Ich werde leben!

Erzählung von Freiherr von Schlicht.
in: „Unsere Feldgrauen”


Du meine über alles geliebte Braut!

Wir liegen im Schützengraben vor Namur. Mittags um ½1 Uhr haben wir unsere Position eingenommen, und es ist noch gar nicht abzusehen, wie lange wir hier liegenbleiben werden. Haben wir Pech, dann kann noch die halbe oder die ganze Nacht darüber vergehen, bis uns ein neuer Befehl erreicht, der diesem untätigen Dasein ein Ende macht. Zufrieden ist der Mensch ja glücklicherweise nie. Als wir gestern bei größter Hitze einen Marsch von acht Stunden zurücklegten, von mittag 2 Uhr bis abends 10 Uhr, da hätte mancher von uns viel darum gegeben, wenn er anstatt des achtstündigen Marsches eine ebenso lange Ruhe gehabt hätte. Und nun, da wir die zu haben scheinen, schelten wir doch, wir schelten sogar erst recht und möchten gern vorwärts, hinein in dieses Namur, das da zum Greifen nahe vor uns liegt. Mit Ausnahme der höheren Führung weiß es kein Mensch, was wir eigentlich hier im Schützengraben sollen. Wir schießen nicht einmal und liegen den feindlichen Schützen auf kaum achthundert Meter gegenüber. Auch die da drüben liegen anscheinend mit dem Gewehr im Arm und schlafen, denn auch von deren Seite ist bisher noch kein Schuß gefallen.

Diese Untätigkeit, zu der wir vorübergehend verurteilt sind, ist zum Sterben langweilig, und so habe ich mir denn aus meinem Offizierstornister das Schreibpapier herausgeholt und den Füllfederhalter, den Du mir zum Abschied schenktest, damit ich Dir recht oft und recht ausführlich schriebe. Ich sandte Dir bisher täglich eine Karte, im ganzen sechs, denn länger ist es ja noch nicht her, daß ich von Dir Abschied nahm. Den Karten folgt heute der erste Brief, und der wird sehr lang werden können, denn ich habe reichlich Zeit, und wer weiß, ob ich schon bald wieder dazu komme, Dir einen Brief als Lebenszeichen von mir zu geben. Ich möchte wohl, Du könntest uns hier sehen, wie wir fast alle daliegen und aus diesem Schützengraben heraus einen Gruß in die Heimat an unsere Lieben schicken. Es ist die reinste Schreibstube, wie mein Kompagniekamerad Leutnant von Bolten sagt. Der hatte sich vorhin langsam zu mir herangeschlängelt, um etwas mit mir zu plaudern. Jetzt schreibt er dicht neben mir liegend seiner Mutter, und er hat mir das Versprechen abgenommen, den Brief an seine Mutter weiterzubefördern, wenn er heute fallen sollte. Als Gegenleistung hat er sich verpflichtet, meine Zeilen an Dich — — — aber ich habe den guten Bolten nicht schlecht ausgelacht, wer wird denn wohl in diesem Kriege an das Sterben denken? Gewiß, es werden sicher viele, viele fallen, und unter uns gesagt, ich glaube, auch den lieben Bolten wird bald eine Kugel erreichen, aber daran ist er selber schuld, wer so fest wie er davon überzeugt ist, daß er auf dem Kampfplatz bleiben wird, der kommt auch nicht heil davon. Aber Du mußt deswegen nicht etwa glauben, daß Bolten feige wäre. Im Gegenteil! Als wir vorgestern zum Angriff gegen einen stark besetzen Waldzaun vorgingen, da war er mit seinen langen Beinen allen anderen wenigstens drei Meter voraus, und hurra hat er geschrien, daß dem Feinde allein davon angst und bange geworden sein muß. Aber trotzdem, ihm fehlt der Wille zum Leben, ich aber will weiterleben, um es später bei dem Friedensschluß mitanzusehen, wie die Feinde, die da glaubten, uns vernichten zu können, selbst vernichtet am Boden liegen. Ich will weiterleben, und deshalb werde ich auch leben bleiben, schon um Deinetwillen. Was sollte wohl aus Dir werden, wenn ich fiele? Ich weiß, Du wärest nicht die einzige Braut, die ihren Verlobten nicht wiedersähe, aber ob eine andere Braut ihren Verlobten so lieb hat, wie Du mich? Nein, ich will und ich werde Deinetwegen leben bleiben. Das aber auch noch aus einem anderen Grunde. Du hast mir erklärt, Du hättest mich über alles lieb, und ich weiß, daß das der Fall ist, obgleich ich es eigentlich nicht verstehe, warum du mich liebst. Genug, Du liebst mich wie ich Dich, nur eins hattest Du bisher an mir auszusetzen, daß ich Offizier war. Diese Worte aus Deinem Munde machten mich damals stolz und glücklich, denn sie gaben mir die Gewißheit, daß Du mich um meiner selbst willen liebst, nicht um des bunten Rockes willen, nicht um der sozialen Stellung willen, die der Offizier nun einmal in der Gesellschaft einnimmt. Während so viele junge Mädchen den brennenden Ehrgeiz haben, einen Leutnant zu heiraten, schon um in den Offizierskreisen verkehren zu können und um später zu diesen Kreisen zu gehören, graute Dir ordentlich davor. ich fühlte es Dir teilweise nach, wenngleich ich mich trotz aller Liebe zu Dir nicht entschließen konnte, den Abschied zu erbitten. Und doch vermag ich es sehr wohl, mich in Deine Lage hineinzuversetzen. Du bist auf dem Lande groß geworden, Du lebst dort auch jetzt noch auf dem schönen, stolzen und reichen Besitz Deines Vaters. Dir graut davor, nicht nur wie bisher vorübergehend ein paar Wochen im Winter, sondern dauernd Deinen Wohnsitz in der Stadt nehmen zu sollen. Du bist es gewöhnt, im Frühling, im Sommer und im Herbst des Morgens früh aufzustehen und gleich nach dem Frühstück mit Deinem Vater auf Deinem englischen Vollblüter stundenlang über die Felder oder durch Eure herrlichen Waldungen zu reiten. In vollen Zügen atmest Du die frische, reine, köstliche Luft ein, eine Luft, wie sie Dir natürlich keine Stadt zu bieten vermag. Aber das nicht allein, Du bist Deine eigene, freie Herrin. Seit dem frühen Tode Deiner Mutter, die ich ja leider nur aus den Bildern kenne, bist Du auf Eurem schönen Schlosse die Herrin. Du führst ein Leben, wie es Dir beliebt, Du kannst tun und lassen, was Du willst, und Du verkehrst nur mit solchen Leuten, die Dir sympathisch sind. Selbst von Deinem Vater läßt Du Duch nicht zwingen oder überreden, Leute aufzusuchen oder gar einzuladen, die Du nicht leiden kannst. Es gehört viel dazu, damit andere Dir gefallen, und um so größer erscheint mir ja auch in diesem Augenblick das Rätsel, daß ich Dir nicht nur gefiel, sondern daß Du Dich sogar in mich verliebtest, als ich im vorigen Jahr während des Manövers mit zahlreichen Kameraden bei Euch im Quartier lag. Offen und frei, wie es Deiner Natur entspricht, setztest Du mir allerdings gleich auseinander, daß Du zu einer Offiziersfrau kein Talent hättest, Dir würde keine Kommandeuse imponieren, keine, ja, Du würdest ihr sogar direkt in das Gesicht lachen, wenn die es jemals wagen sollte, sich Dir gegenüber als Vorgesetzte aufzuspielen und Dir irgendwie Vorschriften zu machen. Auch machtest Du mich gleich darauf aufmerksam, daß Du niemals einen Kommißpekko besuchen, niemals einen solchen in unserem Hause geben würdest, wenn nicht alle Damen des Regiments Dir in gleicher Weise sympathisch wären. Und in Deinen schönen, großen, braunen Augen blitzte es zornig auf, wenn Du davon sprachst, eine der Damen könne es später vielleicht unpassend finden, wenn Du Dir auch weiterhin Deine Reitpferde hieltest und wenn Du auch sonst bei Deinen reichen Mitteln ein Haus führtest, das mit der berühmten altpreußischen Einfachheit, die nun einmal in den Offizierskreisen, wenigstens nach außen hin herrschen soll, nicht recht in Einklang zu bringen sei. Noch so manches andere sagtest Du mir, und ich sah es voraus, daß es bei uns und zwischen uns trotz unserer gegenseitigen Liebe einen harten Kampf geben würde. Ich hoffte natürlich, Du würdest es lernen, Dich in die neuen Verhältnisse zu fügen, wenn Du erst meine Frau seiest, und doch fürchtete ich, ich würde unterliegen und Dir zuliebe meinen Abschied einreichen.

Da kam der Krieg. Flossen Deine Tränen auch noch so reichlich, Du warst doch stolz darauf, daß ich Offizier war und mit hinausziehen durfte, um für das Vaterland zu kämpfen. Und jetzt will ich Dir auch gestehen, daß auch ich natürlich daran gedacht habe, Dich durch eine Nottrauung vor dem Ausrücken in das Feld zu meiner Frau zu machen. Als Du mit Deinem Vater in die Garnison kamst, damit wir die letzten Tage noch zusammen sein könnten, soviel der Dienst es mir erlaubte, da habe ich in Deinen Augen gelesen, daß Du eine Nottrauung von mir erwartetest, daß Du eigentlich nur gekommen warst, um schon jetzt meine Frau zu werden. Ich müßte Dich nicht lieben, Du müßtest nicht so schön und ich müßte kein Mann sein, wenn ich nicht den glühenden Wunsch gehabt hätte, Dich zu besitzen, Dich in meine Arme zu nehmen und Deinen jungen, schlanken, lebensstrotzenden Körper an den meinigen zu pressen. Aber ich schwieg trotzdem oder gerade deshalb, und ich schwieg auch, weil ich nicht nur die Hoffnung, sondern die absolute Gewißheit habe, daß ich Dich wiedersehe, schon weil ich Dich wiedersehen will. Die Stunde wird kommen, in der Du mir angehörst. Dann aber will ich in Ruhe von Dir Besitz nehmen. Der süßeste Kuß verliert an Reiz, wenn man ihn nicht zu Ende küssen darf, wenn im Hintergrunde die Hörner blasen und die Trommeln rasseln, die zum Aufbruch mahnen. Und ich dachte nicht nur an Dich und an mich, sondern auch an unser Kind, das ich von unserer Liebe erhoffe und erbitte. Ich liebe unser Kind schon jetzt, und wenn es dereinst auf die Welt kommt, dann will ich in jener Stunde bei Dir sein, ich will das Kind gleich in meine Arme nehmen, aber es würde mir fremd sein und fremd bleiben, wenn ich es erst bei meiner Rückkehr kennen lernen würde, denn dieser Krieg wird lange dauern, und vielleicht wäre das Kind, selbstverständlich ein Knabe, schon ein halbes Jahr oder noch älter, ehe ich es zum erstenmal sehe.

Und Du solltest auch nicht meine Frau werden, bis Du nicht aus vollster Überzeugung gern und freudig die Frau eines Offiziers geworden und geblieben wärest. Die Stunde aber hatte für Dich noch nicht geschlagen. Du hättest mich geheiratet in der Überzeugung, ich würde meinen Abschied nehmen, wenn ich aus dem Felde zurückkomme. Ich aber wußte in dem Augenblick der Kriegserklärung, daß ich selbst Dir zuliebe niemals den bunten Rock ausziehen kann, denn wer vor dem Feinde sich um die Fahne geschart hat, der läßt sie auch nicht im Stiche, wenn es wieder Frieden wurde, wenigstens nicht eher, bis man Invalide ist oder bis man den Abschied bekommt, weil man zu dumm ist, um eine höhere Charge bekleiden zu können als die, die man innehat. Wer kann wissen, wie es in dieser Hinsicht mit mir beschaffen ist. Vielleicht reicht die geistige rote Grütze bis zum General, vielleicht aber auch nur bis zum Stabsoffizier. Das kann einzig und allein die Zukunft entscheiden.

Aber nicht um mich handelt es sich jetzt, sondern um Dich, denn wenn wir uns nach Beendigung des Krieges, der ja nicht ewig dauern wird — wenn wir uns dann gleich nach Friedensschluß heiraten, dann mußt Du mir nicht vor dem Altar die Treue schwören wie ich Dir, sondern auch vorher, ehe wir in die Kirche fahren, mußt Du mir hoch und heilig geloben, daß Du in Zukunft Deinen ganzen Stolz darin erblicken wirst, eine preußische Soldatenfrau zu sein, und daß Du es bis zu meinem gewaltsamen militärischen Ende auch gern bleiben wirst. Ich weiß nicht, ob Du mich verstehst, wenn ich Dir sage, daß ich in diesen letzten Tagen und Wochen vor unseren Offiziersfrauen einen heillosen Respekt und eine geradezu unbegrenzte Hochachtung bekommen habe. Mit welcher Ruhe, mit welcher Selbstverständlichkeit, mit welchem Gottvertrauen haben diese Frauen ihre Männer und ihre oft kaum dem Knabenalter entwachsenen Söhne in das Feld ziehen lassen. Mir selbst sind der Vater und die Mutter ja schon längst gestorben, aber was die Kameraden mir so auf den Märschen, im Biwak oder wo wir sonst Gelegenheit fanden, miteinander zu plaudern, von ihren Müttern erzählt haben, das ist einfach heroisch. Kein Wort der Klage, kein Ausruf des Schmerzes, keine Träne, sondern immer nur ein Lächeln auf den Lippen und dann die Worte: „Tut eure Pflicht, kommt gesund wieder, und wenn ihr fallen solltet, dann fallt in Ehren.”

Bismarck hat bekanntlich einmal gesagt: alles könnten uns die anderen Nationen nachmachen, nur nicht die preußischen Leutnants. Ich glaube, das Wort könnte man auch auf die Offiziersfrauen anwenden. Im Frieden, gewiß, da geben sie selbst oft Veranlassung, daß man sich über sie genau so lustig macht wie über unsere Leutnants. Wovon sollten die Witzblätter wohl existieren, wenn sie sich nicht über uns mokieren könnten? Ob die aber auch jetzt noch ihre Witze über uns machen? Und ob man auch jetzt noch die Offiziersdamen, die Walküren des Regiments(1), wie man sie nannte, zum Gegenstand spöttischer Angriffe macht, weil in Friedenszeiten die Kommandeuse auch unter ihren Damen den Anciennitätsrang gewahrt wissen will, weil die an Jahren jüngere Frau Hauptmann es unter keinen Umständen duldet, daß die an Jahren ältere Frau des Oberleutnants sich rechts, anstatt links von ihr setzt — weil es in Friedenszeiten tatsächlich Damen gibt, die sich bei der Kommandeuse durch eingekochte Früchte oder ähnliche Dinge Liebkind zu machen suchen, damit die Frau Oberst bei ihrem Gatten für den Mann der Spenderin ein gutes Wort einlegt? Aber das alles war im Frieden, jetzt ist der Krieg, obgleich wir augenblicklich von dem nichts merken, denn wir liegen einander hier immer noch so friedlich gegenüber, als wäre der Weltenkrieg Gott weiß wo, nur nicht bei uns in Europa. Mich soll's nur wundern, ob es von hier aus überhaupt noch einmal weitergeht. Ich wüßte wirklich nicht, wie ich mir die Zeit verkürzen sollte, wenn ich Dir nicht schriebe. Und da bitte ich Dich noch einmal, lerne es, anders über die Offiziersfrauen zu denken, als Du es bisher tatest. Du wirst mir vielleicht auf diese Zeilen antworten, auch andere Frauen wären stolz und glücklich, daß ihre Männer und Söhne mit in den Krieg ziehen durften, auch die verrieten bei dem Abschied ihren Schmerz nicht. Vielleicht, aber auch nur vielleicht, hättest Du damit recht, aber ein gewaltiger Unterschied besteht trotzdem. Die anderen Mütter und Frauen verraten keinen Schmerz, die Offiziersfrauen empfinden keinen. Nicht, weil sie die Ihrigen nicht ebenso lieben wie die anderen Frauen und Mütter, sondern weil sie sich für ihren Mann und für ihre Kinder tatsächlich freuen, daß diese in den Krieg ziehen dürfen. Die Offiziersfrauen wissen es, wer da als Soldat im Frieden eines natürlichen Todes stirbt, der blickt in seiner letzten Stunde auf ein verfehltes Leben zurück, wenn dieses Leben ihm keine weiteren Aufgaben stellte, als Rekruten auszubilden und bei den Manövern immer nur einen „markierten”, niemals aber einen wirklichen Feind anzugreifen. Der Offizier ergreift seinen Beruf, um über den Feind zu siegen oder um vor dem Feinde zu sterben. Das muß sich jede Frau, die einen Offizier heiratet, vom ersten Tage an sagen, und wenn der Mann fällt, dann darf sein Tod auch bei der Witwe keinen Schmerz auslösen, wenigstens nach außen hin darf sie den nicht zeigen, und sie tut es auch nicht. Du wirst in den nächsten Wochen und Monaten ja oft Gelegenheit haben, in den Zeitungen die Todesnachrichten der im Feindesland Gefallenen zu lesen. Ich meine nicht die offiziellen Verlustlisten, sondern die privaten Todesanzeigen. Bitte achte genau darauf. Die Zivilisten­familien werden den Tod der Ihrigen „in tiefster Trauer”, „in aufrichtigem Schmerz” oder so ähnlich ankündigen. Die Offiziersfrauen werden den Tod ihres Mannes oder ihrer Söhne, fast hätte ich gesagt einfach in militärischer Kürze melden. Und wenn ich nicht wüßte, daß ich heil und gesund aus dem Kriege zurückkomme, dann würde ich Dich schon heute bitten, es bei meinem Tode ebenso zu machen. Einfach kurz und bündig: In dem Kampfe für das Vaterland fiel an dem und dem Tage mein Verlobter, der Königlich Preußische Oberleutnant Hans von Welldorf.

Darunter Dein Name. Weiter nichts. Und um Gottes willen nicht: mein innigstgeliebter Bräutigam oder so etwas Ähnliches. Was braucht die Welt davon zu wissen, wie wir uns liebten. Das darfst du den Leuten auch nicht verraten, wenn ich nach langen, langen Jahren vielleicht als würdiger Großvater dereinst nach einem langen, glücklichen Leben an Deiner Seite die Augen für immer zumache. Auch dann mußt Du kurz und bündig schreiben: an dem und dem Tage starb mein Mann, der General a. D. oder was ich sonst zuletzt war, Hans von Welldorf.

Aber warum schreibe ich Dir immer nur vom Sterben? Noch lebe ich, ich werde am Leben bleiben, und das Leben ist ja so schön, und jetzt in dieser Zeit erst recht. ich bin doch gewiß kein schwärmerisch veranlagter, kleiner Fähnrich mehr, aber trotzdem ist es mir oft wie ein Traum, daß ich diese große, unendlich schöne Zeit miterlebe, daß ich mitkämpfen darf für die Größe und den Ruhm des Vaterlandes. Kein Gefühl ist auch nur annähernd so schön wie das des Sieges, und wir haben schon oft gesiegt und werden beständig weitersiegen.

Es gibt keine schönere Musik, als das Signal zum Avancieren, und nun erst, wenn hinter der Front die ganze Militärmusik den Avanciermarsch spielt. Bleib mir mit Wagner, mit Mozart, Beethoven und all diesen Leuten vom Leibe. So Großes und so Schönes sie auch immer geschaffen, an den Avanciermarsch reicht nichts anderes auf der Welt heran. Könntest Du den doch einmal mit anhören, nicht in der Garnison oder auf dem Exerzierplatz, sondern hier draußen im freien Felde, wenn die Gewehrkugeln pfeifen, wenn die Geschütze donnern, wenn die Hufe der heranstürmenden Kavallerie­regimenter auf dem Erdboden einherdonnern. Dann erst würdest Du es begreifen, wie stolz es einen macht, Offizier zu sein. Nicht, weil ein Offizier im Felde mehr wert wäre als der gewöhnliche Mann, sondern weil der Offizier das schöne Vorrecht hat, seinen Leuten bei dem Sturmangriff voraneilen zu dürfen.

Halt &mdash, was war denn das? Es schein da drüben endlich Leben in die Bude zu kommen. Halt — ja, ich täusche mich nicht — ein Schuß — jetzt noch einer. Gott sei Dank, es geht zum Gefecht, endlich, endlich kommen wir vorwärts, wir aind doch auch nicht in den Krieg gezogen, um hie rtagelang untätig auf dem Bauche zu liegen. Ich muß schließen — fürchte nichts — ich komme gesund zurück, denn ich liebe Dich über alles in der Welt, und ich werde leben, weil ich Deinetwegen leben will! — — — — — — —

Aber der Wille zum Leben hat dem Oberleutnant Hans von Welldorf nicht geholfen. Ein paar Minuten, nachdem das Schützengefecht begonnen hatte, zerschlug ihm ein Geschoß die Schlagader am Halse, und die amtliche Nachricht von seinem Tode erreichte die Braut schneller als dieser Brief, den der Freund, den die Kugel verschonte, seinem Versprechen gemäß mit der Feldpost an ihre Adresse weiterbeförderte.


Fußnoten:

(1) „Die Regiments-Walküren”, Roman von Frhr. v. Schlicht (Zurück)


zurück zur

Schlicht-Seite