Von Freiherrn von Schlicht.
in: „Berliner Leben”, Zeitschrift für Schönheit und Kunst, V.Jahrgg. Heft 1, Jan. 1902,
in: „Neue Hamburger Zeitung” vom 15.2.1902 und
in: Der höfliche Meldereiter.
Der Kommandeur des Husaren-Regiments Franz Heinrich las nun wohl schon zum sechsten Mal das umfangreiche Schreiben, das am frühen Morgen vom General-Kommando eingelaufen war. Das Aktenstück enthielt lauter Bemerkungen für die bevorstehenden Herbstmanöver und da Seine Excellenz mit aller Bestimmtheit darauf rechnete, dass es den Herren Regimentskommandeuren noch möglich sein würde, alle seine Wünsche zu erfüllen, so war deren Stimmung nicht allzu rosig, denn die Wünsche der Vorgesetzten stehen meist in direktem Widerspruch mit denen der Untergebenen und man muß sehr häufig, um die Höheren zu erfreuen, alle Anordnungen, die man schon getroffen hat, über den Haufen werfen. Und das ist nicht nur sehr unangenehm, sondern auch sehr schwierig.
Das galt besonders von einem Passus des umfangreichen Aktenstückes, den der Herr Oberst immer und immer wieder las und der bei ihm ein so energisches Schüüteln des Kopfes veranlasste, dass das Feuer seiner brennenden Cigarre, die er im Mund hielt, einem Irrlicht glich, das bald hier, bald dort leuchtet.
„Wäre Excellenz nicht Excellenz, und wäre Excellenz nicht mein Vorgesetzter,” sagte er schliesslich zu seinem Adjutanten, mit dem er zusammen auf dem Bureau sass, „dann möchte ich wohl behaupten, dass Excellenz sich das, was er über das Meldewesen hier schreibt, nicht ganz richtig überlegt hat, zum mindesten drückt er sich sehr unklar aus. Excellenz schreibt hier wörtlich: „Wie ich es schon bei dem letzten Manöver in meiner Schlusskritik sagte und wie ich es in dem Rundschreiben nach Schluss der Manöver den mir unterstellten Truppenteilen mitteilte, hat das Meldewesen mich im vorigen Jahr in keiner Weise befriedigt und auch nicht befriedigen können. Ueber den Wert der Meldungen brauche ich heute ja nicht viel Worte zu machen, denn ich glaube es bereits zu wiederholten Malen klar gesagt zu haben, dass der Führer nur dann disponieren und nur dann seine Truppen richtig einsetzen kann, wenn er durch zahlreiche und genaue Meldungen über die Aufstellung der feindlichen Truppen unterrichtet ist. In dieser Hinsicht erfüllte die Kavallerie im vorigen Jahr absolut nicht die Erwartungen, die ich an sie stellen mußte. Nicht nur, dass die Meldungen sehr häufig ganz ausblieben — auch das Wenige, was(1) gemeldet wurde, liess sehr viel zu wünschen übrig. Vor allen Dingen aber erwarte ich auch, dass in diesem Jahr mir die Meldungen in einer anderen Art und Weise überbracht werden wie im vorigen Jahr. Ich wünsche es nicht wieder zu sehen, dass die Meldereiter mich beinahe umreiten und mirdie Meldekarten, ohne ein Wort dabei zu sagen, mit einer kurzen, energischen Bewegung hinreichen, gleichsam, als wollten sie mich mit der Hand stossen; diese Boxerbewegungen, wenn ich mich so ausdrücken soll, verbitte ich mir auf das energischste. Gewiss soll der Verkehr des Untergebenen mit dem Vorgesetzten streng militärisch sein, aber er lässt sich doch in eine gewisse höfliche Form hineinbringen und gerade die wünsche ich in diesem Jahre anzutreffen.”
Die Cigarre des Herrn Oberst flog wieder wie ein Feuerball in der Luft herum.
„Was denkt Excellenz sich nur dabei,” fragte er seinen Adjutanten. „Ich habe mit aller Strenge darauf gehalten, dass die Meldereiter, wenn sie eine Meldung abstatten oder überbringen, sich so militärisch, wie nur irgend möglich benehmen, den Mund halten, eine tadellose Haltung annehmen und den Vorgesetzten mit grossen, offenen Augen frei ansehen. Nun genügt das plötzlich nicht mehr; nun soll eine gewisse höfliche Form gewahrt werden! Wenn Excellenz wenigstens die Güte gehabt hätten, sich darüber zu äussern, was er unter dieser höflichen Form versteht und wie er sich dieselbe denkt, dann wollte ich sie meinen Leuten schon beibringen, darauf könnte Excellenz sämtlich Eide der Welt schwören; denn um dem Tadel eines Vorgesetzten zu entgehen, thut ein Untergebener, der seinen Dienst liebt und der es weiter bringen will, alles, und er bringt seinen Untergebenen Sachen bei, die er früher selbst nicht für möglich gehalten hat. Nun sagen Sie auch mal einen Ton: wie denken Sie sich die höfliche Form?”
Der Adjutant fühlte sich durch die Frage des Vorgesetzten und durch das Vertrauen auf sein Wissen, das aus diesen Worten sprach, zwar sehr geehrt — aber das war auch alles. Eine verständige Antwort vermochte auch er nicht zu geben. Aber während die indirekten Fragen das Gute haben, dass man sie mit Stillschweigen übergehen kann, gehört auf eine direkte Frage, zumal wenn sie aus dem Munde eines Vorgesetzten kommt, immer auch eine Antwort — schweigt man auch dann, so ist das entweder ein Zeichen von Widersetzlichkeit oder von geistiger Beschränktheit, und in dieser Beleuchtung zeigt sich der Untergebene nicht gern dem Höheren. Sagen musste der Adjutant also irgend etwas und so meinte er denn schliesslich: „Vielleicht will Excellenz, dass die Meldereiter ihm die Meldekarten mit einer geringen Verbeugung überreichen oder dass sie während des Sprechens ein freundliches Gesicht machen.”
Der Oberst sah seinen Adjutanten, der seine Sache sehr gut gemacht zu haben glaubte, mit grossen, starren Augen an. „Sagen Sie mal,” fragte er endlich, „haben Sie gestern Abend sehr lange im Kasino gesessen? Was Sie mir da erzählen, scheint mir eine Kateridee zu sein, oder wollten Sie mich etwa uzen? Soll ich meinen Husaren vielleicht vor dem Manöver noch Tanz- und Anstandsunterricht geben lassen und sollen die Jungen da auch erst lernen, mit einer sogenannten eleganten Verbeugung, bei der unter Hundert wenigstens Neunundneunzig mit einem Bein nach hinten ausschlagen, einer Tänzerin einen Blumenstrauss zu überreichen, und sollen meine Husaren dann das, was sie in der Anstandsstunde lernten, praktisch im Manövergelände verwerten? Excellenz müsste nicht Excellenz, sondern wie Sie ein ganz junger Oberleutnant sein, wenn er allen Ernstes so etwas verlangen oder auch nur denken sollte.”
Der Herr Oberst schwieg und der Adjutant machte ein sehr wenig intelligentes Gesicht! Der letzte Hieb sass und zwar derartig, dass es ihm nicht einmal schmeichelte, mit Excellenz in einem Atem genannt worden zu sein.
Der Kommandeur versank in tiefes Nachdenken, seinen Adjutanten fragte er garnicht mehr um Rat, dabei kam, wie es sich eben erst gezeigt hatte, doch nichts Gescheites heraus, so grübelte er denn allein weiter und zerbrach sich den Kopf darüber, in welcher Form Excellenz denn die Meldunge überbracht haben wollte; aber auch bei seinem Nachdenken kamm nicht allzu viel heraus, eigentlich gar nichts.
Aber so ganz umsonst zerbricht sich ein Vorgesetzter denn doch nicht den Kopf, das zeigte sich auch hier wieder: „Halt, ich hab's,” rief er endlich. „Ich lesen heute Mittag den Herren Rittmeistern das Schreiben Sr. Excellenz vor und sage dann zu ihnen: „Meine Herren, Excellenz drückt sich so klar und deutlich aus und die gewisse höfliche Form, die Excellenz zu sehen wünscht, ist so selbstverständlich, dass ich über die Form selbst ja kein weiteres Wort zu verlieren brauche.” — So werde ich zu den Herren sprechen und sie mögen dann selbst sehen, wie sie das Kunststück fertig bringen — ich vermag ihnen beim besten Willen nicht zu helfen.”
Die Herren machten am Mittag, als der Kommandeur zu ihnen gesprochen und sich dann schneller, als es sonst seine Art war, von ihnen verabschiedet hatte, ein sehr langes Gesicht und sahen sich mit grossen Augen verwundert an. Was verstand der Oberst unter der gewissen höflichen Form? Dass Excellenz nicht über den Haufen geritten werden wollte, war ja selbstverständlich — deshalb hatten sie auch ihren Husaren auf das strengste eingeschärft, schon fünf Schritt von(2) dem Vorgesetzten vom Pferd zu springen und den alten Friedrich Wilhelm am Zügel zu nehmen. Es war ja ein Leichtes, die fünf Schritt in sieben oder acht umzuändern, aber damit war auch dann Schluss der Vorstellung — mehr gab es nicht.
„Das einfachste ist,” dachten die Rittmeister endlich, „wir schärfen unseren Leutnants ein, mit aller Strenge darauf zu achten, dass die Leute ihres Zuges die Meldungen in einer gewissen höflichen Form überbringen — mögen sie dann selbst zusehen, wie sie das Kunststück fertig bringen, wir können ihnen da beim besten Willen nicht helfen.”
Am nächsten Vormittag machten die Herren Leutnants, als ihnen die Herren Rittmeister bei dem Exerzieren eine lange Rede gehalten hatten, sehr lange Gesichter und sahen sich mit grossen, starren Augen gegenseitig sehr verwundert an. Sie hatten keine Ahnung, wie Excellenz sich die Sache dachte.
Aber auch ein Leutnant weiss sich zu helfen: als die Zugführer entlassen waren, riefen sie ihre Unteroffiziere zusammen und hielten denen eine Rede, deren Inhalt auf ein Haar dem glich, was der Herr Oberst zu seinen Rittmeistern gesprochen hatte.
Mochten die Unteroffiziere sehen, wie sie das Kunststück fertig brachten — sie selbst konnten ihnen da bei dem besten Willen nicht helfen.
Aber die Unteroffiziere wussten sich auch zu helfen: als sie entlassen waren, riefen sie die Leute ihres Beritts zusammen und hielten ihnen eine Rede, die auf ein Haar der Rede glich, die die Herren Rittmeister ihren Herren Leutnants gehalten hatten. Nur der Schlusssatz war etwas energischer und drastischer und lautete: „Und das sage ich Euch, wenn mir eine Klage darüber zu Ohren kommt, dass Ihr an Excellenz eine Meldung überbringt und dabei die gewisse höfliche Form ausser acht lasst, dann sage ich weiter nichts, als: ich gratuliere Euch, und dann könnt Ihr Euch auch selbst gratulieren.”
„Mögen die Husaren sehen, wie sie das Kunststück ferig bringen,” dachten die Unteroffiziere, „wir selbst können ihnen da auch nicht helfen.”
Und also vorbereitet zog das Regiment ins Manöver: da keiner genau wußte, was er von seinem Untergebenen verlangte, hatte man von einer Besichtigung der geforderten höflichen Form Abstand genommen: der Oberst verliess sich darauf, dass seine Rittmeister die Sache schon gemacht haben würden, die Rittmeister verliessen sich auf ihre Leutnants, und die Leutnants waren felsenfest davon überzeugt, dass die Unteroffiziere die Sache zum mindesten eben so gut, wenn nicht noch besser gemacht hätten als sie selbst. So verliess sich einer auf den anderen und jeder Husar verliess sich fest darauf, dass nicht er selbst, sondern irgend ein Kamerad mit einer Meldung zu Sr. Excellenz geschickt werden würde — mochte der Kamerad dann sehen, wie er das Kunststück fertig brächte, helfen konnte ihm da keiner.
Und die Stunde schlug, da Seine Excellenz der Herr Divisionskommandeur persönlich die Leitung der Manöver übernahm — zwar hatten nach seiner Ansicht ja auch die ersten Tage, in der ein Regiment gegen das andere manöveriert, ihren gewissen Wert, aber doch auch nur einen gewissen: Ernst wurde es jetzt erst, als er selbst das Kommando übernahm, die Offiziere seiner Division um sich versammelt hatte und ihnen in längerer Rede auseinandersetzte, was er alles von ihnen in den bevorstehenden Manövertagen erwartete: wenig war es nicht, und viele sahen es mit Sicherheit voraus, dass es ihnen nicht gelinegn würde, die Zufriedenheit des Vorgesetzten zu erringen.
„Sehr begierig bin ich auf die Meldungen der Kavallerie und auf die Form, in der mir die Meldungen überbracht werden,” schloss Seine Excellenz, „da bin ich wirklich begierig.”
„Wir nicht minder,” dachten die Herren der Kavallerie, „nur die Gewissheit haben wir, dass es ganz sicher ein Unglück giebt — wir sind nur begierig, bei wem es einschlägt.”
Und alle schwuren sich, unter keinen Umständen an die Adresse Sr. Excellenz eine Meldung abzusenden, aber im Gegensatz zu den Vorgesetzten können die Untergebenen nicht immer ihrem Vorsatz treu bleiben.
„Herr Rittmeister,” redete im Laufe des Gesprächs der Kommandeur des Husarenregiments den Chef der ersten Schwadron an, „schicken Sie sofort einen Meldereiter zu Sr. Excellenz und lassen Sie ihm melden, dass die feindliche Kavallerie sich soeben, nachdem sie unserer ansichtig geworden ist, in westlicher Richtung, anscheinend nach Adorf, zurückzieht.”
Der Rittmeister hatte in diesem Augenblick nur den einen Wunsch, nicht geboren zu sein, trotzdem sagte er: „Zu Befehl, Herr Oberst!” und wandte sich dann ängstlich an seinen(3) Wachtmeister: „Wen senden wir denn nur von den Kerls?” fragte er. „Ein durchaus zuverlässiger, gewandter Mensch muss es schon sein.”
Der Wachtmeister liess einen raschen Blick über die Schwadron gleiten, dann winkte er sich einen Husaren herbei. „Der Meier wird es schon machen, Herr Rittmeister.”
Und begleitet von den Segenswünschen der ganzen Schwadron ritt der Husar Meier von dannen, um nach einer guten Viertelstunde wieder zurückzukommen.
„Nun, was saagte Excellenz?” fragte der Rittmeister neugierig. „War Excellenz mit Ihnen zufrieden? Nun, so reden Sie doch, was sagte Excellenz, als sie ihm die Meldung überbrachten?”
Der Husar Meier hätte sich am liebsten nachdenklich mit seiner Lanze hinter den Ohren gekratzt, das ging ja aber nicht und so antwortete er denn schliesslich: „Excellenz sagte, Excellenz wollten noch mit dem Herrn Rittmeister über mich sprechen.”
Das klang wenig vertrauensvoll, zumal der Husar Meier ein sehr wenig erfreutes Gesicht machte — allzu freundlich schien er bei Excellenz nicht aufgenommen worden zu sein. So bekam der Herr Rittmeister denn schon im voraus einen gewaltigen Schrecken, aber als er Sr. Excellenz einige Stunden später bei der Kritik gegenüberstand, rührte ihn beinahe der Schlag.
„Herrrr,” fuhr ihn der Vorgesetzte an, „was denken Sie sich eigentlich dabei, mir einen solchen Meldereiter zu schicken? Kommt der Mensch auf mich zu und fragt: „Habe ich die Ehre, Seine Excellenz, den Herr Divisionskommandeur, vor mir zu sehen?” und als ich des Scherzes halber den Mann nicht gleich einsperre, sondern „Ja,” sage, fährt er fort: „Ich komme im Auftrage meines Herrn Rittmeisters, um Eure Excellenz zu melden, dass die feindliche Kavallerie —” Ich habe nicht hingehört, was der Mann mir da für einen dreibändigen Roman über die feindliche Kavallerie erzählte — ich hatte an der Form der Meldung schon mehr als genug. Bitte, Herr Rittmeister, wollen Sie die grosse Güte und die unendliche Liebenswürdigkeit haben, mir zu sagen, was Sie sich dabei gedacht haben, als Sie mir diesen geistig anscheinend nicht ganz zurechnungsfähigen Jüngling sandten?”
„Garnichts,” hätte der Rittmeister am liebsten geantwortet, aber er schieg sich aus und der Oberst erbarmte sich seiner: „Excellenz verzeihen — Excellenz haben befohlen, dass die Meldungen nicht allzu militärisch, sondern in einer gewissen höflichen Form überbracht werden und da hat der Husar es eben zu gut machen wollen und hat das Falsche getroffen. Vielleicht haben Eure Excellenz die Güte, mir bei dieser Gelegenheit zu sagen, welche höfliche Form Eure Excellenz in Zukunft bei der Abstattung von Meldungen wünschen, damit ich meine Leute in diesem Sinne instruiere?”
Excellenz sah seinen Untergebenen wegen der unmilitärischen und unvorschriftsmässig langen Rede einen Augenblick starr an. Dann versank er in tiefes Nachdenken: so ganz klar war es ihm auch nicht, was er sich bei seinem Befehl im allgemeinen und bei der „gewissen höflichen Form” im besonderen gedacht hatte — klar war ihm die Sache keineswegs.
Und der Wahrheit die Ehre gebend, sprach Excellenz gelassen das grosse Wort: „Ja, meine Herren, wenn Sie es nicht wissen — — — ich weiss es ganz gewiss nicht.”
(1) In der Fassung von „Der höfliche Meldereiter” heißt es hier: „das gemeldet wurde”. (zurück)
(2) In der Fassung von „Der höfliche Meldereiter” heißt es hier: „vor dem Vorgesetzten”. (zurück)
(3) In der Fassung von „Der höfliche Meldereiter” heißt es hier: „an einen Wachtmeister”. (zurück)