Ilka.

Humoristisch-satirische Plauderei von Freiherr von Schlicht
in: „Die süssen kleinen Mädchen — Was sie träumen”


Frau Ilka, die erst siebenundzwanzigjährige Gattin des sehr angesehenen Bankdirektors Norten, in der Stadt von ihren Freunden und Verehrern nie anders als „die schöne Ungarin” genannt, lag in ihrem großen geräumigen Schlafzimmer in ihrer duftigen schneeweißen Nachttoilette, den hübschen rassigen Kopf mit den feurigen dunklen Augen und den dichten, etwas krausen schwarzen Haaren, auf die rechte Hand gestützt, unter den weißen Bezügen ihrer seidenen Decken in ihrem großen goldenen Reformbett und hielt in ihrer Linken ein aufgeschlagenes Buch, ohne daß sie eine Ahnung dvon hatte, welches Buch sie erwischte, als sie vor dem Schlafengehen auf gut Glück nach einem Buche griff, denn um schon gleich einzuschlafen, war sie noch nicht müde genug und dazu war sie auch ein klein wenig zu erregt, wie sie das immer war, wenn sie, wie heute, den Abend in der Oper verbracht hatte. Und zum Überfluß hatte man heute auch noch die „Salome” von Richard Strauß gegeben, und diese Salomegeschichte ging ihr immer auf die Nerven, das heißt, die regte sie auf und brachte ihr heißes Ungarblut stets in Wallung, denn sie war eine echte geborene Ungarin, die allerdings schon seit frühester Jugend in Deutschland lebte und nun schon seit fünf Jahren, denn solange war sie schon verheiratet, hier in der großen Handelsstadt war, die sich den Luxus erlauben konnte, sich ein in jeder Hinsicht glänzendes Theater zu halten. Auch heute war die Vorstellung allerersten Ranges gewesen, das Orchester nicht minder glänzend als die Sänger und Sängerinnen auf der Bühne. Ja, es war ein wirklicher Genuß gewesen und sicher hätte auch ihr Mann, ihr Alexander, an der Vorstellung seine große Freude gehabt. Bis sie nun leise vor sich hin lachend, aber trotzdem ärgerlich und mißmutig den hübschen Kopf schüttelte, weil sie sich sagte, es bleibt sich für Alexander ziemlich gleich, ob er sich heute einmal wieder auf einer seiner vielen geschäftlichen Reisen in Berlin aufhält oder ob er mit dir in das Theater gegangen wäre, er hätte ja doch in unserer Loge geschlafen, denn er schläft ja leider Gottes des Abends immer mit den Hühnern ein, leider Gottes, obgleich du die Letzte bist, die ihm, überarbeitet wie er nun einmal ist, seinen Schlaf nicht gönnt. Aber trotzdem, manchmal — und ihren schlanken, geschmeidigen Körper in dem weichen schönen Bett streckend und dehnend und unwillkürlich etwas schneller atmend, daß ihr hübscher Busen sich hob und senkte, dachte sie: „Aber trotzdem, manchmal braucht er nicht gleich einzuschlafen, wenn er dir des Abends den Gutenachtkuß gegeben hat, wenigstens könnte er dann noch eine Stunde wach bleiben, denn du bist doch erst siebenundzwanzig Jahre alt und er ist ja auch erst Mitte der Vierzig, wenngleich der Arzt wohl recht hat, daß Jahre so angestrengter geistiger Arbeit, wie sie hinter meinem Alexander liegen, seitdem er damals hierher an die Spitze des dicht vor dem Zusammenbruch stehenden Bankhauses gerufen wurde, doppelt und dreifach zählen.” Ach und niemand wußte wohl besser als sie, wie ihr Mann gear­beitet hatte, bis es ihm gelungen war, die Bank wieder auf eine so solide und feste Basis zu stellen, daß die sich heute überall wieder des besten Rufes und des besten Ansehens erfreute. Ja, ja, ihr Mann hatte im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Pferd gearbeitet, aber wenn sie sich auch stets von ganzem Herzen seines Erfolges mit freute, traurig war es doch, daß er darüber so früh ein müder, alter Mann geworden war, das war traurig auch für sie, denn sie war doch noch jung, erst siebenundzwanzig Jahre, und in ihren Adern rollte heißes Blut, das sie für gewöhnlich wieder zur Ruhe zu verweisen wußte, das zuweilen sich aber doch heiß und leidenschaftlich nach Küssen und nach Liebkosungen sehnte und das dann die Erinnerung an die ersten schönen Jahre ihrer Ehe wieder lebendig werden ließ. Ach, wie glücklich war sie nicht mit ihrem Alexander gewesen, in den sie sich damals, als sie ihn kennen lernte, auf den ersten Blick verliebte, nur weil er ein auffallend hübscher und ein sehr kluger und amüsanter Mensch war. Und als sie bald darauf seine Frau wurde, da war er ihr nicht nur der zärtlichste und liebevollste Gatte, sondern fast ganz gegen ihr Erwarten auch der feurigste Liebhaber gewesen, den sie sich nur hätte wünschen können, bis dann infolge seiner geschäftlichen Überarbeitung der Zusammenbruch seiner körperlichen Kräfte kam, von dem er sich inzwischen wieder soweit erholte, daß er seinen Berufspflichten vollständig nachgehen konnte, von dem aber immerhin doch eine gewisse Müdigkeit zurückgeblieben war, die er nach außen hin allerdings sehr geschickt zu verbergen verstand, der er sich aber umso mehr hingab, wenn er zu Hause war. Viel, viel Schlaf hatte der Arzt ihm verordnet, und ihr Alexander, den sie selbst in den zärtlichsten Flitterwochen nie „Alex” oder sonst irgendwie mit einem Kosenamen genannt hatte, befolgte den Rat und schlief zu Hause, soweit seine Zeit es ihm nur irgendwie erlaubte. Er schlief auch stets sofort ein, sobald er sich zu diesem Zweck hingelegt hatte und wenn sie sich auch mit ihm und für ihn darüber freute, daß er so schön schlafen konnte, für sie war das traurig, denn sie war doch noch jung, erst siebenundzwanzig Jahre. Aber trotz alledem, ihre Liebe zu ihrem Mann war noch die gleiche wie früher. Sie lebte mit ihm in der glücklichsten Ehe und wenn ihre Natur und ihre Sinne auch manchmal nach einem Mann als solchem verlangte, sie verriet niemandem, nicht einmal ihrem Alexander, wie es in der Hinsicht um sie bestellt war und noch nie war sie ihm auch nur in Gedanken ein einzigesmal untreu gewesen. Daß sie ihm auch nie, niemals untreu werden würde, wußten hier in der Stadt auch alle Herren, mit denen sie gesellschaftlich zusammentraf, und noch nie hatte es einer gewagt, ihr mit seinen Blicken oder gar mit einem Worte irgendwie zu nahe zu treten. Sie war eine treue Frau und würde es auch immer bleiben, das gestand sie sich jetzt wieder ein, als sie in ihrem Bett lag und als das durch die Musik aufgepeitschte heiße Blut in ihr zu sprechen begann. Sie würde ihrem Alexander auch schon deshalb ewig treu bleiben, weil ihr noch nie ein Mann begegnet war und weil ihr niemals einer begegnen würde, der ihr ernstlich gefährlich werden könne, niemals. Einen solchen Mann, oder richtiger gesagt, den Mann gab es nicht auf der Welt, aber trotzdem dachte sie auch jetzt wieder darüber nach, wer wohl der Fremde gewesen sein mochte, der ihr im Theater in der Proszeniumsloge schräg gegenüber saß. Sicher war es ein Fremder, denn sie hatte ihn hier noch nie gesehen und sicher mußte er auch von hohem Rang sein, das bewies nicht nur seine äußerst vornehme aristokratische Erscheinung, sondern das bewies auch die Ehrerbietung, mit der die Herren ihn behandelten, die sich in Frack und weißer Binde mit ihm in seiner Lage befanden, während er selbst zu den dunkel gestreiften Beinkleidern den Gesellschaftsrock trug. Brillant hatte der Fremde ausgesehen, durch seine hohe stattliche Gestalt die anderen Herren überragend, wie sie es feststellte, als er sich in der Pause von seinem Platz erhob und mit seinen Begleitern plauderte. Brillant hatte er ausgesehen und was ihr am besten an ihm gefiel, war, daß er keinerlei Schmuck oder Orden trug. Aber er sah nicht nur glänzend aus und war nicht nur tadellos gekleidet, er war auch ein auffallend hübscher Mensch mit einem klugen, energischen, sehr scharfgeschnittenen bartlosen Gesicht, mit stahlblauen Augen, mit dichtem, auf der linken Seite gescheiteltem schwarzen Haar und blendend weißen Zähnen. Das alles hatte sie festgestellt, als sie ihn ein paarmal sehr genau durch ihr Opernglas betrachtete und wenn sie es auch nicht im geringsten darauf angelegt hatte, seine Aufmerksamkeit zu erwecken, so freute sie sich doch, daß auch sie seine Aufmerksamkeit erregte, daß er sie zuerst mit bloßem Auge, dann ebenfalls durch sein Glas betrachtete, bis er mit dem dann weiter die anderen Leute im Theater ansah, um bald darauf sein Glas wieder nur auf sie zu richten. Das tat er im Laufe des Abends oft, aber er machte das in so vollendet diskreter Weise, daß es weiter gar nicht auffallen konnte, und dafür war sie ihm im stillen sehr, sehr dankbar, denn was hätten wohl ihre Bekannten von ihr denken sollen, wenn sie etwas davon bemerkt hätten, daß sie ihm zu gefallen schien. Aber so diskret er es auch machte, sie selbst hatte es doch bemerkt, wie oft er zu ihr herüber sah, und als sie dann nach Schluß der Vorstellung durch einen Zufall auf der breiten Treppe, die vom Rang hinunterführte, mit ihm zusammentraf, als sie beide ganz dicht aneinander vorbei gingen, da hatte er ihr einen Blick zugeworfen, der in ihr für eine kurze Sekunde das Gefühl wach werden ließ: mit diesem Blick hat er dich eben nicht nur körperlich, sondern auch seelisch entkleidet. Wie ihm dein Körper nun nicht mehr fremd ist, so ist es ihm auch deine Seele nicht, er kennt deine geheimsten Gedanken und Regungen, die zuweilen in dir wach werden, der weiß von dir und deinem Innenleben mehr als du dir selbst einzugestehen wagst, danit das bisherige Glück deines Lebens nicht in einen Schutthaufen zusammenfällt. Und trotz alledem war auch dieser Blick weder aufdringlich noch ungezogen gewesen, sie wurde sich auch jetzt noch nicht recht darüber klar, wie der Blick eigentlich war, nur soviel wußte sie, noch nie hatte ein Herr sie so angesehen und noch nie war ihr ein Blick so durch den Körper, durch ihre Seele und durch ihr Herz gegangen.

Aber was lag nun noch an dem Blick? Der war vorüber und gehörte der Vergangenheit an. Jetzt interessierte es sie, wenn auch lediglich aus Neugierde, wer der Fremde wohl gewesen sein mochte. Seine Erscheinung hatte im ganzen Theater Aufsehen erregt und man hatte sich, wie sie es hörte, als sie während der Pausen in dem Foyer auf und ab ging, fast allgemein darüber unterhalten, wer die Herren in der Loge wohl sein könnten. Bis sie sich nun plötzlich auf der Frage ertappte, ob dieser Fremde, wenn der ihr Mann wäre, wohl auch jeden Abend gleich einschlafen würde, wenn er sich an ihrer Seite niedergelegt hätte? Ach nein, das täte der ganz gewiß nicht, dem brauchte sie nur in die Augen zu sehen, um zu wissen, daß auch der voll Leidenschaft und Temperament war. Ach nein, der würde sich des Abends nicht damit begnügen, ihr nur einen Kuß auf die Stirn oder den Mund zu drücken, ach nein, der nicht, und wieder streckte und dehnte sie ihren schlanken, geschmeidigen Körper in ihrem weichen Bett und breitete nun plötzlich ganz unbewußt und ganz gegen ihren Willen ihre schönen Arme aus, als wolle sie den Geliebten voller Leidenschaft an sich pressen. Aber gleich darauf schämte sie sich derartig vor sich selbst, daß ein glühendes Rot ihr in die Wangen stieg. Was war denn heute nur in sie gefahren? Noch nie hatte sie sich so ihren geheimsten Regungen und Wünschen überlassen und wenn sie sich wirklich zuweilen nach den Liebkosungen eines Mannes sehnte, dann sehnte sie sich nach denen ihres eigenen Mannes oder nach denen eines Mannes als solchem, aber noch nie nach denen eines besonderen. Und eben hatte sie ganz deutlich den Fremden aus dem Theater vor sich gesehen. Schämte sie sich denn gar nicht und wenn sie sich auch noch so sehr schämte, wie hatte sie nur vergessen können, daß sie eine verheiratete Frau war, sie hatte doch ihren Alexander und der lag nun schon längst in Berlin in seinem Hotelbett und schlief. Ach ja, der schlief und sie, sie wollte jetzt auch schlafen, eingedenk des alten Wortes „Wer schläft, der sündigt nicht” und sie wollte nicht einmal in Gedanken weiter sündigen, dafür hatte sie ihren Alexander denn doch zu lieb.

Aber trotzdem, wer war der Fremde gewesen? Mit dieser Frage schlief sie ein und der nächste Tag brachte ihr die ersehnte Antwort, denn als sie mittags gegen zwölf Uhr beschlossen hatte, zur Stadt zu gehen, um einige Besorgungen zu machen, trat der Diener zu ihr in das Zimmer und brachte ihr auf einem kleinen silbernen Tablett eine Visitenkarte, auf der sie den Namen las: „Fürst Ludwig”, während der Diener gleichzeitig meldete: „Seine Durchlaucht läßt die gnädige Frau bitten, ihn zu empfangen, trotzdem Seine Durchlaucht noch nicht die Ehre gehabt hat, der gnädigen Frau vorgestellt zu werden.”

Also der Fremde war ein Fürst, denn daß es sich bei dem Besucher nur um den Herrn handeln könnte, den sie gestern Abend im Theater sah, das stand sofort für sie fest. Also ein Fürst war er und das überraschte sie keineswegs, denn für einen gewöhnlichen Sterblichen hatte sie ihn auf Grund seiner äußeren Erscheinung von Anfang an nicht gehalten und nun begriff sie auch die Ehrerbietung, mit der die anderen Herren, die bei ihm in der Loge saßen, ihn behandelten. Also ein Fürst und wenn sie auch zu klug war, um eitel zu sein, so schmeichelte es ihr nun doch, daß es sogar ein Fürst war, dessen Aufmerksamkeit sie durch ihre Schönheit so erregte, daß er sie gestern abend fortwährend durch sein Glas im Theater ansah. Was aber führte den Fürsten jetzt zu ihr? Wie kam der dazu, ihr seinen Besuch zu machen? Aber sie fand keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn der Diener wandte sich an sie mit der Frage: „Werden die gnädige Frau Seine Durchlaucht empfangen?”

Eine Augenblick stand sie noch unschlüssig da, aber auch nur einen Augenblick, dann gab sie dem Diener zur Antwort: „Allerdings, ich lasse Seine Durchlaucht bitten.” Und wenn sie auch eine Dame der allerersten Gesellschaft war, in derem Hause nur die besten Kreise verkehrten, so freute sie sich schon vor dem Diener über die Ruhe und die Gelassenheit, mit der sie den Auftrag gab, den Besucher vorzulassen. Sie tat es mit einer Selbstverständlichkeit, als sei sie es gar nicht anders gewöhnt, täglich Fürsten und Fürstinnen bei sich zu empfangen. Und dann freute sie noch eins, die tadellosen Manieren ihres Dieners, der zum Überfluß auch noch ein hübscher Mensch war. Der würde sofort auf den Fürsten einen sehr guten Eindruck gemacht haben.

Der Diener ging und sie selbst warf noch einen schnellen Blick in den Spiegel. Nur gut, daß sie schon im Begriff gestanden hatte, zur Stadt zu gehen, da war sie bis auf Hut und Mantel fix und fertig angekleidet und brauchte den Besucher nicht erst lange warten zu lassen. So betrat sie denn zwei Minuten später den Empfangssalon, in dem der Fürst sie bereits erwartete, und wenn sie auch nach außen hin vollständig ruhig und gelassen erschien, so konnte sie es doch nicht vermeiden, daß ihr Hrz ein klein wenig unruhig schlug, weil sie sich auch jetzt wieder fragte: ,Was veranlaßt den Fürsten, dir seine Aufwartung zu machen?' Das dachte sie auch noch, als sie dem Gast nun ihre Hand bot, die dieser ritterlich und voller Ehrerbietung an seine Lippen führte, und das dachte sie weiter, als der Fürst nun auf ihre Aufforderung hin ihr gegenüber Platz genommen hatte. Und da, als sie ihn nun noch deutlicher und noch näher sah als gestern abend, als sie auf der Treppe im Theater dicht aneinander vorbei gingen, da sah sie es eigentlich erst ganz genau, wie auffallend hübsch er war. Gott sei Dank, kein sogenannter schöner Mann, wohl aber einer, der durch seine Erscheinung auf jede Frau ein tiefen Eindruck machen mußte, weil er eben durch und durh ein Mann war. Das sah sie schon an der Entschlossenheit, die aus seinen schönen stahlblauen Augen sprach. Der Mann wußte, was er wollte, und dem merkte man es sofort an, daß der auch seinen Willen jederzeit in die Tat umzusetzen verstand. Und trozdem hatten seine Augen nichts Hartes, nichts Grausamen oder Gewalttätiges, sondern es sprach aus denen eigentlich nur eine große Leidenschaft.

„Sie werden erstaunt sein, gnädige Frau,” erklang da jetzt die wohltönende, sonore Stimme des Fürsten, „daß ich mir erlaube, mich bei Ihnen anmelden zu lassen, aber ich hatte das wirklich sehr große Vergnügen, Sie gestern abend im Theater zu sehen, und ich wollte von hier nicht abreisen, ohne der schönsten Frau, die ich seit langen Jahren sah, den Ausdruck meiner Verehrung und meiner Bewunderung zu Füßen gelegt zu haben.”

„Durchlaucht sind wirklich außerordentlich liebenswürdig,” gab sie zur Antwort, wenngleich sie es im stillen nicht ganz passend fand, daß der Fürst nur deshalb zu ihr gekommen war, denn sie war doch eine verheiratete Frau, während er selbst, wie sie jetzt feststellte, keinen Verlobungs- oder Ehering trug, und deshalb glaubte sie, es sich schuldig zu sein, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken, so daß sie jetzt fortfuhr: „Auch ich erinnere mich, Sie, Durchlaucht, gestern abend im Theater gesehen zu haben, und es kam mir so vor, als wären Sie, Durchlaucht, ein besonders aufmerksamer Zuhörer gewesen. Allerdings war die Vorstellung gestern auch auffallend gut und da brauche ich wohl nicht erst der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß auch Sie, Durchlaucht, in künstlerischer Hinsicht befriedigt das Theater verlassen haben.”

Das war alles im leichten gesellschaftlichen Plauderton gesagt und was sie da sagte, find im ersten Augenblick auch ihren Beifall, aber kaum hatte sie es gesagt, da ärgerte sie sich darüber , weil ihr das alles sehr dumm und sehr albern vorkam. Mußte der Fürst sie nicht im stillen auslachen, wenn sie sagte, sie erinnere sich, ihn im Theater gesehen zu haben? Um solche Worte zu gebrauchen, hatte sie ihn doch zu oft mit dem Opernglas angesehen, was er auch sicher bemerkte, und daß er gerade kein besonders aufmerksamer Zuhörer war, hatte sie ja am deutlichsten beobachtet, denn selbst bei offener Szene während des Spiels auf der Bühne hatte er, wie sie mehr erriet als bemerkte, zu ihr herüber gesehen und schließlich war er doch sicher nicht jetzt zu ihr gekommen, damit sie beide sich über die gestrige Vorstellung unterhielten, wie das vielleicht ein gewöhnlicher Besucher getan hätte, der sie sonst nicht zu unterhalten verstand. Nein, sie war mit dem, was sie gesagt hatte, wirklich nicht zufrieden, aber sie wußte trotzdem nicht, was sie sonst hätte sagen sollen, den unmöglich konnte sie ihm erklären: ,Ja, Durchlaucht, ich habe Sie gestern gesehen und das nicht allein, Ihre Erscheinung hat auf mich einen solchen Eindruck gemacht, daß ich gestern abend noch lange, lange wach lag und an Sie dachte.' Nein, das hätte sie ihm natürlich nicht sagen können und dürfen, aber das, was sie sagte, fand sie beinahe ebenso ungeschickt und ungewandt, und das ärgerte sie, denn sie mußte ihm doch beweisen, daß sie eine vollendete Dame der Welt und der Gesellschaft war, die die Kunst, einen Gast zu unterhalten, meisterlich verstand. Aber sonderbarerweise schien es ihrem Besucher nicht aufgefallen zu sein, daß sie sich mit ihrer Äußerung eigentlich recht albern benahm. Aber nein, aufgefallen war es ihrem Gast selbstverständlich, er war wohl nur zu gut erzogen, um sich ihre kleine Unterhaltungs-Entgleisung irgendwie anmerken zu lassen, ja wohl nur, um ihr nicht zu deutlich zu verstehen zu geben, daß sie in seinen Augen eine recht alberne Pute sei, ging er mit der größten Bereitwilligkeit auf das Thema ein, das sie anschlug. Er sprach von der Dichtung Salome, von der Straußschen Musik, er verglich die gestrige Aufführung, die er sehr lobte, mit einer Aufführung, die er in Berlin unter der Leitung des Komponisten hörte, er wußte von dem letzteren, den er persönlich kennengelernt hatte, allerlei Interessantes zu erzählen, bis nun allmählich, während er trotzdem weitersprach, ein leises übermütiges Lächeln seinen hübschen Mund umspielte, bis aus seinen Augen, denen sie einen solchen Ausdruck gar nicht zugetraut hätte, mit einemmal der Schalk zu reden begann, so daß sie fortwährend dachte: mit jedem weiteren Wort, das er sagt, macht er sich nur über dich lustig. Möchte er doch endlich schweigen und dir erzählen, warum er eigentlich zu dir gekommen ist, vorausgesetzt, daß er nicht nur kam, um dir den Ausdruck seiner Bewunderung und Verehrung zu Füßen zu legen. — Und wie schon so oft, freute sie sich auch jetzt wieder darüber, daß sie so auffallend hübsche, schlanke und vollendet geformte Füße hatte, die in den Flitterwochen so oft das Entzücken ihres Mannes bildeten, der sich an denen gar nicht satt sehen konnte und der ihre schön geformten Zehen mit den hübschen Nägeln, die so rosig leuchteten, als wären sie poiert, so oft an die Lippen führte, um sie zu küssen. Und wie es kam, wußte sie selbst nicht, aber mit einemmal war ihr, als ruhten auch die Augen des Fürsten bewundernd auf ihren Füßen, die in äußerst eleganten Straßenstiefeln unter dem Kleid hervorsahen, und deshalb hielt sie es plötzlich für ihre Pflicht, ihre Füße zu verstecken, denn wenn die Zeiten, in denen ihr Alexander die küßte, auch längst vorüber waren und wohl nie, nein sicher nie wiederkommen würden, so gehörten ihre Füße dennoch nur ihm und außerdem entflammte es aus ihr unbekannten Gründen immer aufs neue ihre Sinne, wenn man ihr gerade über ihre Füße eine Schmeichelei sagte. Das kam zum Teil auch mit daher, daß sie dann immer an die Liebesnächte zurückdenken mußte, die sie mit ihrem Alexander verlebte, und daß dann die Sehnsucht in ihr wach wurde, diese Nächte möchten wiederkommen, denn einmal mußte ihr Mann sich doch endlich so gründlich ausgeschlafen haben, daß er eines Tages nicht gleich an das Einschlafen dachte, wenn er sie auf den Mund oder auf die Stirn geküßt hatte.

Nein, ihre Füße waren das Privateigentum ihres Mannes, die zeigte sie keinem mehr, als es unbedingt sein mußte, aber als sie die nun zurückgezogen hatte, da schämte sie sich vor sich selbst und erst recht vor ihrem Gast, denn war das, was sie eben tat, nicht ungezogen gewesen? Sah das nicht aus, als wäre er ungezogen gewesen und als hätte sie ihm zu verstehen geben wollen: „mein Herr, so etwas tut man nicht und so benimmt man sich selbst dann einer Dame gegenüber nicht, wenn man ein Fürst ist.” Aber hatte er sich bisher ihr gegenüber nicht tadellos korrekt benommen und war es von ihr nicht kindisch und lächerlich, ihre Füße vor seinen Blicken zu verstecken, ganz abgesehen davon, daß er dadurch auf den Gedanken kommen könnte, sie habe irgend einen Grund, ihm ihre Füße nicht zu zeigen, die hätten irgend einen Schönheitsfehler, den er selbst durch die Stiefeln[sic! D.Hrsgb.] hindurch bemerken könne? Ach nein, einen solchen Verdacht durfte sie in ihm nicht aufkommen lassen, das war sie sich, aber auch ihrem Alexander schuldig, und so schob sie denn nun beide Füße unter dem Kleid wie zufällig und unbeabsichtigt wieder vor und zwar so weit, daß er sie sehen mußte. Und er sah sie, das bemerkte sie daran, wie es jetzt hell und leidenschaftlich in seinen Augen aufblitzte, bis er ihr nun plötzlich zurief: „Wissen Sie wohl, meine Gnädigste, daß Sie tatsächlich die schönste Frau sind, die mir seit vielen Jahren begegnet? Ich bin mit dem Lob, das ich Ihnen eben zollte, sehr zurückhaltend, ich sage es nur dann, wenn es meiner ehrlichsten Überzeugung entspricht und auch nur dann, wenn ich mich ehrlichst daraufhin geprüft habe, ob ich mich und auch die Dame mit meinen Worten tatsächlich nicht belüge. Aber als ich Sie, gnädige Frau, gestern abend im Theater sah, wurde mir in demselben Augenblick, in dem meine Augen Sie zum ersten Mal erblickten, sofort klar: Herrgott, das ist endlich mal wieder eine Erscheinung, die es verdient, daß du ihr sagst, daß sie schöner ist als Millionen andere. Aber trotzdem, gnädige Frau, bevor ich es Ihnen sagte, habe ich den größeren Teil der Nacht wach gelegen und Sie in Gedanken mit allen den anderen vielen Frauen verglichen, denen ich im Laufe der letzten Jahre begegnete. Aber als ich mich auch dann nicht auf eine einzige besinnen konnte, die einen Vergleich mit Ihnen auch nur sekundenlang aushielte, da duldete es mich nicht länger, da hatte ich keine Ruhe mehr, da mußte ich ganz einfach zu Ihnen kommen und Ihnen alles sagen, nachdem ich mich selbstverständlich schon gleich gestern abend im Theater nach Ihrem Namen erkundigte. Und nun, gnädige Frau, kommt mein Geständnis und meine Frage, von der mein, aber auch Ihr Glück abhängt.”.

„Auch mein Glück?” wiederholte sie ganz mechanisch, aber auch mehr als verwundert, denn sie verstand den Fürsten nicht, sie erriet absolut nicht, worauf er mit seinen Worten hinaus wollte. Ja und konnte er denn überhaupt noch etwas von ihr wollen? War es nicht schon mehr als genug, daß er sie bis zu einem gewissen Grade gezwungen hatte, es mit anzuhören, wie schön er sie fand und daß er heute Nacht anstatt zu schlafen an sie dachte? Jawohl, er hatte sie gezwungen, das ruhig mit anzuhören, denn als Dame der Gesellschaft konnte sie ihm, einem Fürsten, einer Durchlaucht, doch unmöglich die Tür weisen, ganz abgesehen davon, daß eine Dame das ja nie tut, wenn sie eine solche Anerkennung ihrer Schönheit zu hören bekommt, das schon deshalb nicht, weil sie mehr als neugierig ist zu erfahren, ob das Geständnis damit zu Ende ist, oder ob das vielleicht noch weitergeht. Und das gestand sie sich auch ein, auch sie war mehr als neugierig darauf, aber erst recht war sie entsetzt, wenn sie sich vorstellte, daß das Geständnis noch weitergehen könne. Was wollte er denn noch von ihr? Wenn er sich nach ihr erkundigte, hatte er doch sicher auch erfahren, daß sie eine verheiratete Frau war, sogar eine glücklich verheiratete Frau, oder wenigstens eine glücklich verheiratet gewesene Frau. Aber das hatte der Logenschließer, oder wer ihm sonst die Auskunft über sie gab, natürlich nicht wissen können, daß sie in einer Hinsicht nicht mehr ganz glücklich verheiratet war, aber dieser eine Punkt hatte mit dem Glück als solchem nichts zu tun, wenigstens in ihrer Ehe nicht, denn sonst wäre sie ihrem Mann schon längst untreu geworden.

Sie wußte selbst nicht, wielange sie so dagesessen hatte, während tausend Gedanken blitzschnell auf sie einstürmten, sie besann sich erst wieder auf sich selbst, als die Stimme des Fürsten an ihr Ohr klang: „Gnädige Frau, ich habe Ihnen, wie ich glaube, Zeit genaug gelassen, sich die Antwort auf meine Frage zu überlegen, obgleich ich die Frage selbst ja noch nicht an Sie richtete und obgleich Ihr Überlegen offen gestanden nicht viel Zweck hätte, denn Sie werden doch tun, was ich von Ihnen erbitte, weil Sie viel zu klug sind, um Ihr eigenes Glück mit Füßen zu treten, dann aber auch, weil noch nie eine Frau meinem Liebeswerben widerstanden hat. Es kommt sehr selten vor, gnädige Frau, daß ich eine Dame darum bitte, mir ihre Liebe zu schenken, denn so heiß mein Blut und mein Temperament auch sind, wenn für mich ein Leben ohne Liebe auch kein Leben ist, so lebe ich dennoch zuweilen ein Jahr und länger keusch und tugendhaft wie ein Mönch, um dann, wenn die Liebe und die Leidenschaften nicht mehr zu zügeln sind, auf Reisen zu gehen und Umschau zu halten nach einer Frau, die würdig ist, daß ich es ihr sage, wie schön sie ist. Und wenn ich dann eine solche Frau gefunden habe, dann ist sie mir auch verfallen. Nicht, als ob ich ein gewissenloser Verführer wäre, sondern einfach, weil ich das Glück habe, dann auch stets wiedergeliebt zu werden. Nicht, weil ich der Fürst bin, nicht weil ich über enorme Reichtümer verfüge, sondern man liebt mich einfach um meiner selbst willen wieder, gnädige Frau.”

„Aber ich liebe Sie nicht, Durchlaucht, und ich werde Sie auch niemals lieben,” rang es sich entsetzt und empört zugleich über ihre Lippen.

Einen Augenblick sah er sie mit seinen schönen stahlblauen Augen an, daß es ihr schwer wurde, diesen seinen Blick unbefangen zu ertragen, dann sagte er ruhig und gelassen, aber ohne jede Spur von Stolz und Eitelkeit: „Doch, gnädige Frau, Sie lieben mich, Sie lieben mich jetzt schon.”

Sie lachte hell und fröhlich auf und sie wunderte sich eigentlich selbst darüber, daß ihr Lachen so natürlich und so ungezwungen klang, dann fragte sie: „Ich sollte Sie lieben, Durchlaucht? Würden Sie mir vielleicht verraten, was Sie zu dieser Annahme veranlaßt?”

„Wenn Sie es befehlen, selbstverständlich, gnädige Frau,” gab er zur Antwort, „und da möchte ich Ihnen nur eins sagen, liebten Sie mich nicht schon jetzt, gnädige Frau, dann hätten Sie sich gestern abend vor dem Einschlafen nicht solange mit mir beschäftigt, dann hätten Sie keine Vergleiche zwischen Ihrem Gatten und mir angestellt, die wenigstens zum Teil zu meinen Gunsten entschieden wurden.”

„Und wer sagte Ihnen, Durchlaucht, daß dem so ist, wie Sie glauben und behaupten?” rief sie ihm mit dem Versuch zu, ihn davon zu überzeugen, daß er sich irrte. Aber daß er das nicht tat, hörte er wohl an dem Klang ihrer Stimme, das sah er wohl auch an dem Ausdruck ihres Gesichts, denn er meinte jetzt: „Gnädige Frau, wollen wir es nicht aufgeben, uns über diesen Punkt zu streiten? Daß ich im Recht bin, wissen Sie genau so gut wie ich, aber trotzdem müßte ich Ihnen als Kavalier selbstverständlich glauben, wenn Sie mir weiterhin erklärten, ich befände mich in einem Irrtum. Aber daß Sie gestern abend an mich dachten, gnädige Frau, das ist nicht Ihre Schuld,” nahm er sie jetzt gegen sich in Schutz. „Das ist nicht Ihre Schuld, gnädige Frau, sondern nur die meinige. Ich habe es in meinem Bett gewollt, daß Sie in Ihrem Bett an mich dächten und da haben Sie es durch eine Art von Gedanken­übertragung auch tun müssen, obgleich Sie es nicht wollten. Und daß Sie es nicht wollten, habe ich deutlich an mir selbst bemerkt. Mir geht es in einem solchen Falle immer wie einem Hypnotiseur, der sein Medium an der Hand hält, um dieses durch die Übertragung seines eigenen Willens zu seinem willenlosen Werkzeug zu machen. Vielleicht haben Sie einmal einer solchen Vorstellung beigewohnt und es mit angesehen, welche körperliche und geistige Kraft es den Hypnotiseur zuweilen kostet, seinen eigenen Willen durchzusetzen. Da können Sie sich denken, gnädige Frau, wie schwer da gestern Abend erst mir meine Gedanken­übertragung wurde. Wir waren durch eine weite Entfernung, durch viele geschlossene Türen voneinander getrennt und ich muß Ihnen das allerdings für mich sehr wenig schmeichelhafte Zeugnis ausstellen, Sie haben sich sehr lange gesträubt, an mich zu denken.”

„Ja, Durchlaucht, das habe ich getan,” pflichtete sie ihm bei, obgleich sie ja am besten wußte, wie sehr sie damit die Unwahrheit sprach, bis sie jetzt fortfuhr: „Ja, Durchlaucht, ich wollte nicht an Sie denken, ich hätte es auch nie, niemals getan, wenn ich nicht schließlich dem Einfluß Ihres Willens unterlegen wäre. Daß da eine Art Fernhypnotismus vorläge, habe ich gestern Abend gleich gedacht, als sich mir schließlich der Gedanke an Sie aufdrängte und als ich es gar nicht verstand, wie ich dazu käme, mich, wenn auch nur flüchtig, mit Ihnen zu beschäftigen, denn ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, Durchlaucht, daß ich verheiratet bin und zwar sehr glücklich verheiratet.”

„Sogar „sehr glücklich”?” fragte er, während sie den Zweifel aus seinen Worten heraushörte, und als er sie nun mit seinen schönen Augen so offen und ehrlich ansah, da brachte sie es kaum fertig, ihn nochmals zu belügen, aber es mußte sein, das war sie sich und auch ihrem Mann schuldig und deshalb wiederholte sie nun noch einmal: „Jawohl, Durchlaucht, sehr glücklich.”

„Was Sie, meine gnädige Frau, „sehr glücklich” nennen,” widersprach er, um gleich darauf hinzuzusetzen: „Ich habe stets gefunden, gnädige Frau, daß mit dem Wort Glück ein arger Mißbrauch getrieben wird. Wer nennt sich heutzutage nicht alles glücklich! Der eine, wenn er in einem überfüllten D-Zug noch einen Sitzplatz erwischt, der zweite, wenn er noch trocken vor dem Ausbruch eines drohenden Unwetters nach Hause kommt, der dritte, wenn er als armer Teufel ein paar Mark in der Lotterie gewinnt. Solche Beispiele könnte ich Ihnen noch stundenlang anführen und die alle würden Ihnen beweisen, daß die meisten Menschen oft das ein Glück nennen, was lediglich ein Zufall ist. Ich aber erkenne nur eins als das wirkliche Glück an, nicht für mich allein, sondern für alle Menschen. Für mich bedeutet das Glück, einen Menschen zu lieben und von diesem wiedergeliebt zu werden und zwar wiedergeliebt zu werden mit der Seele, aber auch mit den Sinnen. Eine Liebe der Seele ohne gleichzeitige Liebe der Sinne ist ebenso wenig eine wahrhaft beglückende und befriedigende Liebe, wie das auf die Dauer eine Liebe der Sinne sein kann, wenn die Seele da nicht mitspricht. Wie gesagt, gnädige Frau, so deute ich mir das Glück und da ich zufällig in Erfahrung gebracht habe, daß Sie eine Ungarin sind, da ich es Ihnen ja aber auch ansehe, daß Sie das Blut und das Temperament der Ungarinnen in Ihren Adern haben, so weiß ich, daß Sie über die Liebe und über das Glück genau so denken wie ich. Täten Sie das nicht, hätte ich Ihnen das nicht gestern gleich angesehen, dann säße ich Ihnen jetzt nicht gegenüber, um Sie zu bitten, meine Geliebte zu werden.”

Also doch! Nun hatte er die Bitte ausgesprochen, die sie schon längst aus seinem Munde erwartete. Das also war die Frage, die er an sie richten wollte! Darüber, daß er das nicht tun würde, hatte sie ja von Anfang an kaum in Zweifel sein können, aber nun, als er das, was ihn zu ihr führte, mit so offenen klaren Worten aussprach, da empörte sich alles in ihr, da mußte sie sich mit Gewalt beherrschen, um nicht aufzuspringen und um ihm nicht die Tür zu weisen. Ja, sie fühlte es ganz deutlich, sie war es nicht nur sich, sonern auch ihrem Mann schuldig, aufzuspringen, aber wenn sie das doch nicht tat, lag das einzig und allein daran, daß sie wie gelähmt dasaß und einfach nicht aufspringen konnte, sie mußte sitzen bleiben, ob sie wollte oder nicht. Aber die Tür hätte sie ihm ja trotzdem weisen können und sie gestand sich auch ein, daß sie das nicht nur ihrem Mann, sondern erst recht sich selbst schuldig sei, aber sie tat es dennoch nicht, denn er war ja ein Fürst und außerdem wußte sie, daß in einem solchen Falle eine Frau nur in Romanen dem Mann die Tür weist und selbst dann wirkte so etwas meistens unwahr und etwas theatralisch. In Wirklichkeit schickt eine Dame der ersten Gesellschaft den Herrn bei einer solchen Veranlassung nicht fort, sondern sie läßt ihn ruhig weiterreden, einmal, damit der Korb, mit dem er schließlich nach Hause geht, immer größer und schwerer wird, dann aber auch, weil die Dame für ihre eigene Person mehr als neugierig darauf ist, wie tugendhaft sie sich aus der Affäre herausziehen wird, vorausgesetzt natürlich, daß sie tugendhaft bleibt.

Diese und ähnliche Gedanken schossen ihr nun blitzschnell durch denm Kopf, während es zugleich bei ihr felsenfest stand, daß sie unter allen, aber auch wirklich unter allen Umständen tugendhaft bleiben und daß sie nie, aber auch nie daran denken würde, auf seine Bitte einzugehen, denn sie war doch sehr glücklich verheiratet oder sie war doch immerhin verheiratet und was würde wohl ihr Alexander sagen, wenn der etwas davon erführe und welches Gerede würde unter ihren sogenannten Freundinnen entstehen, wenn die etwas zu hören bekamen? Die würden kein gutes Haar an ihr lassen, das schon deshalb nicht, weil die sie sicher beneideten, wenn die erfuhren, daß ihr Freund ein auffallend hübscher Mensch und noch dazu ein unermeßlich reicher Fürst war. Allerdings, das Geld als solches würde auf sie persönlich gar keinen Eindruck machen, denn sie entstammte einem reichen Hause und ihr Mann verfügte über ein so hohes Einkommen, daß ihr die Reichtümer anderer Leute noch nie imponierten und daß sie sich noch nie gewünscht hatte, reicher zu sein, als sie es war, um sich vielleicht diesen oder jenen Wunsch erfüllen zu können. Das schon deshalb nicht, weil sie alles in solchem Überfluß besaß, daß sie kaum wußte, was sie sich wünschen sollte, wenn alljährlich ihr Geburtstag oder das Weihnachtsfest heran kam. Nein, seine irdischen Güter würden sie nie locken und reizen, höchstens der Umstand, daß er ein Fürst war, nein, auch das nicht, höchstens, daß er so gut aussah und daß sein Temperament dem ihrigen entsprach. Aber nein, auch das alles nicht, sondern sie würde sich nur dann ein ganz klein wenig etwas darauf einbilden, die Geliebte dieses auffallend hübschen Fürsten geworden zu sein, wenn sie ihn über alles liebte. Aber nein, auch dann nicht, denn wenn eine Frau wie sie einen Mann liebt, dann fragt sie doch gar nicht danach, ob er hübsch oder häßlich ist, sondern sie liebt ihn eben, weil sie lieben muß und sie liebt, weil sie weiß, daß sie wiedergeliebt wird.

Sie aber liebte den Fürsten nicht, sie würde ihn nie lieben, denn sie liebte ihren Mann und war mit dem glücklich, oder sie würde es wenigstens nie zugeben, daß sie es mit dem nicht ganz so war, wie sie es sich zuweilen wünschte. Deshalb schüttelte sie nun sehr energisch den Kopf und sagte so fest und so bestimmt wie nur möglich: „Auf Ihre Bitte und auf Ihre Frage, Durchlaucht, gibt es nur eine Antwort, die heißt „niemals — niemals — niemals!” Und wenn Sie ganz ehrlich und gerecht sind, werden Sie zugeben, daß Sie auch gar keine andere Antwort von mir erwartet haben.”

„Das tat ich doch, gnädige Frau,” widersprach er, „allerdings rechnete ich nicht damit, daß Sie mir sofort ein freudiges „Ja” zurufen würden. Wohl aber glaubte ich, Sie würden mich wenn auch nur spöttisch und ironisch fragen, wielange ich Ihnen die sogenannte Ehre erweisen würde, Sie als mein Geliebte bei mir zu behalten und wann der Tag käme, an dem ich Ihrer überdrüssig wäre und Sie wieder nach Hause schickte. Manche andere Dame hätte an Ihrer Stelle zuerst diese Frage an mich gerichtet und daß Sie, gnädige Frau, das nicht taten, beweist mir, daß Sie sich in jeder Hinsicht mit vollstem Recht sehr hoch einschätzen und daß diese Trennungsstunde, soweit es an mir liegt, niemals kommen würde.”

Nun lachte sie doch spöttisch und ironisch auf, um dann zu fragen: „Niemals, Durchlaucht? Das ist ein großes Wort, das Sie da eben gelassen aussprechen, und das, wenn es Ihrer ehrlichsten Überzeugung entspräche, Ihrem Charakter alle Ehre machte, denn im allgemeinen ist es doch wohl Brauch und Sitte, daß jeder Mann seiner Geliebten nach einer gewissen Zeit überdrüssig wird und sich dann nach einer neuen Freundin umsieht. Und wenn ich Sie vorhin richtig verstand, wäre ich ja auch nicht Ihre erste Geliebte, falls ich die jemals werden sollte. Sie haben vor mir schon andere geliebt und sich von den anderen wieder getrennt, obgleich Sie auch denen sicher einzureden versuchten, eine Trennungsstunde würde niemals schlagen.”

„Verzeihung, gnädige Frau,” verteidigte er sich, „ich habe das den anderen Damen nicht einzureden versucht, wie Sie das nennen, sondern ich habe denen das der Wahrheit gemäß erklärt und wenn es trotzdem zwischen den anderen und mir zu einer Trennung kam, so ist das nicht meine Schuld gewesen. Aber selbst wenn es meine Schuld wäre, so wäre ich dennoch ganz unschuldig daran, denn wenn ein Mann, der mit einer Geliebten zusammenlebt, eines Tages den Wunsch nach einer neuen Geliebten empfindet, dann hat die Geliebte sich das einzig und allein selbst zuzuschreiben. Daß in der Ehe ein Mann seiner Frau zuweilen überdrüssig wird, will ich gern zugeben, da sprechen tausend kleine wirtschaftliche und andere zahllose Dinge mit, die bei dem freien Liebesleben ganz fortfallen. In der Ehe tötet schon oft der Zwang, das Gefühl und das Bewußtsein, aneinander gekettet zu sein, die einstige heiße Liebe, aber zwischen der Freundin und dem Freunde ist das etwas ganz anderes. Das Bewußtsein, daß beide Teile frei sind, kettet sie fest zusammen, die gegenseitige Angst, der eine Teil könnte des anderen eines Tages überdrüssig werden, die gegenseitige Furcht, sich zu verlieren, läßt das Liebeswerben zwischen beiden nie aufhören und wenn trotzdem eine Trennung erfolgt, liegt es unter tausend Fällen neunhundert­neunund­neunzigmal an der Geliebten, entweder fühlt sie sich zu sicher und glaubt, sich in ihrem Äußeren, ihrem Benehmen und auch in den Beweisen ihrer Gunstbezeugungen gehen lassen zu dürfen, wie es die Frauen leider in den meisten Ehen tun, oder aber sie, die Freundin, wird eines Tages des Geliebten überdrüssig, denn wenn ich auch nicht behaupten will, daß die Frauen weniger treu veranlagt sind, als die Männer, so steht dennoch eins fest, daß sie sich auf dem Gebiet der Liebe öfter nach einem anderen Partner sehnen, als es die Männer tun. Die Frauen lieben den Wechsel, von ihren Kleidern und Hüten angefangen bis zu ihrem Geliebten und bis zu dem Ehemann, denn es ist eine statistisch nachgewiesene Tatsache, daß die Männer sich meistens nur scheiden lassen, um wieder freie Männer zu werden, weil sie in der Ehe das bekannte Haar gefunden haben, die Frauen aber lassen sich in der Hauptsache scheiden, um wieder heiraten zu können und vor und während der Scheidung wissen sie auch schon meistes sehr genau, wer ihr nächster Mann sein wird.”

„Bis zu einem gewissen Grade mögen Sie da wohl recht haben, Durchlaucht,” stimmte sie ihm bei, „ich entsinne mich, gerade in den letzten Tagen zufällig in irgend einem Blatt einen Artikel über Ehescheidungen gelesen zu haben, in dem ähnliche Ansichten ausgesprochen wurden und in dem der Wunsch nach einem Wechsel auch auf dem Gebiet der Liebe als in dem Charakter der Frau liegend bezeichnet wurde,” dann aber fuhr sie fort: „Es ist ja ganz zwecklos, noch weiter darüber zu reden, Durchlaucht, denn wie schon gesagt, werde ich selbstverständlich niemals Ihre Geliebte werden, aber trotzdem, es macht mir Spaß, mit Ihnen darüber zu plaudern und da sind Sie also der Ansicht, Sie würden, falls ich doch jemals Ihre Geliebte werden sollte, meiner nie überdrüssig werden, oder richtiger gesagt,” verbesserte sie sich, „Sie meinen, ich würde als Ihre Geliebte nur den einen Wunsch haben, Sie dauernd an mich zu fesseln? Damit sagen Sie aber auch zugleich, daß Sie, wenn ich so offen und frei reden darf, ein so vollkommener Geliebter sein würden, daß ich in Ihrer Gesellschaft niemals den Wunsch empfände, einen anderen Mann kennzulernen.”

„Gewiß sage ich das mit meinen Worten, gnädige Frau,” pflichtete er ihr bei, „und wenn meine Worte vielleicht auch kühn klingen, sie sind es doch nicht, denn jede schöne Frau hat schlielßch den Geliebten, den sie sich wünscht. Hat sie den nicht oder findet sie eines Tages bei ihrem Geliebten nicht mehr das, was sie bei ihm suchte, dann ist das einzig und allein ihre Schuld, denn eine Frau muß es verstehen, die Leidenschaften eines Mannes immer aufs neue zu erwecken und zu entflammen, nur darf der Mann natürlich nie die Absicht merken, denn das stößt ab, anstatt zu erwärmen. Selbst die schönste und verführerischste Frau muß den Mann fortwährend in dem Glauben lassen, er liebe sie nur um ihrer Tugenden willen und er würde sie auch dann ebenso heiß mit seinen Sinnen lieben, wenn sie häßlich wäre.”

„Und Sie glauben allen Ernstes, Durchlaucht, daß ich, gerade ich, als Ihre Geliebte — nein, nein,” unterbrach sie sich erschrocken und verlegen zugleich, „das wollte ich natürlich nicht sagen, sondern ich meinte —”

Ja, was sie meinte, das wußte sie im Augenblick selbst nicht recht, so vieles stürmte auf sie ein, so sehr hatten die Worte des Fürsten ihre Leidenschaften erweckt und noch nie hatte ein Mann, am allerwenigsten ein so hübscher, mit ihr so offen und frei über die Liebe gesprochen. Ja ihr eigener Mann, ihr Alexander, vermied dieses Thema sogar mehr als ängstlich, wohl weil er befürchtete, sie könne dann eines abends von ihm noch etwas anderes als nur den Gutenachtkuß erbitten. Als ob sie ihn jemals darum bitten würde! Nein, diese seine Furcht war gänzlich unbegründet, denn jede erbetene Liebe ist eine Kränkung und eine Beleidigung. Selbst einen Kuß soll man sich nur dann geben, wenn der in beiden zu gleicher Zeit aufglühende Wunsch die Lippen von selbst zusammenführt. Schon die Bitte „küsse mich” ist eine Demütigung für den, der es ausspricht. Nein, sie würde ihren Mann nie darum bitten, sie jemals wieder in seine Arme zu nehmen, schon weil sie im voraus zu wissen glaubte, daß ihr Alexander in ihren Armen einschlafen würde wie ein müdes kleines Kind und diese Blamage wollte sie ihm, aber die wollte sie erst recht sich ersparen. Aber er, der Fürst, würde an ihrer Seite nicht stets sofort einschlafen, das hatte sie sich schon gestern abend gesagt, jetzt aber sagten es ihr seine Blicke, das sagte er ihr ja auch mit jedem Wort, das bisher im Laufe der Unterhaltung gefallen war, und wenn er doch eines Tages zu früh einschlafen sollte, dann war das einzig und allein ihre Schuld. Auch das hatte er ihr erklärt und sie würde ihn schon nicht einschlafen lassen, aber sie würde nie den Glauben in ihm erwecken, er liebe sie nur um ihrer Schönheit willen. Selbst wenn sie jemals seine Geliebte werden sollte, sie war es sich schuldig, daß er in ihr niemals nur das schöne, verführerische Weib sah, sondern stets in erster Linie die Frau, die er um ihrer selbst willen liebte und die er selbst dann lieben würde, die er selbst dann mit allen seinen Sinnen lieben müßte, wenn sie häßlich wäre. Und wie würde er sie als seine Geliebte lieben, da sie außer den Vorzügen ihrer Seele noch die ihres hübschen Gesichtes, ihres schlanken, geschmeidigen Körpers und die ihrer schönen Füße besaß. Wie würde der Fürst sie da erst lieben, denn er hatte ihr ja selbst erklärt, er sei seit Jahren keiner Frau begegnet, die ihr an Schönheit gliche. Wie lange mochte es her sein, daß er einer anderen Frau dieselbe Anerkennung zollte wie heute ihr? Und wieviel Zeit mochte wohl schon verstrichen sein, da er zum letztenmal ein Weib berührte? Sicher waren seitdem Monate, wenn nicht sogar Jahre vergangen und seine Leidenschaften mochten und mußten nun in ihm toben und brennen wie in ihr und sie war es, die er zu seiner Geliebten begehrte.

Ihre Sinne waren entflammt, mehr als das, die waren aufgepeitscht, sie glaubte es ganz deutlich zu hören, wie das Blut in ihren Adern kochte. Sie fühlte, wie es in ihren Schläfen hämmerte und pochte, sie sah — nein, vor ihren Augen flimmerten und tanzten tausend und abertausend kleine rote Punkte. Ihre Sinne waren entflammt wie noch nie zuvor, sodaß sie sich vor sich selbst schämte, aber gleich darauf fand sie eine Entschuldigung und eine Erklärung, sie war doch noch jung, eben erst siebenundzwanzig Jahre und war sie nicht schon seit Jahren eigentlich nur noch dem Namen nach eine verheiratete Frau? War ihr Mann im wahrsten Sinne des Wortes überhaupt ein Mann? Konnte sie etwas dafür, wenn die Leidenschaften, die sie gewaltsam die ganze Zeit hindurch bekämpft und immer wieder zurückgedrängt hatte, sie nun mit aller Gewalt ergriffen und mit sich fortgerissen wie ein Sturzbach, der alles mit sich fortreißt, das sich seinem Lauf entgegenstellt? War auch sie nicht nur ein Weib, ein schwaches Weib, das noch leichter als ein Mann fremden Einflüsterungen unterliegt, wenn diese ihr wie berauschende Musik in die Ohren klingen?

Lange, lange saß sie da und sie dankte es dem Gast im stillen, daß er das Schweigen, das zwischen ihnen herrschte, nicht unterbrach. Er mußte ihr ja anmerken, wie erregt sie war. Da war es im höchsten Grade ritterlich von ihm gehandelt, daß er ihr Zeit ließ, sich wieder auf sich selbst zu besinnen, bis nun plötzlich seine Stimme erklang: „Da wären wir uns also einig, gnädige Frau, und wenn ich es ja auch im voraus wußte, daß Sie meine Bitte erfüllen würden, so danke ich Ihnen dennoch schon jetzt mit heißen Worten dafür, bis sich mir Gelegenheit bieten wird, Ihnen meinen Dank anders als nur mit Worten auszudrücken,” und als sie ihn mit einem Angstschrei unterbrechen und ihm zurufen wollte: Durchlaucht, Sie irren sich, was Sie wünschen und was Sie von mir verlangen, das wird nie, niemals geschehen, eher gehe ich in den Tod, als daß ich der Versuchung unterliege, die, das will ich gern zugeben, in Ihrer Person und mit allem, was Sie mir sagten, riesengroß an mich herangetreten ist, aber trotzdem, ehe ich unterliege, eher gehe ich wirklich in den Tod, als sie ihm das und noch vieles andere zurufen wollte, machte er eine Handbewegung, die jeden Widerspruch ihrerseits kurzweg abschnitt, und während er sie nun mit einem Blick ansah, in dem eine eisenharte, durch nichts zu beugende Energie lag, rief er ihr seinerseits zu: „Wir sind uns einig, gnädige Frau. Wenn es zwei Naturen gibt, die sich in jeder Weise verstehen und ergänzen, dann sind es die unsrigen und deshalb wäre es ein nie wieder gut zu machendes Verbrechen an uns selbst, wenn wir den inneren Stimmen, die uns einander zurufen, daß wir zusammmen gehören, nicht gehorchen wollten. Wir sind uns einig, gnädige Frau, und darum bitte ich jetzt um die Erlaubnis, mich von Ihnen verabschieden zu dürfen, damit ich voranfahre, um auf meinem Schloß alles zu Ihrem Empfang vorbereiten zu lassen. Das aber wird nur wenige Stunden in Anspruch nehmen und deshalb werden Sie mir schon heute folgen. Es wird jetzt ungefähr ein Uhr sein. Heute abend um sechs Uhr wird der Extrazug auf dem Bahnhof für Sie bereitstehen. Mein Diener wird Sie erwarten, wenn Sie auf dem Bahnhof vorfahren, er wird Ihnen die Sorge für Ihr Gepäck und für alles andere abnehmen, Sie selbst brauchen sich um nichts zu kümmern, ich bitte Sie nur, den Salonwagen zu besteigen, in dem Sie nicht nur jede Bequemlichkeit, sondern auch jede Bedienung vorfinden, die Sie wünschen, so daß Sie nicht nötig haben, Ihre eigene Zofe mitzunehmen. Nur eine Bitte hätte ich noch, wollen Sie so liebenswürdig sein, gnädige Frau, mir Ihre Lieblingsfarbe zu nennen und die Blume, die Sie allen anderen vorziehen?”

In ihren Ohren sauste und brauste es, sie vernahm die Worte, die da an ihr Ohr drangen, ohne gleich ihren Sinn und Zusammenhang zu verstehen, aber das war ja auch nicht nötig, denn alles, was er da sagte, war ein Unsinn, an den er selbst nicht glaubte. Traute er ihr denn wirklich zu, sie würde ihm folgen, um seine Geliebte zu werden? Und wenn er zehnmal einen Extrazug auf sie warten ließ, sie kam niemals. Bis sie aber bei dem Wort „Salonwagen” doch heller aufhorchte, denn es hatte sie von jeher gelockt, einmal einen solchen auf einer Reise für ihre Person benutzen zu dürfen. Sie entsann sich plötzlich, wie sie einmal auf einer Fahrt nach dem Süden auf einer überfüllten Station in einen Wagen einstieg, dessen Türen trotz des gewaltigen Andranges zu ihrem Erstaunen nicht geöffnet wurden, bis sie kurz entschlossen eigenhändig die Tür aufmachte und in den Wagen einstieg, über dessen luxuriöse Einrichtung sich selbst ihr, der verwöhnten und eleganten Frau, ein Ruf des Entzückens und des Erstaunens über die Lippen drängte, bis dann plötzlich ein Lakai vor ihr stand und sie in höflicher Weise bat, wieder auszusteigen, da sie wohl nur versehentlich den Salonwagen eines regierenden Fürsten betreten habe. Daher also die Pracht! hatte sie fortwährend denken müssen, als sie bald darauf mit vielen anderen Reisenden in einem überfüllten Abteil I.Klasse saß, und im Zusammenhang damit hatte sie sich gewünscht, es auch einmal so gut zu haben und auch einmal in solchem Salonwagen reisen zu können. Nun wurde ihr ein solcher zur Verfügung gestellt, aber nein, das durfte sie nicht reizen und nicht locken, denn sie war doch schließlich keine kleine Verkäuferin, die der Versuchung unterliegt, wenn diese in materieller Gestalt an sie herantritt. Nein, sie würde niemals zu ihm fahren und deshalb hatte es auch gar keinen Zweck, ihm nun seine letzte Frage zu beantworten, aber sie tat es trotzdem, denn als Dame des Hauses durfte sie einem Gast gegenüber nicht unartig sein und deshalb meinte sie jetzt: „Wenn Sie aus irgend einem Grunde Wert darauf legen, es zu erfahren, Durchlaucht, von allen Farben ist mir ein mattes Gelb die liebste und von den Blumen liebe ich keine annähernd so wie die Maréchal Niel-Rose.”

„Das habe ich mir gedacht, gnädige Frau,” pflichtete er ihr bei, „denn eine mattgelbe Toilette und gelbe Rosen müssen zu Ihrem Teint, zu Ihren Haaren und zu Ihren Augen wundervoll passen. Und es ist in diesem besonderen Falle sicherlich kein Zufall, daß auch ich Ihre Farben und Ihre Lieblingsblumen bevorzuge. Nun aber, gnädige Frau, bitte ich nochmals um die Erlaubnis, mich verabschieden zu dürfen, ich tue es mit den Worten: auf Wiedersehen in meinem Schloß.”

„Und wenn ich nun nicht komme, Durchlaucht, und ich komme so bestimmt nicht, wie ich jetzt vor Ihnen stehe,” wollte sie ihm zurufen, aber unter der Einwirkung der sie bewundernden Blicke und unter dem Einfluß des aus seinen Augen sprechenden festen Willens kam kein Wort über ihre Lippen, die sich nur mechanisch öffneten und schlossen, bis er ihr die Hände geküßt und gleich darauf das Zimmer verlassen hatte.

Gott sei Dank, er war fort! Hochaufatmend stand sie da und ihr war so leicht zumute, als wenn im letzten Augenblick eine ganz große Gefahr von ihr gewichen wäre. Ihr war, als wäre sie von einer schweren Krankheit genesen und als sähe sie zum erstenmal wieder die helle lachende Sonne, die ihr zurief: „Vergiß alles, was hinter dir liegt, freue dich der Zukunft, die deiner harrt.”

Ach ja und sie wollte sich freuen — aber worauf eigentlich? Auf ihren Mann, der morgen von seiner Reise zurückkam und sie dann gleich mit den Worten begrüßen würde: „Ach, Ilka, du glaubst ja gar nicht, wie todmüde ich bin. Hoffentlich nimmst du es mir nicht übel, wenn ich mich gleich schlafen lege. Abgesehen von den geschäftlichen Dingen, die dich nicht interessieren, habe ich sehr wenig erlebt, und dieses Wenige erzähle ich dir morgen oder übermorgen. Das eilt ja auch nicht, die Hauptsache ist, daß ich mich erst mal ordentlich ausschlafe, denn du weißt, der Arzt hat mir viel Schlaf verordnet.”

Freute sie sich auf das Wiedersehen mit ihrem Mann, oder freute sie sich, weil die Versuchung von ihr gewichen war, weil sie den Fürsten nicht mehr sah, dessen Erscheinung und dessen Worte ihre Sinne in gleicher Weise erhitzt hatten? Gott sei Dank, der Versucher war von ihr gewichen, aber das mußte sie sich nur zu bald eingestehen, die Versuchung als solche war zurückgeblieben. Mochte sie die Augen auch noch so fest schließen und sich die Ohren auch noch so fest zuhalten, ihr war, als wäre der Fürst immer noch bei ihr. Sie sah ihn ganz deutlich vor sich, sie hörte seine Stimme, sie hörte noch einmal jedes Wort, das er zu ihr sprach, und immer wieder klang es an ihr Ohr: ,Der Extrazug wird heute abend um sechs Uhr für Sie bereitstehen.'

Sie lachte plötzlich vor sich hin, na wenn schon, ihretwegen konnte der Extrazug auf sie warten, bis allen am Zuge beschäftigten Beamten das Warten langweilig wurde und bis sie mit dem in die Halle, oder wo der sonst zu stehen pflegte, zurückfuhren, obgleich sie sich, das gestand sie sich offen ein, den Extrazug wenigstens gern einmal angesehen hätte, denn schließlich war solcher Extrazug doch kein alltägliches Vorkommnis wie das tägliche Bereitstehen der Mahlzeiten auf dem gedeckten Tisch. Ja, wenigstens angesehen hätte sie sich den Zug mit ihrem Salonwagen für ihr Leben gern einmal und für einen Augenblick hätte sie sich noch gerner mal in den hineingesetzt, das aber selbstverständlich nur, um sofort wieder auszusteigen, wenn sie sich davon überzeugt hatte, wie gut es sich in den Sesseln saß, nein säße, denn sie würde ja nicht auf denen sitzen bleiben. Aber selbst dieser Versuch war unter Umständen mehr als gefährlich. Wer konnte wissen, ob der Zugführer darauf wartete, bis sie wieder ausgestiegen sei, ob der nicht sofort das Zeichen zur Abfahrt geben würde und was dann? Dann war es um sie geschehen, denn sie mußte doch damit rechnen, daß sich in dem Salonwagen nicht einmal eine Notleine befand oder daß der Zug nicht halten würde, wenn sie an der Notleine zog. Und vielleicht würde sie es auch gar nicht verstehen, an der richtig zu ziehen, und sie konnte doch unmöglich nach dem sie begleitenden Kammerdiener Seiner Durchlaucht klingeln und dem sagen: „Ach bitte zihen Sie einmal für mich die Notleine, ich möchte gleich wieder aussteigen.” Nein, das ging nicht, saß sie erst einmal in dem Salonwagen, dann mußte sie auch in dem sitzen bleiben, denn was sollten der Kammerdiener und das Zugpersonal wohl von ihr denken, wenn sie womöglich auf freiem Felde wieder aus dem Salonwagen herauskletterte? Da draußen in der Einsamkeit gab es sicher nicht einmal eine Droschle und wer brachte da sie und ihr Gepäck wieder nach Hause? Aber es war ja auch alles ein heller Unsinn, so etwas auch nur zu denken, sie würde niemals zu dem Fürsten hinreisen und selbst wenn sie es gewollt hätte, heute ging es unter keinen Umständen, sie mußte doch wenigstens mit ihrer Abreise warten, bis ihr Alexander wieder da war und bis sie dem offen und ehrlich, wie sich das für eine anständige Frau gehörte, alles erzählt hatte, was sich in seiner Abwesenheit zutrug. Aber würde ihr Mann sie verstehen und begreifen? Nein, das würde der nicht tun, der würde denken, sie habe den Verstand verloren, wenn sie ihm erklärte, sie wolle ihn verlassen. Der würde sofort nach dem Hausarzt oder nach einem Spezialisten telephonieren, um sie auf ihren Geisteszustand hin untersuchen zu lassen und unterdessen, während sie vielleicht für einige Wochen in einer Irrenanstalt untergebracht war, saß der Fürst auf seinem Schloß und wartete auf sie und das durfte nicht sein, denn wenn sie auch leider nicht täglich mit Fürsten zu verkehren pflegte, so wußte sie doch, daß selbst eine Dame einen Fürsten nicht warten lassen darf und auch sie durfte das nicht, das durfte sie höchstens erst dann, wenn der Fürst für sie nicht mehr „Seine Durchlaucht”, sondern „ihr Ludwig” war, vorausgesetzt, daß er dann nicht böse wurde, wenn sie nicht immer ganz pünktlich auf die Minute war, denn es gibt ja leider Gottes viele Männer, die gar kein Verständnis dafür haben, daß selbst die beste und pünktlichste Frau bei dem besten Willen nicht immer ganz pünktlich sein kann. Nein, sie durfte ihren Ludwig, ihren Fürsten, nein Seine Durchlaucht, niemals auch nur eine Minute warten lassen, sonst nahm er das vielleicht eines Tages als Vorwand, um ihr zu erklären: „So leid es mir tut, wir müssen uns trennen, denn ganz wider alles Erwarten bist du doch nicht der Inbegriff einer Geliebten, wie ich es gerade von dir erwartet habe.” Aber ob er wohl gleich „Du” zu ihr sagen würde, wenn auch sie jemals seine Geliebte geworden sein sollte? Hoffentlich nicht, das würde sie abstoßen und verletzen, denn selbst wenn sie ihm alles gegeben und gewährt hatte, was eine Frau einem Mann nur gewähren kann, sie blieb doch immer die Dame der ersten Gesellschaft, der selbst ein Fürst Achtung und Ehrerbietung schuldete, selbst dann, wenn er sie in seinen Armen gehalten hatte. Nein nicht selbst dann, sondern gerade dann.

Aber dahin würde es niemals kommen, das wußte sie so genau wie sonst nichts auf der Welt und trotzdem pochte und hämmerte das Blut weiter in ihren Schläfen, trotzdem fand sie keine Ruhe, so daß sie fortwährend in ihren Zimmern auf und ab ging. Wenn sie nur wenigstens gewußt hätte, auf welchem Schloß der Fürst sie erwartete, damit sie ihm eine Depesche schicken könnte: „Durchlaucht, gebt Euch keinen falschen Hoffnungen hin, ich komme nicht.” Oder wenn sie es wenigstens über sich gebracht hätte, nicht mehr an ihn und an all das zu denken, was er ihr sagte. Sie wollte auch gar nicht mehr daran denken, aber sie mußte es trotzdem. Sicher lag das daran, daß es sein Wille war, daß sie sich weiter in ihren Gedanken mit ihm beschäftige, das war sein Wille, wie der es auch gestern abend gewesen war, daß sie nicht gleich einschlief, sondern noch lange wach lag, bis der Schlaf sie endlich doch übermannte. Sie mußte an ihn denken, sie stand gaz einfach unter der suggestiven Fernwirkung, die er von seinem Eisenbahnabteil aus weiter Entfernung durch viele verschlossene Türen hindurch auf sie ausübte, bis sie nun plötzlich aufschrie: „Ich will nicht länger unter dieser fürchterlichen Macht stehen, ich will mich von der befreien.”

Und mit einemmal wußte sie auch, wie es ihr gelingen würde, wieder Herrin ihrer selbst und ihres eigenen Willens zu werden. Sie wollte zur Beruhigung ihrer bis an die Grenzen des Wahnsinns erregten Nerven ganz einfach so tun, als ob sie auf den Wunsch des Fürsten einginge und als wenn sie wirklich zu ihm reisen würde. Sie wollte alles bis auf die kleinsten Einzelheiten für ihre Abreise vorbereiten, um dann im letzten Augenblick, auf dem Bahnsteig angekommen, wieder ihre Disposition zu ändern und ruhig nach Hause zurückzukehren.

Ja, so wollte, so mußte sie es machen, um endlich den törichten, dummen, aber trotz alledem verführerisch schönen Gedanken wieder los zu werden und so überlegte sie denn nun einen Augenblick: was tue ich zuerst? Und da fand sich auch schon die Antwort. Das erste mußte der Brief an ihren Mann sein, den dieser vorfinden sollte, wenn er von seiner Reise zurückkam, den er ja aber niemals finden würde, da sie ja gar nicht reisen wollte. So machte sie sich denn nun kurz entschlossen an ihren Schreibtisch und schrieb:

„Mein über alles geliebter Alexander!”

Aber kaum hatte sie das geschrieben, da stockte sie schon. Nein, die Überschrift war nicht richtig, so schrieb doch keine Frau, die ihren Mann verlassen will, um die Geliebte eines anderen zu werden, und sie mußte doch so tun, als wenn das wirklich ihre Absicht sei. Und außerdem, war ihr Mann denn ihr über alles geliebter Alexander? Die Zeiten, in denen er das war, lagen weit, weit zurück, er war ihr guter, ihr bester Mann, aber ihr über alles geliebter? Statt jeder Antwort auf diese Frage schüttelte sie sehr energisch den schönen Kopf mit den sündhaft schönen schwarzen feurigen Augen und dem dichten schwarzen Haar. Und noch energischer riß sie den Briefbogen durch, um von neuem zu beginnen:

„Alexander!”

Sie atmete erleichtert und beglückt auf, jawohl, nur Alexander, weiter nichts, die Überschrift war richtig, da würde er schon gleich bei dem ersten Wort merken, wie sie im Grund ihres Herzens über ihn dachte. Wenn er diesen Brief ja glücklicherweise leider Gottes auch nie erhielt, so schadete es doch nichts, wenn sie sich endlich einmal alles von der Seele herunter schrieb. Aber trotzdem mußte sie sich möglichst kurz fassen, denn lange Briefe hatte sie nie geliebt und außerdem hatte sie noch so unendlich viel zu packen und anzuordnen, wenn sie pünktlich auf dem Bahnhof sein wollte, um im letzten Augenblick dem Kammerdiener des Fürsten zu sagen: „Ich kann leider den Zug nicht besteigen, mir ist eben eingefallen, daß ich meine Taschentücher vergessen habe, und ohne Taschentücher zu reisen bin ich nicht gewohnt.” Ach ja, sie hatte ja noch so vieles zu packen und vor dem Einpacken noch zu überlegen, was sie einpacken lassen wollte. Deshalb galt es nun erst, rasch den Brief zu Papier zu bringen.

Und die Feder flog dahin:

Alexander!

Wenn du diese Zeilen vorfindest, habe ich Dich und Dein Haus für immer verlassen. Ich weiß, das wird Dich traurig stimmen, aber wenn ich gehe, ist das Deine eigene Schuld. Ich bin zu jung, zu hübsch und zu leidenschaftlichen Temperamentes, als daß ich auf die Dauer jahraus, jahrein an einem Mann Genüge finden könnte, der fortwährend müde ist und der an meiner Seite stets sofort einschläft. Ich bin jung, ich bin hübsch, ich bin leidenschaftlich, und will meine Jugend noch genießen. Ich habe einen Mann kennengelernt, der mich zu seiner Geliebten begehrt und ich folge ihm auf sein Schloß, um immer bei ihm zu bleiben, denn wir werden uns nie wieder trennen, dafür werde ich schon zu sorgen wissen. Versuche nicht, meinen Aufenthaltsort zu ergründen, Du würdest ihn auch nie erfahren, denn ich weiß heute selbst noch nicht, wohin ich am Abend reise. Aber selbst wenn Du erfahren solltest, wo ich bin, alle Deine Versuche, mich zur Rückkehr zu bewegen, wären zwecklos. Schlafe ruhig ohne mich weiter und Du wirst ja jetzt noch eher zu Bett gehen können, weil Du es nicht mehr nötig hast, darauf zu warten, daß auch ich mich niederlege. Die Zeit, die Du bisher für den flüchtigen Gute-Nacht-Kuß brauchtest, kannst Du jetzt auch schon zum Schlafen verwenden. Das Schlafen ist ja so gesund, und der Arzt hat Dir soviel Schlaf verordnet.

Also schlafe weiter und schlafe wohl, Alexander.

Ilka.

So das war kurz und inhaltsreich, nun wußte ihr Alexander, woran er war und schnell war das Briefschreiben heute gegangen, fast noch schneller, als im Kientopp, wo die Leute im Film selbst mit den längsten Briefen fertig waren, wenn sie die Feder kaum zur Hand genommen hatten. Wie oft hatte sie sich nicht, wenn sie im Kino saß, gewünscht, ebenso schnell wie die Filmdarsteller ihre Korrespondenz erledigen zu können. Heute war ihr das mit dem Briefschreiben gelungen, aber als sie jetzt den Brief noch einmal durchlas, da war sie mit dem zwar sehr zufrieden, denn es schadete ihrem Alexander gar nichts, daß der endlich einmal die Wahrheit zu hören bekam, aber trotzdem tat er ihr ein ganz klein wenig leid. Wenigstens ein kleines freundliches Wort hätte sie ihm als Abschiedsgruß gönnen können, denn er war doch ihr Mann! Beinahe paßte auch auf den das Wort „Saugflaschenmannderl” aus dem „Weibsteufel”, oder wenn das nicht, dann verdiente er den Beinamen „das Schlummerrollenmannderl”. Aber gleichviel, ein freundliches Wort wollte sie ihm zurücklassen und so schrieb sie ihm denn einen Nachsatz: „Alexander, noch eins. Trotz alledem, was Du mir angetan, oder richtiger ausgedrückt, trotz allem was Du mir nicht antatest, da Du es stets verschlafen hast, scheide ich ohne Groll von Dir und wenn mein neues Leben es irgendwie erlaubt, will ich gern gelegentlich einmal an Dich zurückdenken. Im übrigen halte ich es für meine Pflicht, vor meiner Abreise die Dienstboten noch auf das Genaueste dahin zu instruieren, daß sie auf das beste für Dich sorgen, es wird Dir, auch wenn ich nicht bei Dir bin, in bezug auf Deine Bequemlichkeit und auf die Verpflegung an nichts fehlen. Etwas mußt Du natürlich auch auf Dich selbst aufpassen und Du darst es, wie letzthin einmal, als Du ein Paar Deiner schönen Manschettenknöpfe vermißtest, nie vergessen, alle Knöpfe selbst aus den getragenen Hemden herauszunehmen, bevor Du dem Diener den Auftrag gibst, Dir neu Hemden zurecht zu machen. Nun habe ich aber wirklich keine Zeit mehr für Dich, lebe wohl und lasse es Dir gut gehen.”

Und gleichsam zum Beweise dafür, daß sie für ihren abgelegten, nein für ihren abgetanen Mann wirklich keine Zeit mehr habe, schlug die Uhr in diesem Augenblick drei und sie fuhr sich mit beiden Händen ganz entsetzt an die Schläfen. Kannte der Himmel denn gar kein Erbarmen und konnte er nicht wenigstens heute die Zeit einmal etwas stehen lassen? Schon drei Uhr und um halb sechs mußte sie von Hause fortfahren, wenn sie auch nur zum Schein pünktlich auf dem Bahnhof eintreffen wollte. Wie sollte sie da in den knappen zwei und einer halben Stunde, die ihr noch zur Verfügung standen, auch nur annähernd mit dem Packen fertig werden? Sie mußte sich doch auch noch vorher überlegen, was sie mitnehmen und was sie zurücklassen sollte, bis sie sich ganz einfach dahin entschied, alles mitzunehmen, was sie an Kleidern, Wäsche, Schuhen, Strümpfen und ähnlichen Sachen besaß. Eine Rückkehr hierher gab es für sie ja nicht, was sollte sie da die Sachen, die sie etwa nicht mitnahm, hier den Motten als süße Speise für die Sonntags­mahlzeiten zurücklassen?

So klingelte sie denn nun kurz entschlossen der Zofe, um dieser, als sie gleich darauf eintrat, zuzurufen: „Babette, Sie und die Else müssen mir sofort helfen, meine sämtlichen Koffer zu packen,” und da sie die Empfindung hatte, als sei sie dem Mädchen dafür eine Erklärung schuldig, setzte sie schnell hinzu: „Denken Sie sich nur, Babette, wie ich vorhin einen alten Brief meiner Kusine zur Hand nehme, da fällt es mir zu meinem Schrecken ein, daß sie ja schon übermorgen ihre silberne Hochzeit feiert, während ich glaubte, dieses Fest fände erst in zwei Monaten statt. Meine Kusine würde es mir nie verzeihen, wenn ich diesen Tag verbummelt hätte, ich muß sofort abreisen und es ist ganz unbestimmt, wann ich zurückkomme, da meine Kusine davon schreibt, sie hoffe mit Sicherheit, ich würde sie und ihren Mann auf einer langen Reise begleiten. Mein Mann wird natürlich ein ganz erstauntes Gesicht machen, wenn er mich bei seiner Rückkehr nicht zu Hause antrifft. Ich habe ihm einen Brief zurückgelassen, in dem ich ihn auffordere, mir gleich zu folgen, um auch seinerseits an der Hochzeit teilzunehmen, denn ich fürchte, auch er wird das richtige Datum vergessen haben. Nun aber schnell, Babette, alle Koffer. Die Else und der Diener sollen Ihnen helfen, die zu holen, und noch eins, sagen Sie dem Diener, dem Franz, er soll sofort an unser Fuhrgeschäft telephonieren, damit man mir um halb sechs Uhr ein Auto schickt, aber selbstverständlich wie immer ein Gesellschaftsauto, keine Taxameter­autodroschke, um Gottes willen nur das nicht. Der Franz weiß ja auch, daß wir nie mit solcher Taxe fahren, und heute täte ich das noch weniger als sonst. Das Geschäft soll auch den hübschesten und den am besten angezogenen Chauffeur schicken und für das Gepäck noch ein oder zwei andere Autos und der Franz soll mich nachher zur Bahn begleiten, nein, das soll er nicht,” verbesserte sie sich schnell, „ich treffe mich auf dem Bahnhof mit einer Bekannten, deren Diener mein Gepäck schon mit expedieren wird und davon ganz abgesehen weiß ich auch noch gar nicht bestimmt, ob ich reise. Vielleicht entschließe ich mich im letzten Augenblick auf dem Bahnhof, gleich wieder umzukehren, es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß ich das tue, aber zum Bahnhof muß ich trotzdem auf alle Fälle, damit meine Freundin, die auch zu der silbernen Hochzeit fährt, meiner Kusine erzählen kann, es sei meine feste Absicht gewesen, ebenfalls zu reisen, aber ich sei im letzten Augenblick ganz plötzlich krank geworden und hätte wieder umkehren müssen. Und nun die Koffer, Babette, alle Koffer, aber schnell.”

Gott sei Dank, die Babette war gegangen und sie für ihre Person atmete erleichtert auf, schon weil sie das mehr als verdutzte Gesicht nicht länger anzusehen brauchte, mit dem die Zofe sie anstarrte. Doch was wußte die von dem, was in ihr vorging? Aber wenn sie selbst auch jetzt noch nervös war, sie merkte es doch ganz deutlich, daß sie schon viel ruhiger geworden war, seitdem sie den Entschluß faßte, so zu tun, als ob sie tatsächlich zu dem Fürsten reisen wollte. Ja, sie war viel ruhiger geworden, sonst hätte sie ganz bestimmt nicht daran gedacht, sich anstatt der Autodroschke ein Gesellschaftsauto zu bestellen, denn was hätte der Kammerdiener Seiner Durchlaucht wohl von ihr, aber auch von seinem Fürsten gedacht, wenn sie mit einer Taxe auf dem Bahnhof vorgefahren wäre? Da hätte der Kammerdiener sicher ein altes Wort dahin variiert: sage mir, mein Fürst, aus welchen Kreisen der Gesellschaft du dir deine Freundin holst und ich will dir dann sagen, ob du wirklich und nicht nur der Geburt und dem Namen nach ein Fürst bist.

Da kam Babette auch schon zurück, um zu melden, daß die Koffer in dem Ankleidezimmer vor den Schränken bereit ständen, daß der Diener auch schon telephoniert habe und daß die gewünschten Automobile wie stets auch heute pünktlich auf die Minute zur Stelle sein würden.

„Also schön, Babette,” gab sie zur Antwort, „dann wollen wir uns an das Packen machen.” Und nach zwei Stunden war die Arbeit getan. Vier Koffer mit Kleidern, ebenso viele Koffer mit Pelzen und Mänteln, zwei große Hutkoffer, vier Koffer mit Leibwäsche, zwei große Schuhkoffer und vier weitere Koffer mit tausenderlei unentbehrlichen Kleinigkeiten standen fix und fertig da, und sie sank ermattet auf einen Stuhl, um sich auszuruhen, obgleich sie die ganze Zeit hindurch schon auf einem Stuhl gesessen und von diesem aus lediglich die Anordnungen für das Packen gegeben hatte. Aber selbst das ermüdete und außerdem hatte sie fortwährend darüber nachdenken müssen, ob sie nicht doch lieber ein anderes Reisekleid hätte zurückbehalten sollen, als gerade das dunkelblaue mit dem Zobelpelz und dem dazugehörigen Zobelbarett. Nun aber war es zu spät, nun mußte es bei dem Kleid bleiben, denn die Koffer waren schon verschlossen und außerdem mußte sie sich rasch umziehen, wenn sie das Auto nicht auf sich warten lassen wollte. Und zu ihrem eigenen Erstaunen war sie fix und fertig, als die Uhr halb sechs schlug und als von der Straße her die Autos durch ihre Hupensignale meldeten, daß sie vorgefahren seien.

„Dann also wird es Zeit für mich,” wandte sie sich an ihre Mädchen, „ich fahre jetzt zur Bahn, aber ich mache Sie darauf aufmerksam, Babette, daß ich nicht nur sehr wahrscheinlich, sondern sogar ganz bestimmt spätestens in einer Stunde wieder hier bin. Die viele Arbeit des Ein- und Auspackens sollen Sie jetzt und nachher selbstverständlich nicht umsonst getan haben, ich werde Sie schon durch ein Extrageschenk dafür belohnen und bis ich wieder zurück bin, haben Sie ja auch Zeit, sich etwas auszuruhen. Also auf ein sehr wahrscheinliches, nein, auf ein ganz bestimmtes Wiedersehen in ungefähr einer Stunde.” Und nachdem der Diener mit Hilfe der Chauffeure die vielen Koffer aus dem Zimmer geholt und auf die Gepäckautos verladen hatte, bestieg sie selbst das eine Auto und fuhr davon. Doch kaum saß sie im Auto, da fragte sie sich: was müssen nur deine Mädchen von dir denken, daß du vielleicht schon in einer Stunde wieder nach Hause kommen und deine Koffer wieder auspacken lassen willst? Müssen deine Leute nicht, schon, weil du sie nur auf diese Möglichkeit, nein auf diese Wahrscheinlichkeit, nein auf diese Bestimmtheit aufmerksam machtest, von dir annehmen, in deinem Gehirn habe sich ein ganz klein wenig Grünspan oder etwas Ähnliches angesetzt? Und was sollen deine Mädchen und der Diener nur von dir glauben, wenn du schon gleich vom Bahnhof aus mit allen deinen Koffern zu Hause wieder vorfährst und ihnen zurufst: „Hier bin ich wieder, hier sind die Kofferschlüssel, so und nun packt bitte aus.” Nein, das durfte sie ihren Leuten unmöglich antun, aber davon ganz abgesehen, man fuhr entweder mit seinem Gepäck zur Bahn, um zu reisen, oder man fuhr überhaupt nicht dorthin, sondern blieb mit sich und seinen zehntausend Sachen von Anfang an da, wo man war. Und was würde der Kammerdiener des Fürsten wohl für ein Gesicht machen, wenn sie dem erklärte: „Ich bin nur gekommen, um Ihnen zu sagen, daß Sie nicht auf mich zu warten brauchen.” Daß sie das tat, war doch ausgeschlossen, ein solches Verhalten erinnerte zu sehr an die weit zurückliegende Backfischzeit, in der man, wie man sich als junges Mädchen einredet, nur deshalb zu einem Kußrendezvous ging, um dem jungen Verehrer zu erklären, daß man sich unter gar keinen Umständen küssen lassen würde und bei dem man sich schließlich doch küssen ließ und zwar nicht zu wenig, weil man es dem jungen Verehrer ansah, wie der sich auf die Küsserei gefreut hatte, und weil man es nicht über sein gutes Herz brachte, dem armen Jungen eine Enttäuschung zu bereiten.

Und deshalb stand es jetzt mit einem Mal für sie fest, wenn sie von Hause aus mit ihren Koffern fortgefahren war, dann mußte sie mit denen auch weiterfahren. Und noch eins wurde ihr plötzlich klar: daß sie den größten Teil ihrer nervösen Unruhe nicht nur deshalb verloren hatte, weil sie sich vornahm, so zu tun, als wenn sie zu dem Fürsten reisen wolle, sondern weil sie, wenn auch sich selbst in ersten Augenblick noch unbewußt, den Gedanken gefaßt hatte: du fährst tatsächlich zu ihm. Was hätte es auch für einen Zweck gehabt, sich länger dagegen zu sträuben? Er hätte sie aus der Ferne ganz einfach weiter hypnotisiert, bis sie sich seinem Willen fügte. Ja, es war wirklich das beste, sie fuhr jetzt gleich zu ihm, vorausgesetzt natürlich, daß nicht zu viele Menschen auf dem Bahnsteig herumstanden, wenn sie den Salonwagen bestieg, denn als Dame der Gesellschaft mußte sie es um ihrer selbst willen vermeiden, daß man über sie und über ihre Abreise irgendwelche Bemerkungen machte.

Da hielt auch schon das Auto vor dem Bahnhof und mit einem schnellen Blick überzeugte sie sich davon, daß der ganz still und verlassen dalag. Kein Mensch, nicht einmal ein Dienstmann war zu sehen, kein Wagen, keine Elektrische zu hören. Sicher hatte der Fürst seinen Kammerdiener beauftragt, dafür zu sorgen, daß sie, wenn sie den Wagen verließ, vor jedem neugierigen Blick geschützt sei. Und jetzt trat der Kammerdiener, ein hübscher, schlanker Mensch in einer dunklen Livree, den Hut in der Hand, an das Auto heran, um ihr bei dem Aussteigen behilflich zu sein und um sie dann sofort die Treppe hinauf zu führen, die, ebenso wie der Bahnsteig, den sie bald darauf betrat, mit einem weichen Läufer belegt war. Es war das erstemal, daß sie bei einer solchen Gelegenheit auf weichen Teppichen dahinschritt, und sie dankte es dem Fürsten im stillen, daß er sie von Anfang an behandelte, als sei auch sie aus fürstlichem Geblüt, und daß er es nicht duldete, daß ihre Füße über die schmutzigen Fliesen dahinschritten, während man für ihn Läufer hinlegte. So schritt sie denn an der Seite des Kammerdieners, der sie mit einem diskreten selbstverständlichen Schweigen begleitete, zu dem Extrazug, der am äußersten Ende der großen Halle stand, wohl damit sie dort gänzlich unbeobachtet einsteigen könne. Aber auch diese Vorsicht wäre kaum nötig gewesen, denn auch der Bahnsteig lag einsam und verlassen da, und das tat ihr nun beinahe leid, denn ein ganz klein wenig hätte sie sich doch gern darum beneiden lassen, daß dieser Zug gerade für sie bereit stand. Der machte schon von außen, in dunkelblau mit feinem Gold gehalten, einen wahrhaft vornehmen Eindruck und als sie nun den Salonwagen bestiegen hatte, da war der noch viel eleganter und noch viel behaglicher eingerichtet, als der, den sie vor Jahren einmal auf einer Reise fälschlicherweise betrat. Weiche Teppiche ließen auch hier den Fuß fast versinken, bequeme große Sessel und eine breite Chaiselongue luden zum Ausruhen ein, vor die Fenster waren seidene Vorhänge gezogen, an der einen Seite des Zimmers, denn anders konnte man diesen Raum nicht nennen, stand ein Tisch mit Zeitschriften und Büchern, während in der Mitte ein runder Tisch stand, über dem eine Hängelampe angebracht war, die ein durch einen dunkelroten Schirm gedämpftes, aber doch helles Licht spendete. Ja, dieser Salonwagen war in der Tat bezaubernd und jetzt erst fielen ihre Augen auf einige der herrlichsten Maréchal-Niel-Rosen, die diskret in einer Vase in einer Ecke standen und von denen auch einige lose auf dem Tisch und auf der Chaiselongue ausgestreut lagen. Selbst an ihre Lieblingsblumen hatte der Fürst gedacht und in wie zarter Weise hatte er das getan. Wie mancher andere an seiner Stelle hätte nicht einen großen mächtigen Strauß dieser Rosen neben dem anderen für sie in den Wagen geschafft, sodaß sie deren starken Duft kaum ausgehalten und es doch nicht fertig gebracht haben würde, die schönen Blumen zum Fenster hinaus zu werfen. Unwillkürlich fiel ihr eine kleine Geschichte ein, die ihr der Pförtner erzählte, als sie vor Jahren einmal mit Bekannten auf einer Reise in Korfu das Schloß Achilleion besuchte, das sich die verstorbene Kaiserin Elisabeth dort erbauen ließ. Die hatte den Wunsch geäußert, des Morgens, wenn ihre Fenster geöffnet würden, ein paar Veilchen unter ihrem Fenster zu sehen und deren Duft einatmen zu können. Dieser Wunsch war aber dahin ausgeführt worden, daß sich unter den Fenstern der Kaiserin ein großes Veilchenbeet neben dem anderen erstreckte. Der das anordnen ließ, glaubte seine Sache sehr gut gemacht zu haben und großen Dank dafür zu ernten, aber vierundzwanzig Stunden nach der Ankunft der Kaiserin fiel er in Ungnade, denn die hohe Frau äußerte sich dahin, sie liebe zwar den Duft, nicht aber den Geruch der Veilchen, und zuviele Veilchen röchen, aber die dufteten nicht. Ob auch dem Fürsten diese kleine Geschichte bekannt war, oder ob er aus eigenem zarten Taktgefühl heraus diese wenigen Rosen spendete? Auf jeden Fall nahm sie nun einige Rosen zur Hand und wollte die gerade an ihre Lippen führen, um die zu küssen, als der Kammerdiener eintrat. um ihr zu melden, daß das Gepäck verladen und daß alles zur Abfahrt bereit sei, vorausgesetzt, daß sie selbst nicht noch irgend einen Befehl oder einen Wunsch habe. Aber das war nicht der Fall und so rollte der Zug denn gleich darauf lautlos aus der Halle.

Und wie ruhig der fuhr! Man merkte kaum etwas davon, daß der Zug überhaupt fuhr und nachdem sie sich von ihrem ersten Erstaunen darüber erholt hatte, dachte sie daran, Hut und Jackett abzulegen, um es sich so bequem wie nur möglich zu machen, als in demselben Augenblick, gleichsam als hätten die ihre geheimsten Gedanken erraten, zwei junge Mädchen in schwarzen Kleidern, mit einer blendend weiße Haube auf dem Haar, bei ihr eintraten, um sich ihr, ihrer neuen Herrin, als ihre Zofen vorzustellen und um ihrerseits nach deren Befehlen zu fragen und um sich gleich danach zu erkundigen, wann die gnädige Frau am Abend das Diner befehle, um wieviel Uhr sie sich schlafen zu legen wünsche und ob sie gewöhnt sei, das Bad vor dem Schlafengehen oder erst am Morgen nach dem Aufstehen zu nehmen. Sie glaubte nicht richtig zu hören, sie hatte sogar ihr eigenes Badezimmer in diesem Luxuszug, aber trotzdem tat sie so, als sei sie es gar nicht gewöhnt, anders zu reisen. Deshalb gab sie ihre Befehle ganz gelassen, aber gar zu gern hätte sie auch die Frage gestellt: „Wohin fahren wir eigentlich? In welchem Lande oder in welcher Gegend liegt das Schloß des Fürsten?” Aber so neugieirg sie darauf auch war, sie durfte nicht fragen, denn was sollten ihre beiden neuen Zofen von ihr denken, wenn die erfuhren, daß sie den Zug bestiegen hatte, ohne zu wissen, wohin die Fahrt ging. Und schließlich war es ja auch einerlei, wo der Fürst wohnte, die Hauptsache blieb, daß sie zu ihm fuhr, und sie fuhr zu ihm, zu ihm selbst, nicht zu dem Schloß, das er Gott weiß wo sein eigen nannte. Ach und die Fahrt ging nur zu schnell dahin. So groß auch plötzlich ihre Sehnsucht geworden war, die Liebe des Fürsten zu erringen und die für immer zu behalten, sie hätte sich trotzdem gewünscht, sie hätte noch Tag um Tag so in diesem Luxuszug dahinfahren können, als am nächsten Nachmittag nach fast vierundzwanzigstündiger Reise der Kammerdiener ihr meldete, daß sie nach einer Stunde am Ziel angelangt sein würden. Aber schlielßch freute sie sich doch darüber, daß die Fahrt zu Ende ging, schon weil ihre Neugierde unterwegs immer größer geworden war, zu erfahren, wo sie denn eigentlich wäre, denn so schön die Gegend auch war, durch die der Zug dahinrollte, sie war ihr vollständig fremd und mit Erstaunen bemerkte sie auch stets, daß die Stationen, durch die der Zug hindurchfuhr, niemals einen Namen trugen. Zuerst vermochte sie sich das gar nicht zu erklären, bis sie sich sagte, sicher sind die Namen auf Befehl des Fürsten vorübergehend unsichtbar gemacht worden, er will mich, wenn ich an Ort und Stelle angekommen bin, dadurch überraschen, daß er mir erst da verrät, wo ich bin. Auch die Station, auf der sie schließlich ausstieg, trug keinen Namen, auch dort sah sie keinen Menschen, weder als sie über den Bahnsteig ging, noch als sie zu dem mit vier feurigen Juckern bespannten leichten Jagdwagen schritt, der sie erwartete. Aber da, als sie das Gespann erreicht hatte, da wußte sie mit einem Mal, wo sie war, in ihrer einzig schönen Heimat, in ihrem Ungarland. Das sah sie schon an den Juckern, an der Art, wie diese aufgezäumt und vorgespannt waren, sie sah es an den in ungarischen Farben gehaltenen kleinen Rosetten, die an dem Kopfzeug der Jucker angebracht waren, sodaß sie es gar nicht erst nötig gehabt hätte, sich auch noch den Leibkutscher anzusehen, der mit seiner schönsten ungarischen Nationaltracht bekleidet unbeweglich auf seinem Platz saß, dessen Augen ihr aber zu sagen schienen: Ich warte nur darauf, daß Sie, Gnädigste, in meinem Wagen Platz genommen haben, dann werden meine Jucker und ich Ihnen schon zeigen, wie ein schneidiger Ungar mit vier echten ungarischen Juckern eine schöne Ungarin durch die Welt fährt, denn wenn meine Jucker auch nur Jucker sind, mit jeder Lokomotive und wenn die vor dem schnellsten Schnellzug läuft, nehmen die es immer noch auf.

In Ungarn war sie, in ihrem geliebten Ungarn und er, der Fürst, ihre Durchlaucht, ihr zukünftiger Ludwig, war sicher auch ein Ungar, wenn gleich sein Rufname nicht danach klang. Aber trotzdem, seine ganze Erscheinung, das dunkle Haar, das Feuer und die Leidenschaft, die aus seinen Blicken zu ihr sprachen — sicher, er war ihr Landsmann, deshalb hatten sie sich beide von Anfang an so gut gefallen, deshalb hatten sie sich gleich verstanden. Endlich war sie einmal wieder in der Heimat! Wie oft hatte sie ihren Mann nicht gebeten, mit ihr hierher zu fahren, aber dem war die Reise zu weit und zu ermüdend gewesen, bis ihr nun plötzlich einfiel, daß sie vor ihrer Abreise ganz vergessen hatte, die Mädchen und den Diener dahin zu instruieren, daß die nach besten Kräften für ihren Mann sorgten. Aber schließlich, an alles konnte man ja auch nicht denken, wenn man so Hals über Kopf abfahren mußte wie sie und schließlich würden die Angestellten ihres Hauses, auch ohne daß sie denen das besonders eingeschärft hatte, so gut wie sie es nur immer vermochten, für ihren Mann sorgen. Das verjagte nun schnell wieder die Vorwürfe, die sie sich machen wollte, und sie hatte auch gar keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn als sie nun, nachdem sie die schönen Pferde bewundert und deren schlanke Hälse geliebkost hatte, in dem Wagen Platz nahm, da stürmten die Jucker dahin, daß sie es unwillkürlich mit der Angst bekam und daß sie sich immer wieder sagte: das kann nicht gut ablaufen, da müssen wir ja umwerfen. Mehr als einmal wollte sie deshalb den Kutscher bitten, das Tempo etwas zu mäßigen, aber so oft sie sich zu ihm hinwandte, glaubte der, daraus schließen zu müssen, daß es ihr immer noch nicht schnell genug ginge, denn der schnalzte dann von neuem mit der Zunge, um gleich darauf seinen Pferden ein paar zärtliche und aufmunternde Worte zuzurufen, sodaß es dann nur noch immer schneller ging. So fand sie selbst auch gar keine Gelegenheit, auf den Weg und auf die Gegend zu achten, bis der Wagen nun in einen großen herrlichen Buchenwald einbog, dessen Bäume trotz der herbstlichen Jahreszeit noch im schönsten Schmuck prangten. Und der Wald schien gar kein Ende nehmen zu wollen. Aber plötzlich tauchte doch, wenn auch noch in weiter Ferne, ein in hellen Farben leuchtendes Schloß vor ihr auf, das mitten in dem Walde auf einer Anhöhe inmitten einer großen Lichtung lag, und endlich fuhr der Wagen vor der großen Freitreppe vor.

Jetzt wird der Fürst erscheinen, um dich zu begrüßen, war ihr erster Gedanke und nun erst wunderte sie sich darüber, daß der nicht perösnlich auf der Station gewesen war, um sie dort in Empfang zu nehmen und um ihr gleich dort dafür zu danken, daß sie seiner Einladung folgte. Das hätte sich nach ihrem Empfinden eigentlich so gehört, aber in fürstlichen Kreisen schien man darüber wohl anders zu denken, denn auch jetzt erschien der Fürst noch nicht selbst, sondern statt seiner trat ihr nun der alte Haushofmeister entgegen, um ihr als Willkommensgruß drei wunderbar schöne Maréchal-Niel-Rosen zu überreichen und um ihr zu melden, Seine Durchlaucht würde sich kurz vor Beginn des Diners erlauben, die gnädige Frau aus ihren Gemächern abzuholen, er glaube im Sinne der gnädigen Frau zu handeln, wenn er ihr bis dahin Zeit ließe, sich etwas auszuruhen und sich für das Diner umzukleiden. Er, der Haushofmeister, habe den Befehl, sie einstweilen in ihre Gemächer zu führen.

Und als er dann eine einladende Handbewegung machte, folgte sie ihm in die für sie bestimmten Gemächer, die zur linken Seite der großen Halle lagen, die mit wahrhaft fürstlicher Pracht, aber mit ebenso viel Geschmack und Behaglichkeit eingerichtet waren, denn so groß und so hell die Räume auch waren, sie hatten nichts Steifes, nichts Kaltes, ja es schien sogar, als hätten diese Zimmer es gar nicht erst nötig, daß man ihnen die sogenannte persönliche Note gäbe, die sonst erst jeden Raum wirklich traulich und wohnlich macht. Es war eine ganze Flucht von Zimmern, durch die der Haushofmeister sie führte, bis er sich nun mit einer stummen Verbeugung von ihr verbschiedete und lautlos ihre beiden Zofen heranwinkte, die schon während der Eisenbahnfahrt ihre Begleiterinnen gewesen waren und die nun hier, ohne daß sie etwas davon bemerkte, eingetreten sein mußten. Die beiden öffneten ihr nun die letzte Tür, die in ihr Schlafzimmer führte, und als sie die Schwelle betrat, da blieb sie wie gebannt stehen und stieß unwillkürlich einen leisen Ruf des Entzückens und der Überraschung aus. Ja, gab es denn in Wirklichkeit ein so wundervolles Schlafgemach? Und das ganze Zimmer war in ihrer Lieblingsfarbe gehalten. Ein großer mattgelber Teppich bedeckte den ganzen Fußboden, an den Wänden waren anstatt der Tapeten gelbseidene Vorhänge gespannt, ebensolche Vorhänge waren vor den Fenstern, alle Möbel waren in derselben Farbe überzogen, mattgelb war das Licht, das den Raum durchflutete, mattgelb war das große breite Bett, mattgelb waren die seidenen Kissen und Decken. Und in dem ganzen Zimmer verteilt lagen die schönsten Maréchal-Niel-Rosen hingestreut herum. Ach war das schön! Wenn man diesen Raum nur betrat, mußten ja tolle Liebesgedanken in einem wach werden, wenn man nicht gerade kaltes Fischblut in den Adern hatte, und daß sie das nicht besaß, das wollte sie dem Fürsten als Zeichen ihres Dankes beweisen, wenn er sie vielleicht, nein hoffentlich heute abend schon in seine Arme nahm. Ach war das schön und mit welcher verschwenderischen Pracht war das große Badezimmer eingerichtet, das neben dem Schlafzimmer lag. Weiße Marmorfliesen bedeckten den Boden, von dem eine kleine Treppe aus Marmor in das große Marmorbassin hineinführte. Und wie entzückend waren die sicher von allerersten Künstlerhänden entworfenen Amoretten, die die Wände des Badezimmers schmückten. Hätte sie um ihrer selbst willen nicht so tun müssen, als sei sie es gar nicht anders gewöhnt, solchen Luxus um sich zu sehen, sie hätte am liebsten alle die Herrlichkeiten, die sie hier umgaben, immer aufs neue bewundert, so aber begnügte sie sich damit, ihre Augen fortwährend umherschweifen zu lassen und sie ging denn auch, als sie die Zofen unter dem Vorwande, sich etwas ausruhen zu wollen, fortgeschickt hatte, immer wieder durch ihre Gemächer, wie der Haushofmeister die genannt hatte und für die ein anderer Ausdruck auch gar nicht angebracht gewesen wäre. Und obgleich sie verwöhnt und an Reichtum gewöhnt war, hatte sie alles noch lange nicht genug bewundert, als die Zofen nach einer ganzen Weile wieder bei ihr eintraten, um ihr zu melden, daß die Koffer inzwischen eingetroffen und bereits ausgepackt wären und um sie gleichzeitig daran zu erinnern, daß es Zeit würde, für das Diner Toilette zu machen.

Ja ja, sie mußte sich ankleiden, denn sie mußte mit dem Fürsten gemeinsam speisen und sie mußte ihm endlich, endlich für alles danken. Aber welche von ihren vielen Toiletten wählte sie nur, um heute abend ganz besonders schön zu erscheinen? Und würde der Fürst es lieben, wenn sie ihren Schmuck, ihre Brillanten und ihre Diamanten anlegte, oder sollte sie sich nur für die große Perlenkette entscheiden, die ihr Mann ihr eines Tages schenkte, als ihm eine besonders glänzende Finanzoperation gelungen war? Die Frage wr nicht leicht zu entscheiden, bis sie dann eine hellrosa Robe wählte, die zu ihrem Teint, zu ihrem dunklen Haar und zu den schwarzen Augen auffallend schön paßte und in der sie schon zweimal allgemein bewundert worden war, allerdings erst zweimal, das aber nur deshalb, weil sie das Kleid bisher noch nicht öfter getragen hatte. Und als sie vor ihrem Schmuckkasten stand, entschied sie sich nur für die Perlenkette. Allerdings wollte es ihr scheinen, als sei es nicht ganz taktvoll, diese Kette gerade am ersten Abend des Zusammenseins mit dem Fürsten zu tragen, aber auf ihren Mann durfte sie nun keine Rücksicht mehr nehmen, der gehörte der Vergangenheit und teilweise auch der Vergessenheit an, ja, den mußte sie ganz vergessen, denn sie war doch hierher gekommen, um endlich das Glück zu finden, das sie in den letzten Jahren an der Seite ihres immer und ewig schlafenden Mannes nicht fand. So schmückte sie sich denn für den Geliebten und es schmeichelte ihrem Stolz und es bereitete ihr eine große Genugtuung, als die beiden Zofen, nachdem die ihr bei dem Ankleiden geholfen hatten, nun einen Ruf der Bewunderung und des Entzückens ausstießen, als sie fix und fertig angezogen vor ihnen und vor dem großen sechsteiligen Spiegel stand, der ihr Bild von allen Seiten wiedergab. Sie war bereit, den Fürsten zu empfangen, schon vor der Dinerzeit war sie fertig, sie wollte ihm gleich heute abend beweisen, daß sie die Pünktlichkeit selbst sei und daß er nie nötig haben werde, auf sie zu warten. Aber auch der Fürst schien die Pünktlichkeit zu schätzen, oder war es nur die Ungeduld, die ihn zu ihr trieb? In demselben Augenblick, da sie ihr entzückendes Boudoir betreten hatte, bereit, ihn zu empfangen, ließ er sich bei ihr anmelden und gleich darauf trat er in der reichen Tracht eines ungarischen Magnaten bei ihr ein, und erschien sie ihm schöner und begehrenswerter als bisher, wie sie es aus seinem Blick erriet, mit dem er sie beinahe fassungslos anstarrte, als wisse er wirklich nicht, ob er soviel Schönheit nun blald völlig sein eigen nennen dürfe, so war auch er ihr noch nie so schön erschienen wie in dieser Tracht, die ihn auf das denkbar beste kleidete.

Eine ganze Weile standen sie sich beide einander schweigend gegenüber, ein jeder von ihnen in den Anblick des anderen versunken, dann beugte er sich über ihre Hand, die sie ihm zum Willkommensgruß entgegenstreckte. Unmittelbar darauf reichte er ihr seinen Arm, um sie in den großen Festsaal zu führen, in dem die Tafel gedeckt war, und in dem die große Schar der Geladenen sie mit stürmischen „Eljen”-Rufen begrüßte, nachdem der Fürst sie allen Erschienenen mit wenigen Worten als die Herrin und Gebieterin seines Schlosses vorgestellt hatte. Dann nahm sie mit dem Fürsten allein an einer Tafel Platz, die auf einer Balustrade stand, von der aus man den ganzen Saal, der in einem Meer von Licht und glitzernden und schillernden Trachten flutete, übersehen konnte. Keinen hielt der Fürst für würdig, mit ihr und mit ihm an demselben Tisch zu speisen, selbst die Herren seines Gefolges, die sie mit ihm zusammen im Theater sah und die sich bei ihrem Erscheinen vor ihr verneigt hatten, als sei sie eine Königin aus fürstlichem Geschlecht, saßen an einer anderen Tafel. Eine Tafel reihte sich an die andere und alle brachen fast unter der Last des schweren massiv goldenen Geschirrs, unter der Last des schweren geschliffenen Kristalls, der zahllosen Gläser, in denen bald die feurigen Ungarweine funkelten, unter der Last der endlosen Speisen, die von einer Schar von Dienern und Lakaien aufgetragen wurden. Es war ein Bild des Luxus und der Farbenpracht, das sich ihrem Auge bot, wie sie es noch nie sah, aber auch ihre Ohren hatten ihre große Freude, denn seit langer Zeit hörte sie zum ersten Mal wieder die Klänge ihrer Heimatsprache. Und sie wunderte sich selbst, wie fließend auch sie die noch beherrschte, als der Fürst nun auf ungarisch endlich das Wort an sie richtete, um sie zunächst darüber aufzuklären, wer die Gäste seien, in erster Linie sein Gefolge, dann die große Zahl seiner höheren Beamten und schließlich die Großgrundbesitzer der benachbarten Güter, die es sich nicht hatten nehmen lassen wollen, ihr, der neuen Herrin, gleich heute zu huldigen. Aber die Huldigung selbst begann eigentlich erst nach der Beendigung des Mahles, als der Fürst sie in den Thronsaal führte und als sie an seiner Seite, wenn auch eine Stufe tiefer als er stehend, Aufstellung genommen hatte. In einem fast endlosen Zuge defilierten die Geladenen, sich dabei alle tief vor ihr verneigend, und dann begann die Vorführung der nationalen Tänze. Gewiß, die kannte sie schon aus ihrer frühesten Jugend her und sie hatte sich auch selbst an diesen Tänzen beteiligt, aber so schön, so feurig und so leidenschaftlich wie heute waren ihr die noch nie erschienen, noch nie hatte die Zigeunermusik, die seit Beginn des Mahles unaufhörlich ihre Weisen erklingen ließ, ihr heißes Blut derartig in Wallung gebracht, sodaß sie schließlich nur noch den einen Wunsch hatte, endlich, endlich mit dem über alles Geliebten alein zu sein. Aber wenn er auch diesen glühenden Wunsch in ihren Augen lesen mußte, und wenn sie denselben Wunsch auch in seinen Augen zu lesen glaubte, das Fest nahm seinen Fortgang. Den nationalen Tänzen folgten die gesellschaftlichen, an denen auch sie sich beteiligen mußte. Und wenn es auch in erster Linie natürlich der Fürst war, der sie immer wieder aufforderte und in dem sie einen Partner fand, wie sie noch nie einen gefunden hatte, auch die anderen Herren wollten wenigstens einmal mit ihr getanzt haben. So flog sie von einem Arm in den anderen, aber sie verspürte trotzdem keine Müdigkeit, ihr war, als sei sie imstande, noch tage- und nächtelang so dahin zu tanzen. Und das Fest und die Tänze gingen weiter, von neuem wurden Erfrischungen und Weine herumgereicht, das Stimmengewirr wurde immer lauter, die Weisen der Zigeunermusik wurden immer einschmeichelnder und verführerischer, bis dann in später Stunde das Fest doch seinen Abschluß fand und zwar in einer Art, die eine neue Huldigung für sie bedeutete. Der Plafond des hohen Saales öffnete sich, ein Blumenregen der herrlichsten Maréchal-Niel-Rosen ergoß sich über alle und als sie nun einige dieser Rosen auffimg, da fand sich an jeder ein mit goldenen Buchstaben bedrucktes Rosenblatt: ,Zur ewigen Erinnerung an den Tag, an dem sie Schönste aller Frauen auf meinem Schlosse ihren Einzug hielt.'

Spät nach Mitternacht zogen sich die Gäste zurück, nachdem sie vorher alle noch einmal vor ihr unter stürmischen „Eljen”-Rufen vorbei defiliert waren. Und wie vorhin, als er sie abholte, bot der Fürst ihr auch jetzt seinen Arm, um sie in ihre Gemächer zurück zu geleiten. Eine Schar von Dienern bildete das Spalier, durch das sie hindurch schritten, lautlos öffneten sich vor ihnen die Türen, lautlos wurden sie hinter ihnen geschlossen, bis sich der Fürst in ihrem Boudoir mit den Worten verabschiedete: „Sie werden zwar müde sein, Schönste aller Frauen, aber ich bitte trotzdem um Erlaubnis, Ihnen nach Ablauf einer halben Stunde den Gute-Nacht-Kuß geben zu dürfen.” Gleich darauf war er gegangen und ohne daß sie nötig gehabt hätte, darum zu bitten, daß man käme, um ihr zu helfen, eilten die Zofen herbei, um ihr bei dem Auskleiden behilflich zu sein und noch war die Frist einer halben Stunde nicht verstrichen, da hatte sie ihr dünnstes und zartestes Batisthemd mit den echten Brüsseler Spitzen angelegt, das verführerische und verlockende Lager aufgesucht und harrte des Geliebten. Sie war allein, die Zofen waren gegangen, aber das elektrische Licht brannte noch in allen Kronen und Wandleuchtern und hüllte das ganze Zimmer in einen mattgelben, traulichen Schein. Sie war allein und wartete mit klopfendem Herzen und fiebernden Pulsen, wie damals in der Hochzeitsnacht, als sie sich zum ersten Mal einem Mann, ihrem Mann, hingeben sollte, als aus einem jungen Mädchen eine Frau wurde. Nein, ihr Herz schlug noch viel unruhiger, und ihre Pulse fieberten viel ungestümer, denn heute sollte sie aus einer Frau zum Weibe werden, zu einem Weibe, das fortan nur den einen Lebenszweck hatte, Liebe zu spenden und Liebe zu empfangen.

Ein leises Pochen ließ sie aufhorchen und jetzt sah sie, wie sich rechts von ihrem Lager in der Wand eine ihr bis dahin noch nicht aufgefallene Tapetentür öffnete und wie gleich darauf der Fürst bei ihr eintrat. Mit schnellen Schritten eilte er auf sie zu und küßte sie heiß und wild auf den Mund, der sich ihm verlangend entgegenhob, dann aber schlug er mit einer raschen Handbewegung die dünne seidene Decke zurück, die ihre Gestalt, ihren Wuchs, seinen Blicken entzog, und wenn ihr langes Nachtgewand ihr auch bis zu den Füßen reichte, so sahen ihre Füße doch unter dem dünnen Hemd hervor und gerade diese ergriff er nun mit seinen Händen und beugte sich herab, um sie zu küssen. Und ob sie wollte oder nicht, sie mußte nun unwillkürlich doch an ihren Mann zurückdenken, wie gern der ihre Füße küßte und wie gern sie sich die von ihm küssen ließ, und deshalb bat sie jetzt: „Durchlaucht, bitte das nicht. Ich liebe Sie und werde jeden Ihrer Wünsch erfüllen, aber das bitte nicht.”

Doch er hörte nicht auf ihr Flehen, sondern rief ihr seinerseits zu: „Ja, Schönste aller Frauen, wissen Sie denn nicht, wie schön es ist, sich gerade die Füße küssen zu lassen?” Und erklärend setzte er hinzu: „Ein jeder Fuß hat seine Achillesferse, nur daß die empfindliche Stelle nicht an der Ferse und erst recht nicht auf der Fußsohle, sondern oben auf dem Spann sitzt. Da gibt es eine kleine, eine winzig kleine Stelle, die nur die wenigsten Menschen kennen, aber wenn man die kennt wie ich, wenn man die zu finden weiß und wenn man die zu küssen versteht, dann ist der Kuß so süß wie kein anderer.” Und als er nun ihre Füße küßte, da raste plötzlich ein Liebesstrom durch ihre Adern, daß sie die Arme wild um seinen Nacken schlang und ihn mit aller Gewalt zu sich herabzog. Dann aber, als sie sich ihm ganz hingeben, als sie die Seine werden wollte, da, nein sie täuschte sich nicht, da erklang wieder die Zigeunermusik, die Geigen sangen und jauchzten, als sängen sie das hohe Lied der Liebe und immer wilder, immer feuriger wurde die Musik, daß sie bat: „Lassen Sie die Musik aufhören, Durchlaucht, die Musik und Ihre Küsse, beides zusammen macht mich wahnsinnig, das tötet mich.”

Ein glückliches Lachen war zunächst seine Antwort, dann rief er ihr zu: „Sie werden nicht sterben, Schönste der Frauen, die Geigen gehören zu der Liebe, die geben der Liebe erst den Reiz, die machen die Liebe erst zu dem, was sie ist und was Sie bei mir kennen lernen werden, zu dem Inbegriff aller Seligkeit. Und wie heute die Geigen jubeln und singen, so sollen sie das fortan jedesmal tun, wenn wir einander das höchste und das reinste Glück schenken, das sich zwei Menschen geben können, die sich, wie wir, nicht nur mit den Sinnen, sondern mit der Seele angehören, das höchste und das reinste Glück, die Liebe.”

Da schloß sie die Augen und gab sich ihm hin mit ihrer Seele und mit ihren Sinnen, mit ihren Sinnen und mit ihrer Seele und sie genoß in seinen Armen das höchste und das reinste Glück. Und ihre Leidenschaften erwachten immer aufs neue, sie konnte sich nicht satt trinken an seinen Küssen, sie konnte nicht Genüge finden an seinen Liebkosungen und Zärtlichkeiten, daß sie sich in seinen Armen wild und stürmisch hin und her warf.

Bis nun plötzlich eine Stimme an ihr Ohr klang, die ihr ängstlich zurief: „Aber Ilka, Liebling, was hast du denn nur?”

Da schlug sie die Augen auf und fuhr mit einem Schrei der Angst und des Entsetzens in die Höhe, denn neben ihrem Bett stand ihr Mann.

Ihr erster Gedanke war: der Fürst! Um Gottes willen, den darf dein Mann nicht sehen, das gäbe einen gesellschaftlichen Skandal, den du unter allen Umständen vermeiden mußt.

Dann aber dachte sie: wie kommt dein Mann nur hierher, wie hat er deine Adresse erfahren, wie hat er so schnell den Weg zu diesem Schloß gefunden, und wenn er schon kommen wollte, um den nutzlosen Versuch zu machen, dich zurück zu holen, warum kommt er da schon heute, warum stört er dir da schon die erste Nacht, in der du endlich, endlich einmal das Glück, nein die Liebe, kennen lernst?

„Aber Ilka, Kind, Liebling, was hast du denn nur?” erklang da abermals die Stimme ihres Mannes. „Und warum starrst du mich nur mit so entsetzten Augen an? Ich habe für meine Rückreise den letzten Abendzug benutzen können und bin vor einer halben Stunde angekommen. Trotzdem ich im Schlafwagen leidlich geschlafen habe, bin ich natürlich todmüde und wollte mich, da es ja schon acht Uhr morgens ist, und da es sich nicht mehr verlohnt, ins Bett zu gehen, noch eine kleine Stunde in meinem Zimmer auf die Chaiselongue legen, aber als ich hier an der Tür vorbeiging, um zu horchen, ob du vielleicht schon zufällig munter wärest, da hörte ich dich derartig stöhnen und seufzen, daß ich gleich bei dir eintrat, damit du mich sofort bei dir hättest, falls dir etwas zugestoßen sein sollte.”

Ein müdes, resigniertes Lächeln umspielte ihren Mund, dann gab sie mit klangloser Stimme zur Antwort: „Nein, nein, ängstige dich nicht, mir ist nichts geschehen.”

Aber dann richtete sie sich plötzlich wieder jäh auf und starrte mit so entsetzten Augen um sich, daß ihr Mann auf den Tod erschrocken nach ihrer Hand griff, während er ihr zurief: „Aber Ilka, was ist dir denn nur? Bist du krank?” Und ohne ihre Antwort abzuwarten, sprach er solange voller Liebe und Teilnahme auf sie ein, daß sie schließlich einsah, sie mußte ihm irgend eine Erklärung für ihr sonderbares Benehmen geben, wenn sie auch noch nicht gleich wußte, welche, bis sie sich nun zum dritten Mal jäh in ihrem Bett aufrichtete und ihrem Mann voller Abscheu zurief: „Und du wagst es, nachdem du mir das angetan hast, mir noch wieder gegenüber zu treten?”

Fassungslos und verständnislos sah er sie an, bis er nun ganz mechanisch wiederholte: „Nach dem was ich dir angetan habe? Ja aber Ilka, was habe ich dir denn nur getan?”

„Muß ich dir das wirklich erst sagen?” fragte sie empört, um gleich darauf fortzufahren: „Du hast mich, während du in Berlin warst, betrogen. Jawohl, betrogen, Alexander, bitte, unterbrich mich nicht, es ist, wie ich dir sage. Im Traum habe ich vorhin die schrecklichste Stunde meines Lebens durchgemacht, ich sah, wie du mit einigen anderen Herren, nahdem Ihr gut diniert hattet, in Berlin in ein Ballhaus gingt. Ich sehe noch ganz deutlich das hübsche Mädchen vor mir, das dir gefiel. Es war eine schlanke, geschmeidige, dunkeläugige Polin, von einem bezaubernden Wuchs und mit auffallend hübschen Füßen. Du erklärtest ihr, du müßtest ihr einmal die nackten Füße küssen, du schämtest dich sogar nicht, ihr zu sagen, das hättest du auch früher bei mir getan und du wüßtest bei jedem Fuß einer Frau eine Stelle, wo diese Liebkosungen” — aber mitten im Satz hielt sie inne, denn zu ihrem Schrecken erkannte sie, daß sie mehr sagte, als sie sagen durfte, wenn sie nicht selbst einen so harmlosen Erdenbürger, wie ihr Mann es war, mißtrauisch machen wollte. Deshalb fuhr sie nun schnell fort: „Ich würde mich deinetwegen, aber auch vor mir selbst schämen, wenn ich dir alle deine Schlechtigkeiten wiederholen wollte, denn dadurch daß du an mich dachtest, als du mit deiner Geliebten zusammen warest, hast du mich so tief erniedrigt, wie man seine eigene Frau, die man doch wahrlich nicht um der sinnlichen Liebe willen heiratete, nur erniedrigen kann.” Und laut aufschreiend schloß sie: „Alexander, warum hast du mir das angetan? Wenn du dich nach einer Geliebten sehntest, warum kamst du nicht zu mir? Ich bin doch deine Frau, ich bin jung, ich bin hübsch und wenn meine Leidenschaften auch schon längst beinahe erstorben sind, trotzdem, was du bei einer anderen suchtest, hättest du auch bei mir gefunden.”

Sie sah, wie ihr Mann in tödlicher Verlegenheit neben ihr saß. Hörte er, wie er es sollte, aus ihren Worten ihren Vorwurf, ihre Anklage gegen ihn heraus? Schämte er sich endlich, daß er sie fortwährend derartig vernachlässigte? Fast schien es so, aber es schien auch nur so, denn jetzt gab er ihr zur Antwort: „Ilka, wie kannst du nur einen solchen Unsinn zusammenträumen? Daß der Traum dich erregte, fühle ich dir vollständig nach. Nun begreife ich auch, wie du dich bei dem Gedanken, ich hielte eine andere in den Armen, vorhin, als ich bei dir eintrat, so hin und her warfst. Jetzt begreife ich auch deine Angst und dein Entsetzen, als du mich plötzlich vor dir sahst, aber ich schwöre dir bei meiner Ehre, ich bin in der Lage, dir über jede Minute, die ich in Berlin zubrachte, einen genauen Alibibeweis zu erbringen. Doch darüber können wir noch ausführlicher sprechen, wenn ich etwas geschlafen habe, ich bin wirklich todmüde und muß mich unbedingt noch etwas ausruhen, ehe ich auf das Büro gehe. Sei mir nicht böse, wenn ich dich jetzt verlasse, du scheinst ja glücklicherweise selbst das Haltlose deiner Anklage eingesehen und dich wieder beruhigt zu haben. Also auf Wiedersehen nachher, Ilka, mein Liebstes auf der Welt.” Dann beugte er sich über sie, um sie auf die Stirn zu küssen und gleich darauf schickte er sich an, das Zimmer zu verlassen, aber schon auf der Schwelle angelangt, rief er ihr noch einmal zu: „Es war nur ein Traum, Ilka, ganz gewiß, es war nur ein Traum.”

„Ja, Alexander, es war nur ein Traum,” stimmte sie ihm bei, und als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte und als sie ganz sicher war, daß er sie nicht mehr hörte, da barg sie ihr Gesicht in die Kissen und weinte bitterlich — —:

Es war nur ein Traum.


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© Karlheinz Everts