Augen. Zu den Reizen aber, die die Natur ihr verliehen, kommt ihr Geschmack und ihr Talent, sich so zu kleiden, daß sie selbst hier in der großen Stadt den Ruf hat, die am besten angezogene Frau zu sein. Und doch vermeidet sie auf das ängstlichste alles Auffallende, wie sie auch nach Möglichkeit keinen Schmuck anlegt. Den trägt sie nur auf großen Gesellschaften, wenn es gar nicht anders geht, dann aber erweckt er auf ihrem wundervollen nackten Hals und auf ihren schönen Schultern den Neid und die Bewunderung aller. Aber Frau Issie tut, als bemerkt sie das gar nicht(10) und manchmal bemerkt sie es auch wirklich nicht, denn für sie ist es von Kindheit an etwas so Selbstverständliches, reich zu sein und jeden Wunsch erfüllt zu sehen, daß sie sich gar nicht vorstellen kann, sie solle diesen Schmuck etwa nicht besitzen. Aber trotzdem denkt Frau Issie niemals daran, mit ihren reichen Mitteln zu prahlen, sie ist in ihrem ganzen Wesen und in ihrem Auftreten frisch und natürlich und gibt von ihrem Überflusse an die Armen mit vollen Händen.

Das und manches andere sagt sich Frau Issie, während sie immer noch vor dem Spiegel steht und sich auch heute wieder sehr hübsch findet. Namentlich der Hut, den sie heute zum erstenmal trägt, ist blendend schön und paßt zu ihrem Haar wie selten einer. Nur eins ärgert sie auch heute wieder ein klein wenig, daß ihr Spiegelbild ebenso wie sie den Vornamen Issie trägt. Sie haßt den schon deshalb, weil sie, so oft sie ihn hört, an jene Nacht zurückdenken muß, in der sie ihn erhielt. Und das war nicht einmal die Hochzeitsnacht gewesen, in der man es dem Manne schließlich nicht verdenken kann, wenn er vor lauter Liebestollheit nicht mehr weiß, was er redet, sondern eine Nacht, die ganz gewöhnlich anfing, bis ihr Mann, mit dem sie natürlich getrennte Zimmer hat, in ihr Schlafzimmer trat und sie in seine Arme nahm, damit sie ihm endlich seinen sehnlichsten Wunsch erfülle und ihm ein Kind schenke. Aber sie hat ihm keins geschenkt, nicht als ob sie persönlich das nicht gewollt hätte, aber sie war wohl von der Natur aus nicht dazu veranlagt, Mutter zu werden, und das war ihr, wen sie ganz offen sein wollte, auch recht lieb. Ihr Mann aber hatte, wenigstens am Anfang, sehr darunter gelitten, bis auch er sich nun darein gefügt hatte, aber trotzdem ist es ihr peinlich, wenn ihr Mann sie Issie nennt, weil sie stets daran denken muß, mit welcher Hoffnung er das zum erstenmal tat. Und es berührt sie auch immer wieder unangenehm, wenn neue Freunde in das Haus kommen, die diesen Namen noch nicht kennen und die zu wissen begehren, wie ihr Mann nur darauf kommt, sie gerade Issie zu rufen.

Dewr Schlag der alten Standuhr auf dem Kamin erinnert Frau Issie daran, daß es Zeit wird, sich auf den Weg zu machen, wenn sie ihre Freunde und Bekannte noch auf der Promenade antreffen will. und so verläßt sie wenig später ihre in einem großen Park gelegene schöne Villa, die fern von dem Lärm der Großstadt und doch nicht allzu weit von dem Zentrum gelegen ist. So hat sie denn auch schon nach einer guten Viertelstunde die Hauptstraße erreicht, in der sich heute an dem schönen warmen Junitage zahlreiche Fußgänger in hellen Sommerkleidern auf und ab bewegen, und Frau Issie trifft viele Bekannte, mit denen sie im Vorübergehen ein paar Worte wechselt, mit denen sie einen Händedruck tauscht und aus deren Munde sie die Schmeicheleien über ihr glänzendes Aussehen und über ihren wundervollen Rosenhut als etwas Selbstverständliches entgegennimmt. Aber vorher oder hinterher fragen alle sie dasselbe, ob sie es denn schon wisse: es solle zwischen dem Baron Althaus und seiner Freundin, der hübschen Frau Konsul Heyermann(11) zum Bruch gekommen sein. Niemand wisse, was das Zerwürfnis herbeigeführt habe, das umso weniger, als die Hauptbeteiligten sich über diesen Punkt vollständig ausschwiegen. Genug, der Bruch wäre da, das sei ein offenes Geheimnis, von dem nur ein Mensch in der ganzen Gesellschaft nichts wisse, der Konsul selbst, wie der sich ja auch nie darum bekümmert habe, ob seine Frau ihm treu sei oder nicht, weil er selbst anderweitig derartig engagiert wäre, daß er keine Zeit gehabt hätte, sich auch noch seiner Frau zu widmen.

Baron Althaus' Beziehungen zu der hübschen Frau Konsul sind gelöst. So oft Frau Issie das auch heute morgen aus dem Munde ihrer Bekannten erfährt, jedesmal ist sie davon aufs höchste überrascht(12) und jedesmal ruft sie ganz verwundert aus: „Aber nein, das ist doch gar nicht möglich! Was Sie mir da sagen, ist mir völlig neu. Natürlich mich persönlich geht es auch gar nichts an, aber gerade für mich kommt die Nachricht so unerwartet. Sie wissen doch, der Baron ist ein intimer Freund meines Mannes(13) und weder der noch der andere haben mir etwas davon gesagt, daß etwas Derartiges(14) in der Luft liegt. Ich höre das alles von Ihnen zum erstenmal.”

Das sagt Frau Issie natürlich nicht immer wieder aus Dummheit, sondern aus Klugheit, denn nichts nehmen uns unsere Mitmenschen mehr übel, als wenn man ihnen erklärt: „Du lieber Gott, die Klatschgeschichte, die Sie mir als größte Neuigkeit berichten wollen, kenne ich schon seit mindestens drei Tagen.” Man wird von seinen Mitmenschen für umso klüger, liebenswürdiger, amüsanter und geistreicher gehalten, je geduldiger man sich dieselbe Geschichte immer wieder erzählen läßt. Aber bei Frau Issie kommt noch etwas anderes hinzu, sie hätte vieles, nein alles andere eher für möglich gehalten, als daß die langjährige Freundschaft zwischen dem Baron und der Frau Konsul auseinander gehen(15) würde. Und nun(16) da es doch geschehen ist, wird sie eine ihr unerklärliche unruhe nicht los, die ganz plötzlichüber sie gekommen ist, die sie aber trotz aller Versuche nicht wieder zu verjagen vermag. Und doch, was geht die ganze Sache sie an? Der Baron wird sich eine neue Freundin suchen, denn ohne eine solche behauptet er als eingefleischter Junggeselle nicht leben zu können, und bei seinem anerkannten Glück, das er bei den Damen hat, wird es nicht lange dauern, bis er gefunden hat, was er sucht. Im Zusammenhang damit weiß sie nun plötzlich auch, warum die Nachricht sie so erregt. Weil sie mehr als neugierig ist zu erfahren, wer die Nachfolgerin der Frau Konsul wird. Hat er die schon gefunden und um derentwillen der Frau Konsul die Trennung vorgeschlagen, oder wird er sich erst auf die Suche begeben? Wer wird die Nächste sein, die in sein Netz läuft, das er als ein moderner Fischer auswirft?

Na, auf das alles, was sie beschäftigt, wird der Baron selbst ihr am besten Antwort geben können(17) und so blickt sie sich erneut nach ihm um, bis sie ihn sich endlich entgegenkommen sieht(18) und auch heute muß sie ihm wieder das Zeugnis ausstellen, nicht nur der am besten angezogene Herr der Gesellschaft, sondern wohl auch der hübscheste zu sein. Er ist groß, schlank und dabei doch kräfig gewachsen. Selbstverständlich nicht stark oder fett, aber breitschultrig, sehnig und muskulös, trotz des faulen Lebens, das er führt. Aber noch schöner als seine Figur findet sie seinen Kopf mit dem dichten dunklen Haar und vor allen Dingen seinen Schnurr- und Spitzbart. Beide sind nach der neuesten Mode kurz gehalten, aber gerade deshalb stehen sie ihm ausgezeichnet. Bärte sind Frau Lissies(19) Leidenschaft. Männer ohne Bärte verdienen nach ihrer Ansicht den Ausdruck Mann gar nicht(20) und es wäre ihr ganz unmöglich gewesen, ihren Magnus zu erhören oder gar zu küssen, wenn er nicht einen sehr schönen Schnurrbart gehabt hätte. Ja, sie wüßte gar nicht, was sie sich bei einem Kuß denken sollte, wenn bei dem die Schnurrbarthaare sie nicht kitzelten. In der Hinsicht denkt sie heute noch genau so wie als junges Mädchen, als sie mit ihren langen Zöpfen und ihren kurzen Röcken allen Schülern den Kopf verdrehte. Natürlich hat auch sie sich da wie ihre Freundinnen von dem einen oder dem anderen Obersekundaner und Primaner heimlich und verstohlen küssen lassen, aber sie persönlich ist stets nur auf solche Gymnasiasten geflogen, die auf der Oberlippe wenigstens schon den ersten Flaum eines Bartes zeigten. Und wenn sie die heißen, leidenschaftlichen Küsse ebenso heiß und leidenschaftlich erwiderte, war es ihr größtes Vergnügen, die Schnurrbarthaare zu küssen und dabei den Versuch zu machen, eins dieser keimenden Haare mit ihren Zähnen zu erwischen und dem Geküßten dabei ein Haar auszuziehen. Einmal war sie dabei an die falsche Adresse gekommen, denn der Primaner,(21) — wie er hieß, weiß sie natürlich längst nicht mehr — war auf seine wenigen Barthaare zum mindesten ebenso stolz wie sie auf ihre langen Zöpfe(22) und als sie sich nun in diesen schwachen Bartwuchs fest zu beißen versuchte, gab er ihr eine schallende Ohrfeige und erklärte sie für total pervers. Aber daß sie nicht pervers veranlagt war, wußte Issie, damals noch Isabella genannt, viel besser als dieser dumme Junge, dem sie zur Strafe für seine bodenlose Unverschämtheit, sie zu schlagen, in das Gesicht rief: er habe von den Reizen eines modernen Kusses kein Ahnung(23) und im übrigen wünsche sie ihm von ganzem Herzen, daß er dreimal nach der Reihe bei dem Abitur durchfallen möge, das solle die Strafe der Götter dafür sein, daß er es gewagt habe, die Hand gegen sie zu erheben. Und sie hat es den Göttern so übel genommen, daß sie einen ganzen Monat nicht in die Kirche ging, als diese ihr Gebet nicht erhörten, sondern als sie diesen Flaps gleich bei dem erstenmal das Abitur bestehen ließen.

Nein, irgendwie anormal veranlagt ist sie ganz gewiß nicht, aber ein Kuß von bartlosen Lippen übt wirklich nicht den leisesten Reiz auf sie aus, das weiß sie aus Erfahrung, Sie hat es der Wissenschaft halber einmal versucht, auch an einem solchen Gefallen zu finden, und sich von den gänzloch bartlosen Zöglingen eines Militär­vorbereitungs­institutes, das nicht weit von ihrem Elternhause gelegen war, eines Tages den allrbartlosesten, der aber zugleich auch der allerhübscheste war, ausgesucht und so lange und so heftig auf der Straße mit ihm kokettiert, bis er sie endlich in einem glühenden Liebesbriefeum ein Rendezvous bat. Sie hatte seine Bitte erfüllt und ihm auf dem Umweg. den er benutzte, um seinen Brief in ihre Hände zu spielen, sagen lassen, sie werde pünktlich zur Stelle sein, und sie hatte sich mit den denkbar besten Vorsätzen auf den Weg gemacht. Ja, obgleich es an jenem Abend so dunkel war, daß er unmöglich sehen konnte, was sie anhatte, schmückte sie sich für ihn nach Kräften. Trotz des schon etwas kühlen Herbsttages trug sie sogar ihre dünnsten seidenen Strümpfe und hatte auch sonst für ihn getan, was sie nur konnte, und als er sie küßte, hielt sie nicht nur voller Begeisterung still, sondern sie küßte ihn auch wieder. Aber als sie eine Stunde später in ihrem Zimmer war und sich fragte: Was hast du denn nun bei der ganzen Geschichte empfunden? Hat es sich verlohnt, daß du dir deswegen die seidenen Strümpfe anzogst und dich dem aussetztest, womöglich einen Schnupfen zu bekommen?(24) da mußte sie sich wahrheitsgemäß eingestehen, daß sich dieses Rendezvous wirklich nicht verlohnt hatte, und um von dem wenigstens nachträglich noch etwas zu haben, bearbeitete sie mit einer kleinen weichen Bürste ihre Oberlippe und bildete sich ein, noch nachträglich nach ihrem Geschmack geküßt zu werden.

Nein, krankhaft veranlagt war sie absolut nicht, sie dachte in jeder Hinsicht so normal und vernünftig wie nur möglich, aber dafür, daß sie für bartlose Männer und für deren Küsse sich nicht zu begeistern vermag. dafür kann sie doch ganz gewiß nichts.

Baron Althaus aber besitzt einen auffallend schönen Bart, einen fast noch schöneren als ihr Mann, aber trotzdem ist ihr natürlich noch nie der Gedanke gekommen, sich weder von diesem Bart, noch von dem Baron selbst küssen zu lassen. Sie ist eine durch und durch anständige Frau(25) und außerdem hat sie natürlich ihre Erfahrungen bereits hinter sich, die mit anderen Bärten als mit dem ihres Mannes zusammenhängen, und damals hat sie sich gelobt, einmal, nein(26) dreimal und nicht wieder. Nein, sie denkt nicht daran, den Baron jemals zu küssen, ebenso wenig wie der wohl jemals daran denkt, schon weil er natürlich ganz genau weiß, daß er mit solchen Absichten bei ihr absolut kein Glück hätte.

Aber ein auffallend hübscher und eleganter Mensch ist er, das sieht sie auch heute wieder, als er sich ihr nun nähert. Aber während sie ihn schon längst bemerkt hat, scheint er ihre Nähe nicht einmal zu ahnen. Ganz in Gedanken versunken schreitet er einher, und wenn sie es ihm im ersten Augenblick auch beinahe etwas verdenkt, daß er sie nicht bemerkt, so fühlt sie es ihm auf der anderen Seite vollständig nach, daß ihn vielerlei beschäftigt. Gewiß, sie hat noch nie einen Freund gehabt, wenigstens in dem Sinne keinen, wie er der Freund der Frau Konsul war, aber auch ohnedem vermag sie sich vorzustellen, daß es keine Kleinigkeit sein muß, solche Beziehungen zu lösen. Die Erinnerungen an viele schöne, gemeinsam verlebte Stunden sind nicht mit einem Schlage zu lösen, die leben sicher noch lange nach und rufen namentlich in der ersten Zeit immer aufs neue Schmerz und Kummer hervor.Und wenn sie ganz offen sein soll, eigentlich versteht sie es nicht ganz, daß der Baron sich heute schon auf der Straße zeigt. Wer da einen lieben Toten verloren hat, bleibt doch auch ein paar Tage zu Hause und schließt die Türen seiner Kemenate hinter sich zu, um den zwar gut gemeinten, aber doch sehr wenig tröstlichen Worten seiner Mitmenschen aus dem Wege zu gehen. Aber vielleicht ist es Klugheit von ihm, weil er im stillen hofft, dadurch etwaiges Gerede über ihn und die Frau Konsul am schnellsten verstummen zu lassen. Aber gleichviel, was ihn beschäftigt und was ihn unter die Menschen geführt hat, sie ist tatsächlich verstimmt, daß er an ihr vorübergehen zu wollen scheint, ohne sie zu bemerken. Eine solche(27) wenn auch selbstverständich von ihm unbeabsichtigte Vernachlässigung hat sie nicht um ihn verdient. Sie ist stets ganz besonders nett zu ihm gewesen(28) und es hat ihr immer Spaß gemacht, wenn sie sich im Theater, im Konzertsaal oder auf den Gesellschaften an seiner Seite vor den anderen zeigen durfte, das schon deshalb, weil sie äußerlich so gut zu ihm paßt. Auch heute würden sie beide Seite an Seite ein sogenanntes schönes Paar abgeben(29) und dazu käme noch ein anderer Reiz. Sicher würde die Welt, wenigstens die gesellschaftliche Welt, in der sie leben, glauben, daß der Baron gerade sie heute auf der Straße angesprochen habe, trotzdem(30) sein Name in Aller Munde sei, wäre ein Beweis dafür, daß sie die Absicht habe, den Baron darüber zu trösten, daß er seine alte Freundin verlor.

Was Frau Issie sich da durch ihren hübschen Kopf gehen läßt, ist ihr ureigenster Gedanke, sie hat nicht den leisesten Schimmer eines Beweises dafür, daß außer ihr in den vereinigten fünf Weltteilen auch nur ein einziger anderer Mensch über sie und den Baron dasselbe denken würde, wie sie es eben annimmt, trotzdem steht das Eine plötzlich für sie fest, die Menschen sind zu gemein. Die kleinste Harmlosigkeit und Zufälligkeit legen sie falsch aus, in allem sehen sie etwas(31) und wo sie trotz aller angeborenen Schlechtigkeit nichts sehen können, da vermuten sie noch mehr. Und da bekanntlich nicht einmal sogenannte Tatsachen durch Beweise des Gegenteils zu widerlegen sind, so ist man Vermutungen und Verdächtigungen gegenüber erst recht machtlos. Ja(32) ja, die Menschen sind wirklich zu gemein, und davon ganz abgesehen, denkt sie auch gar nicht daran, jemals die Freundin dieses ihr allerdings aus vielen Gründen schon längst sehr sympathischen Barons zu werden. Nur die Schlechtigkeit der Welt ist daran schuld, daß sie sich, wenn auch nur für die kurze Spanne einer Sekunde(33) mit so etwas beschäftigen konnte. Sie ist doch eine anständige Frau, aber das ist und war die Frau Konsul auch, denn wenn man in einer großen Stadt jede junge Frau, die mit einem Freunde verkehrt, weil sie von ihrem Manne vernachlässigt wird, zu den unanständigen Frauen zählen sollte, — nein(34) das ginge denn doch nicht, dafür denkt man heutzutage Gott sei Dank zu frei und vor allem auch gerecht genug.

Aber nein, sie ist wirklich eine anständige Frau, sie will es auch bleiben, denn ihr Mann vernachlässigt sie nicht, obgleich es in mancher Hinsicht eigentlich wahnsinnig interessant sein müßte, einmal vernachlässigt zu werden, schon um aus eigener Erfahrung kennen zu lernen, wie das ist. Aber trotzdem ist es besser so(35) und plötzlich findet sie es auch besser, daß der Baron sie tatsächlich nicht zu bemerken scheint, denn sie möchte schon um ihrer selbst willen auch den leisesten Anschein vermeiden, als ob gerade sie sich berufen und verpflichtet fühle, ihn heute in seinem Trennungsschmerz trösten zu wollen.

Ganz dicht geht sie nun an ihm vorüber, und jetzt im letzten Augenblick sieht er sie doch und lüftet vor ihr seinen Zylinder. Und da sieht sie es aufs neue, was er für wundervolle Haare hat. Es sind ganz dunkelschwarze, aber das nicht allein, sie sind so weich, daß sie schon oft in Versuchung gewesen ist, ihm einmal mit beiden Händen über den Kopf zu streicheln. Natürlich ahnt er nichts von diesem ihrem törichten Wunsch, ebenso wenig(36) wie er etwas davon weiß, daß sie sich zuweilen, wenn sie sonst gerade nichts Besseres zu tun hat, in ihren Gedanken mit ihm beschäftigt. Von alledem verrät sie aber nichts, als sie nun seinen Gruß erwidert und es ihm gern erlaubt, sie etwas zu begleiten. Nun gehen sie zusammen die Promenade entlang(37) und er unterhält sie in seiner leichten, ein klein wenig spöttischen und sarkastischen Weise. Er plaudert über dies und jenes, nur das, was sie am meisten beschäftigt, erwähnt er mit keiner Silbe, so daß sie schließlich ihre Neugierde nicht mehr zu zügeln vermag und ihn fragt: „Sagen Sie bitte, Herr Baron, ist es denn wirklich wahr, was man sich heute als größte Neuigkeit erzählt, es soll zwischen Ihnen und der hübschen Frau Konsul zu einem Bruch gekommen sein?”

Ohne eine Miene zu verziehen, sieht er sie an: „Man erzählt sich vieles, gnädige Frau, aber man darf nicht alles glauben, besonders jene Gerüchte nicht, die dem Ruf einer Dame schaden können. Wenn jene Klatscherei auf Wahrheit beruhte, setzte sie voraus, daß zwischen der Frau Konsul und mir gewisse Beziehungen bestanden hätten, und ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, daß mir persönlich von solchen nie etwas bekannt war. Ich glaube auch nicht, daß Sie oder jemand anders jemals aus meinem Munde auch nur das leiseste Wort hörten, als ob zwischen mir und der von Ihnen erwähnten Dame solche Beziehungen bestanden hätten.”

„Das natürlich nicht,” pflichtete sie ihm bei(38) und wie schon so oft bewunderte sie auch heute wieder sein Taktgefühl und seine absolute Verschwiegenheit. Sie muß daran denken, wie tadellos korrekt er sich stets benahm, wenn er auf Gesellschaften oder sonst an drittem Ort mit der Frau Konsul zusammentraf, selbst das argwöhnischste Auge hätte an seinem Verhalten der hübschen Frau gegenüber nie das geringste verdächtige Anzeichen bemerken können. Auch das nimmt sie wieder für ihn ein und sie gesteht sich, daß es sicher auch von ihr taktvoller wäre, auf dieses Thema nicht weiter einzugehen. Aber ihre Neugierde ist nun einmal erweckt. Allerdings, was sie zu wissen wünscht, ist mehr das Allgemeine über eine solche Trennung,(39) als das Besondere dieses vorliegenden Falles(40) und deshalb meint sie nun nach einer langen Pause: „Lassen wir es also dahingestellt, lieber Freund, inwieweit das Gerücht, das ich erwähnte, auf Wahrheit beruht oder nicht, beantworten Sie mir statt dessen lieber ganz im allgemeinen eine Frage: können Sie es sich vorstellen, daß ein Herr und eine Dame, die sich nahe standen, sich eines Tages ebenso wieder trennen, wie sie sich zusammenfanden, ohne daß es zwischen ihnen beiden zu einem Streit gekommen wäre?”

„Aber selbstverständlich, gnädige Frau,” pflichtet er ihr schnell bei, „solcher Trennungsgründe gibt es sehr viele, ich will nur einen nennen, der sogar unter allen Umständen ein sofortiges Auseinandergehen herbeiführen muß, das ist die Erkenntnis, die eines Tages in dem Herrn wach wird, daß die Dame, die ihm bisher ihre Gunst schenkte, ihn liebt.”

Völlig verständnislos blickt Frau Issie ihn an, dann ruft sie ihm zu: „Das wäre ein Grund, sich zu trennen? Ich meine, das müßte die beiden erst recht aneinander ketten(41) und vor allen Dingen, warum ist sie seine Freundin geworden, wenn sie ihn nicht liebt?”

„Weil sie in ihn verliebt war, gnädige Frau,” gibt er ruhig zur Antwort.

Abermals sieht Frau Issie ihn verständnislos an, dann fragt sie, als sie ihn endlich zu verstehen glaubt: „Ja, wollen Sie denn da einen Unterschied konstruieren, ob man jemanden liebt,(42) oder in ihn verliebt ist?”

Er lacht ein klein wenig spöttisch auf, dann meint er: „Ob ich das will, gnädige Frau? Ach nein, das habe ich nicht erst nötig, denn der Unterschied ist so alt wie die Welt.”

„Möchten Sie mir das nicht etwas näher erklären?” bittet sie ihn

„Gewiß, sehr gern, gnädige Frau, aber hier auf der Promenade? Ich weiß nicht, ob hier der geeignete Ort für eine solche wenn auch nur kurze Abhandlung wäre. Man kann nie wissen, ob Vorübergehende nicht das eine oder das andere Wort auffangen und es falsch auslegen. Wie wäre es deshalb, gnädige Frau, wenn wir einen kleinen Weg durch die Anlagen machten? Ich glaube, dort wären wir ungestört, denn um Ihre Frage beantworten zu können, möchte ich zunächst eine Frage an Sie richten.”

„Nun(43) und wie lautet diese?” erkundigte sich Frau Issie ein paar Minuten später, als sie auf seinen Wunsch eingegangen ist und mit ihm in den schattigen Anlagen auf und ab geht.

Einen Augenblick schweigt er nun noch(44) und Frau Issie weiß nicht recht, tut er das, um ihre Spannung zu erhöhen, oder weil er für seine Frage nicht so schnell die richtigen Worte findet. Bis es nun plötzlich und unvermittelt an ihre Ohren klingt: „Sagen Sie bitte,gnädige Frau, haben Sie, seitdem Sie verheiratet sind, noch nie einen anderen Mann als ihren eigenen Mann geküßt?”

Frau Issie fühlt, wie sie plötzlich blaß wird, dann ruft sie ihm zu; „Sie schämen sich wohl gar nicht, mich so etwas, wenn auch nur im Scherz, zu fragen?”

„Da haben Sie vollständig recht, gnädige Frau, ich schäme mich gar nicht. Das habe ich in meinem reichbewegten Leben eigentlich nur ein einzigesmal(45) getan. Als Obersekundaner. Da brüstete ich mich in der Klasse damit, daß die bildhübsche Schwester eines Primaners meine Kußfreundin geworden sei. Die Sache sprach sich herum, und schon am übernächsten Tage in der großen Pause fiel der riesenstarke Oberprimaner über mich her und verhaute mich nach allen Regeln der Kunst, daß ich mich kaum zu rühren vermochte. Und als er mich verdroschen hatte, rief er mir zu: „Weißt du, warum du die Keile bekommen hast? Nicht, weil du meine Schwester küßtest, denn die kann sich küssen lassen, soviel es ihr Spaß macht, und wenn ich an deiner Stelle wäre, küßte ich die auch, aber im Gegensatz zu dir hätte ich nicht darüber gesprochen(46) und deshalb hast du deine Senge bekommen.” Sehen Sie, gnädige Frau, da habe ich mich geschämt, nicht weil ich verhauen wurde, sondern weil ich die Haue verdient hatte.”

„Das hatten Sie aber auch wirklich, Herr Baron, aber wenn Sie sich auch nicht mehr schämen können, wie Sie sagen, so werden Sie hoffentlich eingestehen, daß Ihre Frage sehr unangebracht war?”

„Aber warum denn nur, gnädige Frau?” erkundigte er sich mit der ihm eigenen Ruhe und Gelassenheit. „Ich sagte es Ihnen doch gleich, zu meiner Antwort auf Ihre Frage gehöre erst eine Frage an Sie. Und Ihre Antwort habe ich nun ja auch, denn Ihr Erblassen beweist mir, daß Sie schon ein paarmal einen anderen Mann haben küssen wollen, daß es aber aus irgend einem Grunde, der den Männern sicher nicht zur Ehre gereicht, nicht zu diesem Kuß gekommen ist. Wäre es anders, gnädige Frau, hätte Sie wirklich geküßt, wären Sie nicht blaß, sondern rot geworden.”

Frau Issie lacht ein klein wenigr nervös auf: „Wie gut Sie uns Frauen zu kennen glauben, Herr Baron.”

„Ich kenne die Frauen sogar wirklich, gnädige Frau,” stimmt er ihr bei, „aber das ist nicht mein Verdienst. Ein Studium muß der Mensch doch ergreifen(47) und ich bin finanziell ja glücklicherweise in der Lage, mich keinem Brotstudium widmen zu müssen. Da warf ich mich auf das Gebiet „Frauen”, und was ich da lernte, das lernte ich von ihnen selbst, die lehrten mich das, was ich zu lernen begehrte, so daß ich meine Kenntnisse nicht mir, sondern lediglich den Frauen verdanke. Doch darum handelt es sich jetzt nicht, sondern um etwas anderes. Ihre Antwort hat mir bewiesen, was ich zwar im stillen erhoffte, was mich aber trotzdem ein klein wenig überrascht: daß ich also tatsächlich der Erste sein werde, den Sie außer Ihrem Manne küssen.”

Unwillkürlich bleibt Frau Issie stehen und sieht ihn mit großen, starren Augen an: „Sie wollten der Erste sein, den ich außer meinem Manne — ich sollte Sie jemals küssen? — Sie würden sich von mir küssen lassen — Sie würden es vielleicht sogar darauf anlegen, daß ich Sie eines Tages küsse — und das sagen Sie mir, der Sie ein Freund meines Mannes sind?” —

„Erlauben Sie bitte, gnädige Frau,” unterbricht er sie, „ich bin der Freund Ihres Mannes geworden, um Ihr Freund zu sein, Ihr Freund im besten und reinsten Sinne des Wortes, und wenn ich darüber nun heute wesentlich anders denke und zwar nicht erst seit heute, so ist das weniger meine Schuld,(48) als Ihr Verdienst. Warum sind Sie so schön, so begehrenswert —”

„Ich bitte Sie zu schweigen, Herr Baron,” ruft Frau Issie ihm zu, „ich will und darf Sie nicht länger anhören.”

Wie Sie befehlen, gnädige Frau, es wird uns beiden ja in Zukunft noch Zeit genug bleiben, darüber zu sprechen. Für den Augenblick muß ich mich also darauf beschränken, Ihnen den Unterschied zwischen dem Liebhaben(49) und dem Verliebtsein näher zu erklären, und da kann ich es in Ihrem Interesse nur bedauern, gnädige Frau, daß Sie außer Ihrem Gatten bisher noch keinen anderen Mann küßten, denn der beste Beweis dafür, ob man in einen Mann verliebt ist, oder ob man ihn liebt, bleibt der Kuß. Wenn eine Frau einen Mann küßt, in den sie verliebt ist, dann schmeckt ihr Kuß wie Champagner(50) und sie glaubt auch von den Lippen des Mannes perlenden Champagner zu trinken. Liebt sie den Mann aber, dann schmecken ihre Küsse wie abgestandenes Sodawasser. Verliebt sein ist Poesie, jemanden lieben nüchterne Prosa. Ja, ich behaupte allen Ernstes, mit der Liebe ist es vorbei, wenn das Verliebtsein aufhört und wenn die Liebe anfängt. Und damit komme ich zu der Beantwortung Ihrer Frage, gnädige Frau, ob ich mir vorstellen kann, daß zwei Menschen sich plötzlich trennen, ohne daß es zwischen ihnen zum Streit gekommen wäre. Es genügt vollständig, wenn die Dame eines Tages den Herrn liebt, wirklich richtiggehend liebt. Dann ist es aus. Dann wird die Liebe hausbacken(51) und meistens will die Dame dann sogar noch geheiratet werden. Das aber ist der größte Fehler, den man in einem solchen Falle begehen kann. Daß ich als begeisterter Junggeselle von der Ehe sowieso nicht viel halte, brauche ich Ihnen, gnädige Frau, wohl nicht erst zu sagen. Mir ist ohnehin, als hätten wir einmal in Ihrem gastlichen Hause eine Stunde und länger über diesen Punkt verplaudert. Ich erinnere mich auch, gnädige Frau, daß Sie mich zu Ihrer Ansicht zu bekehren versuchten, aber wenn unsere Meinungen damals auch himmelweit auseinander gingen(52) und wenn die(53) das sicher auch heute noch tun, in einem Punkt müssen Sie mir recht geben, gnädige Frau. Wenn ein junges Ehepaar sich am Hochzeitstage in dem feierlichen Augenblick „endlich allein” küßt, bedeutet dieser Kuß für beide Teile den Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt, der von beiden Seiten mit den besten Vorsätzen gepflastert ist. Ein neues Leben soll für beide beginnen, ein Leben, das beide erst mit- und durcheinander kennenlernen sollen, aber nur das Neue hat seinen Reiz. Die Wiederholung ist der Tod(54) und deshalb dürfen sich niemals zwei Menschen heiraten, die sich einander schon vor der Ehe so nahe standen, daß sie sich in der Ehe nicht nur bei Tage, sondern auch des Na- na, sagen wir mal des Abends nichts Interessantes mehr zu sagen wissen. Eine solche Ehe bedeutet den gewaltsamen Mord einer jeglichen Liebe(55) und sie kommt bis zu einem gewissen Grade dem Selbstmord des eigenen Lebens gleich. Und ich fühle es jedem Mann vollständig nach, daß er sich lieber von einer wenn auch noch so schönen Frau trennt, als daß er sich, wenn auch nur bildlich gesprochen, mit seinen Hosenträgern an dem Pfosten seines Bettes aufhängt. Nicht wahr, gnädige Frau, da habe ich doch recht?”

Während des Auf- und Abgehens hat er ihr im leichten Plauderton, zwischen den einzelnen Sätzen größere oder kleinere Pausen machend, seine Ansichten auseinandergesetzt und erwartet nun aus ihrem Munde die Antwort. Aber Frau Issie bemerkt das nicht, schon weil sie zum Schluß nicht mehr allzu aufmerksam zuhörte.

Von alledem, was er ihr da erzählte, interessiert sie am meisten die Frage, ob es wirklich einen Unterschied bedeutet, wenn man in einen Menschen verliebt ist,(56) oder wenn man ihn liebt, und ob es tatsächlich mit der Liebe vorbei ist, wenn die anfängt, nachdem das Verliebtsein aufgehört hat. Und dann findet sie es unbegreiflich, daß die Frau Konsul ernstlich daran gedacht zu haben scheint, sich von dem Baron heiraten zu lassen. Einen Mann wie den Baron heiratet man doch nicht, mit dem flirtet man, aber bei dem denkt man nie an eine Ehe. Sie selbst hat ja auf dem Gebiet noch keine Erahrungen und wird auch nie welche besitzen, aber so viel weiß sie: wenn jeder Kuß, den eine verheiratete Frau einem anderen Manne gibt, zu einer Ehescheidung führen sollte, würde es wenigstens in einer Großstadt bald keine ungeschiedenen Ehemänner mehr geben. Und man heiratet doch nicht, um wieder auseinanderzugehen, sondern um ewig zusammen­zubleiben, obgleich die Liebe natürlich mit der Zeit ihren Reiz verliert. Da tritt an die Stelle der Liebe die Gewohnheit,(57) oder die Freundschaft,(58) oder die Kameradschaft, oder wie man die Gleichgültigkeit und die Langeweile sonst nennen will.

Frau Issie erschrickt beinahe, als sie sich bei solchen Gedanken ertappt, aber an denen ist nur die Gesellschaft dieses Barons, dieses ausgesprochenen Ehefeindes schuld. Wenn sie zu Hause erst wieder ihren Mann küßt, wird sie über alles ganz anders denken. Schon deshalb erfindet sie sich jetzt einen Vorwand, um sich zu verabschieden, aber der Baron hält sie zurück: „So plötzlich wollen Sie gehen, gnädige Frau, noch dazu, bevor Sie mir auf alles, was ich Ihnen erklärte und auseinandersetzte, auch nur ein einziges Wort der Zustimmung oder des Widerspruches gaben?”

Frau Issie weiß tatsächlich nicht mehr, was er ihr alles erzählte, das hat sie auch sehr wenig interessiert, nun fällt ihr lediglich wieder ein, daß er ihr davon sprach, er werde also der Erste sein, der sie küsse. Den Glauben hat sie ihm ja alllerdings sofort genommen, aber um ihrer selbst willen ist es sicher besser, wenn sie das noch einmal tut, und so ruft sie ihm zu: „Ich muß wirklich nach Hause, Herr Baron, es wird die höchste Zeit für mich. Aber vorher noch eine Bitte, die Sie mir erfüllen müssen, wenn wir gute Freunde bleiben wollen, Sie dürfen nie wieder, selbst im Scherz nicht, davon reden, daß ich Sie jemals küssen könnte, denn der Fall wird nie eintreten, nie, niemals.”

„Also spätestens übermorgen,” gibt er mit einer beinahe unheimlichen Gelassenheit zur Antwort, „denn unter vielem anderen habe ich auch das von den Frauen gelernt. Wenn eine Dame einem Herrn erklärt, sie werde ihn vielleicht einmal küssen, aber auch nur vielleicht, dann heißt das: spätestens heute abend, das Wort „nie” bedeutet: morgen, das „nie — niemals”: übermorgen.”

Frau Issie weiß nicht, ob sie über seine Unverfrorenheit lachen,(59) oder ob(60) sie sich über die ärgern soll, schließlich aber zwingt sie sich doch zu einem Lachen, während sie ihm entgegnet: „Auf andere Frauen mag das Wort vielleicht zutreffen, aber auf mich nicht. Das werden Sie schon erleben, denn so gut müßten Sie mich eigentlich kennen, um zu wissen, daß ich anders bin,(61) als alle anderen Frauen.”

„Eine jede Frau ist bekanntlich anders als alle anderen,” pflichtet er ihr bei, „wenigstens behauptet das eine jede von sich, wobei sie es aber als ganz selbstverständlich voraussetzt, daß man ihr nicht glaubt.”

„Daß man ihr nicht glaubt?” fällt Frau Issie ihm erstarrt in das Wort.

„Selbstverständlich, gnädige Frau, denn wenn jede Frau, die das von sich behauptet, und es gibt keine Frau, die das nicht tut, also wenn jede Frau anders wäre, als die anderen, würde es überhaupt keine Frauen mehr geben, denn dann hörten die Frauen auf, Frauen zu sein.”

„So, nun hören Sie aber auf,” schilt Frau Issie, „Sie können einen Menschen mit Ihren Behauptungen und Widersprüchen ganz nervös machen. Wer von uns beiden recht behält, wird die Zukunft lehren, aber davon ganz abgesehen, was hätten Sie davon, wenn ich Ihnen wirklich eines Tages einen Kuß geben sollte?”

„Was ich davon hätte, gnädige Frau? Sie selbst.”

Das klingt so ruhig und gelassen wie nur möglich(62) und doch treiben seine Worte ihr das Blut in die Wangen, weil sie sich eingestehen muß, daß er recht hat. Ein Kammerkätzchen küßt und läßt sich küssen, weil das mit zu ihren Dienstoblie­genheiten gehört und weil diese Dienstleistung ihr materiellen Vorteil einbringt. Ein junges Mädchen küßt und läßt sich küssen, um mit jedem Kuß ein mehr oder weniger großes Stück von dem Apfel der Erkenntnis abzubeißen, wenn aber eine verheiratete Frau einen Mann küßt, dann erwartet und verlangt sie von dem Kuß mehr, als daß der Mann sie nur wiederküßt, ja, sie empfindet es sogar mit Recht als eine tödliche Beleidigung ihrer Person und ihrer Schönheit, wenn der Mann sich nur mit dem Kuß zufrieden gibt. Das gesteht Frau Issie sich nun alles ein(63) und deshalb war es sehr unüberlegt von ihr, ihn zu fragen, was er denn davon hätte, wenn sie ihn wirklich eines Tages küssen sollte. Nur ein Glück, daß es nie, niemals dahin kommen wird. Der Baron wird nach seiner Zeitrechnung übermorgen lange auf sie warten können(64) und außerdem ist ihr plötzlich so, als hätte sie übermorgen etwas sehr Wichtiges vor. Was ist da nur für ein Tag? Heute ist Dienstag, also Donnerstag. Welche Verabredung hatte sie für den Tag getroffen? Das fällt ihr im Augenblick nicht ein, aber das ist ja auch gleichgültig.

Schweigend geht sie an der Seite des Barons auf und ab, und wenn sie im stillen auch über ihn empört ist, erkennt sie es doch dankbar an, daß er sie wenigstens jetzt ihren Gedanken ruhig nachhängen läßt. Vielleicht, nein sicher tut er das nur deshalb, weil er inzwischen selber eingesehen hat, daß er bei ihr zu weit gegangen ist, sie ist doch eine anständige Frau, eine andere als diese Frau Konsul, von der er es als Ehrenmann ableugnet, daß sie jemals seine Freundin war. Aber war die nicht auch trotzdem anständig? Hat sie die nicht auch in ihrem Hause empfangen, hat sie nicht beinahe freundschaftlich mit ihr verkehrt(65) und hat irgend jemand die(66) verachtet, weil sie bei einem anderen Manne das Glück suchte, das sie in ihrer Ehe nicht fand?

Und nun mit einemmal versteht sie den Baron erst ganz. Jetzt weiß sie, warum sie ihn küssen soll, warum er gerade heute darüber nachgedacht hat, ob und wann sie ihn küssen wird. Weil es zwischen ihm und der Frau Konsul aus ist(67) und weil er im stillen hofft, sie selbst möge ihm das werden, was ihm bisher die andere war.

Das ist der Gipfel der Unverfrorenheit! Frau Issie gesteht es sich ein, für dieses Ansinnen, das der Baron an sie stellt, wenn er es ihr auch noch nicht in klaren Worten sagte, fehlt ihr überhaupt jeglicher Ausdruck. Das ist so empörend, daß es einer tödlichen Beleidigung gleich käme(68), wenn es für sie nicht eine noch viel größere Beleidigung wäre, wenn er statt ihrer irgend eine andere zu küssen begehrte, denn so hübsch wie die andere ist sie auch, sogar noch viel hübscher, aber trotzdem, daß er daran denkt, gerade sie könne jemals seine Freundin werden, ist eine bodenlose Unverschämtheit, aber sie hat eigentlich nie so recht begriffen, was er denn eigentlich so Besonderes an der Frau Konsul gefunden hat. Gewiß, die ist jung, die ist hübsch, sie war es wenigstens noch vor einem Jahr, aber in der letzten Zeit hat sie doch sehr eingepackt. Daran mag das Unglück in ihrer Ehe mit schuld sein, denn keiner Frau ist es ja schließlich gleichgültig, ob ihr Mann sie fortwährend betrügt oder nicht, aber eine Frau, die etwas auf sich hält, darf sich so etwas nicht derartig zu Herzen nehmen, daß ihr Äußeres darunter leidet, dnn jede Frau, die einen Mann küßt, und ganz besonders eine Frau, die außer ihrem eigenen Mann auch noch einen anderen küßt, muß darauf halten, daß sie durch ihre Schönheit den Mann immer aufs neue verleitet, sie wieder zu küssen, denn wenn eine Frau küßt, küßt sie doch nur, um wiedergeküßt zu werden, sei es, weil ihr das Vergnügen bereitet, sei es, um dadurch bei dem Manne irgend etwas zu erreichen. Nur ganz unerfahrene Frauen glauben dadurch etwas bei dem Manne durchzusetzen, daß sie ihn küssen. Da merkt der Mann die Absicht und wird verstimmt. Sich richtig wiederküssen zu lassen, zur richtigen Stunde, am richtigen Ort, ist eine Kunst, die gelernt sein will.

Das und vieles andere schießt Frau Issie plötzlich durch den Kopf, obgleich es mit dem, was sie in der Hauptsache beschäftigt, nicht das geringste zu tun hat. Der Baron will sie küssen, nicht nur, um ihr, sei es aus Zeitvertreib, oder nur mal so einen Kuß zu geben, sondern damit sie durch diesen Kuß, wenn auch nur vorübergehend, die Seine wird, natürlich nur vorübergehend, schon weil sie nie so geschmacklos sein würde, daran zu denken, sich von ihm heiraten zu lassen. Und das weiß sie heute auch schon, selbst wenn sie ihn wirklich jemals küssen sollte, sie würde sich nie in ihn verlieben, sie würde ihn auch nie lieben, ebenso wie sie auch jetzt nicht die leiseste Spur in ihn verliebt ist. Das ist sie höchstens in seine Art, sich zu kleiden, in seinen Bart und vielleicht auch in seine bodenlose Unverfrorenheit, die ihm so gut steht, daß sie aus seinem Munde gar nicht ungezogen klingt. Aber sonst? Und außerdem wird es nun wirklich für sie Zeit, nach Hause zu gehen. Deshalb will sie sich von ihrem Begleiter verabschieden. Aber in welcher Art soll sie das tun? Mit keiner Silbe darf sie auf seine letzte Äußerung zurückkommen, das Schlaueste wäre es, aber auch das Dümmste, denn das könnte so aussehen, als fürchte sie sich vor einer näheren Aussprache über diesen Punkt. Aber selbst auf die Gefahr hin, daß er sie für dumm hält, wird sie ihm nichts mehr sagen. Er soll ihr anmerken, wie sie über ihn denkt, daß sie empört ist, oder wenigstens beleidigt und gekränkt, und sich nun ohne jeden weiteren Übergang zum Abschied wendend, ruft sie ihm lediglich ein kurzes „Auf Wiedersehen” zu. Doch kaum hat sie das gesagt, da bereut sie es schon, denn gerade das hätte sie nicht sagen dürfen, sondern „leben Sie wohl”, „Grüß Gott” oder etwas Ähnliches. Nein gerade „auf Wiedersehen” hat sie nicht sagen wollen, damit er sich nicht etwa einbildet, daß ihr an einem solchen etwas gelegen wäre. Aber nun, da sie es sagte, kann sie es nicht mehr zurücknehmen(69) und jetzt ist sie nur begierig, wie er die Worte deuten wird. Er aber deutet die genau so, wie sie es von ihm erwartete. Während er sehr höflich den Hut vor ihr lüftet, sagt er mit der größten Liebenswürdigkeit: „Also auf Wiedersehen übermorgen, gnädige Frau. Wenn ich mich richtig entsinne, pflegen Sie des Nachmittags um halb fünf Uhr Ihren Tee zu trinken. Es wird also um diese Stunde alles zu Ihrem Empfang bereit sein. Nähere telephonische Benachrichtigung ist selbst dann nicht erforderlich, wenn Sie es sich in den letzten Tagen angewöhnt haben sollten, statt des Tees Kaffee zu trinken. Ein wohlgeordneter Junggesellen­haushalt wie der meinige ist stets auf alle Eventualitäten vorbereitet. Sie werden sehen, daß ich den Tee und den Kaffee in gleich vollendeter Weise selbst bereite. Meinen Diener werde ich für den Nachmittag beurlauben.” Und ehe Frau Issie auch nur Zeit gefunden hat, ihm etwas darauf zu entgegnen, hat er sich von ihr verabschiedet, er sich von ihr, und es bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihm sprachlos nachzusehen, als er sich in seinem ruhigen, sicheren, eleganten Gang, der aber vollständig natürlich und ungekünstelt ist, von ihr entfernt. Dann aber blickt Frau Issie sich nach einer Bank um. Sie möchte sich einen Augenblick hinsetzen, denn ihr ist, als versagten ihre Glieder den Dienst. Derartig ist ihr die Empörung darüber in die Beine gefahren, daß er sie bei sich in seiner Junggesellen­wohnung zum Tee erwartet. Sie will ihn doch gar nicht küssen, und selbst wenn sie es wollte, würde sie ihn zu sich einladen. In ihren eigenen vier Wänden wäre ein solcher Kuß viel harmloser(70) und da könnte sie ihm auch beweisen, daß sie wirklich ganz anders ist, als alle anderen Frauen, und daß sie, wenn sie küßt, sich lediglich küssen läßt und nicht im entferntesten daran denkt, sich ihm durch den Kuß hinzugeben. Aber was dann, wenn eins der Mädchen plötzlich in das Zimmer träte und sie bei dem Kuß überraschte? Was versteht ein Zimmermädchen von den Beweggründen, die eine anständige Frau veranlassen könnte, auch einmal einem anderen Manne,(71) als dem eigenen einen Kuß zu geben? Und daß sie die Mädchen für den Nachmittag beurlaubt, das wäre zu auffallend.

Aber trotzdem, daß sie zu dem Baron in die Wohnung geht, ist selbstverständlich ausgeschlossen, obgleich sie ein ganz klein wenig neugierig darauf ist, wie er wohnt. Sie möchte auch gern einmal die Zimmer sehen, in denen die Frau Konsul bei ihm ihre Liebesstunden verlebte. Aber nein, hingehen tut sie auf keinen Fall, höchstens, daß sie zu ihm hinfährt. Sie wird einmal nachsehen, wer sonst noch in seinem Hause wohnt, vielleicht ein Zahnarzt oder eine Putzmacherin oder etwas Ähnliches. Da wird kein Mensch, wenn ihr Wagen vor der Tür hält, auf den Gedanken kommen, ihr Besuch gälte dem Baron. Je öffentlicher und je auffälliger man solche Dinge macht, desto weniger fallen sie auf. Diebe, die bei hellem lichten Tage einbrechen, werden viel seltener erwischt, als Verbrecher, die im Dunkel der Nacht arbeiten.

Und dann hätte die ganze Küsserei mit ihm doch auch gar keinen Zweck. Da sie nicht in ihn verliebt ist, würden die Küsse, die sie miteinander austauschen, weder ihr noch ihm nach perlendem Champagner schmecken, sondern nach gar nichts, nicht einmal nach abgestandenem Sodawasser. Bis nun plötzlich die Neugierde in ihr wach wird, zu erfahren, ob er überhaupt mit dieser Bemerkung recht hat. Das wird sie gleich zu Hause an ihrem Mann ausprobieren, denn verliebt ist sie in den ganz gewiß nicht, höchstens daß sie ihn liebt, wenn auch das nur soweit, wie es zwischen Eheleuten selbstverständlich ist, die das Gefühl, das sie aneinander fesselt, nun einmal Liebe nennen, weil sie es nicht Gewohnheit oder Langeweile nennen wollen.

Frua Issie schüttelte unwillig den Kopf, einmal, weil sie trotz allen Suchens noch keine Bank zum Ausruhen gefunden hat, dann aber auch, weil durch die Unterhaltung mit dem Baron Gedanken in ihr wach geworden sind, die ihr sonst ganz fern liegen, keine sündhaften Gedanken, aber sie betrachtet ihre Ehe, in der sie sich trotz allem bisher ganz glücklich fühlte, nun mit anderen Augen als sonst, und das ärgert sie.

So nimmt sie sich vor, gar nicht mehr an den Baron zu denken, und deshalb macht sie sich schnell auf den Weg. Um sich zu zerstreuen und um wieder auf andere Gedanken zu kommen, begibt sie sich auf die Promenade zurück, um noch in ein paar Geschäften verschiedene Dinge einzukaufen, vor allen Dingen aber einen neuen Hut, weil ihr plötzlich einfällt, daß der Baron heute der Einzige gewesen ist, der ihr keine Schmeichelei über ihren Rosenhut sagte. Sicher hat der ihm nicht gefallen, oder aber sie selbst hat ihm noch besser gefallen als ihr Hut, und sie weiß nicht recht, ob sie sich darüber freuen oder ärgern soll, denn das gesteht sie sich ein: wenn eine Frau auch als die schönste von allen gelten will, ihr Hut soll noch schöner erscheinen als sie selbst. Eher läßt eine Frau sich sagen, daß sie selbst, als daß ihr Hut häßlich ist. Und aus diesem Gedankengang heraus kauft sie sich statt des einen Hutes nun gleich ein halbes Dutzend, das auch schon deshalb, weil sie sich von dem Baron nicht küssen lassen wird und weil sie ihn erst recht nicht küssen will. Aber wenn er sie in diesen Hüten sieht, soll der Wunsch nach ihren Küssen immer lebendiger in ihm werden, bis er den eines Tages als vollständig aussichtslos aufgibt, oder weil er die in ihm nach ihr wach gewordenen Begierden bei einer anderen stillt.

Das aber wäre von ihm eine bodenlose Gemeinheit, doch was könnte sie dagegen tun? Die Männer sind sich alle gleich, und die ändern oder bessern zu wollen, wäre ein aussichtsloses Unternehmen.

Als Frau Issie endlich das Geschäft verläßt, hat sie nicht nur sechs, sondern zehn neue Hüte gekauft(72) und natürlich hat sie sich dabei verspätet. Sie wird zu spät zu Tisch kommen, aber als sie ihre Wohnung erreicht, ist ihr Mann glücklicherweise noch nicht da, der kommt erst nach einer Viertelstunde(73) und als er erscheint, bemerkt sie sofort auf seiner Stirn eine tiefe Falte des Unmutes. Ihr erster Gedanke ist, man hat ihm erzählt, daß sie sich gerade heute an der Seite des Barons zeigte(74) und mißtrauisch, wie die Männer nun einmal sind, wird er vermuten, daß sie sich mit dem über andere als nur über völlig gleichgültige Dinge unterhielt. Und das empört sie, denn ihr Gespräch war doch wirklich sehr harmlos. Auf das, was der Baron ihr sagte, kommt es nicht an, sondern nur auf das, was sie ihm erwiderte. Das aber hätte selbst ihr Mann mit anhören können, ja(75) es war sogar eigentlich schade, daß er nicht dabei war, dann hätte er sich sicher über die Art gefreut, in der sie den Baron abfallen ließ. Das will sie ihm nun auch erklären, aber nach reiflicher Überlegung schweigt sie doch, weil sie es unter ihrer Würde hält, sich gegen seine Vorwürfe, die er ihr im stillen zu machen scheint, zu verteidigen. Je besser unser Gewissen ist, umso(76) ruhiger können wir es abwarten, bis die öffentliche Anklage gegen uns erhoben wird.

Ihr Mann aber denkt nicht daran, sie anzuklagen, das bemerkt sie zu ihrer Genugtuung, aber erst recht zu ihrer Enttäuschung, als er zu sprechen beginnt. Sie hat sich so darauf gefreut, sich zu verteidigen und ihn auslachen zu können, statt dessen muß sie jetzt nur von ihm hören, daß er großen geschäftlichen Ärger hatte. Eine angesehene auswärtige Firma, mit der er lange in den angenehmsten Beziehungen stand, ist ganz plötzlich in Zahlungsschwierigkeiten geraten(77) und es stehen für ihn beträchtliche Summen auf dem Spiel. Er hat den ganzen Vormittag von seinem Büro aus telegraphiert und telephoniert(78) und er schließt mit den Worten: „Ich hoffe, daß nicht alles ganz so schlimm wird, wie es heute den Anschein hat. Ich habe bis morgen abend ausführlichen Bericht erbeten, wenn der mich aber nicht befriedigt, wird mir nichts anderes übrig bleiben, als übermorgen, am Donnerstag, für ein paar Tage zu verreisen. Und daß diese Reise nicht sehr erfreulich sein wird, weiß ich schon heute.”

Frau Issie hat ihrem Mann zugehört, ohne sich dabei sonderlich aufzuregen. Gewiß, geschäftliche Verluste sind verdrießlich, aber die bleiben schließlich nirgends aus(79) und ihr Mann ist reich genug, um so etwas überwinden zu können. Wirklich aufmerksam wird sie erst bei seinen letzten Worten(80) und so fragt sie: „Du müßtest gerade am Donnerstag verreisen?”

„Wieso „gerade” am Donnerstag?” fragt er erstaunt.

„Habe ich „gerade am Donnerstag” gesagt?” wiederholt sie, sich nun ihrerseits ganz erstaunt stellend, denn sie kann es ihm doch nicht verraten, daß es ein sonderbarer Zufall wäre, wenn er gerade an dem Tage verreisen wollte(81), an dem der Baron sie zum Küssen und zum Tee erwartete, nein, zum Kaffee, denn wenn sie wirklich zu ihm gehen sollte, wird sie natürlich keinen Tee erbitten, wie er es erwartet, sondern Kaffee. Einmal, um ihn zu ärgern, dann aber auch, um sich davon zu überzeugen, ob in seinem Junggesellen­haushalt wirklich alles auf alle Eventualitäten vorbereitet ist. Daß sie nicht zu dem Baron hingehen wird, steht für sie so fest wie sonst nichts auf der Welt, aber trotzdem braucht ihr Mann von diesem ihrem tugendhaften, wenn auch selbstverständlichen Entschluß nichts zu wissen und deshalb meint sie plötzlich: „Ach so, richtig, eben fällt mir ein, mir war schon auf der Straße so, als ob wir für denn Donnerstag eine Verabredung oder irgend etwas vorhätten, auf das ich mich sehr freue. Deshalb lehnte ich es auch ab, als eine meiner Freundinnen mich für Donnerstag nachmittag zu sich einlud. Ich konnte mich gar nicht darauf besinnen, was es war, auch jetzt fällt es mir im Augenblick nicht ein, vielleicht weißt du es?”

Aber ihr Mann weiß es noch viel weniger als sie. Den interessiert für den Augenblick nur eins, wann er endlich etwas zu essen bekommt, denn er hat einen mordsmäßigen Hunger.

Als habe er nur auf dieses Stichwort gewartet, tritt der Diener ein, um zu melden, daß serviert sei, und wie immer bietet ihr Mann ihr den Arm, um sie zu Tisch zu führen. An seiner Seite schreitet Frau Issie durch die verschiedenen Zimmer des großen Parterres, bis sie ihn plötzlich, während sie anscheinend ganz verwundert stehen bleibt, fragt: „Weißt du wohl, Magnus, mir fällt es eben ein, ich glaube, wir haben uns heute noch gar keinen Kuß gegeben?”

„Das wollen wir sofort und schleunigst nachholen,” gibt er galant und liebenswürdig zur Antwort. Gleich darauf küßt er sie auf den Mund, erst einmal und dann noch einmal(83) und da sieht Frau Issie es mit Entsetzen ein, sie hat sich eben nur von ihrem Mann küssen lassen, um zu sehen, ob der Baron mit seiner Bemerkung recht hatte, und es ist eine Schmach und eine Schande, er hat recht. Zwar kann sie sich nicht darauf besinnen, jemals abgestandenes Sodawasser getrunken zu haben, aber trotzdem, das muß genau so fad und schal schmecken wie diese beiden Küssen ihres Mannes.

Ihr Mann aber scheint mit dem, was er sich da eben zusammengeküßt hat, ganz zufrieden zu sein, ja sogar wohl noch mehr als das, er bildet sich vielleicht sogar etwas darauf ein, wenigstens macht er ein dementsprechendes Gesicht, für das Frau Issie ihn am liebsten gepufft hätte, bis sie plötzlich weiß, warum er so stolz aussieht, nicht, weil er sie so lapprig küßte, sondern weil sie sich von ihm küssen ließ, vor allen Dingen aber, weil sie ihm durch ihre Worte nach seiner Ansicht bewies, daß sie sich nach einem Kuß von ihm sehnte. Darauf bildet er sich nun etwas ein(84) und eigentlich könnte er ihr beinahe leid tun, aber auch nur eigentlich und auch nur beinahe. Und davon ganz abgesehen(85) ist ihr guter Magnus auch ein ganz klein wenig dumm, denn sonst müßte er doch wissen, daß eine so langverheiratete Frau wie sie sich am hellen lichten Tage nicht aus Liebe nach dem Kuß ihres Mannes sehnt, sondern daß da andere Gründe mitsprechen, so zum Beispiel die für ihr Gedächtnis sehr traurige Entdeckung, daß sie sich nicht darauf besinnen kann, was sie eigentlich für den Donnerstag dieser Woche vorhatte.

Aber seine Küsse waren zu fade, den Geschmack muß sie wieder los werden, mit denen auf den Lippen wird ihr das ganze Essen nicht munden(86) und deshalb sagt sie nun, als sie an dem kleinen runden Eßtisch Platz genommen haben: „Was meinst du, Magnus, wollen wir nicht ein Glas Sekt trinken? Ich habe schon den ganzen Vormittag darauf Appetit gehabt(87) und auch dir wird es gut tun, es wird dir deinen Ärger wenigstens vorübergehend verscheuchen.”

Wo ist der Mann, der nicht sofort eine Flasche Sekt bestellt, wenn seine Geliebte ihn sich wünscht? Aber wo ist der Ehemann, der sofort den Champagner bestellt, wenn die Gattin, ach(88) die teure, ihn trinken möchte? Daran muß Frau Issie denken, als ihr Mann zögert, dem Diener den Auftrag zu geben, während er ihr entgegnet: „Du mußt mich recht verstehen, Issie, auf die Flasche Sekt kommt es mir natürlich nicht an, aber am Tage bekommt mir der Wein nicht besonders. Ich muß heute nachmittag noch wieder in das Geschäft(89) und ich weiß, daß auch dich der Wein des Mittags müde und schläfrig macht.”

Müder und schläfriger als deine abgestandenen Sodawasserküsse ganz gewiß nicht, denkt Frau Issie im stillen, dann aber bittet sie ihn nicht mehr um den Wein, sondern sie wünscht ihn sich und zwar so bestimmt, daß der Mann seinen Widerspruch aufgibt und nach dem Diener klingelt, damit der rasch eine Flasche kalt stellt. Und als der Wein da ist, söhnt er sich nicht nur vollständig mit dem aus, sondern er wird lebhaft und gesprächig, ja noch mehr, er wird sogar zärtlich und küßt ihr ein paarmal die Hände, er sagt ihr kleine Schmeicheleien über ihr Aussehen, so daß Frau Issie im stillen denkt: gerade heute wäre es mir lieber, der Kuß und nicht der Wein hätte dich so verliebt gestimmt, denn die Champagnerliebe ist vorbei, wenn der Sekt verrauscht ist, aber trotzdem, trinke nur weiter, vielleicht daß deine Küsse nach Tisch besser schmecken als vorher.” Und der Gatte trinkt, selbstverständlich in sehr mäßigen Grenzen, bis er mit einemmal sagt: „Weißt du, Issie, es ist mir gar nicht recht, daß ich am Donnerstag verreisen muß. Es ist ja nicht das erstemal, daß ich dich ein paar Tage allein lasse, und das wird wohl noch oft vorkommen, aber selbst auf die Gefahr hin, daß du mich auslachst, muß ich dir gestehen, ich werde den dummen Gedanken nicht los, als wenn dir diesesmal während meiner Abwesenheit so oder so ein Unglück zustoßen würde.”

Frau Issie muß an sich halten, um nicht hell aufzulachen. Als wenn es wirklich ein Unglück für sie gewesen wäre, wenn sie sich am nächsten Donnerstag von dem Baron hätte küssen lassen, denn bei ihr wäre es selbstverständlich nur bei dem Küssen geblieben, nicht, weil er nicht mehr von ihr verlangt hätte, sondern weil sie ihm das ganz einfach verweigert haben würde. Und schon, um ihm zu beweisen, daß es auch durch und durch anständige Frauen gibt, die es selbst dann bleiben, wenn sie einmal küssen, wäre es eigentlich zur Rechtfertigung ihres ganzen Geschlechtes ihre Pflicht, dem Baron nicht nur einen, sondern sogar mehrere Küsse zu geben. Im stillen freut sie sich schon über das dumme Gesicht, mit dem er ihr nachsehen würde, wenn sie rein und unberührt seine Wohnung wieder verließe. Schade, sehr schade, daß sie sich diesen Triumph und ihm diese Niederlage nicht verschaffen kann. Aber das geht natürlich nicht, sie darf auch nicht weiter daran denken, so sieht sie ihren Mann nur völlig verständnislos an und sagt: „Mir sollte ein Unglück zustoßen können? Aber welcher Art denn nur? Bei Tage wird mir schon nichts passieren, dafür bin ich unfallversichert. Du erinnerst dich sicher, wie ich mich damals von dem armen Versicherungsmann breit schlagen(90) ließ, nur um ihm einen Verdienst zuzuwenden(91) und wie ich mich in seinem Interesse so hoch versicherte, daß der arme Teufel zuerst glaubte, ich triebe meinen Scherz mit ihm. Nein, bei Tage wird mir nichts geschehen. Die Pferde werden nicht mit mir durchgehen, es wird mir kein Ziegelstein auf den Kopf fallen oder etwas Ähnliches, und auch für die Nacht brauchst du nichts zu befürchten. Die großen Hunde werden schon aufpassen.”

„Da schon, Issie,” stimmt er ihr bei, „aber trotzdem, ich bin gewiß nicht abergläubisch, aber ich weiß nicht, wie ich dir meine Befürchtungen näher erklären soll, und deshalb — halt, eben habe ich einen glänzenden Gedanken, weißt du was, Issie, tue mir den Gefallen und begleite mich auf der kurzen Reise.”

Selbstverständlich ist Frau Issie entschlossen, ihm diesen Wunsch nicht zu erfüllen. Das sollte ihr gerade noch fehlen, mit ihm in dieses elende Nest zu fahren, in dem er geschäftlich zu tun hat, und den ganzen Tag allein in einem dürftigen Hotel zu sitzen und auf ihn zu warten! Nein, sie will nicht mit ihm reisen, aber das darf sie auch nicht, das ist sie ihrem guten Ruf schuldig. Nicht etwa, als ob es unpassend wäre, mit ihrem Mann auf Reisen zu gehen, nein(92) das nicht, man würde sie höchstens auslachen, daß sie in ihren Mann anscheinend noch so verliebt sei, daß sie dem überall hin folgt, denn in den Kreisen, in denen sie verkehrt, gilt es nun einmal für lächerlicher, in den Mann verliebt zu sein, als man es für traurig hält, wenn die Frau den Mann nicht mehr liebt. Aber(93) gleichviel, den Fluch der Lächerlichkeit würde sie schon auf sich nehmen, aber was soll der Baron wohl sagen, wenn der erfährt, daß sie ihren Mann begleitet hat? Sein erster Gedanke wäre der: aha, die schöne Frau Issie hat Angst gehabt, daß sie in der Anwesenheit[sic! Nicht: Abwesenheit. D.Hrsgb.] ihres Mannes sich doch von mir küssen lassen könnte. Sie ist verreist, um die Gewißheit zu haben, daß sie tatsächlich nicht zum Tee zu mir kommt. — So etwas darf der Baron sich auch nicht für eine Minute einbilden, sie ist es aber auch sich selber schuldig, daß sie hier bleibt. Daß eine gewisse Versuchung sie umlauert, gesteht sie sich selber ein, aber der darf sie nicht aus dem Wege gehen, da wäre feige und ihrer unwürdig.

Frau Issie denkt nicht daran, den Wunsch ihres Mannes zu erfüllen, trotzdem oder gerade deshalb stimmt sie ihm aber lebhaft bei: „Du wolltest mich mitnehmen, Magnus, das wäre reizend von dir. Es ist wirklich schon lange her, daß wir einmal zusammen gefahren sind. Ich freue mich schrecklich darauf, ein paar Tage fort zu kommen, und es ist mir auch deinetwegen sehr lieb, wenn ich bei dir sein kann, schon für den Fall, daß du neuen Ärger und Verdruß haben solltest. Von geschäftlichen Dingen verstehe ich ja zwar nicht viel, aber es wird dir vielleicht schon eine Beruhigung sein, wenn du dich des Abends mir gegenüber aussprechen und dir dein Herz erleichtern kannst.”

Frau Issie stimmt ihrem Mann bei(94) und der ist darüber so erfreut, daß er sich nun von seinem Platz erhebt, um seine Frau voller Dankbarkeit zu küssen. Aber als seine Lippen ihren Mund berühren, denkt Frau Issie im stillen: die Flasche Sekt hätten wir uns sparen können, sein Kuß schmeckt auch jetzt abgestanden, nur seine Barthaare schmecken nach perlendem Champagner und ein klein wenig nach der Schnurrbart­brillantine. Nein, der wahre Kuß ist das auch nicht. Aber trotzdem erwidert sie seinen Kuß(95) und während sie ihn küßt, denkt sie: was erfinde ich nur, um im letzten Augenblick zu Hause bleiben zu können? Und plötzlich küßt sie ihn so zärtlich , wie sie es seit langer Zeit nicht getan hat, denn ihr ist die Antwort auf ihre Frage eingefallen: sie wird sich von ihrer Schneiderin zu einer äußerst wichtigen Anprobe bestellen lassen, die keinen Aufschub duldet, denn die Näherin, die das Kleid in Arbeit hat, kündigte plötzlich, und die Inhaberin des Geschäftes hat es nur mit vieler Mühe durchgesetzt, daß die Näherin wenigstens noch das Kleid für sie fertigstellt. Daß sie da bei dem besten Willen nicht mitreisen kann, muß ihr Mann einsehen. So küßt sie ihn nun nochmals beinahe voller Zärtlichkeit und flüstert ihm dann zu: „Ach, du weißt ja gar nicht, wie ich mich darauf freue, mit dir die kleine Reise machen zu dürfen, und du wirst Augen machen, wenn du siehst, wie hübsch ich mich am Tage und nun erst des Abends, wenn wir hoffentlich ganz allein sind, für dich anziehen werde.”

Wenn eine Frau küßt, weiß ihr Herz nichts von dem, was ihre Lippen reden. Wenn alle Männer wüßten, was eine Frau im stillen denkt, wenn sie küßt und wenn sie sich küssen läßt, würden die Küsse sehr bald außer Kurs gesetzt werden.

Frau Issie aber küßt und läßt sich küssen und schüttelt den Kopf, als ihr Mann sie bittet, dieses oder jenes ihrer hübschen Kleider mitzunehmen, denn wenn sie ihn begleitet, will er, daß sie nicht nur ihm, sondern auch allen anderen, die sie sehen, gefällt. Aber nein, die Kleider darf sie auf keinen Fall anziehen, das schon deshalb nicht, weil sie ja gar nicht mitfährt, und deshalb hält sie es für ihre Pflicht, ihm gleich wenigstens die Hoffnung zu nehmen, sie in den von ihm gewünschten Kleidern bewundern zu dürfen. Dafür wird sie aber andere anziehen, noch viel hübschere, solche, die er noch gar nicht kennt, die sie aber auch nicht kennt, weil sie die gar nicht besitzt. Aber sie wird sich die machen lassen, für den Fall, daß sie ihn doch einmal auf einer kurzen Geschäftsreise begleiten sollte, später, wenn sie diesem Baron erst bewiesen hat, daß sie tatsächlich anders ist als andere Frauen, daß sie keinen anderen Mann küßt als nur den eigenen und daß sie sich allerhöchstens wiederküssen ließe, aber auch nur küssen.

Frau Issie ist glücklich, ihren Mann nicht begleiten zu müssen, und ihr Mann ist so glücklich, daß sie ihn begleiten wird, daß er noch eine Flasche Champagner kommen lassen möchte, aber diesesmal widerspricht sie: „Du hast noch im Geschäft zu tun, Magnus, der Wein des Mittags bekommt dir nie besonders, auch mich macht er schläfrig. Ich fühle schon jetzt eine gewisse Mattigkeit in den Gliedern, wir wollen es bei der einen Flasche genug sein lassen, es ist besser. Was wir heute mittag versäumen, können wir ja auf der Reise eines Abends in unserem Zimmer nachholen, wenn wir allein sind.”

Frau Issie weiß es sehr genau, es liegt ihr gar nicht, dieses Wort „allein” so zu betonen, als ob sie sich wirklich auf dieses Alleinsein mit ihm freue, aber sie betont es dennoch, sie betont es sogar in einer Weise, die seine Sinne entflammt und die ihn hoffen läßt, sie werde ihm an jenem Abend eine zärtliche Geliebte sein. Und daß er sich nun solchen Hoffnungen hingibt, bringt auch ihr Blut ein ganz klein wenig in Wallung, nicht, weil sie es bedauert, nicht mit ihm reisen zu können, sondern lediglich, weil auch sie zu jenen zahlreichen Frauen gehört, denen es ein viel größeres Vergnügen bereitet, Leidenschaften zu entflammen, als diese zu stillen. Sie denkt nicht daran, auf dieser Reise seine zärtliche Geliebte zu werden, noch dazu in einem scheußlichen Hotelbett, in dem vielleicht kurz vor ihr sich eine andere Frau liebend an den Gatten schmiegte. Nein, das wäre der Tod jeder Empfindung, sie würde immer an die andere denken müssen, die vor ihr in demselben Bett einen anderen küßte, und dann wäre es aus, ganz aus, denn wenn eine Frau nach einer so langen Ehe ihren Mann überhaupt noch küssen soll, daß diese Küsse ihm und ihr wenigstens halbwegs ein Vergnügen bereiten, muß sie dabei nur an solche Dinge denken können, die ihre und dadurch auch seine Phantasie entflammen, aber nicht an solche, die sie ernüchtern und abstoßen.

Nein, es liegt ihr absolut nicht, dieses Wort „allein” zu betonen und noch dazu gerade so, aber sie tut es dennoch, gleichsam um ihn heute schon dafür zu entschädigen, daß er in dem Hotelzimmer ganz allein sitzen wird. Und das Wort „allein” übt plötzlich seine Wirkung auf ihn aus, er springt auf und küßt sie so heiß und wild wie in jener verrückten Nacht, die ebenso wie das heutige Mittagessen ganz vernünftig anfing. Aber sie läßt sich küssen, einmal, weil das mit zu ihren ehelichen Pflichten gehört, dann aber auch, weil sie feststellen will, wie seine Küsse jetzt schmecken, und sie will dabei auch etwas anderes ergründen: ob sie wirklich an den Baron denkt, während sie ihren Mann küßt und während sie sich alle Mühe gibt, dabei nur an ihn, nur an ihren Magnus zu denken. Aber das letztere gelingt ihr nicht. Sie sieht nur den Baron vor sich, obgleich sie selbstverständlich mit geschlossenen Augen küßt, denn so viel hat sie schon im Pensionat gelernt, wenn man einen Mann küßt und den in dem Glauben wiegen will, daß man nur an ihn denkt, muß man immer mit geschlossenen Augen küssen. Das reizt den Mann außerordentlich(96) und vor allen Dingen verhindern die geschlossenen Augen den daran, vielleicht sonst durch einen unglücklichen Zufall in den geöffneten Augen der Frau das Bild des Mannes zu sehen, mit dem sie sich in Gedanken in Wirklichkeit beschäftigt. Theoretisch soll eine solche Widerspiegelung in den Augen möglich sein, ob die sich allerdings auch schon in der Praxis gezeigt hat, wußte man im Pensionat nicht, aber die Parole lautete: Augen zu, besser ist besser! Und je fester Frau Issie die Augen zumacht, desto deutlicher sieht sie den Baron mit seinem spöttischen Lächeln auf den Lippen(97) und plötzlich ist ihr sogar, als ergriffe er die auf dem Eßtisch stehende Flasche Sodawasser, um dessen[sic! D.Hrsgb.] Inhalt segnend über ihr Haupt und das ihres Mannes auszuschütten, bittend, daß Gott sie beide erhalte, so keusch, so rein, so hold. Selbst in diesem Augenblick, in dem wenigstens die Küsse ihres Mannes weit davon entfernt sind, rein und keusch zu sein, macht der Baron sich über sie beide lustig(98) und bis zu einem gewissen Grade hat er ja auch recht, denn auch jetzt schmecken die Küsse recht, recht abgestanden. Aber trotzdem, die Flasche Sodawasser will sie nicht auf den Kopf bekommen, deshalb macht sie sich aus den Armen ihres Mannes frei: „So, Magnus, nun ist es genug, jetzt wird es Zeit, unseren Kaffee zu trinken, damit du rechtzeitig wieder in das Geschäft kommst.”

Wenn eine Frau küßt und sich wiederküssen lassen will, läßt sie keinen Grund gelten, der dem Küssen ein zeitliches Ende bereitet. Will sie im Grunde ihres Herzens aber nicht geküßt sein, hat sie während des Küssens nur den einen Gedanken: Was sage ich ihm nur, damit er endlich aufhört?

Es gibt Frauen, die bei den Küssen eines Mannes sterben möchten, wenigstens sagen sie das, aber wenn der Mann sie bei dem Worte nimmt und sie an seinen Küssen sterben lassen will, dann werden sie sehr bald so hungrig, daß sie tatsächlich sterben würden, wenn er ihnen nicht Pralinés oder andere Süßigkeiten zu knabbern gäbe — selbstverständlich nicht, weil die ihnen viel besser schmecken,(99) als die süßesten Küsse, sondern nur, damit sie zu neuen Küssen gestärkt werden.

Das größte Glück, das der Himmel dem Mann beschert hat, besteht darin, daß selbst die schwatzhafteste Frau während des Küssens nicht sprechen kann, sonst würde die im Augenblick des seligsten Kusses ihre geheimsten Gedanken verraten, die ihn entseligen würden. Deshalb kommt es auch so oft vor, daß junge Mädchen und junge Frauen sich nach dem Kuß erst wieder darauf besinnen müssen, wo sie denn eigentlich sind. Wo sie während des Kusses waren, wissen sie ganz genau, darauf brauchen sie sich nicht erst zu besinnen. Der Kuß einer schönen Frau wäre niemals so schön, wie er sein kann, wenn er die Wahrheit wäre. Es ist viel schöner, zu glauben und zu hoffen, daß man geliebt wird, als zu wissen, daß man geliebt wird. Jede Wirklichkeit bringt eine Ernüchterung mit sich, der sehr bald ein Kater folgt.

Der klügste Mensch, der jemals darüber nachdachte, warum sich die Menschen eigentlich küssen, war der Kater Hiddigeigei, das schon deshalb, weil der das Nachdenken darüber sehr bald wieder aufgab.

Solche und ähnliche Gedanken beschäftigen Frau Issie, während sie bald darauf mit ihrem Mann bei der Tasse Mokka sitzt, und wenn die auch mehr humoristisch oder mehr spöttisch als ernsthaft gemeint sind, so ärgert sie sich trotzdem über die, schon weil sie weiß, daß auch an denen nur der Baron schuld ist, dem an einer Frau nichts heilig ist, nicht einmal deren Kuß. Frau Issie ärgert sich wirklich über sich und den Baron, dann aber verspürt sie eine leichte Müdigkeit, der Wein hat sie schläfrig gemacht(100) und auch ihr Mann will sich schlafenderweise noch eine halbe Stunde auf sich selbst besinnen, ehe er auf das Büro geht. So verabschiedet er sich denn von ihr mit einem „Auf Wiedersehen heute abend”, um, schon im Begriff, das Zimmer zu verlassen, sich nochmals nach ihr umzuwenden und ihr zuzurufen: „Weißt Du, Issie, so sehr ich diese dumme Reise am Donnerstag heute morgen verwünscht habe, ebenso sehr freue ich mich nun auf die, denn nicht wahr, das versprichst du mir nochmals, du fährst ganz bestimmt mit mir?”

„Ganz bestimmt,” pflichtete sie ihm so ehrlich bei, daß sie selbst daran glauben würde, wenn sie nicht genau wüßte. daß sie am Donnerstag nachmittag, dummerweise gerade am Donnerstag nachmittag zu einer Anprobe müßte.

Eine Minute später ist ihr Mann gegangen, Frau Issie aber zieht sich in ihr Schlafzimmer zurück und streckt sich dort auf die Chaiselongue aus, sie will schlafen, stattdessen(101) beschäftigt sie plötzlich die Frage, ob sie in Gegenwart des Barons wohl wirklich rot statt blaß geworden wäre, wenn sie es auf seine Frage, selbstverständlich auch nur im stillen, hätte zugeben müssen, daß sie außer ihrem Manne bereits ein paar andere Männer küßte. Aber sie hat tatsächlich noch keinen anderen geküßt, sie hat nur küssen wollen, und daß es nicht dazu kam, das stellt den Männern wirklich kein allzu gutes Zeugnis aus. So ähnlich hat der Baron sich wohl ausgedrückt, genau kann sie sich auf dessen Worte nicht mehr besinnen, das ist ja auch gleich, es käme nur darauf an, wie der sich benehmen würde, wenn sie ihn doch eines Tages küssen sollte. Ob wohl ebenso töricht wie bisher die anderen? Nein, das traut sie ihm nicht zu, allerdings hat sie das bei den anderen auch nicht für möglich gehalten, denn sonst würde sie denen nie und nimmer die Kußgelegenheit(102) gegeben haben, bei der(103) es nicht einmal zum Kuß kam. Und während des Wachens und Träumens tauchen die Erinnerungen vergangener Tage wieder in ihr auf.

Den Ersten lernte sie in Baden-Baden während der großen Herbstrennwoche kennen, als sie dort mit ihrer Mutter zur Kur weilte. Er hieß mit Vornamen Alexander, kurzweg Alex genannt, und war ein flotter Kürassierleutnant, dazu unermeßlich reich, und was ihn am interessantesten machte, war, daß man sich geheimnisvolle Dinge von ihm erzählte. Er sollte der natürliche Sohn eines regierenden Fürsten sein, der sonst kinderlos war und mit großer Liebe an ihm hing. Der sollte ihm auch die reichen Mittel für seinen verschwenderischen Lebenswandel zur Verfügung stellen. Auf jeden Fall wurde sehr viel über ihn gesprochen, das auch schon deshalb, weil er angeblich bei den Frauen ein fabelhaftes Glück hatte. Das glaubte sie ohne weiteres, denn er war auffallend hübsch, aber das Hübscheste an ihm war nach ihrem Geschmack sein wundervoller, nicht zu starker dunkelblonder Schnurrbart. Mehr als einmal ertappte sie sich bei dem Gedanken, daß sie diesen Bart, wie man so sagt, für ihr Leben gern küssen und sich von dem wiederküssen lassen möchte, selbstverständlich in allen Ehren, denn damals war sie noch so jung, daß sie ernsthaft glaubte, wenn sie einen Mann küsse, der nicht ihr Mann sei, würde es nur bei dem Kuß bleiben, denn sie konnte sich nicht vorstellen, daß selbst der von Erfolgen Verwöhnteste es wagen würde, von ihr etwas anderes zu verlangen. Bis dann eines Tages die Neugierde in ihr wach wurde, es zu erproben, wie weit in solchem Falle die Kühnheit eines Mannes ginge. Daß sie sich auf nichts einlassen würde, war selbstverständlich, sie war ihrer Sache mehr als sicher(104) und gerade deshalb konnte sie den Versuch wagen. Eine Kuß in Ehren konnte ihr niemand verwehren, ihr Mann am allerwenigsten, das schon deshalb nicht, weil der nichts davon erfahren würde. Der Wunsch, den hübschen Kürassierleutnant zu küssen, wurde immer stärker in ihr(105) und auch er mochte sich wünschen, sie einmal küssen zu dürfen. Das las sie deutlich in seinen Augen, wenn er ihr auf der Promenade oder auf dem Rennplatz oder auf der Terrasse ihres Hotels begegnete, und er ließ sich oft dort sehen, obgleich er eine eigene kleine Villa besaß, in der er alljährlich ein paar Wochen verlebte, wie man sich erzählte, einem Wunsche seines fürstlichen Vaters entsprechend, der dort heimlich mit ihm zusammentraf. Ihr gefiel der flotte Kürassier, und sie gefiel ihm. Das sagten ihr seine Blicke immer deutlicher, während sie sich natürlich hütete, ihm zu verstehen zu geben, wie sie über ihn dachte. Das verriet sie ihm auch nicht, als er ihr endlich eines Abends vorgestellt wurde. Nur als bald darauf in dem großen Saal des Hotels die Geigen zum Tanz riefen und als er sie um den Walzer bat, da duldete sie es nicht nur, daß er sie ein klein wenig fester an sich heranzog, als es unbedingt nötig gewesen wäre, ja, sie schmiegte sich sogar auch ganz dicht an ihn heran(106) und da geschah es, daß er ihr mit halblauter Stimme in das Ohr flüsterte: „Schönste aller Frauen, Sie ahnen nicht, wie ich den Augenblick herbeigesehnt habe, in dem ich Sie kennenlernen würde. Nun aber, da es endlich geschehen ist, müssen Sie mir fest versprechen, daß auch Sie morgen nachmittag zu mir zu einem Tee kommen, den ich meinen Freunden und Bekannten beiderlei Geschlechts gebe. Allerdings muß ich leider gestehen, daß ich den Tag und die Stunde für diese Einladung sehr schlecht getroffen zu haben scheine, denn der Briefkasten an dem Parktor meiner Villa füllt sich mit Absagen anstatt mit Annahmen. Aber wenn auch wirklich alle, alle absagen sollten, gnädige Frau, nicht wahr, Sie kommen, das tun Sie mir nicht an, daß Sie mich morgen nachmittag ganz allein bei dem Tee hinter den vollen Kuchenschüsseln sitzen lassen?”

Aus jedem seiner Worte hörte sie heraus, daß er ihr etwas vorschwafelte, daß er gar keine Einladungen ergehen ließ und deshalb auch keine Absagen erhielt. Was er da sagte, war lediglich eine sehr geschickte und höfliche Form, sie um ihren Besuch zu bitten, nur sie. Und das tat er in einer Weise, die sie ihm nicht verübeln und verargen konnte. Er überließ es ganz ihr, ob sie kommen wolle oder nicht, und wenn sie kam und außer ihm niemanden antraf, dann hatte er als Ehrenmann sie auf diese Möglichkeit vorbereitet.

Und sie kam, sie kam sogar mit tausend Freuden, denn sie war glücklich, ihn küssen zu dürfen und sich von ihm wiederküssen zu lassen. Pünktlich auf die noch am Abend vorher verabredete Minute betrat sie seine Wohnung, in der alles zu ihrem Empfang bereit war. Aber das nicht allein, damit niemand sie sehen könne, waren trotz des schönen Herbstnachmittags alle Vorhänge und Gardinen fest zugezogen(107) und in allen Zimmern brannte das elektrische Licht. Und da war es aus, aus mit allen Empfindungen und Gefühlen, die sie zu ihm geführt hatten, denn diese Vorbereitungen, die er getroffen hatte, bewiesen ihr, daß sie nach seiner Ansicht etwas zu tun im Begriff sei, das das Tageslicht scheuen müsse. Frau Issie wurde aus ihm nicht klug, kannte er trotz aller seiner Erfolge die Frauen so wenig? Wußte er nicht, daß eine Frau, wenn sie küßt, niemals auf den Gedanken gebracht werden darf, nicht küssen zu dürfen? Den Gedanken und die Empfindung hat die Frau schon ganz allein, und darin besteht ja eben der Reiz des heimlichen Kusses. Aber eine Frau ostentativ darauf aufmerksam zu machen, daß sie ein Unrecht begeht, ist eine Dummheit, ja noch mehr, das ist eine Geschmacklosigkeit. Und dazu kommt noch eins: jede Frau, die zu einem Herrn geht, um ihn zu küssen, rechnet selbstverständlich damit, daß sie dabei von einem Dritten beobachtet wird. Was sie tun will, muß zwischen ihr und ihm für alle Zeiten ein Geheimnis bleiben, aber ein ganz klein wenig hofft sie dabei doch, daß man sie durch einen unglücklichen Zufall sehen könne, während sie küßt und geküßt wird, sie spielt da absichtlich ein ganz klein wenig mit der Gefahr, in die sie sich begibt, und das Gefährliche ihres Schrittes läßt sie in erster Linie diesen Schritt tun.

Als Frau Issie die Wohnung des hübschen Kürassierleutnants mit den zugezogenen Vorhängen und den brennenden elektrischen Kronen sah, war es nicht nur aus gewesen, es war auch aus geblieben. Das mußte er gemerkt und dabei gefühlt haben, daß es seine Schuld war, wenn er auch wohl nicht recht wußte, worin die bestand. Auf jeden Fall hatte er sich ihr gegenüber tadellos korrekt benommen, so korrekt, daß er sogar die alberne Phrase unterließ: „Was haben Sie denn nur?” Da er es ihr wohl ansah, daß sie es plötzlich bereute, zu ihm gekommen zu sein, hatte er sie nicht mal um einen Kuß gebeten, den sie auch ihm unter gar keinen Umständen mehr gewährt haben würde, und er hatte es erst recht nicht gewagt, ihr einen Kuß zu rauben. Er hatte ihr lediglich den Tee serviert und sie dabei, wenn auch in etwas befangener, so doch in ganz lustiger Weise unterhalten, bis sie es nach einer kleinen Stunde für angebracht hielt, sich von ihm zu verabschieden und sich bei ihm für den reizenden Nachmittag zu bedanken, das letztere in so herzlicher, liebenswürdiger Weise, daß er auf den Gedanken kommen mußte, sie habe wirklich nur den Tee bei ihm trinken wollen.

Zu Hause aber hatte sie sich ausgeweint, weil sie auf den Kuß, auf den sie sich so freute, hatte verzichten müssen, bis sie sich schließlich damit tröstete, daß eine Frau, wenn sie küßt, oft noch eine viel größere Enttäuschung erlebt, als(108) wenn sie nur küssen wollte.

Das war Alex, der Erste. Der Zweite hieß José und war ein spanischer Violinenvirtuose(109), der alle Welt durch sein wundervolles Geigenspiel, die Frauen aber im besonderen durch seine sinnberückend schönen dunklen Augen bezauberte, aus denen sein heißes, leidenschaftliches Temperament sprach. Frau Issie lernte ihn kennen, als sie an einem Diner teilnahm, das ihm zu Ehren gegeben wurde, und es schmeichelte ihrer Eitelkeit, daß er sie von allen ihren Freundinnen am meisten auszeichnete, daß er immer wieder ihre Nähe suchte, bis er ihr auch das Warum erklärte: er bewundere nicht nur ihre Schönheit, sondern er sähe ihr an, daß sie eine durch und durch musikalische Natur sei, und es würde ihm ein ganz besonderes Vergnügen bereiten, einmal mit ihr zusammen musizieren zu dürfen, vielleicht erweise sie ihm gelegentlich die Ehre, ihn in seinem Hotel aufzusuchen, in dem er sein eigenes Musikzimmer mit einem wundervollen Flügel haben, den eine am Ort befindliche Pianofortefabrik ihm für die Dauer seines Aufenthaltes für seinen Begleiter zur Verfügung stellte.

Als Frau Issie das hörte, bekam sie im ersten Augenblick einen fürchterlichen Schrecken, denn mit ihrem Klavierspiel war es nicht weit her, dann aber war sie auf den Tod beleidigt, weil sie ihm nicht in erster Linie um ihrer selbst willen gefiel, bis ein Blick in seine Augen sie darüber belehrte, warum er sie in Wahrheit um ihren Besuch bat. Dann aber stand ihr Entschluß, mit ihm zu musizieren, sofort fest. Mochte daraus entstehen, was da wollte, sie mußte diese sinnberückend schönen Augen einmal, wenn auch nur einmal küssen(110) und sie mußte sich von seinem sinnlichen Mund, der unter einem tiefschwarzen Schnurrbart lag, einmal, wenn auch nur einmal wiederküssen lassen. Aber bei dem Küssen würde es natürlich auch bleiben, denn wenn er glauben sollte, daß die Frauen des Nordens so leicht zu erobern wären, wie die leidenschaftlichen Frauen des heißen Spaniens, würde sie ihn eines Besseren belehren. Allzu kühl und kalt durfte sie ihn aber selbstverständlich auch nicht küssen, sonst würde er es sicher bereuen, sie und nicht eine ihrer Freundinnen zum gemeinsamen Musizieren aufgefordert zu haben.

Am nächsten Nachmittag ging sie in sein Hotel und ließ sich bei ihm anmelden. Sie hatte es sich lange überlegt, ob sie nicht ein paar Noten in die Hand nehmen solle, um bei den Angestellten des Hotels von Anfang an jeden, aber auch jeden Verdacht zu verwischen, als käme sie nicht nur des Spiels wegen. Aber Noten in der Hand? Das hätte nicht nur dumm ausgesehen, sondern das hätte auch die Wirkung ihre ausgesucht hübschen Toilette beeinträchtigt, sie hatte sich so hübsch und so elegant, wie es für ihren Zweck nur möglich war, gekleidet und nicht nur auf das, was er sehen würde, sondern auch auf das, was seine Augen nicht erblicken würden, die allergrößte Sorgfalt verwandt, denn schon um ihrer selbst willen hält eine elegante Frau darauf, daß die Dessous zu jedem Kleid passen, daß die womöglich noch verführerischer sind,(111) als das Kleid selbst. Und wenn eine elegante Frau darauf schon für gewöhnlich hält, tut sie das doppelt und dreifach, wenn sie die Absicht hat(112) zu küssen und sich wiederküssen zu lassen. Eine elegante Frau tut das um ihrer selbst willen, eine kleine Konfektioneuse tut es, weil man nie wissen kann, wie ein Kuß endet.

Frau Issie stand noch in der Hotelhalle vor dem großen Spiegel und erfreute sich an ihrem Ebenbild, als der Page mit der Meldung zurückkam, der Meister lasse die gnädige Frau bitten, sich zu ihm hinauf bemühen zu wollen, der Meister werde die gnädige Frau vor den Türen seiner Zimmer begrüßen. Das tat der Meister denn auch, aber kaum hatte er sie in das Musikzimmer geführt und die Tür hinter sich geschlossen, da stürzte er auf sie zu, nahm sie in seine Arme und küßte sie heiß und wild. Und sie ließ sich küssen, ohne auch nur die Zeit zu finden, ihn, wen auch nur ein einzigesmal wiederzuküssen, bis sie plötzlich die Augen aufschlug, um, als sie bei der Gelegenheit einen Blick in den Spiegel warf, die furchtbare Entdeckung zu machen, daß ihre Haare zerzaust waren und daß ihr der Hut schief auf dem Kopf saß. Und in demselben Augenblick war es aus, vollständig aus, der Rausch, den sie für ihn empfunden zu haben glaubte, war verflogen, seine sinnberückend schönen Augen erschienen ihr plötzlich gräßlich, sein Mund widerlich, sein Schnurrbart ungepflegt, er selbst war für sie kein leidenschaftlicher Südländer mehr, sonern ein wildes Tier, denn wenn eine Frau sich küssen läßt und wenn man von ihr erwartet, daß sie wiederküssen soll, dann will sie auch in Schönheit küssen, sie will dabei schön und verführerisch aussehen, aber nicht wie ein Dienstmädchen, daß sich von ihrem Soldaten abknutschen ließ und das den Hut schief auf zerzausten Haaren sitzen hat. So etwas ist der Tod, der Tod jeglichen Empfindens, jeglicher Kußstimmuung. Das hatte sie ihm auch mit zornfunkelnden Augen erklärt, als sie sich endlich gewaltsam aus seinen Armen freimachte. Aber er begriff sie nicht, er sah sie zunächst völlig verständnislos an, bis er instinktiv seine Geige ergriff, um sie zu versöhnen. Er spielte ein wehmütiges Andante, er legte seine ganze große Kunst in sein Spiel, um ihr Herz wieder weich zu stimmen, aber sie achtete nicht auf sein Gekratze, wie sie das nun im stillen nannte. Sie begriff nicht mehr, daß sie jemals an seinem Spiel hatte Gefallen finden können. Sie sah auch gar nicht mehr nach ihm hin, sie sah nur, daß ihre Haare zerzaust waren und daß ihr der Hut, der schöne,(113) kostbare Hut schief auf dem Kopfe saß, als wäre sie ein Marktweib, das sich irgendwo gerauft hätte(114).

Auch heute weiß Frau Issie nicht, wie sie an jenem Nachmittag eigentlich nach Hause kam, aber als sie dann zu Hause in ihrer Kemenate auf der Ottomane lag, da hatte sie geweint. Nein, geweint nicht, dazu war sie denn doch zu stolz gewesen, aber geschrieen hatte sie vor Wut und Empörung, nicht nur, weil er sie derartig küßte, sondern weil er sie küßte, ohne ihr auch nur Gelegenheit zu einem einzigen Gegenkuß gegeben zu haben, bevor sie die entsetzliche Entdeckung machte, daß ihr der Hut schief saß. Und sie hätte ihn doch zu gern ein- bis zehnmal geküßt, deshalb war sie doch nur zu ihm gegangen und nun, da sie nicht zum Kuß gekommen war, wie ein Unglücksjäger auf der Jagd nicht zum Schuß, da blieb nicht nur eine grenzenlose Enttäuschung in ihr zurück, sondern sie sah es ein, sie hätte ihn küssen müssen, noch bevor er sie küßte, denn wenn eine Frau sich eigens auf den Weg macht, um zu küssen, darf sie nicht wieder nach Hause kommen, ohne diesen ihren guten Vorsatz ausgeführt zu haben. Das ist sie sich selbst und ihrer guten Erziehung schuldig(115) und mit vollem Recht zürnt sie für alle Zeiten dem Manne, der sie durch sein ungebildetes Benehmen daran hinderte, ihm zu beweisen, daß sie weiß, was sich gehört und was sich schickt.

Diesem hergelaufenen spanischen Geigenlumpen, wie Frau Issie den Meister in Zukunft nur noch nannte, hatte sie das leider nicht beweisen können(116) und deshalb war ihr gewesen, als ruhe ein Makel auf ihr, den sie baldmöglichst wieder von sich abwälzen müsse. Aber bei wem sollte sie sich vor sich selbst rehabilitieren? Bei ihrem eigenen Mann? Unmöglich, ausgeschlossen! Denn wenn eine Frau einen Dritten küssen wollte, darf sie den Kuß, den sie dem schuldig bleiben mußte, wohl einem Vierten oder Fünften, niemals aber dem Zweiten, dem eigenen Manne geben, denn wenn die Frau aus diesem oder jenem Grunde in diesen Kuß etwas Besonderes hineinlegen sollte, würde der eigene Mann sie nicht verstehen, sondern sie sofort fragen: „Aber Kind, was hast du nur, du küßt ja heute ganz anders als sonst?”

Nein, das sah Frau Issie damals, je länger sie darüber nachdachte, desto mehr ein, bei ihrem Manne konnte sie die ungeküßten Küsse, die sie noch zu vergeben hatte, nicht los werden, sie brauchte dafür einen anderen, und der Himmel erhörte ihr stilles Gebet und ließ sie diesen anderen bald finden. Es war ein junger, ganz, ganz armer Dichter, dessen erstes Schauspiel am Stadttheater trotz vieler Schwächen einen sehr warmen Erfolg erzielte, weil man erkannte, daß in dem Verfasser ein starkes Talent schlummerte, das nur noch einer gründlichen Erweckung und einer warmen Förderung bedürfe.

„Der junge Mann scheint auf dem Gebiet der Liebe noch blitzwenig Erfahrungen zu haben, der braucht eine Muse, die ihn durch ihre Küsse in den siebenten Himmel führt, in dem die Dichter das finden, was sie für ihre Zwecke brauchen, dann würde über ihn und seine Sprache schon der heilige Schwung der echten Begeisterung kommen.”

Solche und ähnliche Bemerkungen hörte Frau Issie von verschiedenen Seiten, als sie während der Pause nach dem dritten Akt draußen im Korridor auf und ab ging, und was sie da hörte, entsprach dem, was sie sich selbst schon gesagt hatte. Aber wo sollte der arme Dichter, der irgendwo auf dem Lande fern von der sogenannten Welt lebte, eine Muse finden, wenn er sich in der Hinsicht nicht mit einer Sennerin oder einer Melkerin begnügen wollte? Und das durfte nicht sein, dafür war seine Kunst zu groß(117) und dafür war er selbst zu hübsch. Allerdings mußte er zunächst mal zu einem guten Schneider geschickt werden und erst recht zu einem Friseur, der ihm die viel zu langen Haare schnitt und seinen Schnurrbart in Behandlung nahm, damit sein auffallend schöner Mund zutage trat, ohne daß man erst nötig hatte, den angestrengt eine halbe Stunde mit dem Opernglas zu suchen. Aber selbst wenn er sich äußerlich zu einem eleganten Herrn entwickelt haben sollte, wo fand er hier eine Muse, gerade hier, wo die Menschen so materiell waren und für die Kunst wohl Interesse besaßen, aber nur dann, wenn sie nichts kostete, wenn die wenigstens keine persönlichen Opfer verlangte. Ach wie wenige Menschen haben ein gutes Herz(118) und wie wenige tun das Gute lediglich um des Guten willen. Frau Issie gestand es sich ein, sie allein bildete in der Hinsicht eine rühmliche Ausnahme, und daß sie das war, wollte sie sich, aber auch ihm beweisen. In einer schlaflosen Nacht, in der sie mehr an seinen schönen Mund,(119) als an seine Kunst dachte, legte sie sich ihren Plan zurecht, sie wollte ihn zu sich einladen und sich ihm als Muse zur Verfügung stellen. Sie wollte ihm die Mittel geben, um hier ein Jahr oder länger zu leben, so wie es sich für ihn gehörte. Der Verkehr mit ihr und mit den Gästen ihres Hauses würde seine Phantasie beleben. Er würde eine neue Welt kennen lernen(120), und wenn er es später zu einem neuen Sudermann, einem zweiten Gerhard(121) Hauptmann,(122) oder sonst zu einem berühmten Dichter gebracht hatte, verdankte er das nur ihr. Vielleicht, daß sie dann sogar mit ihm in die Literaturgeschichte kam, und um das Ziel zu erreichen, sollte und durfte es ihr auf einen Kuß mehr oder weniger nicht ankommen, denn die Musen müssen ja nun einmal küssen, das gehört zu ihrem Beruf.

Von den Küssen erwähnte sie natürlich nichts, aber alles, was sie sich sonst vorgenommen hatte, setzte sie dem armen Dichter auseinander, als sie den zwei Tage später des Nachmittags zu sich zum Tee eingeladeb hatte, um mit ihm über seine weiteren Arbeitspläne zu plaudern. Sie sah es voraus, daß der Poet ihr da einen tiefen Einblick in die innersten Tiefen seines Herzens geben würde, und schon aus diesem Grunde hatte sie dem Diener und dem Mädchen erklärt, daß sie für keinen Menschen und für keinen Telefonanruf zu sprechen sei. Und es war sehr gut, daß sie diesen Befehl gegeben hatte, denn als sie nun dem armen Dichter einen tiefen Einbick in ihr tiefstes Innere gab und ihm erklärte, künstlerisch und materiell seine Muse sein zu wollen, um ihn auf die höchste Höhe des Parnaß zu führen, wo neben Schiller und Goethe und den anderen Unsterblichen noch ein leerer Stuhl für ihn stände, da wurde der arme Teufel von dem, was er zu hören bekam, derartig berauscht, daß er vor ihr niederkniete, seinen Kopf in ihrem Schoß vergrub und im Überfluß seines Glückes anfing(123) wie ein Kind zu weinen.

Und da war es aus, vollständig aus, denn wenn eine Frau einen Mann küssen will, dann will sie einen Mann küssen, aber keinen heulenden Primaner. Wenn eine Frau selbst weint, will sie geküßt werden, weil der Kuß eines Mannes für sie das beste Taschentuch ist. Wenn aber ein Mann weint, küßt die Frau ihn nicht, sondern sie ruft ihm zu: „Geh' in das Schlafzimmer und wasche dir die Augen, was sollen die Dienstmädchen wohl denken, wenn sie sehen, daß du geweint hast?” Vor allen Dingen aber, wenn eine Frau einen Mann küßt, will sie seinen Mund küssen, nicht aber das Salzwasser, das aus seinen Augen strömend sich vielleicht in seinem Schnurrbart festgesetzt hat. Und noch eins, wenn eine Frau einen Mann küßt, soll er schön sein, sie muß sich wenigstens einbilden können, daß er es ist, aber ein weinender Mann ist noch von keinem Künstler der Welt, der die Schönheit oder die männliche Kraft darstellen wollte, als Modell benutzt worden.

Es war aus, vollständig aus, und während er den Kopfin ihrem Schoße vergrub, immer weiter weinend, dachte sie fortwährend: „Hätte ich für ihn doch nur nicht dieses dünne weißseidene Kleid angezogen, damit er unter dem meine schönen Formen und Glieder sehen könne. Gewiß, auf ein Kleid mehr oder weniger kommt es mir nicht an, aber gerade dieses steht mir so gut(124) und es wäre doch ein Jammer, wenn seine dummen Tränen Flecke in die Seide machen sollten.”

So hatte sie ihm denn um ihrer selbst willen gut zugeredet, sich endlich wieder zu fassen, so groß sei das Glück doch nicht, das ihm bevorstände, es sei vorläufig ja auch nur ein Vorschlag von ihr gewesen, der beide Teile noch zu nichts binde, erst müßten sie sich auch näher kennenlernen, um zu erfahren, ob ihre Herzen und ihre Seelen sich auch gegenseitig so ergänzten, daß gerade sie imstande sei, ihn zu neuem fruchtbringenden Schaffen zu entflammen, die Sache eile auch nicht von heute auf morgen, erst müsse er wohl sicher noch einmal in die Heimat zurückfahren, um dort seine Vorbereitungen für eine eventuelle Übersiedlung in die Stadt zu treffen, und das alles müsse natürlich sehr vorsichtig betrieben werden, denn die Welt, die böse Welt dürfe nie etwas davon erfahren, weshalb er seinen Wohnsitz gerade hierher verlegt habe.

Endlich, endlich waren seine Tränen versiegt, aber als er nun den Blick zu ihr emporhob, um ihr mit dem zu danken, weil er immer noch nicht zu sprechen vermochte, da sah er mit seinen verquollenen Augen, mit seinen nassen Wangen, mit seinem herunterhängenden Schnurrbart teils derartig komisch, teils derartig abstoßend aus, daß sie nicht begriff, wie sie sich auch nur eine einzige Nacht hindurch für seine Person und für sein literarisches Schaffen hatte begeistern können.

Unter dem Vorwande, eine wichtige Besorgung machen zu müssen, schickte sie ihn gleich darauf fort, nachdem sie ihm versprochen hatte, ihm baldmöglichst zu schreiben. Aber das zu tun, hatte sie glücklicherweise nicht nötig gehabt, denn wenige Tage später war von ihm ein Brief eingetroffen, sein Arzt habe ihm mit Rücksicht auf seine schwache Lunge die Übersiedlung in die Stadt auf das strengste verboten(125) und so müsse er, so schwer es ihm auch falle, auf alles verzichten, was sie ihm in verlockende Aussicht gestellt habe. Da hatte Frau Issie mehr als erleichtert aufgeatmet, und um ihm wenigstens teilweise eine Muse zu sein, ihm einen größeren Geldbetrag zur Wiederherstellung seiner Gesundheit überwiesen, für den er in überschwenglichsten Worten dankte, in Worten, wie sie eben nur ein gottbegnadeter Dichter findet, und da hatte es ihr doch wieder leid getan, daß er an jenem Nachmittag das Weinen bekam. Aber trotzdem, diese Lösung war für beide Teile die beste(126) und glücklicherweise hatte auch das dünne weißseidene Kleid keine salzigen Flecke bekommen.

An diese drei Kußepisoden, die eigentlich nicht einmal welche waren, sondern die erst welche hatten werden sollen, denkt Frau Issie zurück, während sie zwischen dem Wachen und dem Einschlafen auf der Chaiselongue vor sich hin träumt, bis sie mit einem mal(127) wieder ganz wach wird, weil sie darüber nachdenkt, wie der Baron sich wohl benehmen würde, wenn sie zu ihm käme, um ihn zu küssen. So unüberlegt, ihr am hellen lichten Tage in seinen Räumen eine venezianische Nacht vorzaubern zu wollen, wäre der sicher nicht, auch würde er sie erst in aller Ruhe den Hut abnehmen lassen, bevor er sie küßte, und er würde ganz gewiß nicht vor ihr niederknieen, um weinenderweise von ihrer Schönheit hingerissen den Kopf in ihrem Kleid oder gar in ihrem Unterrock zu verbergen. An Gründen, eine Frau zu bitten, sich auszuziehen, fehlt es einem Manne ja nie, und schon deshalb wird sie unter gar keinen Umständen zu dem Baron hingehen. Aber mehr als neugierig ist sie doch, wie er sich benehmen würde. Nach seiner Ansicht sicher tadellos korrekt, aber irgend einen(128) Fehler beginge auch er ganz gewiß, irgend einen(129), wenn auch nur den, die Brennmaschine für die Haare oder den Schuhknöpfer so ostentativ hinzulegen, daß sie die sofort zum Zeichen dafür bemerken müßte, daß sie sich tatsächlich in einem wohlgeordneten Junggesellenheim befände. Und auch dann wäre es aus, denn wenn eine elegante Frau, noch bevor sie abgelegt hat, daran erinnert wird, daß sie sich vor dem Fortgehen wieder anziehen muß, dann ist es mit jeglichen Kußgedanken vorbei. Schon die Aufforderung, den Hut abzunehmen, zerstört die Stimmung, denn wenn eine Dame einen Herrn küssen will, weiß sie ganz allein, wann der Augenblick dafür gekommen ist, ihm ihre prachtvolle Frisur ohne den Hut zu zeigen.

Und wenn sie jemals wirklich daran denken sollte, den Baron zu küssen, ob er da wohl so geschmacklos sein würde, sie von Anfang an dadurch einen Blick in sein Schlafzimmer tun zu lassen, daß er die Tür dorthin geöffnet hielte? Das wäre der Gipfel, aber fast noch taktloser wäre es, wenn er die Tür zuerst geschlossen hielte und wenn er die erst hinterher öffnete, nachdem er sie durch seine Küsse mehr oder weniger willenlos gemacht hätte. Das würde sie ihm sogar nie verzeihen, denn wenn eine Dame, eine wirkliche Dame, einen Herrn küßt, will sie von der ersten Minute an sehen, was ihr bevorsteht, um danach die Zahl und die Leidenschaftlichkeit ihrer Küsse bestimmen zu können.

Aber Frau Issie wird den Baron nicht küssen, nie, niemals, denn wenn er sie küßt, würde sie immer an die andere denken, die er in demselben Raume vor ihr küßte, und wenn das ja auch einen gewissen Reiz hätte, so würde es auf der anderen Seite doch etwas die Stimmung verderben. Wenn er Wert darauf legen sollte, daß gerade sie ihn jemals küßt, muß er sich erst eine andere Wohnung nehmen, vielleicht daß sie die dann als Erste betritt, aber auch das nur, um ihm zurufen zu können: „Die Stätte, die ein guter Mensch betritt, ist eingeweiht für alle Zeiten.” Und warum sollte sie das Einweihen einer anderen überlassen, das sähe beinahe so aus, als ob sie sich nicht zu den guten Menschen rechnete.

Aber der Baron wird nicht umziehen, und sie wird ihn nie, niemals küssen. Mit diesem felsenfesten Vorsatz schläft sie endlich ein, mit dem erwacht sie wieder und an dem hält sie auch in den nächsten Tagen so fest, daß sie es im letzten Augenblick eigentlich nicht recht einsieht, warum sie ihren Mann nicht doch auf seiner Reise begleiten soll. Der arme Mesch ist ganz außer sich, als sie ihm erzählt, daß sie nicht mitfahren kann, daß es bei dem besten Willen nicht geht. Sie hat nichts, aber auch nichts unversucht gelassen, um seinen Wunsch zu erfüllen. Sie hat bei der Schneiderin geweint, gebeten, gescholten, sie hat doppelte und dreifache Bezahlung geboten, nichts, nichts hat geholfen.

Frau Issie redet ihrem Mann so viel vor, daß sie schließlich selbst felsenfest daran glaubt, sich dieses Kleid bestellt zu haben, um unbedingt zur Anprobe gehen zu müssen. Aber noch fester als sie selbst glaubt ihr Mann daran, und mit großer Genugtuung erkennt Frau Issie es aufs neue: Jeder Mann weiß, daß jede Frau lügt, daß sie nach Natur und Veranlagung lügen muß, aber kein Mann glaubt, daß seine eigene Frau lügen kann.

So geht ihr Mann denn, wenn auch sehr schweren Herzens, ohne sie auf die geschäftliche Reise. Vorher aber im letzten Augenblick überrascht er sie noch mit einem sehr schönen Schmuck, den er für sie kaufte und den er ihr hat schenken wollen, wenn sie mit ihm allein am Abend in dem Hotelzimmer gesesse und wenn sie dort mit ihm vor dem Schlafengehen die eine Flasche Sekt fetrunken hätten, von der sie letzthin bei dem Frühstück sprachen. Frau Issie ist mehr als gerührt, aber als ihr Mann abgereist ist, da ist sie empört(130) und sie sieht es nun erst ein, wie gut es ist, daß sie zu Hause blieb, denn wenn er ihr den Schmuck wirklich heute oder morgen in dem Hotelzimmer überreicht hätte, bevor sie sich schlafen legten — nein, sie ist doch keine Kokotte, die sich, wenn auch nur durch Geschenke, für die Liebkosungen bezahlen lääßt, die der Mann von ihr erwartet. Wenn eine Dame einen Herrn küßt, einerlei, ob der ihr Mann oder ein anderer Mann ist, küßt sie ihn lediglich um seiner selbst willen(131) und wenn er sie dafür beschenken will, wie sie das natürlich im stillen erhofft, darf er das erst hinterher tun. Vorher darf er höchstens zeigen, was er ihr zu schenken beabsichtigt, damit sie die Gewißheit hat, daß sie ihre Liebe an keinen Unwürdigen vergeudet. Er darf es ihr zeigen, aber er darf es ihr nicht geben. Das ist ihrer unwürdig. Da macht das Küssen auch keinen Spaß mehr, denn sobald man das Geschenk schon in Händen hält, verliert es jeglichen Reiz.

Frau Issie ist allein, endlich allein! Die Gegenwart ihres Mannes hat sie bedrückt, nicht etwa, als ob sie unrecht zu tun gedächte, nein, im Gegenteil, sie wird brav und tugendhaft sein, wie es keine andere Frau an ihrer Stelle wäre, aber zu diesem Zweck muß sie allein sein, um sich fortwährend aufs neue klar machen zu können, wie brav und tugendhaft sie ist.

Jetzt ist die Nachmittagsstunde da, in der der Baron sie erwartet. Erst heute mittag hat sie ihn wieder auf der Promenade gesehen, allerdings nur flüchtig. Sie haben nicht miteinander gesprochen, aber der Blick, den er ihr im Vorübergehen zuwarf, hat ihr deutlich genug gesagt: „Heute ist Donnerstag, vergiß es nicht, es wird alles zu deinem Empfang bereit sein.” Und deutlich sieht sie ihn nun vor sich, wie er in seiner Wohnung seine Vorbereitungen trifft. Wie er zunächst sich selbst vor den Spiegel stellt und sich und seinen Anzug daraufhin mustert, ob sie an ihm auch nicht das allergeringste auszusetzen hätte, denn das weiß er als angeblicher Frauenkenner natürlich allein: wenn eine Dame einen Herrn küssen will, kann die kleinste Äußerlichkeit die Stimmung verderben. Eine schlecht gebundene Kravatte, ein nicht ganz fest angenähter Knopf und nun erst gar auf dem Rockkragen ein Haar, das noch von einer anderen herrührt — dann ist es aus. Aber der Baron wird äußerlich in keiner Weise Anlaß zu einem Tadel geben(132) und sie verfolgt ihn in Gedanken, während er nun den Teetisch prüft, hier und da die Blumen etwas anders ordnet, wie er die Kissen zurecht schiebt(133), die Vorhänge halb zuzieht, wie er den Inhalt der Teller mit den Süßigkeiten überblickt, wie er auch auf alle Fälle in das Schlafzimmer hineinsieht, on dort alles in tadelloser Ordnung sei — das selbstverständlich nur für den Fall, daß sie den Wunsch äußern sollte, seine ganze Wohnung zu sehen, und wie Darar sich endlich seine Zigarette rauchend in den Sessel setzt, um darauf zu warten, daß sie bei ihm eintritt.

Darauf aber kann er lange, lange warten(134) und doch tut es ihr eigentlich leid, aber sie ist es sich selbst schuldig, sie muß es ihm ganz einfach beweisen, daß nicht alle Frauen einander gleich sind, daß wenigstens sie ganz anders ist, als alle anderen. Und wenn sie offen und ehrlich gegen sich selbst ein soll, es wird ihr nicht einmal schwer, zu Hause zu bleiben, anstatt zu ihm zu gehen und ihn zu küssen, obgleich sie eigentlich in den letzten Tagen nichts anderes dachte, denn wenn eine Dame der Gesellschaft fest entschlossen ist, nicht küssen zu wollen, hat sie im stillen natürlich keinen anderen Gedanken als den, das doch zu tun, denn nur ein Mädchen aus dem Volke gesteht sich und anderen gleich offen und ehrlich ein, was sie zu tun beabsichtigt. Je eleganter eine Dame ist, desto komplizierter muß auch ihr Charakter sein, das gehört mit zu ihrer Bildung.

Nein, es wird Frau Issie wirklich nicht schwer, nicht zu dem Baron hinzugehen. Woran liegt das nur? Das muß doch irgend einen Grund haben, denn wenn es einen solchen schon erfordert, um eine Dame dahin zu bringen, daß sie küßt, so muß ein solcher erst recht vorliegen, wenn sie nicht küßt, noch dazu, wo für sie heute die Gelegenheit so günstig wie nur möglich wäre. Ihr Mann ist verreist und —

Und mit einemmal weiß sie auch, warum es ihr gerade heute gar kein, aber auch nicht das geringste Vergnügen bereiten würde, zu küssen und sich küssen zu lassen — eben weil ihr Mann verreist ist. Die günstige Gelegenheit lockt sie nicht, sondern die stößt sie ab. Die Dienstboten und der Diener benutzen die Gelegenheit, wenn die Herrschaft verreist ist, um auf Liebesabenteuer auszugehen, aber die gnädige Frau steht auch in der Hinsicht geistig und sittlich himmelhoch über ihren Mädchen. Nein, Frau Issie sieht es immer mehr ein, es wäre ihrer unwürdig, in Abwesenheit ihres Mannes zu küssen und sich küssen zu lassen, aber nicht etwa aus Rücksicht auf ihren Mann, denn wer weiß, ob der sie heute nicht auch vergißt und eine andere in die Arme nehmen wird, lediglich unter dem Vorwande, sich auf ihre Begleitung gefreut zu haben und um nicht allein sein zu müssen. Nein, auf ihren Mann nimmt sie so wenig Rücksicht, daß sie sogar, wenn auch nicht gerade totensicher(135), so doch totensicher(136) wahrscheinlich zu dem Baron gehen würde, wenn ihr Mann jetzt bei ihr im Zimmer säße. Da würde es ihr Spaß und Vergnügen machen, einen möglichst harmlosen Vorwand zu erfinden, unter dem sie das Haus verlassen könnte, sie würde, während sie den Baron küßte und sich von ihm wiederküssen ließe, fortwährend an ihren Mann denken, der seine Zigarre rauchend ahnungslos in seinem Klubsessel sitzt, und der Gedanke, daß ihr Mann von alledem nichts weiß, würde ihren Küssen einen ganz besonderen Reiz, den Champagnerreiz verleihen. Und während sie den Baron küßte und sich von ihm wiederküssen ließe, würde sie unwillkürlich die Frage beschäftigen: Wie trittst du nachher wieder in das Zimmer deines Mannes? Völlig unbefangen, als hättest du dich wirklich nur danach erkundigt, wann dein Armband bei dem Juwelier fertig ist, oder so, als hättest du irgend etwas Besonderes erlebt? Und wenn er dich fragt, was du erlebtest, was würdest du im Augenblick erfinden? Und was dann, wenn er behaupten sollte, du sähst nicht wohl aus und hättest tiefschwarze Schatten unter den Augen? Würdest du das nur auf die mangelhafte elektrische Beleuchtung zu schieben versuchen, oder welche andere glaubwürdige Erklärung würde dir sonst dafür einfallen?

Ach wenn doch nur ihr Mann da wäre! Frau Issie dehnt und streckt ihren schönen Körper und breitet die Arme aus, aber nicht, um ihren Mann voller Liebe an sich zu ziehen, wenn er da wäre, sondern weil sie dem so gern in allen Ehren ein ganz klein wenig untreu werden möchte. Jetzt fällt es ihr wieder ein, schon damals, als sie den flotten Kürassierleutnant besuchte, als sie mit dem unverschämten Spanier musizieren und die Muse des armen Dichters werden wollte, schon da hatte ihr ihr Mann gefehlt, schon da hatte sie es aufrichtig bedauert, daß er nicht bei ihr war, natürlich nicht, um sie zu begleiten, sondern damit er nichtsahnend auf sie wartete. Das hätte ihren kleinen Erlebnissen erst den richtigen Hintergrund gegeben.

Aber wenn sie den Baron heute nachmittag küßte, würde sie erst recht etwas erleben, die Gewißheit hat sie(137) und gerade heute muß ihr Mann verreist sein. Das ist wirklich zu dumm. Warum hat sie sich nicht alles vorher überlegt und ihren Mann unter irgend(138) einem Vorwande gebeten, die Reise um einen oder zwei Tage zu verschieben. Ob ihr Mann nun morgen oder übermorgen sein Geld verliert, ist doch so gleichgültig wie irgend etwas, und sie hätte es dann heute endlich einmal kennengelernt, wie es ist, wenn man einen Herrn nicht nur küssen will, sondern ihn wirklich küßt, obgleich auch sie nur zu ihm kommen würde, um ihm zu sagen, daß sie sich nicht küssen lassen würde. Nein, das wäre zu dumm, denn nur ganz junge Mädchen oder ganz alte Jungfern glauben, daß es den Reiz eines Kusses erhöht, wenn man sich erst sträubt und sich erst lange um das bitten läßt, was man freiwillig zu geben von Anfang an fest entschlossen ist. Der Widerspruch erhöht nicht den Genuß, sondern er tötet ihn. Koketterie in der Liebe ist Dummheit. Das und vieles andere weiß Frau Issie natürlich ganz genau, und daß sie das weiß, würde sie dem Baron heute nachmittag auch beweisen, wenn nur ihr Mann da wäre. Aber was hat sie davon, wenn sie zu dem Baron hingeht und hinterher ihren Mann nicht zu Hause antrifft? Davon, daß ihre Zofe sie fragt, ob sie nicht wohl wäre, sie sähe so blaß aus und hätte tiefschwarze Ränder unter den Augen, hat sie gar nichts. Aus dem Munde der Zofe wäre diese Frage sogar eine Unverschämtheit, weiter nichts, aber wenn ihr Mann sich danach erkundigte, wäre es etwas ganz anderes. Und welcher prickelnde Reiz würde für sie nicht darin liegen, hinterher mit ihrem Mann allein zu Abend zu essen, mit ihm zu plaudern und dabei im stillen fortwährend fürchten zu müssen: am Ende errät er es doch, daß du am Nachmittag nicht nur bei dem Juwelier warst, und wird es, argwöhnisch wie die Männer nun einmal sind, auch wissen wollen, wo du sonst noch warst. Die Furcht vor der Entdeckung ihres Geheimnisses würde sie nicht verlassen. Seitdem die Welt besteht, hat die Furcht vor den Folgen eines Kusses noch jeden Kuß, den kein Priester weihte, versüßt. Und wo ist das Weib, das keine Süßigkeiten liebt?

Es ist wirklich mehr als dumm, daß ihr Mann gerade heute nicht da ist, bis Frau Issie sich endlich wieder auf sich selbst besinnt und sich eingesteht, daß sie wohl ihrem Mann in allen Ehren hätte untreu werden dürfen, aber daß sie sich selbst wenigstens heute treu bleiben muß. Sie hat dem Baron erklärt, sie würde es ihm beweisen, daß sie anders sei als alle anderen(139) und wenn sie auch aus den Mathematikstunden her noch weiß, daß jede Beweisführung schwierig ist, trotzdem oder gerade deshalb darf sie ihm den Beweis nicht schuldig bleiben.

Aber da sie nicht zu dem Baron gehen will und auch nicht darf und damit sie vielleicht nicht doch noch zu ihm geht, geht sie wo anders hin, sie geht zu Bett. Und als sie im Bett liegt, ist sie so stolz auf sich, als hätte sie Gott weiß welches Wunderwerk vollbracht. Und sie hat doch nur das getan, was sie vom ersten Tage an zu tun fest entschlossen war, sie hat ihn nicht geküßt und sie hat sich erst recht nicht von ihm küssen lassen.

Bis zu einem gewissen Grade kann Frau Issie aber auch wirklich darauf sehr stolz sein, denn wenn alle Frauen immer ausführten, was sie sich vornehmen, und wenn alle Frauen ihren Worten „ich werde Sie nie, niemals küssen” immer treu blieben, dann würde es auf der Welt bald keine Frauen und erst recht keine Küsse mehr geben.

Und als Frau Issie sich zu dieser Erkenntnis durchgerungen hat, da verbirgt sie ihren Kopf in den Kissen und weint bitterlich. Ach(140) warum mußte ihr Mann auch gerade heute verreisen(141) und das Allerschlimmste, sie weiß ja nicht einmal, ob er jemals wiederkommt. er kann sich vielleicht bei der geschäftlichen Aussprache so erregen, daß ihn ein Gehirnschlag rührt, er kann bei einem Autounfall tödlich verunglücken, oder sein Zug kann entgleisen. Ach, es gibt so viele Möglichkeiten, an denen er ganz plötzlich sterben kann, und was dann? Gewiß, wie jeder jungen hübschen Frau würde auch ihr die Trauerkleidung sehr gut stehen, der lange Witwenschleier würde auch sie ganz besonders interessant erscheinen lassen, aber solange sie trauert, würde selbst der Baron es nicht wagen, sie erneut um einen Kuß zu bitten. Und wenn sie erst Witwe ist, hätte es auch nicht mehr annähernd denselben Reiz für sie, ihn zu küssen und sich von ihm küssen zu lassen, dann noch weniger als heute, wo ihr Mann doch nur verreist ist. Nein, wiederkommen von der Reise muß ihr Mann schon, er darf nicht sterben, dazu ist sie noch zu jung(142) und sie hat noch keine Lust, Witwe zu werden und ein ganzes Jahr auf jedes gesellschaftliche Vergnügen zu verzichten. Nein, wieder kommen muß er(143) und wenn sie ihn wieder hat, ja, was dann? Das weiß sie im ersten Augenblick selbst nicht, bis es ihr schließlich einfällt, dann braucht sie dem Baron nicht mehr zu beweisen, daß sie anders ist als alle anderen Frauen, denn das hat sie ihm schon heute bewiesen, dann braucht sie ihm nur zu beweisen, daß sie anders küssen kann, als alle anderen Frauen(144) und sie wird nicht eher ruhen, als bis er ihr freiwillig das Lob und die Anerkennung gezollt hat, die eine jede Frau hören will, wenn sie küßt: „So wie du es tust, hat mich noch nie eine vor dir geküßt.”

Mit dem festen Vorsatz, aus seinem Munde für ihre Küsse die beste Zensur zu erhalten, schläft sie endlich fest ein und träumt. Von dem Baron? Ach nein, von dem braucht sie nicht zu träumen, denn sie weiß ja nun ganz genau, daß und weshalb sie ihn sehr bald küssen wird. Sie träumt von ihrem Mann, der nun um diese Stunde einsam und allein in seinem Hotelzimmer sitzt und sie so gern küssen möchte. Sie träumt von ihrem Mann, denn wenn eine vornehme, elegante Frau einen andern Mann als ihren eigenen küßt oder auch nur küssen will, denkt sie selbstverständlich in erster Linie dabei an den, dem ihre Küsse von Rechts und Staats wegen gehören und die der gerade deshalb nicht bekommt.

Jede Frau ist ein Rätsel oder sie glaubt es wenigstens zu sein. Wenn eine Frau aber küßt oder auch nur küssen will, dann ist sie wirklich ein Rätsel, und das ist gut. Wäre es anders, dann hätte es gar keinen Reiz mehr, wenn sie küssen —


Fußnoten:

(1) In der Fassung (B) heißt es: „füreinander”. (Zurück)

(2) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(3) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(4) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(5) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(6) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(7) In der Fassung (B) steht hier statt des Kommas ein Doppelpunkt. (Zurück)

(8) In der Fassung (B) steht hier statt des Kommas ein Punkt. (Zurück)

(9) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(10) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(11) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(12) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(13) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(14) In der Fassung (B) heißt es: „derartiges”. (Zurück)

(15) In der Fassung (B) heißt es: „auseinandergehen”. (Zurück)

(16) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(17) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(18) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(19) In der Fassung (B) heißt es richtig: „Frau Issies”. (Zurück)

(20) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(21) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(22) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(23) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(24) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(25) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(26) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(27) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(28) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(29) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(30) In der Fassung (B) heißt es: „obgleich”. (Zurück)

(31) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(32) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(33) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(34) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(35) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(36) In der Fassung (B) heißt es: „ebensowenig”. (Zurück)

(37) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(38) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(39) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(40) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(41) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(42) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(43) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(44) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(45) In der Fassung (B) heißt es: „ein einziges Mal”. (Zurück)

(46) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(47) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(48) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(49) In der Fassung (B) heißt es: „zwischen dem Lieben”. (Zurück)

(50) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(51) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(52) In der Fassung (B) heißt es: „auseinandergingen”. (Zurück)

(53) In der Fassung (B) heißt es: „und wenn sie”. (Zurück)

(54) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(55) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(56) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(57) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(58) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(59) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(60) In der Fassung (B) fehlt das Wort „ob”. (Zurück)

(61) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(62) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(63) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(64) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(65) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(66) In der Fassung (B) heißt es: „sie”. (Zurück)

(67) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(68) In der Fassung (B) heißt es: „gleichkäme”. (Zurück)

(69) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(70) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(71) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(72) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(73) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(74) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(75) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(76) In der Fassung (B) heißt es: „um so”. (Zurück)

(77) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(78) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(79) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(80) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(81) In der Fassung (B) heißt es: „sollte”. (Zurück)

(82) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(83) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(84) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(85) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(86) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(87) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(88) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(89) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(90) In der Fassung (B) heißt es: „breitschlagen”. (Zurück)

(91) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(92) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(93) In der Fassung (B) fehlt das Wort: „Aber”. (Zurück)

(94) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(95) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(96) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(97) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(98) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(99) In der Fassung (B) fehlt das Komma. (Zurück)

(100) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(101) In der Fassung (B) heißt es: „statt dessen” (Zurück)

(102) In der Fassung (B) heißt es: „Kußgelegenheiten” (Zurück)

(103) In der Fassung (B) heißt es: „bei denen” (Zurück)

(104) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(105) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(106) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(107) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(108) In der Fassung (B) fehlt das Wort „als”. (Zurück)

(109) In der Fassung (B) heißt es: „Violinvirtuose” (Zurück)

(110) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(111) In der Fassung (B) fehlt hier das Komma. (Zurück)

(112) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(113) In der Fassung (B) fehlt hier das Komma. (Zurück)

(114) In der Fassung (B) heißt es: „hatte” (Zurück)

(115) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(116) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(117) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(118) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(119) In der Fassung (B) fehlt hier das Komma. (Zurück)

(120) In der Fassung (B) heißt es: „kennenlernen” (Zurück)

(121) In der Fassung (B) heißt es: „Gerhart” (Zurück)

(122) In der Fassung (B) fehlt hier das Komma. (Zurück)

(123) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(124) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(125) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(126) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(127) In der Fassung (B) heißt es: „mit einemmal” (Zurück)

(128) In der Fassung (B) heißt es: „irgendeinen” (Zurück)

(129) In der Fassung (B) heißt es: „irgendeinen” (Zurück)

(130) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(131) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(132) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(133) In der Fassung (B) heißt es: „zurechtschiebt” (Zurück)

(134) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(135) In der Fassung (B) heißt es: „todsicher” (Zurück)

(136) In der Fassung (B) heißt es: „todsicher” (Zurück)

(137) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(138) In der Fassung (B) heißt es: „irgendeinem” (Zurück)

(139) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(140) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(141) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(142) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(143) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)

(144) In der Fassung (B) folgt hier ein Komma. (Zurück)


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© Karlheinz Everts