Frau Irmgards Geburtstagsgeschenk.

Humoreske von Freiherr v. Schlicht.

in: Weimarisches Sonntagsblatt, Unterhaltungs-Beilage zur
„Allg. Thür. Landeszeitung Deutschland” vom 26.März 1922
und in: „Die Lore”, O. Uhlmann, Berlin, 1926

Frau Irmgard, die ebenso schöne wie elegante und liebenswürdige Gattin des in der Stadt sehr angesehenen Rechtsanwalts Dr. Eckert, feierte ihren hmundzwanzigsten Geburtstag. Der wievielte es in Wirklichkeit war, wußte sie nicht, wollte sie wenigstens nicht wissen, auf jeden Fall war es bis zu ihrem dreißigsten noch endlos lange hin, endlos lange, wenigstens, aber auch allerwenigstens noch zwei Jahre. Daß sie aber überhaupt jemals dreißig werden würde, brauchte natürlich kein Mensch zu wissen, ihr Mann selbstverständlich am allerwenigsten, aber der war glücklicherweise so diskret, daß er sie überhaupt nie, weder vor noch an noch nach ihrem Geburtstag fragte, wie alt sie eigentlich würde oder wie alt sie geworden sei. Für den blieb sie immer allerhöchstens zweiundzwanzig. Überhaupt hatte sie einen sehr, sehr netten und sehr guten Mann, wie sie ihn sich besser gar nicht wünschen konnte, zumal seine großen Einnahmen es ihm erlaubten, ihr jeden ihrer vielen Wünsche zu erfüllen. Und heute an ihrem Geburtstag hatte er das erst recht getan und ihr sogar noch viel mehr geschenkt, als sie gewünscht hatte, so daß sie nicht müde wurde, die vielen, vielen Gaben, die auf ihrem Geburtstagstisch lagen, immer und immer wieder zu bewundern und sich immer aufs neue an ihnen zu erfreuen. Aber so viel Schönes und Kostbares ihr Mann ihr auch geschenkt hatte, am meisten freute sie sich über die geradezu entzückende, nein über die geradezu bezaubernde Schlupfhose, die nicht nur in ihrem Schnitt und in ihrer Fasson alle derartigen Schlüpfer weit übertraf, sondern die aus einer märchenhaft schönen, ganz mattgrünen Seide gearbeitet war und die ihr Mann, wie er ihr erzählte, letzthin bei einem beruflichen Aufenthalt in Berlin ganz zufällig in dem elegantesten und teuersten Wäschegeschäft entdeckt und trotz des hohen Preises sofort für sie gekauft hatte.

Die Hose, wenn sie diesen beinahe ordinären Ausdruck für diese Märchenschöpfung anwenden durfte, war ganz einfach ein Gedicht von Goethe. Und sie freute sich schon deshalb über das mattgrüne Seidenhöschen so furchtbar, so jeder Beschreibung spottend furchtbar, weil ihr das Gelegenheit und Veranlassung gab, sich nun sofort ein bis in die kleinsten Farbnuancen genau dazu passendes mattgrünes Seidenkleid nebst dazugehörigem Hut und Sonnenschirm machen zu lassen, denn wo auf Gottes weitem Erdenrund ist die Frau, die sich nicht freut, und die nicht glücklich ist, wenn sie auch nur den allerleisesten Vorwand hat, sich ein neues Kostüm zu kaufen. Und so nahm Frau Irmgard sich schon gleich, während sie ihrem Mann mit einem Kuß für dieses besonders reizende Geschenk dankte, fest vor, ihm noch heute abend alles, was sonst noch zu dem Höschen gehörte, als nachträgliche Geburtstags­überraschung für sie abzuschmeicheln.

Die Hose, nein das grünseidene Höschen war so schön, daß sie es am liebsten auf dem Geburtstagstisch hätte liegen, von den Gratulantinnen hätte bewundern und sich namentlich darum hätte beneiden lassen. Aber so groß die Versuchung dazu auch war, sie schloß es dennoch bald fort, denn es kamen nachher auch Herren, die das Höschen nicht zu sehen brauchten, schon damit der eine oder der andere nicht eine lustige, um nicht zu sagen, eine unverschämte Bemerkung darüber machte und ihr nicht etwa erklärte, er freue sich schon heute darauf, sie bald in der Hose, die ihr sicher blendend stehen würde, auf der Straße begrüßen zu können. Und ihre Freundinnen und ihre sonstigen Bekannten brauchten die erst recht nicht zu sehen, denn nach dem Motto: „Das möchte ich auch haben”, das für jede Dame gilt, die bei einer anderen etwas Hübsches sieht, würde eine jede sie bitten, ihr das Höschen zu leihen, damit sie sich den Schnitt abnehmen und sich nach dem ein auch in der Farbe möglichst gleiches machen lassen könne. Daran aber, das Höschen zu verleihen, dachte sie natürlich nicht. Soweit ging ihre Freundschaft denn doch nicht, nicht einmal gegen ihre besten Freundinnen, von denen sie noch dazu mindestens acht hatte.

So packte sie die Hose fort, ja, sie zeigte sie am nächsten Tage nicht einmal in dem großen Modewarengeschäft, als sie dorthin ging, um sich die neuen Sachen auszusuchen und zu bestellen, denn die Erlaubnis, sich die zu kaufen, hatte sie wirklich noch gestern abend ihrem Mann abgeschmeichelt, der es, klug wie er war, sofort eingesehen hatte, daß sie natürlich nicht nur in der Hose auf die Straße gehen könne, sondern daß sie unbedingt etwas haben müsse, was sie über diese Überziehhose anziehen könne.

Und ferner hatte er es glücklicherweise auch sofort begriffen, daß sie zu dem Höschen und zu dem neuen Kleid unbedingt allerwenigstens sechs Paar mattgrüne seidene Strümpfe und dazu passende, sehr neue elegante Schuhe haben müsse. Ja, das hatte ihr Mann sofort eingesehen, und von neuem hatte sie sich darüber gefreut, daß sie einen so klugen Mann hatte. Na, aber bei einem dummen hätte ja gerade sie es auf die Dauer auch nicht ausgehalten.

Nach einigen Wochen war das neue, mattgrüne Seidenkostüm, von den Schuhen angefangen, bis zu dem Hut hinauf, fix und ferig und als sie sich zum erstenmal an einem herrlichen Sommertag auf der Promenade in dem zeigte, erregte sie geradezu Sensation und nicht nur das, sie hörte ganz deutlich, wie eine ihrer besten Freundinnen bei dem Anblick aller ihrer neuen Herrlichkeiten vor Neid derartig barst, daß ihr mit einem ziemlich lauten Knacks eine der Korsettstangen brach. Und wieviel Korsettstangen würden der nun erst gebrochen sein, wenn sie gewußt hätte, daß sie zu diesem fabelhaft schicken Kostüm, bei dem alles, aber auch alles bis auf das Kleinste miteinander harmonierte, sogar eine ganz genau dazu passende mattgrüne Überziehhose aus indischer Seide trug.

Frau Irmgard wußte und hörte es immer aufs neue, ihre mattgrüne Toilette bildete das beinahe ausschließlich Gesprächsthema aller ihrer Bekannten, zumal sie in der noch viel hübscher und verführerischer aussah denn je, so daß die Zahl ihrer Verehrer und Kurmacher von Tag zu Tag noch größer wurde, als sie es schon gewesen war.

Aber selbst die schönste und eleganteste Frau, ja, gerade die kann auch das eleganteste Kleid nicht zu oft tragen, wenn sie elegant bleiben will, und so wanderte eines Tages das mattgrüne Kostüm in den Kleiderschrank, um bald darauf als abgelegt an eine arme auswärtige Verwandte verschenkt zu werden. Das grüne Höschen aber wanderte in eine ihrer vielen Schubladen und da, als sie es fortlegte, sah sie erst, daß es doch schon etwas abgetragen und an einigen Stelle auch schon ein klein wenig durchgescheuert war, aber das war bei dem dünnen Seidenstoff ja auch weiter kein Wunder. Na, aber sie hatte ihre große Freude an dem Geschenk gehabt, es hatte seine Schuldigkeit getan, und schon aus Dankbarkeit dafür beschloß sei, es für immer aufzuheben.

Und sie hob es auf, jahraus, jahrein, bis sie es schließlich ganz vergaß. Nicht einmal an den späteren Geburtstagen erinnerte sie sich seiner mehr, denn da schenkte ihr Mann ihr immer so viele andere schöne Sachen, daß es ja undankbar gewesen wäre, bei denen an die Gaben früherer Jahre zurückzudenken und dadurch gewissermaßen Vergleiche anzustellen. Ach, und je älter sie wurde, desto weniger wollte sie auch an ihre früheren Geburtstage, an denen sie noch so jung war, erinnert werden. Wirklich alt war sie natürlich immer noch nicht, aber die Zeit, in der sie sich sagen konnte: bis ich dreißig werde, sind es allerwenigstens noch zwei Jahre hin, die Zeit war leider doch vorbei, obgleich sie noch so gut und so jung aussah, daß ihre neuste und intimste Freundin, Frau Anneliese, die junge Gattin eines erst vor Jahresfrist hierher versetzten Amtsgerichtsrates, ihr letzthin auf eine Bemerkung ihrerseits, daß sie leider nicht mehr die Allerjüngste wäre, erwidert hatte, das glaube sie doch wohl selber nicht, denn sie könne doch höchstens, aber auch allerhöchstens vierundzwanzig Jahre sein.

Frau Irmgard hätte nicht weiblichen Geschlechts sein müssen, wenn ihr das, zumal sie der Freundin anhörte, daß die ihre ehrliche Überzeugung aussprach, nicht hätte sehr glatt heruntergehen sollen. So verabschiedete sie sich von Frau Anneliese, als die bald darauf aufbrach, mit einem so herzlichen Kuß wie noch nie, und da sie wußte, daß Frau Anneliese demnächst ihren Geburtstag hatte, beschloß sie, ihr etwas ganz besonders Hübsches zu schenken, und zwar wollte sie ihr, geschickt wie sie in allen Handarbeiten war, selbst etwas arbeiten.

Aber was sollte und konnte das sein? Darüber zerbrach sie sich lenge vergebens den Kopf, bis der Zufall ihr zu Hilfe kam, denn als sie eines Morgens mit Frau Anneliese durch die Straßen der Stadt schlenderte, entdeckte die Freundin in einem Schaufenster eine nach ihrem Geschmack entzückend angezogene große Teepuppe, die sie sich sicher sofort gekauft hätte, wenn der an dem Kleid befestigte Preis ihr nicht zu hoch gewesen wäre.

Da stand Frau Irmgards Entschluß sofort fest, aber nicht der, der Freundin die Puppe ihrerseits als Geburtstags­geschenk zu kaufen, nein, sie wollte lediglich denselben Puppenkopf erstehen und dann die Puppe nach ihrem Geschmack, und zwar noch viel hübscher, kleiden, denn der weißseidene Stoff der fertigen Puppe paßte nach ihrer Ansicht nicht recht zu dem Kopf. Ein ganz zartes Rosa oder ein ganz mattes Blau würde sich entschieden sehr viel besser machen und in einem der vielen Geschäfte in der Stadt würde sie schon das Richtige finden.

Aber trotz allen Suchens fand sie doch nicht ganz die Farbe, die sie sich gedacht hatte, und so beschloß sie, in ihren vielen Schubladen zu suchen und zu kramen, ob dort unter den vielen Seidenresten, die sie aufbewahrte, nicht vielleicht das Richtige wäre.

Frau Irmgard kramte lange in ihren Kommoden herum und auch nicht ohne Erfolg, denn wenn der Seidenstoff, den sie endlich als geradezu ideal für ihre Zwecke in Händen hielt, in seinem Farbenton eigentlich auch nicht ganz das war, was sie sich ursprünglich dachte, so würde das Kleid der Teepuppe sich dennoch gerade aus dieser Seide sehr gut arbeiten lassen und, wenn erst fertig, sicher ganz eigenartig und apart wirken. So machte sie sich denn mit ihren geschickten Händen gleich an die Arbeit, zumal sie infolge einer längeren beruflichen Reise ihres Mannes viel freie Zeit für sich hatte, und als sie wenige Tage später ihrer besten und intimsten Freundin am Geburtstag ihr Geschenk überbrachte, war die vor Freude derart außer sich, daß sie ihr immer wieder um den Hals fiel, um sie zu küssen und um ihr zu danken, zumal Frau Irmgard die wunderschöne Puppe ja nicht fertig gekauft, sondern die selbst für sie angefertigt habe. Und immer wieder erzählte sie, wie wundervoll sie dieses Geschenk verwenden könne, denn ihr Mann habe nun einmal die entsetzliche Gewohnheit, sie jeden, aber auch jeden Nachmittag warten zu lassen, bis er aus seinem Arbeitszimmer zum Tee käme. Nun könne sie den fortan täglich in und unter der Puppe warmstellen und das sei einfach herrlich.

Es dauerte lange, bis Frau Anneliese ihre beste Freundin, Frau Irmgard, endlich gehen ließ, aber kaum war die eine kleine Viertelstunde fort, da erschien, direkt von der Bahn kommend, Frau Irmgards Mann, weniger, um zu gratulieren, als um seine Frau, der er gleich gern etwas Wichtiges gesagt hätte, hier zu treffen, denn als er vom Bahnhof aus seine Frau anzutelephonieren versuchte, hatte er von dem Mädchen erfahren, daß sie bei Frau Anneliese sei, die heute ihren Geburtstag habe. So kam er, mit einem unterwegs schnell gekauften Blumenstrauß in der Hand, und da er seine Frau leider nicht mehr antraf, wäre er am liebsten gleich wieder gegangen, aber erst mußte er ein Stück Kuchen essen, ein Glas Wein trinken und namentlich den Geburtstagstisch bewundern und auf diesem als kostbarstes Geschenk Frau Irmgards Teepuppe.

Und die bewunderte er auch, während Frau Anneliese ihm ausführlich erzählte, daß Frau Irmgard die während seiner Abwesenheit selbst gefertigt habe, bis er plötzlich, nachdem er die Puppe immer und immer wieder erstaunt betrachtet hatte, belustigt und lachend, ohne zu ahnen, welches Unglück er dadurch heraufbeschwöre, fragte: „Wissen Sie aber auch, was das ist, Frau Anneliese? Das ist eigentlich gar keine Teepuppe, sondern das ist die von meiner Frau abgelegte und als abgenutzt ausrangierte grünseidene Schlupfhose, die ich ihr vor zwei Jahren einmal zum Geburtstag schenkte. Die grüne Farbe des Puppenkleides und die ganz eigenartige Seide kamen mir gleich so merkwürdig bekannt vor, ich wußte nur nicht so schnell, wo ich sie hinbringen sollte. Nun aber bin ich meiner Sache ganz sicher.” Und ganz stolz auf seine Frau schloß er: „Ja, ja, die Irmgard ist sehr geschickt und in manchen Dingen auch sehr sparsam. Die läßt nichts umkommen, die weiß selbst aus einer alten Hose noch so entzückende Sachen zu machen wie diese wirklich sehr allerliebste Teepuppe.”

Bisher hatte Frau Anneliese die auch sehr allerliebst gefunden und sie wußte ja am besten, wie sehr sie sich über die freute, nein gefreut hatte, denn als Frau Irmgards Mann sich bald darauf verabschiedete, war ihre ganze Freude dahin, sie klingelte nach dem Mädchen und gab diesem den strengen Auftrag, die Puppe sofort und für immer in den Mülleimer zu werfen.

Und damit Frau Irmgard es nicht wage, am Nachmittag zu ihr zu dem Geburtstags­kaffee zu kommen, setzte sie sich sofort hin und schrieb ihr einen Brief. Und als Frau Irmgard den gelesen hatte, war die bisherige intime Freundschaft mit einem Schlage zu Ende. Die beiden Freundinnen, die bisher nicht hatten leben können, ohne sich täglich zu sehen und zu sprechen und die kein Geheimnis als das ihres Alters voreinander hatten, gingen fortan auf der Straße aneinander vorüber, ohne sich zu grüßen und ohne sich auch nur zu kennen.

Und so oft Frau Anneliese nicht nur auf ihrem Geburtstags­kaffee, sondern auch in Zukunft gefragt wurde, warum sie Frau Irmgard denn nur so schnell und so gründlich die Freundschaft gekündigt habe, gab sie zur Antwort: „Ich bin gewiß keine alberne, dumme, prüde Pute, aber trotzdem, mit Frau Irmgard konnte ich nicht weiter verkehren, denn es war nicht nur unästhetisch, es war einfach unmoralisch von ihr, mir zuzumuten, ich solle des Nachmittags den Tee für meinen Mann, damit er warm bliebe, täglich in ihre abgelegte Hose stellen!”


zurück zur

Schlicht-Seite